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Die Grundsätze einer guten Versorgung

Kapitel 4: Versorgungsziele der Planungsperiode 2011–2014 und Grundsätze der Spitalversorgung

4.2 Die Grundsätze einer guten Versorgung

«Die Spitalversorgung sowie das Rettungswesen sind allgemein zugänglich, bedarfsgerecht, von guter Quali-tät sowie wirtschaftlich» – so definiert das SpVG basie-rend auf dem KVG die Grundsätze der Versorgung.

Zugänglichkeit, Bedarfsgerechtigkeit, Qualität und Wirt-schaftlichkeit bilden entsprechend die vier Hauptpfeiler einer guten Versorgung. Dabei ist zu beachten, dass diese vier Grundsätze sich einerseits auf die Versor-gung insgesamt und damit auf die Performance des Gesamtsystems beziehen und andererseits auch für jede einzelne Leistung eines Anbieters Geltung haben.

4.2.1 Zugänglichkeit

Die Zugänglichkeit der Versorgung umfasst einerseits die soziale Zugänglichkeit und andererseits die Erreich-barkeit der Orte der Leistungserbringung innert nützli-cher Frist:

Aus dem sozialen Blickwinkel heraus bedeutet Zugäng-lichkeit, dass Leistungen des Gesundheitswesens für arm und reich und für alle Bildungsschichten gleicher-massen zugänglich sein sollen. Dies wird in der Schweiz vor allem über die obligatorische Krankenver-sicherung und andere SozialverKrankenver-sicherungen gewährlei-stet. Trotzdem sind auch in der Schweiz und im Kanton Bern die Gesundheitschancen ungleich verteilt: Der vierte Berner Gesundheitsbericht hat gezeigt, dass der Gesundheitszustand der Bernerinnen und Berner heute massgeblich von Schulbildung, Nationalität und Beruf abhängt. Fehlende oder mangelhafte Schulbildung, Leseschwäche oder mangelhafte Sprachkompetenzen können dazu führen, dass die Gesundheitskompetenz nicht ausreicht, um im Alltag gut informierte, selbstbe-stimmte Entscheidungen für die eigene Gesundheit zu treffen.1 Es wird oft unterschätzt, wie schwierig es für viele Menschen ist, das Gesundheitsversorgungssystem rechtzeitig und richtig zu nutzen, über ihre Beschwerden zu kommunizieren und die eigenen Bedürfnisse einzu-bringen. Die Zugänglichkeit für benachteiligte Bevölke-rungsgruppen kann entsprechend noch verbessert wer-den. Auf der Ebene der Einzelleistung heisst soziale Zugänglichkeit, dass jede Person unabhängig von ihrer sozialen Position die benötigten Leistungen erhält, dass also die Anbieter nicht nach sozialen Kriterien Leistun-gen zugestehen oder nicht. Die sozial definierte Zu-gänglichkeit wird in der vorliegenden Versorgungspla-nung im Rahmen von Fragen des Empowerments der Bevölkerung in Gesundheitsfragen behandelt.

Der zweite Blickwinkel auf das Kriterium der Zugäng-lichkeit nimmt den Ort der Versorgung ins Visier. Be-handlungsorte müssen von der Bevölkerung im Allge-meinen wie auch von den Patientinnen und Patienten im konkreten Einzelfall in angemessener Zeit erreicht wer-den können. Dieses Kriterium ist im Kanton Bern mit

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1 Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern: Vier-ter Gesundheitsbericht des Kantons Bern – Die Gesundheits-chancen sind ungleich verteilt, Bern 2010.

seiner heterogenen Topografie von grosser Bedeutung.

Dabei ist zu beachten, dass je nach Versorgungsbe-reich kleinere oder grössere Distanzen möglich sind.

Am wichtigsten ist die schnelle Erreichbarkeit in der Notfallversorgung: Im Rettungswesen gelten Erreich-barkeiten von 15 bis 30 Minuten als angebracht. In der medizinischen Grundversorgung sollen die Angebote für die Bevölkerung innerhalb von angemessenen Regio-nen erreichbar sein. In der Rehabilitation und bei be-stimmten spezialisierten Angeboten hingegen sind Di-stanzen innerhalb des Kantons Bern angemessen und bei hochspezialisierten Verfahren gelten sogar schweizweite Versorgungsräume. Die vorliegende sorgungsplanung legt entsprechend fest, welche Ver-sorgungsbereiche mit welchen Regeln der Erreichbar-keit belegt werden. Dabei werden im Kanton Bern fol-gende Leitlinien einer regionalen Gesundheits- und Spitalversorgung angewandt:

• Bei einfachen, häufigen oder lange dauernden Ge-sundheitsproblemen wird ein wohnortnaher Zugang (innert 30 Minuten mit dem Individualverkehr) zu den Leistungserbringern der medizinischen Grund-versorgung gewährt.

• Bei komplexen, schwerwiegenden, seltenen oder kurz dauernden Problemen oder Interventionen sind wohnortferne Angebote (mehr als 30 Minuten mit dem Individualverkehr) zu benützen.

Diese Leitlinien werden in der Versorgungsplanung etwa in der Versorgungsregel für die akutsomatische Grundversorgung umgesetzt: Diese folgt der Regel, dass ein Spital der Grundversorgung für 80% der Be-völkerung in 30 Minuten erreichbar sein soll. Im Ret-tungswesen werden zur Messung der Zugänglichkeit sowohl Versorgungsregeln wie auch Hilfsfristregeln diskutiert (siehe 9.2). Versorgungsregeln bilden ein Instrument zur Beurteilung der Versorgung innerhalb einer Region. Aus ihnen kann kein individueller An-spruch abgeleitet werden, ein Spital innerhalb von 30 Minuten erreichen zu können. Zur Definition der Regio-nen siehe den Abschnitt 5.3 und zu detaillierteren An-gaben zur Zugänglichkeitsdefinition siehe die themen-spezifischen Kapitel.

Hauptsächliche kantonale Instrumente der Sicherung der Zugänglichkeit in der Spitalversorgung sind die Lei-stungsaufträge auf der Spitalliste und die Aufnahme-, Behandlungs- und Nothilfepflicht für alle Listenspitäler.

Zudem bildet das Rettungswesen einen integralen Be-standteil der Sicherung der Zugänglichkeit: Deren Lei-stungen werden über Leistungsverträge gewährleistet.

4.2.2 Bedarfsgerechtigkeit

Auf der Ebene der Gesamtversorgung bedeutet Be-darfsgerechtigkeit in erster Linie, dass das Versor-gungssystem in Art und Menge diejenigen Leistungen bereitstellt, welche die Bevölkerung benötigt. Dies bein-haltet, dass keine Unter-, Über- oder Fehlversorgung besteht: die Leistungen sind medizinisch indiziert und den behandelten gesundheitlichen Problemen ange-messen. Bedarfsgerechtigkeit heisst zusätzlich, dass die Leistungen innerhalb des Systems stufengerecht und bei den am besten geeigneten Leistungserbringern erbracht werden. Ein verknackster Fuss etwa ist bei der Hausärztin oder beim Hausarzt am richtigen Ort ver-sorgt und muss nicht im Notfall eines Universitätsspitals von hochspezialisierten Fachleuten behandelt werden.

Auf der Ebene der Einzelleistung heisst Bedarfsgerech-tigkeit, dass die Leistung medizinisch indiziert ist und am richtigen Ort erbracht wird. Schliesslich muss auch der Nutzen der Leistung gesichert sein. Der «Bedarf»

darf dabei nicht mit dem «Bedürfnis» verwechselt wer-den. Während der Bedarf eine definierte und benötigte Leistung bezeichnet, ist das Bedürfnis durch die subjek-tive Wahrnehmung eines Mangelzustands bestimmt und zielt (noch) nicht auf eine definierte Leistung hin. Biswei-len werden denn auch Bedürfnisse an das Gesund-heitswesen herangetragen, die dieses nicht abdecken kann oder die aus medizinischer Sicht keine Leistungen auslösen müssen.

In der Versorgungsplanung fliesst das Kriterium der Bedarfsgerechtigkeit vor allem bei der Bedarfsschät-zung ein. Mittels statistischer Prognoseverfahren und Vergleichen wird die Angemessenheit von Leistungen beurteilt und in die Leistungsprognose einbezogen.

Demografische, medizintechnische und epidemiologi-sche Entwicklungen werden mittels Prognosefaktoren mit einbezogen, um die in Zukunft benötigte – also be-darfsgerechte – Leistungsmenge vorherzusagen. Des Weiteren wird die Indikationsqualität für medizinische Leistungen als wichtiges Kriterium bei der Beurteilung der Versorgung betrachtet.

4.2.3 Gute Qualität

Die Qualität der Gesundheitsversorgung wird in der Regel über das Ergebnis definiert: Die Gesundheit der Bevölkerung. Ein gutes Versorgungssystem legt Wert auf die Reduktion von Krankheitshäufigkeit und Sterb-lichkeit wie auch die Vermeidung von Langzeitpflegebe-dürftigkeit. Historisch anzuführen ist etwa die bedeuten-de Reduktion bedeuten-der Säuglingssterblichkeit in bedeuten-den letzten zwei Jahrhunderten, aktuell steht etwa die Verbesse-rung der Versorgung bei Hirnschlägen im Fokus von Qualitätsbestrebungen. Teil einer qualitativ guten Ver-sorgung ist, dass keine oder kurze Wartefristen für Be-handlungen bestehen. Die Strukturen und Prozesse der Anbieter ermöglichen gute Einzelleistungen im Zusam-menspiel aller Leistungserbringer. Resultat ist eine hohe Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Gesundheitsver-sorgung und der Patienten mit den Leistungen.

Auf der Ebene der Einzelleistung bedeutet gute Qualität, dass die Behandlung rechtzeitig erfolgt und dass das derzeitig verfügbare medizinische Wissen angewandt wird. Die erwünschten Therapieresultate werden mög-lichst erreicht und unerwünschte Behandlungsergebnis-se vermieden. Die Qualität einer Behandlung hängt dabei nicht nur vom einzelnen Leistungserbringer ab, sondern auch von funktionierenden Abläufen im Ge-sundheitssystem.

In der Versorgungsplanung werden Fragen der Qualität immer wieder aufgegriffen, etwa über die Definition von Struktur- und Prozessqualitätskriterien für die Lei-stungsbereiche der Spitalversorgung, qualitätsbezogene Mindestfallzahlen, bei der Evaluation der Leistungserb-ringer über Ergebnisqualitätskriterien und bei den Massnahmen zur Sicherung der Qualität der Leistungs-erbringung (siehe dazu die themenspezifischen Kapitel).

4.2.4 Wirtschaftlichkeit

Aus Versorgungssicht zeichnet sich wirtschaftliche Lei-stungserbringung dadurch aus, dass Behandlungen effektiv nur dann durchgeführt werden, wenn sie not-wendig sind. Das beinhaltet auch, dass Leistungen stufengerecht erfolgen (Prinzip der Subsidiarität). Be-handlungen sollen etwa nur dann im Spital und stationär erfolgen, wenn die Situation zeigt, dass eine Leistungs-erbringung durch ambulante Leistungserbringer oder in einer Institution der Langzeitpflege den medizinischen Anforderungen nicht genügt. Kommen aus medizini-scher Sicht verschiedene Behandlungsarten und -settings in Frage, wird nach Wirtschaftlichkeitsüberle-gungen diejenige ausgewählt, die zu geringeren Ge-samtkosten führt.

Die Wirtschaftlichkeit einer Einzelleistung ist hingegen dadurch definiert, dass die Leistung bei gleichem Er-gebnis zu den geringsten Kosten ausgeführt wird, wobei mit den entsprechenden Preisen ein nachhaltiges Wirt-schaften des Leistungserbringers möglich sein muss.

Entsprechend dieser zweiten Betrachtungsweise wird Wirtschaftlichkeit oft mit möglichst tiefen Kosten bei einem einzelnen Leistungserbringer in Verbindung ge-bracht. Wirtschaftlichkeit bei einem Leistungserbringer ist allerdings nicht zwingend deckungsgleich mit einer wirtschaftlichen Leistung aus Sicht der Gesamtversor-gung – diese beiden Ansätze können sich sogar wider-sprechen.

Bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit im Gesund-heitswesen ist es folglich zentral, zwischen der wirt-schaftlichen Versorgung und betrieblichen Wirtschaft-lichkeitsüberlegungen zu unterscheiden. Aus betriebli-cher Sicht ist eine Leistung dann wirtschaftlich, wenn hohe Mengen die Fixkosten pro Fall reduzieren und Prozesse effizient gestaltet sind, so dass die Abgeltung den Aufwand deckt und angemessene Gewinne möglich sind. Ob die Leistungen bedarfsgerecht sind, spielt aus Betriebssicht keine Rolle. So kann man unnötige Lei-stungen sehr kostengünstig erbringen, die Einzellei-stung ist aus betrieblicher Sicht wirtschaftlich. Aus

Ge-samtversorgungssicht ist aber eine unnötige Leistung nie wirtschaftlich, auch wenn sie in sich optimiert und kostengünstig erbracht wird. Diese Konkurrenz von Versorgungssicht und Betriebssicht ist keineswegs ein theoretisches Konstrukt, sondern gerade im Gesund-heitswesen Realität. Die Preisanreize im Gesundheits-wesen sind derart vielfältig, dass die Optimierung aus betrieblichen Gründen einer kostengünstigen und damit wirtschaftlichen Versorgung oft widerspricht. So werden etwa Leistungen, obwohl sie aus medizinischer Sicht ambulant erbracht werden könnten, stationär erbracht.

Kosten und Preise einer Leistungsart dürfen deshalb nie isoliert betrachtet werden und können nie einziges Krite-rium bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit sein.

In der Versorgungsplanung wird der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit in mehreren Punkten berücksichtigt.

Der Kanton verfolgt grundsätzlich das Ziel einer Verla-gerung von stationären Behandlungen in den ambulan-ten Bereich, was neben Fragen der

Bedarfsgerechtig-keit auch mit WirtschaftlichBedarfsgerechtig-keitsüberlegungen begründet ist. In der Versorgungsplanung wird die Angemessen-heit stationärer Behandlung und die Aufenthaltsdauer in den Spitälern der Akutsomatik, Rehabilitation und Psychiatrie mittels Betriebsvergleichen beurteilt und so bezieht die Bedarfsprognose auch Wirtschaftlichkeitskri-terien mit ein. Der Anteil der teilstationären Behandlung und die Aufenthaltsdauer können auch für die Evaluati-on der Leistungserbringer verwendet werden. Ein Ein-bezug von Kostenindikatoren pro Leistungserbringer in die Evaluation wird als grundsätzlich sinnvoll erachtet.

Derartige Vergleiche sind allerdings zurzeit nicht mög-lich, da die Berner Spitäler – vor allem die öffentlichen auf der einen und die privaten auf der anderen Seite – ganz unterschiedliche Organisationsformen, Kosten-strukturen und vor allem Kostenrechnungsmodelle ha-ben. Zudem werden die ausgewiesenen Kosten durch nicht indizierte stationäre Fälle verfälscht.