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Die Herausforderungen der Zukunft

Kapitel 2: Das Berner Gesundheitswesen und seine Herausforderungen

2.3 Die Herausforderungen der Zukunft

Wachstums-markt und seine Kosten

Ein wichtiger Trend im Gesundheitswesen ist das steti-ge Leistungswachstum im Sinne der Anzahl erbrachter Leistungen. Als erster wichtiger Wachstumsfaktor ist dabei die demografische Alterung zu nennen. Damit verbunden sind die epidemiologischen Entwicklungen.

Die Lebenserwartung in der Schweiz ist in den letzten Jahren stetig gestiegen und die Alterung der Gesell-schaft führt zu einer Zunahme der Anzahl pflegebedürf-tiger Menschen. Aufgrund des Wohlstands und der Behandlungsmöglichkeiten verbessert sich allerdings auch die Lebenserwartung in Gesundheit, so dass sich die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen nicht proportional zur Lebenserwartung entwickeln wird. Die veränderte Altersstruktur führt indessen zu einer Zu-nahme chronisch-degenerativer Erkrankungen. Damit werden sich die nachgefragten Leistungen qualitativ

verändern: Zunehmend wichtig werden pflegeintensive Behandlungen sowie Leistungen im Bereich der Palliati-ve Care, deren Ziel nicht im Heilen, sondern primär in der Linderung von Leiden liegt. Als eine Folge der de-mografischen Entwicklung und des medizinischen Fort-schritts steigt auch die Lebenserwartung von Menschen mit Behinderungen, deren Behandlung und Betreuung neue, teilweise auch ethisch schwierige Fragen aufwirft.

Als zweiter Wachstumsfaktor trägt die Intensivierung der Inanspruchnahme durch die Bevölkerung dazu bei, dass immer mehr Gesundheitsleistungen konsumiert werden.

Dieser Trend wird verstärkt durch Fortschritte in der Diagnostik und Medizintechnik und die Zunahme der Indikationen für medizinische Behandlungen.

Das Gesundheitswesen ist folglich ein Wachstums-markt, der kaum den konjunkturellen Schwankungen unterliegt. Die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen ist in den letzten Jahren stetig gestiegen, und auch als Arbeitgeber ist das Gesundheitswesen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Entsprechend streben die Leistungs-erbringer im Gesundheitswesen nach Wachstum und einer Ausdehnung ihrer Marktanteile. Dieser stumswille der Anbieter ist ein dritter, treibender Wach-stumsfaktor im Gesundheitswesen. Die Attraktivität des Gesundheitsmarktes äussert sich auch darin, dass hohe Investitionen in die medizinische Forschung getätigt werden, insbesondere seitens der Pharmaindustrie und privater Investoren.

Die Kosten dieser Entwicklung werden über die soziale Krankenversicherung und über Steuern von der gesam-ten Gesellschaft getragen. Angesichts steigender Prä-mien wird das wachsende Gesundheitswesen in der öffentlichen Diskussion oft primär unter dem Blickwinkel der Kosten betrachtet. Strategien zur Kostendämpfung stehen dabei im Widerspruch zu den Wachstumsbe-strebungen der Leistungserbringer und zur Wahrneh-mung des Gesundheitswesens als Wirtschaftsfaktor mit hoher Wertschöpfung. Dieser Grundkonflikt wird sich in den nächsten Jahren voraussichtlich noch zuspitzen.

2.3.2 Markt und Steuerung

Die politischen Bestrebungen und insbesondere die KVG-Revisionspakete zur Spitalfinanzierung und zur Pflegefinanzierung zielen auf eine Stärkung des Wett-bewerbs zwischen den Leistungserbringern. Dieser soll die Preise und damit die Kosten im Gesundheitswesen senken. So führen etwa die schweizweite Einführung von DRG-Fallpauschalen und die leistungsbasierte Investitionsfinanzierung zu einer deutlichen Wettbe-werbsintensivierung zwischen den Spitälern. Die Einfüh-rung einheitlicher Pauschalen soll ausserdem erstmals Effizienzvergleiche zwischen den Leistungserbringern ermöglichen, was den Druck zusätzlich erhöhen wird.

Aufgrund der ab 2012 geltenden freien Spitalwahl in-nerhalb der Schweiz werden die Patientinnen und Pati-enten stärker umworben werden und steigt der Druck auf die Leistungserbringer, sich über qualitativ hochste-hende Dienstleistungen zu positionieren.

Im Gesundheitswesen funktioniert der Markt jedoch oft nicht oder nur mangelhaft. Nicht alle Teile der Gesund-heitsversorgung sind etwa finanziell genügend attraktiv, um (mehrere) Wettbewerbsteilnehmer anzuziehen. Da der Zugang zur medizinischen Versorgung ein Grund-recht eines jeden Menschen ist, müssen aber auch nicht lukrative Versorgungsbereiche durch die Gesundheits-versorgung abgedeckt werden. Um UnterGesundheits-versorgung zu verhindern und den Zugang zur medizinischen Versor-gung gewährleisten zu können, ist deshalb eine Steue-rung und RegulieSteue-rung des Gesundheitswesens auch in Zukunft unerlässlich.

Der Markt kann aber auch zu Überversorgung führen, indem Anbieter unnötige Behandlungen durchführen und so eine Mengenausweitung geschieht, die nicht dem Bedarf entspricht. Die Gefahr unnötiger Mengen-ausweitung besteht vor allem in lukrativen Marktseg-menten und in jenen Bereichen, in denen stationäre Behandlungen mehr Gewinn versprechen als die ent-sprechende und medizinisch mögliche ambulante Lei-stung. Im Bereich der sozialen Krankenversicherung ist es Aufgabe des Staates, bei derartigen Mengenauswei-tungen steuernd einzugreifen.

Steuernde Eingriffe dienen demnach dazu, festgestellte oder drohende Unter- oder Überversorgung zu verhin-dern und suboptimale Ergebnisse zu korrigieren. Sie verbessern damit die Bedarfsgerechtigkeit und Wirt-schaftlichkeit der Versorgung.

2.3.3 Spezialisierung

Die fortschreitende Spezialisierung in der Medizin führt zu einer Ausdifferenzierung in zahlreiche Subdiszipli-nen. Um eine ausreichende Auslastung der Spezialisten zu erreichen, sind grössere Fallzahlen erforderlich. Der Trend zur Spezialisierung geht folglich einher mit der Tendenz zu grösseren Spitalbetrieben und zu grösseren Spitexbetrieben, die dadurch auch Spezialaufgaben bewältigen können. Eine Weiterführung der Spezialisie-rung in den Fachbereichen ist unter dem Aspekt des medizinischen Fortschritts positiv zu bewerten. Eine Gefahr der Spezialisierung liegt allerdings darin, dass die Behandlungsketten noch stärker fragmentiert wer-den, was im Konflikt mit der gewünschten Integration der Versorgungsbereiche und einer ganzheitlichen Me-dizin steht. Als Gegentrend zur Spezialisierung der Schulmedizin ist eine zunehmende Hinwendung der Bevölkerung zu ganzheitlichen alternativen Heilmetho-den festzustellen.

2.3.4 Änderung der Strukturen in der Grund-versorgung

Bedingt durch den medizinischen Fortschritt, den Ko-stendruck und den Entwicklungen in den berufen wird sich der Strukturwandel im Gesundheits-wesen fortsetzen. Neue Formen der Zusammenarbeit wie strategische Allianzen, Kooperationen oder Fusio-nen gewinFusio-nen an Bedeutung. Dies gilt für die ambulante

Versorgung, die durch Konzentrations- und Kooperati-onsprozesse effizientere Strukturen erreicht (grössere Spitexorganisationen, Gruppenpraxen, Kooperationen verschiedener Leistungserbringer in Gesundheitszen-tren, etc.) ebenso wie für die Spitalversorgung. Es ist zu erwarten, dass sich die Zahl der Spitäler weiter reduzie-ren wird, währeduzie-rend die verbleibenden Betriebe und Standorte an Grösse zunehmen.

Nebst diesen Konzentrationsprozessen tragen auch die zunehmende Verlagerung vom stationären in den am-bulanten Bereich und die Verkürzung der Aufenthalts-dauern in den Spitälern zum Strukturwandel bei. Der Abbau stationärer Kapazitäten zugunsten ambulanter Angebote wird unter anderem durch die Entwicklung neuer, minimal-invasiver Behandlungsverfahren geför-dert. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass ausserdem das DRG-System dazu beiträgt, dass der ambulante Bereich stärker in den stationären Be-reich eindringt. Viele Spitäler, die sich mit einer verrin-gerten Auslastung im stationären Sektor konfrontiert sehen, reagieren mit einer Anpassung ihres Leistungs-angebots. Sie bieten z.B. operative Eingriffe vermehrt auch ambulant an oder bauen Spitalambulatorien auf.

Der Trend zu kürzeren Aufenthaltsdauern in den Spitä-lern zeitigt auch Auswirkungen auf die nachgelagerten Anbieter wie die Spitex und Ärzteschaft, die schneller reagieren müssen und auch komplexere Fälle überwie-sen erhalten. Insgesamt erfordern diese Entwicklungen eine bessere Koordination zwischen den Leistungserb-ringern im Gesundheitswesen.

2.3.5 Personalmangel und Belastung des Per-sonals im Gesundheitswesen

Bereits heute zeichnet sich ein deutlicher Mangel an Pflegepersonal und ärztlichem Personal ab, der auch durch Auslandrekrutierung nicht aufgefangen werden kann. Die Personalverknappung, welcher eine Zunahme pflegebedürftiger Menschen gegenübersteht, hat eine zunehmende Belastung des Personals zur Folge. Siehe dazu Kapitel 10 dieses Berichts.

Eine weitere relevante Entwicklung ist die zunehmende Feminisierung des ärztlichen Personals im Gesund-heitswesen. Sowohl im ambulanten als auch im statio-nären Sektor ist der Frauenanteil in der Ärzteschaft in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Dies ver-langt nach flexibleren, familienfreundlicheren Arbeitsbe-dingungen in den Institutionen des Gesundheitswesens und in der ambulanten ärztlichen Versorgung.

2.3.6 Hohe Erwartungen der Bevölkerung Einhergehend mit dem zunehmenden Wohlstand und dem medizinischen Fortschritt erhöhen sich die Ansprü-che der Gesellschaft an das Gesundheitswesen. Die Erwartungshaltung der Bevölkerung wird durch die grosse Präsenz von Gesundheitsthemen in den Medien sowie die zunehmende Informationsdichte in Bezug auf medizinische Möglichkeiten noch gesteigert. Verbunden mit dem Wunsch nach einem beschwerdefreien Leben ist dabei eine Ausweitung des Gesundheitsbegriffs zu beobachten: Gesundheit wird zunehmend mit Wohlbe-finden gleichgesetzt, das heisst Einschränkungen im Wohlbefinden werden als Störung der Gesundheit wahrgenommen und entsprechend an das Gesund-heitswesen herangetragen. Neben einer zunehmenden Qualitätsorientierung in Bezug auf die medizinischen und pflegerischen Leistungen werden heute auch der Wellness-Faktor und die damit verbundenen Leistungen im Hotellerie-Bereich in der stationären Akutversorgung und Langzeitpflege stärker gewichtet.

Das Bedürfnis nach sofortiger Behandlung medizini-scher Probleme führt dazu, dass Patientinnen und Pati-enten häufiger den Notfalldienst von Spitälern in An-spruch nehmen. Gleichzeitig schwindet die Bindung an den Hausarzt.

Das Mengenwachstum im Gesundheitswesen wird folg-lich auch durch die Leistungsempfänger gefördert. Als gegenläufiger Trend lässt sich beobachten, dass das Bewusstsein für die Begrenztheit der Ressourcen zuzu-nehmen scheint. Dies ist primär der steigenden Prämi-enbelastung zuzuschreiben.

Kapitel 3: Rechtliche und politische Rahmenbedingungen