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2.4 Entwicklungspsychologische Erkenntnisse

2.4.1 Akademische Leistung

Die akademische Leistung steht am häufigsten im Mittelpunkt von Studien zu extracur-ricularem Engagement. Viele Forscher gehen davon aus, dass Engagement die Entwicklung von Kompetenzen, Fähigkeiten, Werten und Verhaltensweisen fördert, die sich bereits im Unterricht an der Schule positiv niederschlagen (Darling, Caldwell

& Smith, 2005; Miller, Melnick, Barnes, Farrell & Sabo, 2005). Andere nehmen an, dass soziale Netzwerke aus Erwachsenen und Schülern eine Steigerung der Motivation bzgl. schulischer Belange hervorrufen (Eccles & Barber, 1999, Broh, 2002). Nach einer ebenfalls populären Ansicht zieht eine höhere, positive Identifikation mit der Schule, wie sie bei Engagement entsteht, bessere schulische Leistungen nach sich (Eccles & Barber, 1999; Marsh & Kleitman, 2003; Sass, 2006). Den prominenten Gegenentwurf zu diesen positiven Annahmen liefert die Nullsummen-Theorie. Sie geht davon aus, dass Anstrengungen in extracurricularem Engagement zu einer Reduktion der Anstrengung an anderen Stellen (vor allem beim traditionellen Lernen für die Schule) führen (Coleman, 1961). Zwar gibt es Studien, die entweder überhaupt keine Zusammenhänge zwischen akademischer Leistung und Engagement gefunden haben oder sie nur bei Sub-Gruppen erkennen konnten, diese Beobachtungen beziehen sich aber fast ausschließlich auf Engagement im sportlichen Bereich (Feldman & Matjasko, 2005, Holland & Andre, 1987). Obwohl die Nullsummen-Theorie durchaus einfluss-reich und gut formuliert ist, sind die Anhaltspunkte, die in Form empirischer Belege gegen sie sprechen, umfangreich (Marsh, 1992).

Akademische Leistung wird in den zahlreichen Studien zu diesem Thema höchst unter-schiedlich erfasst. Die verbreitetste Methode ist das Studium von Noten oder Tester-gebnissen. Dabei kann es sich um den Grade Point Average (GPA) handeln, um spezifische Schulnoten zu Mathematik, Leseverständnis oder Naturwissenschaften oder um Punktzahlen in Studierfähigkeitstests. Weitaus schwieriger zu erfassen sind die Erwartungen von Studienteilnehmern zu ihrer weiteren akademischen Ausbildung (Pläne, ein College zu besuchen) oder zu ihren beruflichen Zielen. Als interessante Quellen zur Selbsteinschätzung der akademischen Fähigkeiten werden sie zusammen mit der Zahl der Studienbewerbungen daher in einigen Studien als abhängige Variable herangezogen. Langzeitstudien überprüfen zudem gerne, ob die Erwartungen tatsäch-lich zu einem Studium führen. Seltener wird das (vorzeitige) Ausscheiden aus der Schule oder die Zeit, die für Hausaufgaben oder sonstige schulische Belange aufge-wendet wird, untersucht.

Studien, die auf eine Ausdifferenzierung der unterschiedlichen Arten von Engagement verzichten, berichten in der Regel positive Zusammenhänge zwischen akademischen Ergebnissen der Studienteilnehmer und Engagement (Darling, 2005; Darling, Caldwell

& Smith, 2005; Dávila & Mora, 2007; Mahoney, Cairns & Farmer, 2003; Zaff, Moore, Papillo & Williams, 2003b).

Camp (1990) hinterfragt mit Blick auf seine Erkenntnisse die Praxis, Schüler, die gewisse Mindestanforderungen hinsichtlich der akademischen Leistung nicht erfüllen, von der Teilnahme an Engagement im Schulkontext auszuschließen, um sie zu

besseren Leistungen zu motivieren. Er hält diese Praxis für kontraproduktiv, da er eine zumindest symbiotische, wahrscheinlich sogar eine positive kausale Beziehung zwischen Engagement und akademischer Leistung vermutet. Gerber, Cavallo & Marek (2001) stellen fest, dass „enriched informal activities outside the classroom“ die Fähig-keit von Heranwachsenden zu wissenschaftlichem Arbeiten und Denken fördern. Sie schließen in ihre erfahrungsreichen Aktivitäten sportliches, soziales und anderweitiges Engagement und selbst solche Aktivitäten ein, die sonst nicht zu Engagement zu zählen sind.

Die Untersuchung von Evaluationsberichten amerikanischer Jugendprogramme fördert ebenfalls interessante Erkenntnisse zu Tage. Obwohl manche dieser Programme gar nicht explizit akademische Ziele verfolgen, fördern sie dennoch die schulischen Leis-tungen ihrer Teilnehmer und erhöhen die Schulabschlussquoten (Eccles & Templeton, 2002).

Wie Marsh (1992) betont, ist eine differenziertere und vollständige Betrachtung der unterschiedlichen Formen von Engagement für die Aussagekraft der Ergebnisse von hoher Bedeutung. Bartko & Eccles (2003) weisen zudem darauf hin, dass Heranwach-sende sich auch in mehreren unterschiedlichen Arten und Formen parallel engagieren können. Sie sehen in der isolierten Betrachtung einzelner Engagements die Gefahr, dass wichtige Effekte übersehen werden. Ältere Studien beschränken die Betrachtung vor allem auf Engagement im Bereich des Sports und fassen andere Möglichkeiten des Engagements unter einer Restkategorie zusammen (Holland & Andre, 1987). Trotz dieses Plädoyers für Vollständigkeit sind die Erkenntnisse zu Engagement im Sport wegen des großen öffentlichen Interesses immer noch am umfangreichsten. Das Bild, dass diese Studien zeichnen, ist indes zwiespältig. Ein Großteil berichtet, dass Schüler, die sich sportlich engagieren, entweder bessere Noten, allgemein bessere schulische Leistungen oder höhere bildungsbezogene Erwartungen haben (Eccles & Barber, 1999;

Holland & Andre, 1987; Simpkins et al., 2005).

Eine der wenigen qualitativen Studien weist darauf hin, dass Teilnehmer bei sportli-chem Engagement den Wert von Disziplin erfahren und lernen, ihre Zeit besser einzu-teilen. Vermutlich kommen ihnen beide Fähigkeiten auch bei schulischen Leistungen zu gute (Fredricks et al., 2002, p. 85).

Fredricks & Eccles (2006b) berichten in einer Längsschnittstudie, dass bei Athleten Noten und der Ausbildungsstatus besser sind und sich vorteilhafter entwickeln vergli-chen mit Schülern, die sich nicht engagieren. Auch scheinen Sportler sich stärker mit der Schule zu identifizieren als Nichtsportler bzw. künstlerisch oder akademisch Enga-gierte (Fredricks & Eccles, 2005).

Sehr positive Beziehungen zwischen Sport und akademischen Leistungen haben Broh, Feldman, Kleitman, Marsh, und Matjasko gefunden (Barron, Ewing & Waddell, 2000;

Broh, 2002; Feldman & Matjasko, 2007; Marsh & Kleitman, 2003). Nach ihren Studien hatten Sportler nicht nur bessere Noten und höhere akademische Erwartungen, sie investierten auch mehr Zeit in Hausaufgaben, bewarben sich bei mehr Universi-täten, waren nach dem Schulabschluss häufiger in einer Universität eingeschrieben und

erreichten insgesamt höhere Bildungsabschlüsse. Erstaunlicherweise waren diese Zusammenhänge vor allem bei Team- und Wettkampfsportarten besonders stark zu beobachten. Einzig die Vergleiche auf Basis der Ergebnisse standardisierter Tests wurden nicht signifikant (Marsh & Kleitman, 2003).

Studien, die sich eingehender mit der Frage beschäftigen, ob sportliches Verhalten bei Frauen und Männern unterschiedlich wirkt, kommen zu teilweise widersprüchliechen Ergebnissen. Während ein Teil bei Frauen einen deutlich positiveren Effekt auf natur-wissenschaftliches Interesse, auf den GPA und den Wunsch zum Besuch einer Univer-sität findet (Hanson & Kraus, 1998, abgesehen von Cheerleading; Melnick, Sabo &

Vanfossen, 1992b), sehen andere Studien bei Männern positive Wirkungen des Sports, bei Frauen hingegen keine signifikanten Effekte (Broh, 2002).

Vertreten wird auch die Auffassung, dass Sportler zwar mehr erreichen im Hinblick auf akademische Kriterien als Nicht-Sportler, die gefundenen Effekte aber nur sehr schwach sind und teilweise bei der Kontrolle zusätzlicher Einflussfaktoren noch schwächer werden (Bartko & Eccles, 2003; Hanks & Eckland, 1976; Rees, Howell &

Miracle, 1990; Spreitzer, 1994).

Die Gruppe der hinsichtlich der Effekte von sportlichem Engagement ernüchternden, teils skeptischen Studien führt Spady (1970) an. Seines Erachtens fördert Sport im Gegensatz zu anderem Engagement nicht die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten, die später an der Hochschule benötigt werden. Zwar gesteht er dem Sport ebenfalls die Fähigkeit zu, Erwartungen bzgl. der akademischen Möglichkeiten zu wecken. Gleich-zeitig gibt er aber zu bedenken, dass diese Erwartungen evtl. nicht mit den intellektu-ellen Fähigkeiten, die für ein Studium benötigt werden, übereinstimmen. Zu ähnlichen Ergebnissen im Hinblick auf Noten gelangen mehrere Studien, die das Fehlen jeglicher Effekte berichten (Fisher, Juszczak & Friedman, 1996), zum Teil allerdings entweder für Angehörige von Minderheiten (Melnick, Sabo & Vanfossen, 1992a, Melnick, Sabo

& Vanfossen, 1992b), für Männer (Miller et al., 2005) oder für Frauen (Hanson &

Kraus, 1998).

Eine der wenigen Studien, die Engagement an der Universität untersucht, findet in der Gruppe der männlichen Sportler schlechtere Noten als bei Nichtsportlern, innerhalb der Frauengruppe dagegen keine Unterschiede (Umbach, Palmer, Kuh & Hannah, 2006). Nach einer weiteren Studie treten Sportler an den Universitäten mit schlech-teren Vorleistungen an, verbessern aber im Verlauf des Studiums ihre akademischen Noten so, dass sie sich nicht mehr von Studenten mit besseren Vorleistungen unter-scheiden (Aries, McCarthy, Salovey & Banaji, 2004). Die Ergebnisse lassen sich auf die deutsche Situation nicht, bestenfalls nur eingeschränkt übertragen, da sie auf den besonderen Verhältnissen an amerikanischen Universitäten beruhen, die dem Sport einen hohen Stellenwert einräumen.

Im Vergleich zur Zahl der Untersuchungen, in deren Mittelpunkt sportliches Engage-ment von Heranwachsenden steht, ist die Zahl der Studien, die künstlerisches, schuli-sches, soziales oder religiöses Engagement isoliert betrachten, gering. Einen Großteil der Informationen zu den Zusammenhängen der einzelnen Arten von Engagement mit

akademischen Leistungen entstammt daher Studien, die Engagement umfassend zu erfassen suchen, in ihrer Zahl indessen nicht das Niveau der Studien erreichen, die zu sportlichem Engagement vorliegen.

Engagement im künstlerischen Bereich hängt teilweise ebenfalls positiv mit der akade-mischen Situation zusammen. So fällt die Zahl der Hochschulabgänger bei musikalisch Tätigen signifikant höher aus als bei Nicht-Engagierten (Marsh, 1992). Barber, Eccles

& Stone (2001) berichten, dass künstlerisch Engagierte signifikant mehr Schuljahre absolviert haben, also seltener vorzeitig ausscheiden, und häufiger einen Universitäts-abschluss erreichen als Andere. Broh (2002) hat für musikalisch Engagierte bessere Noten in Mathematik und Englisch gefunden, konnte bei Schülern in Theatergruppen bessere Noten aber nur in Englisch feststellen.

Bei weiblichen Angehörigen von Minderheiten hat künstlerisches Engagement posi-tiven Einfluss auf den GPA, bei dramaturgischem Engagement sogar auf die Bereiche Lesen, Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften (Lisella & Serwatka, 1996).

Feldman & Matjasko (2007) beobachteten ebenfalls einen höheren GPA bei künstle-risch Engagierten im Vergleich zu Nicht-Engagierten.

Die Erkenntnisse zu Zusammenhängen von Engagement im sozialen Bereich und in der Schule (z.B. Schülervertretung) sind weitgehend identisch. Auf diesen Gebieten Engagierte weisen positive Effekte auf, und zwar hinsichtlich der Noten (Barber, Stone

& Eccles, 2005; Broh, 2002; Eccles & Barber, 1999; Feldman & Matjasko, 2007;

Fredricks & Eccles, 2006b; Hanks & Eckland, 1976; Lisella & Serwatka, 1996 für Frauen; Schmidt, Shumow & Kackar, 2007), der Zeit für Hausaufgaben (Marsh, 1992), der Erwartung die Universität zu besuchen (Eccles & Barber, 1999; Fredricks &

Eccles, 2006b; Marsh, 1992; Spady, 1970) oder der Quote derer, die erst einige Jahre nach dem Schulabschluss ein Studium an der Universität aufnehmen (Barber, Eccles &

Stone, 2001; Dávila & Mora, 2007, Marsh, 1992). Wenngleich die Identifikation mit der Schule nicht direkt mit akademischen Leistungen verbunden ist, so wird sie doch zumindest mittelbar als positiv für das akademische Interesse eingestuft. In diesem Punkt sind ebenfalls positive Einflüsse, vor allem des schulischen Engagements, zu beobachten (Fredricks & Eccles, 2006b).

Die Studien von Schmidt, Shumow, Kackar Dávila und Mora (Dávila & Mora, 2007;

Schmidt, Shumow & Kackar, 2007) untersuchen einen weiteren interessanten Aspekt, nämlich den der Freiwilligkeit bzw. Pflicht zu sozialen Diensten. Nimmt man an, dass Selektionseffekte die positiven Ergebnisse zumindest zum Teil bedingen, müsste sich die Gruppe der freiwillig Tätigen von denjenigen unterscheiden, die lediglich eine Pflicht erfüllenden. Unterschiede hinsichtlich der positiven Zusammenhänge mit Noten konnten die Autoren aber nicht feststellen, weshalb sie folgern, dass die beobachteten Ergebnisse unabhängig sind von Selektionseffekten.

Das Engagement für Academic Clubs17 hatte – wie kaum anders zu erwarten – signifi-kant positive Folgen für den GPA (Barber, Stone & Eccles, 2005; Feldman &

Matjasko, 2007; Lisella & Serwatka, 1996 für Frauen) und die Wahrscheinlichkeit zum Besuch einer Hochschule (Eccles & Barber, 1999). Ein anderes Ergebnis wäre auch deshalb überraschend gewesen, weil sich die Clubs die Auseinandersetzung mit spezi-ellen akademischen Themen zur Aufgabe gemacht haben.

Religiöses Engagement wird nur in einem kleinen Teil der Studien explizit erwähnt.18 Die Studien zeigen eine positive Beziehung von solchem Engagement zu Schulleis-tungen, vor allem im Vergleich zu anderen weniger strukturierten Aktivitäten wie

„Abhängen mit Freunden“. Auf diesem Feld Engagierte bringen sich stärker in den Unterricht ein und sind insgesamt optimistischer, was ihr zukünftiges Leben angeht (Jordan & Nettles, 1999). Marsh (1992) unterstreicht dies mit der Beobachtung, dass Angehörige dieser Gruppe mehr Zeit für Hausaufgaben aufwenden, seltener im Unter-richt fehlen und ein höheres akademisches Selbstbewusstsein aufweisen.

Eine Studie zu Engagement und akademischen Leistungen Angehöriger von Minder-heiten von Lisella & Serwatka (1996) zeigt bei den männlichen Testpersonen ein komplett anderes Bild als die Mehrheit der Studien. Bei sportlichem, künstlerischem, schulischem, akademischen und kirchlich-sozialem Engagement haben sie entweder überhaupt keine oder sogar negativ signifikante Ergebnisse für Noten (GPA, Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften, social sciences) gefunden.

Auffällig ist beim Studium der Literatur das offensichtliche Fehlen eines theoretischen Konzepts, das die gefundenen akademischen Leistungssteigerungen umfassend erklärt.

Deswegen kommen Hansen, Larson & Dworkin zu folgendem Schluss. „Quantitative research has largely treated youth activities as a black box. It has done little to differen-tiate what processes or experiences within an activity are related to positive changes“

(Hansen, Larson & Dworkin, 2003, p. 26). Die Theorie des informellen Lernens, die diese Beobachtungen evtl. erklären könnte, wird kaum herangezogen.

Auch wenn die theoretischen Erklärungen unbefriedigend bleiben, so sind doch die empirischen Anhaltspunkte relativ deutlich. Zwar gibt es Unterschiede mit Blick auf Arten des Engagements. Die Mehrheit der Studien bestätigt jedoch positive Zusam-menhänge von Engagement mit akademischer Leistung (Feldman & Matjasko, 2005).