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2.2 Theorien im Zusammenhang mit Engagement

2.2.2 Informelles Lernen

Eine Gesellschaft, die rapide altert und deren einziger Rohstoff letztlich Wissen ist, muss sich über kurz oder lang zwangsläufig für die bestmögliche Ausbildung der nach-folgenden Generation, allein zur Erhaltung ihres Wohlstands, interessieren. Lange Zeit stand die Beschreibung von Mechanismen der Entwicklung des Einzelnen im Vorder-grund des Forschungsinteresses. In den letzten Jahren hat sich die Erkenntnis durchge-setzt, dass man die Entwicklung junger Menschen zu Erwachsenen nicht ohne Untersuchung des Kontextes verstehen wird, in dem diese Entwicklung abläuft (Stein-berg & Morris, 2001, pp. 97-98).

Abbildung 5: Schematische Darstellung einer „structural hole“

Im Mittelpunkt dieser Debatten steht zumeist der Kompetenzerwerb. Untersuchungen zu diesem Thema beschränken sich häufig auf formelle Lernumgebungen, wie Schulen, Ausbildungsbetriebe oder Universitäten (Düx & Sass, 2005; Gerber, Marek & Cavallo, 2001). Hier wird ausführlich studiert, wie Lernumgebung und Lerninput, wie Lehrer-Schüler-Beziehung und andere Faktoren gestaltet werden müssen, damit über die reine Wissensvermittlung hinaus im praktischen Alltag einsetzbare Kompetenzen entstehen.

In den 13 Schuljahren, die ein Gymnasiast heute noch zur Schule geht, verbringt er nur ca. 15.000 Stunden an der Schule. Ungefähr 61.000 Stunden hingegen lebt und lernt er in einer anderen Umgebung.5 Sehr wahrscheinlich werden also Aktivitäten und Erfah-rungen, die Heranwachsende außerhalb der Schule machen, die Entwicklung in bedeu-tendem Umfang beeinflussen (Gerber, Cavallo & Marek, 2001; Krettenauer, 2006).

Das vermutet auch Fend (2005, S. 470), weswegen er in seinem jugendpädagogischen Leitbild für Heranwachsende Chancen zu einer positiven Bewährung für jeden Jugend-lichen fordert. Diese Chancen sieht er zum einen in von Schulen organisierten lehrpla-nunabhängigen Aktivitäten wie auch außerhalb der Schule in Vereinen und Vereinigungen.

Die maßgebliche Beeinflussung der Entwicklung von Jugendlichen, die im Gegensatz zur formellen Umgebung von Schule oder Universität meistens in einer informellen Umgebung erfolgt, wird zumindest zum Teil mit der Theorie des „informellen Lernens“ erklärt. Leider herrscht bei der Diskussion dieses Begriffs bis heute Uneinig-keit darüber, was nun genau informelles Lernen auszeichnet.6

Häufig ist in der Literatur zudem neben formellem und informellem Lernen noch als dritte Kategorie das nicht-formelle Lernen zu finden (Coombs & Ahmed, 1974;

Livingstone, 2001). Darunter wird vor allem die formelle Weiterbildung durch Arbeit-geber oder andere Bildungsträger subsumiert. Diese Kategorie unterscheidet sich von der des formellen Lernens nur darin, dass Lernen hier nicht zu einem formellen Abschluss führt.

Abgeleitet vornehmlich aus Beobachtungen in der Erwachsenenbildung, beschreiben Marsick & Watkins (1990, pp. 12-30) informelles Lernen vor allem durch die Abgren-zung von formellem Lernen.7 Während formelles Lernen normalerweise von Institu-tionen (Schule/Universität) verantwortet wird, in der Regel in einem Klassenzimmer stattfindet und hochgradig strukturiert ist, fehlen informellem Lernen gerade diese beiden Charakteristika, und es liegt meistens in der Verantwortung des Lernenden selbst. Es ist also „nicht das Lernen (...) informell, sondern allenfalls die Kontexte, in denen es stattfindet“ (Düx & Sass, 2005, S. 395). Auf die Umstände und Bedingungen,

5 Acht Stunden Schlaf sind bereits ausgeschlossen. Die Berechnung verwendet 38 Wochen, 30 Wochen-Stunden und 13 Schuljahre. Sie orientiert sich an einer ähnlichen Berechnung von Medrich, Roizen, Rubin & Buckley, 1982, p. 229.

6 Eine umfangreiche Darstellung der internationalen Diskussion zu informellem Lernen findet sich bei Overwien (2005, S. 342ff.).

7 In der deutschen Literatur zu informellem Lernen wird häufig gleichbedeutend das Gegen-satzpaar formal/informell verwendet (Overwien, 2006, S. 35).

unter denen informelles Lernen abläuft und welche Maßnahmen dazu förderlich sind, gehen die Autoren Marsick, Volpe und Watkins (Marsick & Volpe, 1999; Marsick &

Watkins, 2001) in neueren Werken ausführlich ein.

Informelles Lernen...

entsteht in der Regel spontan während der alltäglichen Arbeit. Förderlich ist es daher, zu Neugier und Experimenten zu ermuntern und Raum und Zeit dafür zu schaffen.

bedarf eines externen oder internen Anstoßes. Um das zu erreichen, ist es hilf-reich, eine Kultur der Neugier zu fördern und neue Herausforderungen zu begrüßen.

ist dem Lernenden nur bedingt bewusst. Mitarbeiter sollte man dazu anhalten, unbewusst Gelerntes und die Wege, wie sie es gelernt haben (z.B. Trial and Error), zu ergründen. Dann können auch Andere von diesen Erfahrungen profi-tieren.

ist zufällig oder durch den Zufall beeinflusst. Hier ist es hilfreich, wenn man sich von Zeit zu Zeit Ziele und kritische Ereignisse vor Augen führt.

ist ein kontinuierlicher Kreis aus Reflektion über das eigene Handeln und erneutem Handeln. Zur Förderung dieses Aspekts informellen Lernens, empfehlen die Autoren konstruktive Kritik- und Diskussionsrunden, auf denen die eigenen Werte und Normen hinterfragt werden.

ist eng verbunden mit dem Lernen Anderer. Der Lernerfolg hängt daher entscheidend vom Vertrauen der Kollegen und der engen Zusammenarbeit mit ihnen ab.

Zwar ist dieser Definition und speziell den Vorschlägen zur Förderung des Lernerfolgs ihre Abstammung aus der Forschung zum Lernen im Unternehmen sehr deutlich anzu-sehen, viele dieser Bedingungen finden sich aber auch dort, wo Engagement zu beob-achten ist.

Dadurch, dass häufig professionelle Strukturen nur in Ansätzen vorhanden sind, ist die Zeit des Engagements prädestiniert für das Ausleben von Neugier. Trial and Error ist bei vielen Tätigkeiten der einzige Weg, eine Lösung zu finden (Hansen, 2008). Wenn nicht schon das Thema oder die Tätigkeit des Engagements eine zusätzliche Herausfor-derung und einen Blick über den Tellerrand bedeuten (Hofer, 1999), dann sorgen wahrscheinlich die ebenfalls Engagierten mit anderen sozialen aber evtl. auch anderen kulturellen Hintergründen (Migranten) für neue und bereichernde Erfahrungen (Düx, 2006; Sturzenhecker, 2004). Wegen des weitgehenden Fehlens von Hierarchiestufen, eines sehr ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl und eines geringen Konkurrenzdenkens könnte der Austausch von Erfahrungen nicht nur weniger gehemmt und intensiver, sondern auch bewusster sein, als dies im Arbeitsleben der Fall ist. Iterative Prozesse des Nachdenkens und Handelns bei Engagement werden durch die häufig vorkom-mende Knappheit von Ressourcen (Geld, Zeit und Leute) gefördert, da sie Engagierte immer wieder zwingt, Planungen zu überdenken (Hansen, 2008, S. 93f.). Gerade im Vergleich zur Schule scheint es sehr wahrscheinlich, dass zu den Mitstreitern im

Enga-gement eine bessere emotionale Beziehung besteht als zu Lehrern und deshalb Ratschläge oder Erfahrungen eher akzeptiert werden (Sass, 2006).

Erheblichen Anteil an einer positiven Lernumgebung könnte zudem die Freiwilligkeit der Mitarbeit in Vereinen und Vereinigungen haben. Damit steigt die Motivation, neue Herausforderungen anzunehmen (Düx, 2006, Sass, 2006).

All diese Punkte, die bei Engagement außerhalb des schulischen oder universitären Lehrplans eher gegeben sind als z.B. beim „Abhängen mit Freunden“ oder beim „Fern-sehn-schauen“, legen den Schluss nahe, dass Jugendliche, die sich engagieren, ausge-prägter informell lernen als diejenigen, die sich nicht engagieren.