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Kapitel 5: Planungsgrundlagen

9.1 Das Berner Rettungswesen heute

Die Versorgung der bernischen Bevölkerung mit Ret-tungsleistungen erfolgt heute durch 17 terrestrische Rettungsdienste und zwei Luftrettungsdienste, die über eine Betriebsbewilligung des Kantons Bern verfügen.

Diese betreiben insgesamt 23 Ambulanzstandorten und vier Luftrettungsbasen auf dem Kantonsgebiet.

Acht der terrestrischen Rettungsdienste haben durch Regierungsratsbeschluss (RRB Nr. 510 vom 1. März 2006) ein Verantwortungsgebiet zugewiesen erhalten.

Mit diesen Betrieben hat der Kanton Leistungsverträge abgeschlossen. Die zwei Luftrettungsdienste operieren nach Bedarf im ganzen Kanton. Weitere terrestrische Rettungsdienste sind mit bernischer Betriebsbewilligung ohne zugeteiltes Versorgungsgebiet im Einsatz.

Abbildung 9.1: Rettungsdienste des Kantons Bern und Rettungsregionen 2011

Terrestrische Rettungsdienste mit zugeteiltem Versor-gungsgebiet und Leistungsvertrag:

• Rettungsdienst der Hôpital du Jura bernois SA (HJB AG) mit Standorten in Moutier, St-Imier, Tavannes und Tramelan

• Ambulanz Region Biel AG (ARB AG) mit Standort in Biel

• Rettungsdienst der Spital Netz Bern AG (SNBe AG) mit Standorten in Aarberg, Münsingen und Riggis-berg

• Sanitätspolizei der Stadt Bern (Sano) mit Standort in Bern

• Rettungsdienst der Spital STS AG mit Standorten in Gesigen, Thun (Tagesbetrieb) und Saanenmöser

• Rettungsdienst der Spitäler fmi ag mit Standorten in Interlaken, Frutigen, Meiringen, in Zusammenarbeit mit den Rettungsdiensten von Grindelwald, Lauter-brunnen und Adelboden. Diese Kooperation bedeu-tet, dass das Verantwortungsgebiet im Berner Ober-land Ost gemeinsam abgedeckt wird.

• Rettungsdienst der Regionalspital Emmental AG (RSE AG) mit Standorten in Burgdorf und Langnau

• Rettungsdienst der Spital Region Oberaargau AG (SRO AG) mit Standorten in Langenthal; Niederbipp und Huttwil (Tagesbetrieb)

Terrestrische Rettungsdienste ohne zugeteiltes Versor-gungsgebiet und ohne Leistungsvertrag mit dem Kan-ton:

• Ambulanz- und Rettungsdienst Grindelwald GmbH (Kooperation mit der fmi ag)

• Ambulanzdienst Lauterbrunnen (Kooperation mit der fmi ag)

• Ambulanz- und Rettungsdienst Bergmann, Adelbo-den (Kooperation mit der fmi ag)

• Reha-Zentrum Heiligenschwendi

• Ambulanz und Rettungsdienst Sense AG in Wün-newil (FR)

• Ambulanz- und Rettungsdienst Murten und Umge-bung (FR)

• Intermedic (fallweise, vor allem bei Sportanlässen im Einsatz)

• SRS Medical GmbH, Winznau SO (fallweise, vor allem bei Sportanlässen im Einsatz)

• Ambulanz- und Rettungsdienst Grenchen SO1 Luftrettung:

• Schweizerische Rettungsflugwacht Rega mit Basen in Belp und Wilderswil

• Air Glaciers SA mit Basen in Gstaad und Lauter-brunnen

Einsatzkategorien im Rettungswesen

Bis 2009 wandte der Interverband für Rettungswesen IVR folgende Definition der Einsätze an:

• Dringlichkeit 1 (D1): Sofortiger Einsatz mit Son-dersignalen für einen Notfall mit vermuteter Beein-trächtigung der Vitalfunktionen.

• Dringlichkeit 2 (D2): Einsatz ohne Verzug – mit Sondersignalen nur soweit notwendig für flüssiges Vorwärtskommen im Verkehr – für einen Notfall ohne vermutete Beeinträchtigung der Vitalfunktio-nen.

• Dringlichkeit 3 (D3): Einsatz nach Vorbestellung.

Mit der Anpassung der Richtlinien zur Anerkennung von Rettungsdiensten auf 2010 wurden die Definitio-nen verfeinert:

• P: Primäreinsatz / -Transport: Erstversorgung eines Patienten am Einsatzort und gegebenenfalls Transport zu einer Behandlungsinstitution.

P1: Sofortiger Einsatz mit Sondersignal für einen Notfall mit bestehender oder vermuteter Beein-trächtigung der Vitalfunktionen

P2: Sofortiger Einsatz für einen Notfall ohne Be-einträchtigung der Vitalfunktionen

P3: Einsatz auf Vorbestellung

• S: Sekundäreinsatz / -Transport: Verlegungs-transport eines Patienten von einem stationären Leistungserbringer zum anderen.

S1: Verlegung eines Patienten mit Beeinträchti-gung der Vitalfunktionen (mit oder ohne Verwen-dung von Sondersignal)

S2: Verlegung eines Patienten ohne Beeinträchti-gung der Vitalfunktionen und möglichst ohne Zeit-verzug

S3: Verlegung eines Patienten ohne Beeinträchti-gung der Vitalfunktionen und auf Vorbestellung.

Da erst 2011 Daten gemäss der verfeinerten Definiti-on erhoben werden, verwendet die vorliegende Pla-nung die Klassifikation nach den Einsatzkategorien D1, D2, D3.

Aus den Daten der Rettungsdienste lassen sich folgen-de Einsatzzahlen ableiten: Die acht terrestrischen Ret-tungsdienste mit Leistungsauftrag und ihre Partnerinsti-tutionen haben im Jahr 2009 rund 51’900 Einsätze

________________________

1 Derzeit in Prüfung ist eine Einsatzgebiet-Zuordnung für den Rettungsdienst Grenchen.

durchgeführt. Diese setzten sich zusammen aus rund 36’900 Notfalleinsätzen der Dringlichkeitskategorien D1und D2, sowie rund 15’000 Verlegungs- oder Trans-porteinsätzen der Dringlichkeitskategorie D3.

Gemäss den Eigenangaben der Luftrettungsdienste führen diese zusätzlich pro Jahr rund 1000 Primärein-sätze und ca. 300 SekundäreinPrimärein-sätze durch.

Abbildung 9.2: Einsätze D1 und D2 im Jahr 2009, pro Ret-tungsdienst

* RD SRO AG: nur Einsätze im Kanton Bern

** RD FMI AG: inkl. Einsätze der Partnerinstitutionen.

In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Ein-sätze der Regionalen Rettungsdienste deutlich gestei-gert. In den fünf Jahren von 2004 bis 2009 nahm die Anzahl Einsätze über alle drei Dringlichkeitsstufen hin-weg um 17.3% zu, was einer mittleren jährlichen Steige-rung von 3.2% entspricht. Die Zunahme bei den Ret-tungsleistungen fällt damit stärker aus als das allgemei-ne Bevölkerungswachstum im Kanton Bern. Die Anzahl Notfalleinsätze, d.h. die Rettungseinsätze der Kategori-en D1 und D2, nahmKategori-en im gleichKategori-en Zeitraum um insge-samt 35.2% oder jährlich um 6.2% zu; die Einsätze auf Vorbestellung (D3) hingegen gingen in diesen fünf Jah-ren um 11.5% oder jährlich 2.4% zurück. Bei einer Ana-lyse der Leistungsdaten pro Einsatzkategorie über meh-rere Jahre hinweg ist allerdings Vorsicht geboten: Die Einsatzstatistik pro Dringlichkeitskategorie zeigt im un-tersuchten 5-Jahreszeitraum grosse Schwankungen, während das Total aller Einsätze eine plausible Entwick-lungslinie zeigt. Dies weist darauf hin, dass die Einsätze über die Jahre hinweg unterschiedlich erfasst wurden.

2'764

0 2'000 4'000 6'000 8'000

RD FMI

Katastrophenvorsorge

Das Rettungswesen ist an der Katastrophenvorsorge beteiligt, darin aber nur ein Element neben anderen.

Die Katastrophenvorsorge beruht auf der Gesetzge-bung über den Bevölkerungsschutz, weshalb sie im vorliegenden Planungsbericht gemäss SpVG nicht behandelt wird.

Mitteleinsatz im Rettungswesen

Der Mitteleinsatz des Rettungswesens des Kantons Bern lässt sich nach Personal, Material und Infrastruktur sowie nach der Finanzierung beurteilen. Die entspre-chenden Angaben liegen nur für die Leistungserbringer mit kantonalem Leistungsvertrag vor.

• Die acht Rettungsdienste mit Leistungsauftrag und die Partnerbetriebe im Oberland beschäftigen 570 Personen, die sich auf 343 Vollzeitstellen verteilen.

• Es werden von diesen Rettungsdiensten 80 Ret-tungsfahrzeuge und 19 Einsatzleiter- bzw. Notarzt-fahrzeuge eingesetzt. Für die Bewältigung von Ka-tastrophen stehen 7 Anhänger mit KaKa-tastrophenma- Katastrophenma-terial und ein Katastrophenfahrzeug zur Verfügung.

Der Kanton Bern beschafft jährlich etwa zehn neue Fahrzeuge. Diese kosten im Durchschnitt ca. CHF 320’000.

• Die Rettungsdienste finanzieren sich zum grössten Teil durch die Verrechnung von Leistungen an Pati-entinnen und Patienten sowie an deren Versiche-rungen. Bei den Rettungsdiensten, mit denen der Kanton einen Leistungsvertrag abgeschlossen hat, entstanden 2008 Aufwendungen von CHF 43.6 Mio., CHF 29.2 Mio. davon werden durch die Betrof-fenen und ihre Versicherungen gedeckt, 14.4 Mio.

oder 33% durch kantonale Beiträge. Die Investiti-onskosten sind in diesem Betrag nicht eingeschlos-sen. Sie betrugen im Jahr 2008 CHF 3.0 Mio.

Die zeitliche Dimension Rettungswesen: Zeiterfas-sung, Versorgungsregel und Hilfsfrist

Im Kanton Bern werden die Zeiten bei Rettungseinsät-zen entsprechend der unten stehenden Abbildung er-fasst. Es handelt sich um den Standard des Interver-bandes für Rettungswesen IVR – eine gesamtschweize-rische Fachorganisation im Bereich des Rettungswe-sens, die sich im Auftrag der Schweizerischen Konfe-renz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und Ge-sundheitsdirektoren mit Ausbildungs- und Qualitätsfra-gen beschäftigt und Rettungsdienste und Sanitätsnot-rufzentralen (SNZ) zertifiziert.2

Bisher gilt im Kanton Bern die Versorgungsregel 80/30, die vom Regierungsrat im Rahmen der Versorgungs-planung 2007–2010 beschlossen wurde. Die Versor-gungssicherheit ist gewährleistet, wenn 80% der

Bevöl-________________________

2 Interverband für Rettungswesen: Terminologie im Rettungs-wesen, Aarau 2003, S. 31. Eine kleine Abweichung besteht bei der Einsatzzeit, gemäss IVR endet die Einsatzzeit mit dem Eintreffen am Zielort.

kerung des Verantwortungsgebiets eines Regionalen Rettungsdienstes innerhalb von 30 Minuten durch die Dienste des Rettungswesens erreicht werden. Diese Festlegung ist bisher die einzige planerische Vorgabe im bernischen Rettungswesen. Aufgrund dieser Frist von 30 Minuten, welche das Gebiet bestimmt, das von einem Punkt aus versorgt werden kann, lassen sich die geeigneten Ambulanzstandorte definieren. Über die Anzahl der benötigten Rettungsteams und Rettungs-fahrzeuge sagt die Versorgungsregel nichts aus. Die Einhaltung der Regel lässt sich überprüfen, indem man die Erreichbarkeit der Bevölkerung mittels eines Ver-kehrsmodells und der Bevölkerungszahlen der Berner Gemeinden evaluiert.

Abbildung 9.3: Einsatzablauf und Zeiterfassung im Ret-tungswesen Einsatzbereitschaft

Im Unterschied zur bernischen Versorgungsregel defi-niert der IVR für die Zertifizierung von Rettungsdiensten Regeln für die einzuhaltenden Hilfsfristen. In Bezug auf D1-Einsätze gelten folgende Richtwerte: Eine Hilfsfrist von 10 Minuten nach Alarmierung im städtischen Gebiet bzw. 15 Minuten im ländlichen Gebiet in 90% der Fälle.

Neben diesen Richtwerten berücksichtigt der IVR bei der Zertifizierung von Rettungsdiensten besondere Ge-gebenheiten wie zum Beispiel eine schwierige Topogra-phie oder eine geringe Bevölkerungsdichte. Die Einhal-tung der Hilfsfristregel lässt sich anhand der Einsatzsta-tistiken der Rettungsdienste überprüfen. Durch die Be-trachtung der tatsächlichen Fälle stellt der IVR ein Eva-luationsinstrument zur Beurteilung der Qualität der Lei-stungen von Rettungsdiensten und damit auch der Ver-sorgungsqualität bereit. In dieser Betrachtung ist die Zahl der Rettungsteams und der Rettungsfahrzeuge mittelbar einbezogen.

Versorgungsregel und Hilfsfristenregel

Versorgungsregel 80/30: Die Rettungsdienste errei-chen von ihren Ambulanzstandorten aus 80% der Bevölkerung in 30 Minuten (Wohnortsprinzip).

Hilfsfristregel 90/15: 90% der Notfälle der Dringlich-keitsstufe D1 werden von den Rettungsdiensten in-nerhalb von 15 Minuten nach ihrer Alarmierung er-reicht (Orientierung an eingetretenen Fällen und Einsatzorten).

Für die Versorgungsplanung wurden sowohl die Einhal-tung der Versorgungsregel wie auch die Hilfsfristen untersucht. Bezüglich der Erreichbarkeit der Bevölke-rung an ihrem Wohnort von den bestehenden Ambu-lanzstandorten aus kann festgestellt werden, dass diese in allen Regionen innerhalb der Versorgungsregel 80/30 liegt. Dies lässt sich anhand der folgenden Grafik able-sen, die neben der Erreichbarkeit in 30 Minuten auch diejenige in 15 Minuten darstellt.

Abbildung 9.4: Erreichbarkeit der Bevölkerung in den Ret-tungsregionen, Standorte 2010

Die untenstehende Karte zeigt farbig die Gebiete an, die von den Ambulanzstandorten der Rettungsdienste mit Berner Betriebsbewilligung in 30 Minuten erreicht wer-den. Dunkel eingefärbte Gebieten werden sogar von mehreren Ambulanzstandorten in dieser Frist erreicht.

Gut sichtbar ist die lückenlose Abdeckung der Bevölke-rung in den dicht besiedelten Gebieten. Die weissen Flächen stellen diejenigen Gebiete dar, die innerhalb der 30-Minutenfrist nicht erreicht werden. Sie umfassen weitgehend unbewohnte und vereinzelt sehr dünn be-siedelte Gebiete in den Alpen oder im Berner Jura.

Abbildung 9.5: Erreichbarkeit innerhalb von 30 Minuten ab bestehenden Ambulanzstandorten3

Betrachtet man nicht die Versorgungsregel sondern die Hilfsfristen der Rettungsdienste mit Leistungsvertrag und ihrer Partnerbetriebe, so lässt sich feststellen, dass eine Hilfsfrist von 30 Minuten bei 94% aller Notfälle (D1 und D2) und bei den Einsätzen D1 sogar bei 97% er-reicht wird. Eine Hilfsfrist von 20 Minuten wird in 90%

der Einsätze D1 erreicht. Die Hilfsfristregel 90/15 für die Einsätze D1 wird hingegen für den Kanton insgesamt nicht erreicht. Der hohe Anteil erreichter Fälle bei 20 Minuten zeigt, dass kantonsweit das Erfüllen der IVR-Hilfsfrist 90/15 möglich ist. Bei der Auswertung der Einsatzdaten sind bisher nur die Zeitverhältnisse analy-siert worden. Die besonderen topografischen Verhält-nisse wurden im Unterschied zur Praxis des IVR nicht berücksichtigt.

Tabelle 9.1: Hilfsfristen im Kanton Bern, 2009

Dringlichkeitsstufe Zeitspanne Erreichte Fälle

30 Minuten 94 %

D1 und D2 20 Minuten 84 %

15 Minuten 69 %

30 Minuten 97 %

D1 20 Minuten 90 %

15 Minuten 77 %

________________________

3 Die Karte beruht auf einer für die Versorgungsplanung erstell-ten Daerstell-tenbank von Geoinformationsdaerstell-ten mit zugehöriger Kar-tenanwendung. Siehe Anhang E «Erreichbarkeit der Spitalver-sorgung». Basis sind die Standorte des Jahres 2010.

0% 20% 40% 60% 80% 100%

Total Kanton Bern Berner Jura Oberaargau Emmental Berner Oberland Ost Berner Oberland West Biel Bern

in 30 Min in 15 Min

Für die einzelnen Rettungsdienste sieht die Situation sehr unterschiedlich aus:

Tabelle 9.2: Hilfsfristen bei Einsätzen D1 der Rettungs-dienste, 2008

Rettungsdienst Einsatzorte erreicht innerhalb von (prozentualer Anteil an Einsätzen D1) 10 Minuten 15 Minuten 30 Minuten

RD HJB SA 59% 82% 99%

ARB AG 69% 86% 99%

RD SRO AG 47% 75% 97%

RD RSE AG 49% 74% 98%

Sano 54% 82% 97%

RD SNBe AG 40% 71% 97%

RD STS AG 57% 82% 98%

RD FMI AG 43% 66% 92%

Die Zahlen 2008 zeigen bei der Hilfsfrist von 15 Minuten einen deutlichen Unterschied zwischen Rettungsdien-sten, die Agglomerationen versorgen, und Rettungs-diensten mit schwierigen topografischen Verhältnissen.

Das vergleichsweise gute Ergebnis des Rettungsdien-stes der HJB SA lässt sich mit der Zahl von vier ver-schiedenen Standorten auf einem relativ kleinen Gebiet erklären.

9.1.2 Alarmierung und Einsatzführung

Die Alarmierung der terrestrischen Rettungsdienste erfolgt grundsätzlich über die Sanitätsnotrufzentrale (SNZ 144), die im Auftrag des Kantons von der Sani-tätspolizei der Stadt Bern betrieben wird. Die im Spital-versorgungsgesetz vorgesehene Zuständigkeit der SNZ 144 für die Alarmierung wird jedoch in der Praxis nicht vollständig umgesetzt. Vor allem die Alarmierung im Berner Jura ist ungenügend.

Neben der Alarmierung ist die SNZ 144 auch für die Einsatzführung im Kanton zuständig. Heute übernimmt sie aber für nur etwa 60% der Fläche des Kantons die Einsatzführung. Die Alarmierung und Einsatzführung im Oberaargau, dem Einzugsgebiet des Rettungsdienstes der SRO AG, erfolgt aufgrund eines interkantonalen Vertrags durch die Alarmzentrale der Polizei des Kan-tons Solothurn. Eigene Einsatzführungen der Rettungs-dienste bestehen im Berner Jura, bei der ARB AG in der Region Biel sowie beim Ambulanzstandort Aarberg der Spital Netz Bern AG.

Die Alarmierung und Einsatzführung der Luftrettung erfolgt gesamtschweizerisch über die Einsatzzentrale 1414 der Rega. Die Koordination von terrestrischen Diensten und Luftrettung sowie der beiden Unterneh-men der Luftrettung untereinander bietet gelegentlich Probleme.

Die Kosten der SNZ 144 belaufen sich jährlich auf CHF 2.9 Mio.

Abbildung 9.6: Einsatzführende Institutionen im Kanton Bern 2010

9.1.3 Laufende Projekte zur Verbesserung der Versorgung im Rettungswesen

Um die Versorgung auch in Zukunft sicher zu stellen, laufen verschiedene Projekte von strategischer Bedeu-tung.

Neubau Betriebsgebäude für den Rettungsdienst der Region Bern

Die Sanitätspolizei der Stadt Bern ist heute an der Nä-geligasse 2 in Bern untergebracht. Die räumlichen Ver-hältnisse am heutigen Standort sind zu eng und ent-sprechen nicht mehr dem heutigen Bedarf. Sämtliche Raumreserven sind ausgeschöpft. Diverse Garagen müssen an anderen Standorten zugemietet werden.

Aus diesem Grund wird an der Murtenstrasse 109 in Bern durch den Kanton ein neues Betriebsgebäude erstellt, das Ende 2013 bezugsbereit sein wird.

Optimierung von Strukturen

Um die regionalen Strukturen zu optimieren, hat der Regierungsrat in der Versorgungsplanung 2007–2010 den Auftrag zur Prüfung einer Integration von jeweils zwei Regionalen Rettungsdiensten erteilt: Betroffen waren die STS AG und die Spitäler fmi ag, die SRO AG und die RSE AG sowie die Spital Netz Bern AG und die Sanitätspolizei der Stadt Bern. Die Aufträge des Regie-rungsrates wurden seitens der Leistungserbringer nicht oder nur teilweise umgesetzt. In der Region Bern beste-hen weiterhin zwei Rettungsdienste nebeneinander, und das Optimierungspotenzial im Berner Oberland und im Emmental und Oberaargau ist weiterhin unbekannt.

SNZ 144 AVANTI

Unter dieser Bezeichnung wird das Einsatzleitsystem der SNZ 144 erneuert und gleichzeitig in die kantonale Alarmierungsplattform AVANTI integriert, die von der Kantonspolizei betrieben wird. Das Vorhaben entspricht dem Willen des Grossen Rates, welcher Punkt 2 der Motion «Alle Blaulicht-, Schutz- und Rettungsorganisa-tionen unter dem gleichen Dach» der Grossräte G.

Baumgartner und D. Widmer sowie Grossrätin E. De-serzens-Wunderlin aus dem Jahr 2006 mit 113 gegen 0 Stimmen zugestimmt hat. Das neue Einsatzleitsystem wurde im Frühling 2011 in Betrieb genommen.

Verbesserung der Alarmierung im Berner Jura Um die Schwächen der Alarmierung im Berner Jura zu beheben, hat die GEF im Sommer 2010 zwei Varianten für die Alarmierung im französischsprachigen Kan-tonsteil zur Diskussion gestellt. Nach der Überweisung der dringlichen Motion «Notrufzentrale 144 wohin?» der Grossräte P. Moser und P.-Y. Grivel im September 2010 steht fest, dass die Alarmierung nicht über eine interkantonale Notrufzentrale sichergestellt wird. Die sanitätsdienstliche Alarmierung und Einsatzführung im

Kanton Bern wird durch einen aussenstehenden Exper-ten überprüft. Auf der Grundlage des ExperExper-tenberichts wird der Regierungsrat über die definitive Ausgestaltung der SNZ 144 für den Kanton Bern entscheiden.

Zusätzlich besteht langfristig die Möglichkeit, dass die SNZ 144 in die gesamtkantonale Einsatzzentrale der Kantonspolizei integriert wird.

9.1.4 Fazit Ist-Analyse: Beurteilung des berni-schen Rettungswesens

Die Rettungsleistungen im Kanton Bern werden insge-samt in hoher Qualität erbracht. Die gegenwärtig gel-tende Versorgungsregel wird eingehalten und bei den effektiv geleisteten Einsätzen sogar deutlich übertroffen.

Die Ausbildungsanstrengungen wirken sich positiv auf die Zahl der beschäftigten Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitäter mit abgeschlossener Ausbildung auf Stufe Höhere Fachschule aus. Dank der Praxis, die Rettungsfahrzeuge nach sieben bis acht Jahren zu ersetzen, ist ausserdem der Fahrzeugpark in einem guten Zustand.

Als Gesamtsystem weist die aktuelle Versorgung mit rettungsdienstlichen Leistungen allerdings mehrere Schwachstellen auf, die auf Koordinationsbedarf hin-weisen:

• Die relativ starre Gebietsbindung der Rettungsdien-ste, die auf der Zuteilung durch einen Regierungs-ratsbeschluss beruht, erschwert die Optimierung der Versorgung. So ist es zum Beispiel schwierig, im Einvernehmen mit den durch Leistungsvertrag be-auftragten Rettungsdiensten kurzfristig flexible For-men der ZusamFor-menarbeit mit ausserkantonalen Rettungsdiensten in Gebieten an der Kantonsgren-ze zu finden. Ausserdem besteht dadurch kaum In-teresse an einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen den Berner Rettungsdiensten.

• Das bereits in der Versorgungsplanung 2007–2010 dargestellte Optimierungspotenzial innerhalb des Systems (siehe Abschnitt 9.1.3) besteht nach wie vor, entsprechend sind Möglichkeiten zu Einsparun-gen vorhanden. Grundsätzlich können durch die Zusammenführung von kleinflächig orientierten und betrieblich eng strukturierten Betrieben zu grösse-ren Einheiten Synergien genutzt werden, etwa in professioneller Führung und gemeinsamer Beschaf-fung.

• Das Personal, das an Ambulanzstandorten mit ge-ringen Einsatzzahlen eingesetzt wird, kann kaum Routine entwickeln. Es drohen Kompetenzverlust und Langweile.

• In der Alarmierung liegt die grösste Schwachstelle darin, dass die einheitliche Einsatzführung der SNZ für den ganzen Kanton nicht umgesetzt ist.

Insgesamt kann der Stand der rettungsdienstlichen Versorgung im Kanton Bern als gut bezeichnet werden.

Die IVR-Richtlinien können in Bezug auf die Hilfsfrist allerdings nicht überall erfüllt werden und es bestehen Schwachstellen bei den rettungsdienstlichen Strukturen und in der Alarmierung und Einsatzführung.

9.2 Bedarf und Organisationsmodelle 9.2.1 Bedarf an Rettungsleistungen

Aufgrund der Erfahrungszahlen der letzten Jahre kann für die Planungsperiode 2011–2014 mit einem steigen-den Bedarf an 43’200 terrestrische Notfalleinsätzen (D1 und D2, Zieljahr 2014) gerechnet werden. Diese Pro-gnose berechnet sich auf der Annahme, dass sich der steigende Trend bei den Leistungen unverändert fort-setzen wird: Die mittlere jährliche Zuwachsrate von 3.2% der letzten 5 Jahre wird entsprechend für die Be-rechnung der zukünftigen Entwicklung übernommen.

9.2.2 Organisationsmodelle für die Rettungs-dienste

Wie die Ist-Analyse gezeigt hat, kann die Organisation der Versorgung verbessert werden. Dazu sind verschie-dene Organisationsmodelle geprüft worden. Die Diskus-sion von Organisationsmodellen bezieht sich auf fol-gende Fragestellungen:

• Übergang von der Versorgungsregel 80/30 zur Hilfs-fristregel 90/15;

• Regionale oder gesamtkantonale Organisation im Rettungswesen;

• Vor- und Nachteile unterschiedlicher Anbindungen und rechtlicher Status der Rettungsdienste: Gegen-überstellung von spitalgebunden Rettungsdiensten, nicht spitalgebundenen Rettungsdiensten und zen-tralen Strukturen.

Hilfsfristen

Mit der Prüfung der Hilfsfristenregel 90/15 setzt die GEF den Auftrag der dringlichen Interpellation 090/2009, Widmer, Wanzwil «Rettungsdienste im Kanton Bern.

Wechsel von der Rettungsregel 80/30 zur Hilfsfristrege-lung 90/15» um.

Die untenstehende Karte zeigt mit weissen Flächen diejenigen Gebiete an, in denen die Hilfsfrist 90/15 nicht erreicht wird: Im westlichen Seeland und im Raum La Neuveville, in einem fast geschlossenen Kreis um Burg-dorf, im Niedersimmental und am nördlichen und südli-chen Ufer des Brienzersees sind Lücken feststellbar.

Für den Übergang zur Hilfsfrist 90/15 sind folgende Rahmenbedingungen skizzierbar:

• Standorte: Da die Anwendung der Hilfsfrist 90/15 letztlich die Verkürzung der Strecken voraussetzt, die von den Rettungsteams vom Ambulanzstandort bis zum Ort des Ereignisses zurückzulegen ist, muss die Zahl der Ambulanzstandorte wahrschein-lich vergrössert werden. Es ist heute aber nicht be-kannt, wie viele neue Standorte benötigt werden und wo diese Standorte ideal liegen. Da die derzei-tigen Standorte auf die Versorgungsregel 80/30 ausgelegt sind, müssen auch die bisherigen Stand-orte zugunsten einer idealen Standortstruktur mit evaluiert werden.

• Standorte: Da die Anwendung der Hilfsfrist 90/15 letztlich die Verkürzung der Strecken voraussetzt, die von den Rettungsteams vom Ambulanzstandort bis zum Ort des Ereignisses zurückzulegen ist, muss die Zahl der Ambulanzstandorte wahrschein-lich vergrössert werden. Es ist heute aber nicht be-kannt, wie viele neue Standorte benötigt werden und wo diese Standorte ideal liegen. Da die derzei-tigen Standorte auf die Versorgungsregel 80/30 ausgelegt sind, müssen auch die bisherigen Stand-orte zugunsten einer idealen Standortstruktur mit evaluiert werden.