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2.4 Entwicklungspsychologische Erkenntnisse

2.4.5 Ethisch-moralische Entwicklung

Die Frage, ob Engagement von Jugendlichen zur Entwicklung eines moralischen Wertesystems beitragen kann, das sie auch in ihrem Erwachsenenleben zuverlässig bei Entscheidungen unterstützt, hat bislang wenig Interesse in der Wissenschaft gefunden.

Die wichtigsten und am meisten beachteten Beiträge stammen von James Youniss und Miranda Yates (Youniss, McLellan & Yates, 1997, Youniss & Yates, 1997, Youniss &

Yates, 1999). Sie konzentrieren ihre Untersuchung auf soziales Engagement. Untersu-chungsfeld ist das Programm einer katholischen Schule für Angehörige von Minder-heiten in innerstädtischen Problembezirken, das einmal im Quartal einen Arbeitseinsatz der Schüler in einer Suppenküche für Obdachlose vorsieht. Über die Auswirkungen dieser Arbeit berichten die Autoren drei Beobachtungen. So unterstützt ein Teil der Schüler die Suppenküche nach einiger Zeit häufiger als vorgesehen. Das zu Anfang in Aufsätzen und Gruppendiskussionen zu Tage getretene negative Bild von Obdachlosen wandelt sich zum Positiven. Das ursprüngliche Desinteresse an der Situation der Obdachlosen weicht der Anteilnahme an ihrer Not.

Die Entwicklung des sozialen und moralischen Bewusstseins profitiert nicht von allen Formen von Engagement gleich stark. In einer auf ein Jahr angelegten Untersuchung von 367 Schülern der elften und zwölften Klassen einer High School haben Metz, McLellan & Youniss (2003) festgestellt, dass sozial Engagierte signifikant mehr Inter-esse für soziale Belange und unangepasstes bürgerliches Verhalten äußern. Erstaunlich

war, dass anderweitig Engagierte signifikant weniger Interesse hatten als überhaupt nicht Engagierte.

Biggs & Barnett (1981) haben in einer quantitativen Längsschnitt-Studie mit Studenten untersucht, welche Faktoren die Entwicklung von moralischem Denken beeinflussen.

Neben mehreren anderen Faktoren beobachten sie die Beteiligung an extracurricularen Aktivitäten. Sie verwenden den Defining Issues Test, der das Niveau des moralischen Argumentationsvermögens misst. Sie kommen zu folgendem Schluss: „It is somewhat disconcerting to find that participation in extracurricular activities is negatively related to upper-division scores on the Defining Issues Test. The results suggest some need for reflection about quality of experiences students confront in extracurricular activities“

(p. 101). Allerdings muss man anmerken, dass die Stichprobe für diese Studie relativ klein war und damit alles andere als repräsentativ.

Mit der Frage, ob Sport den Charakter bildet, befassen sich Rees, Howell & Miracle (1990). Sie untersuchen dazu die Werte Ehrlichkeit und soziale Verantwortung.

Während für die meisten der untersuchten Sportarten die Ergebnisse ohne signifikanten Befund bleiben, sind die Werte für Ehrlichkeit und soziale Verantwortung für Basket-ball negativ. Eine charakterbildende Funktion des Sports können die Autoren demnach aus den Daten nicht erkennen.

Hofer (1999) beschäftigt sich genauer mit den Mechanismen, warum sich Engagierte von Nicht-Engagierten hinsichtlich der politischen Beteiligungsbereitschaft unter-scheiden. Zu diesem Zweck untersucht er Jugendliche hinsichtlich ihrer Fähigkeiten zur Transzendenz, also der Übersetzung von konkret Erlebtem in abstrakte Konzepte.

Er vermutet, dass Engagement jede Transzendenz fördert und Jugendliche durch den Kontakt mit konkreten gesellschaftlichen Problemen (z.B. bei der Pflege alter Menschen oder der Beseitigung von Umweltschäden) anregt, vermehrt über die Bezie-hung zwischen sich und ihrer Umwelt nachzudenken. Des Weiteren verspricht er sich, dass sie sich ihrer Werte und Normen bewusst werden und eigene Standpunkte zu Politik und Religion entwickeln. Seine Untersuchungsergebnisse deuten auf eine Förderung der Transzendenz durch Engagement als Basis für politische Partizipation hin. Auerbach & Wiedemann (1997, S. 303) haben in ihrer qualitativen Studie eben-falls Anhaltspunkte dafür gefunden, dass die politische Orientierung bei ehrenamtlich tätigen Jugendlichen weiter fortgeschritten ist. Weitere Studien, die die politische Beteiligungsbereitschaft von Jugendlichen sowohl in Deutschland wie auch in den Vereinigten Staaten untersuchen, finden auch hier positive Zusammenhänge mit Enga-gement (Hanks & Eckland, 1978; Hart, Donnelly, Youniss & Atkins, 2007; Reinders, 2006; Zaff, Malanchuk, Michelsen & Eccles, 2003a). Alle Autoren verweisen aber darauf, dass bei diesen Fragen noch hoher Forschungsbedarf besteht und vor allem für Deutschland eine breit angelegte Längsschnittstudie fehlt (Reinders & Youniss, 2005).

Insgesamt bleibt der Eindruck einer nicht zufriedenstellenden Forschungslage zu ethisch-moralischen Entwicklungsbeiträgen von Engagement, denn es mangelt an qualitativen Studien, die die Prozesse hinter einer eventuellen Entwicklung beleuchten, ebenso wie quantitative Studien fehlen, die die Wirkungen belegen.

2.4.6 Soziales Kapital

Engagement schafft soziales Kapital. In der gesellschaftlichen Diskussion hat sich herausgestellt, dass diese Aussage auf die Gesellschaft projiziert sehr schwer belegbar ist. Nur einzelne Wirkungen, wie etwa auf die Kriminalitätsrate (z.B. Linville &

Huebner, 2005; Mahoney & Stattin, 2000; Schmidt, 2003) oder die Gesundheit (z.B.

Hawe & Shiell, 2000) ließen sich problemlos zeigen. Die Frage ist damit, wie sich Engagement auf die Bildung von sozialem Kapital für den einzelnen Heranwachsenden auswirkt.

Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten für Heranwachsende soziales Kapital aufzubauen. Zum einen kann das durch den Kontakt mit Gleichaltrigen geschehen, zum anderen durch den Kontakt zu Erwachsenen. Jarrett, Sullivan &

Watkins (2005) haben in drei Jugendprogrammen qualitativ untersucht, wie der Aufbau von „social capital" zu Erwachsenen abläuft. Beim Einstieg in eines der Programme hatten viele Jugendliche Vorbehalte gegen Erwachsene, sei es weil sie sich von oben herab behandelt sahen oder bevormundet fühlten. Alle drei Programme waren aber darauf ausgerichtet, die Jugendlichen in Kontakt mit Erwachsenen zu bringen, die etwas mit ihnen gemeinsam hatten. Dadurch entstand nach und nach eine gewisse Vertrautheit, so dass die Jugendlichen einen Teil ihrer Vorbehalte ablegten.

Diese Änderung in der Beziehung zu den Erwachsenen brachte, wie in der Studie dargelegt, vier Vorteile mit sich. Die Jugendlichen erlangten erstens wichtige Informa-tionen, die ihnen halfen, ihre Projekte erfolgreich abzuschließen, sie erhielten zweitens aktive Hilfestellung, sie erlebten drittens einen Ausschnitt aus der Welt der Erwach-senen und erfuhren viertens Unterstützung und Ansporn für ihre Projekte durch Erwachsene. Weitere, ebenfalls qualitative Studien (Düx & Sass, 2005; Larson &

Walker, 2006; Larson et al., 2004) berichten von ähnlichen Erfahrungen ihrer Probanden.

Düx & Sass (2005) berichten darüber hinaus von weiteren Vorteilen. So haben sich manchen Jugendlichen durch ihr Engagement deutschlandweite Netzwerke erschlossen. Einige konnten von den über das Engagement entstandenen Kontakten mit Erwachsenen sogar materiell profitieren.

Broh (2002) hat mit Hilfe des NELS-Datensatzes analysiert, ob Jugendliche, die sich in unterschiedlichen Formen engagieren, höheres soziales Kapital aufbauen als Nich-tengagierte. Besonders interessiert ihn, ob Jugendliche von höherem sozialen Kapital im Hinblick auf Noten profitieren. In seiner Untersuchung findet er bei Wettkampfs-portarten, musikalischem und schulischem Engagement signifikant höheres soziales Kapital in Form von intensiveren Lehrer-Schüler- und Eltern-Schule-Beziehungen.

Außerdem sind bei den in diesen drei Formen Engagierten die Noten für Englisch und Mathematik signifikant besser.

Larson, Hansen & Moneta (2006) kommen zu dem Schluss, dass vor allem religiöses und gesellschaftliches Engagement Netzwerke mit Erwachsenen und soziales Kapital fördert. Hansen, Larson & Dworkin (2003) berichten übereinstimmend, dass religiöses

Engagement die Vernetzung mit der Welt der Erwachsenen fördert. Darüber hinaus sehen sie diese Wirkung aber auch bei sozialem Engagement.

Als Anzeichen für ausgeprägtes soziales Kapital lässt sich die höhere Popularität von Sportlern anführen (Hanks & Eckland, 1976; Melnick, Sabo & Vanfossen, 1992a;

Spady, 1970). Ob Sport deshalb besonders geeignet ist, soziales Kapital aufzubauen, zieht eine Studie, die Erwachsene einschließt, aber in Zweifel. Demnach hat die Art des Engagements keinen Einfluss auf die Höhe des sozialen Kapitals. Die Intensität des Engagements in Stunden gemessen ist zwar signifikant (d.h. je mehr Stunden, desto mehr Kapital), die Effekte sind aber gering. Zudem profitieren danach männliche Engagierte signifikant weniger als weibliche (Isham, Kolodinsky & Kimberly, 2006).

Alle vorliegenden Studien zu sozialem Kapital sind jedoch vorsichtig zu interpretieren.

Die Operationalisierungen sind teilweise wenig überzeugend (beispielsweise „I had good conversations with my parents/guardians because of this activity“, Larson, Hansen & Moneta, 2006, p. 853).