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2.3 Gesellschaftliche Aspekte

2.3.3 Gesamt- und einzelwirtschaftliche Bedeutung

Vielfach wird im Zusammenhang mit Engagement vom Non-Profit-Sektor oder auch vom Dritten Sektor gesprochen. Er definiert sich dadurch, dass seine Teilnehmer weder staatliche noch rein marktwirtschaftliche Unternehmen sind. Organisationen des dritten Sektors sind in der Regel vom Staat unabhängig, werden von ihm aber doch häufig unterstützt. Auf der anderen Seite haben sie keine Gewinnerzielungsabsicht und agieren nur eingeschränkt am Markt (Anheier & Seibel, 2001; Etzioni, 1973). Zum Dritten Sektor in Deutschland zählen neben den großen Wohlfahrtsverbänden sämt-liche gemeinnützigen Vereine und sonstige gemeinnützigen Organisationen (z.B.

gemeinnützige Stiftungen, gemeinnützige Unternehmen, Birkhölzer, Klein, Priller &

Zimmer, 2005). Der Dritte Sektor, zu dessen Bedeutung es umfangreiche Studien gibt, erwirtschaftete 1995 3,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und beschäftigte ca 1,4 Millionen Arbeitnehmer (knapp fünf Prozent aller in Deutschland Beschäftigten;

Anheier & Seibel, 2001, p. 76). Keinesfalls darf man den Dritten Sektor mit dem Umfang von Engagement gleichsetzen. Engagement wird traditionell unentgeltlich erbracht.

Nichtsdestotrotz sind in der Praxis unterschiedliche Wege zu beobachten, wie Enga-gierten dennoch ein gewisses Entgelt gezahlt wird (sei es als Unkostenerstattung, Aufwandsersatz, Taschengeld o.ä.). Orientierungspunkt für derartige Zahlungen ist in der Regel der Steuerfreibetrag für ehrenamtliche Helfer, die sog. Übungsleiterpau-schale, die im Jahr 2007 bei 2100 Euro jährlich lag. Alff, Martini & Braun (1985, S. 14f.) weisen aber zutreffend darauf hin, dass die Gefahr des Abgleitens in den zweiten Arbeitsmarkt besteht, wenn diese Leistungen über den tatsächlichen Aufwand des Engagierten hinausgehen.

Da die Arbeit von Engagierten gewöhnlich ohne Vergütung, allenfalls verbunden mit der Erstattung von Unkosten oder Aufwendungen erbracht wird, taucht sie in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht auf (im Gegensatz zu zahlreichen eben-falls im Dritten Sektor erbrachten Leistungen, die aber zu quasi-Marktpreisen abge-rechnet werden; Goldschmidt-Clermont & Pagnossin-Aligisakis, 1995). Um ihren Wert dennoch zu erfassen, muss eine Bewertung über Umwege konstruiert werden (Badelt, 1997). Grob unterteilt gibt es dafür zwei Ansätze (Anheier, Hollerweger, Badelt &

Kendall, 2003).

Der erste ist der output-orientierte Ansatz. Bei ihm werden die Leistungen von Enga-gierten mit Hilfe von äquivalenten, auf dem freien Markt käuflich erhältlichen Leis-tungen monetär bewertet. Dieses Vorgehen funktioniert natürlich nur, wenn sich auch tatsächlich eine äquivalente Leistung mit einem Marktpreis ermitteln lässt. Da es aber zahlreiche Felder gibt, in denen sich der Output schlecht monetär erfassen lässt (z.B.

Umweltschutz) oder bei denen Marktpreisbildungsmechanismen gestört sind (z.B. auf Grund von Armut; Brown, 1999), wird dieses Verfahren selten eingesetzt und dann auch nur für wenige Aktivitäten (Goldschmidt-Clermont & Pagnossin-Aligisakis, 1995).

Der zweite Ansatz konzentriert sich auf den zur Erstellung der Leistung notwendigen Einsatz (input-based). Dabei finden sich zwei verschiedene Herangehensweisen. Die erste Methode basiert auf den Ersatzkosten, die der Kauf der Arbeitsleistung auf dem Arbeitsmarkt nach sich ziehen würde. Bei deren Erfassung gibt es drei unterschiedliche Vorgehensweisen. Entweder wird die Arbeit der Engagierten mit Spezialisten gleichge-setzt, man nimmt an, dass Engagierte ein breites Spektrum an Arbeiten abdecken und daher Generalisten sind oder man versucht Äquivalenzgruppen zu bilden. (Anheier et al., 2003; Goldschmidt-Clermont & Pagnossin-Aligisakis, 1995; Hollerweger, 2000).

Die zweite, vornehmlich in der Literatur zu findende Methode bewertet die Leistung von Engagierten auf Basis von Opportunitätskosten, also danach, was der Einzelne mit seiner Qualifikation und seinem Einsatz in dieser Zeit auf dem Arbeitsmarkt bekommen hätte. Dieses Vorgehen ist aber schon deswegen kritisch, weil Engagement großteils in thematischen Bereichen stattfindet, die sich vom Beruf des Engagierten unterscheiden (z.B. Investmentbanker der Jugendfußballtrainer ist). Obendrein würde sich ein und dieselbe Leistung nur dadurch im Wert unterscheiden, dass sie von Personen mit unterschiedlichem beruflichem Hintergrund durchgeführt wird (Anheier et al., 2003; Brown, 1999; Hollerweger, 2000).

Brown (1999, pp. 8-12) gibt außerdem mehrere Punkte zu bedenken, die die monetäre Bewertung von unentgeltlich erbrachten Leistungen erschweren. Zum einen führt sie an, dass es einen inneren Wert des Erstellens der Leistung für den Einzelnen geben muss, da er sonst evtl. leichter und wirkungsvoller Geld spenden könnte. Dieser innere Wert ist wegen der subjektiven Faktoren, die ihn bestimmen, schwer zu bemessen.

Zum anderen gibt es Leistungen, die entweder gar nicht käuflich zu erwerben sind oder deren Qualität deutlich besser ist, wenn sie von unbezahlten Kräften erbracht werden.

Auch scheint es wenig sinnvoll, zur monetären Erfassung den Durchschnittslohn der

Bevölkerung heranzuziehen, wenn die Zusammensetzung der Gruppe der Engagierten nicht der Zusammensetzung der Bevölkerung entspricht, insbesondere wenn die Hoch-qualifizierten deutlich überrepräsentiert sind.

In der Literatur wird zur Illustration der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung von ehren-amtlichem Engagement in der Regel auf die Ersatzkostenmethode zurückgegriffen. Sie ist, so Daten zur Dauer des Engagements in Stunden vorliegen, der am einfachsten zu berechnende Ansatz. Als Größe zur Ermittlung der monetären Bedeutung der von Engagierten geleisteten Arbeit wird auf den nationalen oder branchenspezifischen Durchschnittslohn zurückgegriffen, der dann mit der Anzahl der erbrachten Stunden multipliziert wird (Anheier & Toepler, 2002; Bendele, 1992).

Um die berechneten Werte dem tatsächlichen Sachverhalt anzunähern, kann man zusätzlich verschiedene Korrekturfaktoren berücksichtigen. Brown (1999) vermutet, dass die Produktivität von Engagierten niedriger ist, da die Bezahlung als mächtiger Motivator fehlt. Außerdem weist sie darauf hin, dass die Leistungen von Freiwilligen in der Regel in der Dienstleistungsbranche erbracht werden. Es muss also zumindest der Durchschnittslohn dieser Branche bei der Berechnung herangezogen werden. Ein weiterer zu bedenkender Punkt betrifft die Aufnahme der Leistung durch den Empfänger. Wohlfahrtsverluste, die dadurch entstehen, dass der Empfänger eigentlich andere Leistungen dringender bräuchte, die angebotenen Leistungen aber wahrnimmt, weil sie kostenlos sind, lassen sich schwierig beziffern. Murray (1994) beziffert den Faktor zwischen Marktwert und Wert für den Empfänger bei vier US-amerikanischen Sozialprogrammen auf 0.73.

Für Deutschland als Volkswirtschaft gibt es nur wenige Berechnungen, die zumindest annähernd aktuell sind. So berichtet die Bundesregierung auf eine Anfrage der Frak-tionen von CDU/CSU und FDP von einem Äquivalent von 130 Mrd. DM auf der Basis branchenspezifischer Bruttostundenlöhne in den alten Bundesländern (Bundesministe-rium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1996, S. 20). Diese Berechnung fußt auf den Zahlen der Zeitbudgetstudie, die einen sehr geringen Beteiligungsgrad gemessen hat. Inwieweit Korrekturfaktoren zum Einsatz gekommen sind, lässt sich aus der Antwort nicht erkennen. Insgesamt konstatiert die Bundesregierung, dass zum einen das vorliegende Datenmaterial zu unvollständig ist und zum anderen die Berech-nungsmethoden zu ungenau sind.

Weniger problembehaftet ist die Umrechnung der von Engagierten geleisteten Stunden in Vollzeitarbeitsplätze. Zwar werden hierfür gute Daten zum Stundeneinsatz für Enga-gement benötigt, eine Bewertungsproblematik für sehr heterogene Tätigkeiten tritt aber nicht auf, da keine qualitativen Aussagen über die Arbeitsplätze angestrebt werden. In Deutschland entsprechen die von Engagierten erbrachten Leistungen in etwa einer Million Vollzeitarbeitsplätzen (Priller, Zimmer, Anheier, Toepler & Salamon, 1999, p. 102).

Vielversprechender als die gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweise ist die einzelwirt-schaftliche Bewertung einzelner streng abgegrenzter Programme. Dazu können grund-sätzlich die bereits geschilderten Ansätze zur Bewertung herangezogen werden. Wegen

der weitgehend gegebenen Homogenität des Aufgabenspektrums wie auch der Teil-nehmer taucht ein Teil der weiter oben geschilderten Probleme von vornherein nicht auf.

Obwohl die Evaluation von Programmen, die auf freiwillig Engagierte setzen, tiefere Einblicke in die tatsächlichen Leistungen dieser Anstrengungen geben könnte, wird sie dennoch vergleichsweise selten durchgeführt (Hager & Brudney, 2005). In vorlie-genden Studien zur Programmevaluation wird meist auf eine Betrachtung der Kosten des Einsatzes von unentgeltlich arbeitenden Engagierten verzichtet, obgleich die Inves-titionen z.B. in Training, Verwaltung und Beschaffung durchaus beträchtlich sein können. Bedeutung gewinnt der Kostenaspekt vor allem bei der Entscheidung, ob und in welchem Verhältnis fest angestellte Mitarbeiter und freiwillig Engagierte zusam-menarbeiten (Brudney & Duncombe, 1992). Die Annahme, unbezahlt arbeitende Enga-gierte seien unter Kostenaspekten immer professionellen Kräften vorzuziehen, trifft nicht zu.

Wird also ein Programm für den Einsatz von Engagierten geplant und spielt das Argu-ment der Reduktion von Kosten eine große Rolle, ist eine ernsthafte Evaluation der Nettoeffekte inklusive der Kosten des Programms geboten. Dass das Kosteneinsparpo-tential erheblich sein kann, zeigen Handy & Srinivasan (2004, p. 51). Sie berichten von einem Return on Investment eines Programms im Gesundheitswesen von 684 Prozent.

Trotz der besseren Voraussetzungen für die wirtschaftliche Bewertung einzelner Programme oder Projekte darf man zweierlei nicht vergessen. Viele Engagierte haben kein Interesse an einer Evaluation.15 Für manche Tätigkeiten (politische Überzeugungs-arbeit, fürsorgliche Betreuung alter Menschen) lässt sich Geld als Bewertungseinheit kaum heranziehen (Badelt, 1997; Hollerweger, 2000).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die gesamtwirtschaftliche monetäre Bewertung der Leistungen von Engagierten auf Grund vieler Faktoren mit fundamentalen Problemen behaftet ist. Berechnungen von monetären Summen – auch wenn für sie die unterschiedlichsten Korrekturfaktoren zum Einsatz kommen – können nur scheinbar einen zutreffenden Eindruck der volkswirtschaftlichen Bedeutung vermitteln (Badelt, 1997). Wesentlich sinnvoller – wenngleich ebenfalls kritisch zu sehen – ist dagegen die Evaluation einzelner Programme (Hager & Brudney, 2005) oder Lebensabschnitte, bei denen die Heterogenität der leistenden Personen wie der erbrachten Leistungen so gering wie möglich ist. Eingedenk dieser Probleme ist die Berechnung von einge-setzten Arbeitsstunden wahrscheinlich am besten geeignet, die volkswirtschaftliche Dimension einigermaßen verzerrungsfrei wiederzugeben (Brown, 1999).

15 Warum sollen sich beispielsweise die Mitglieder einer Bürgerinitiative gegen eine Müllver-brennungsanlage dafür interessieren, wie viel Zeit oder Arbeitsleistung sie in die Verhinde-rung dieser Anlage investiert haben, wenn sie am Ende erfolgreich waren?