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Kapitel 3: Rechtliche und politische Rahmenbedingungen

3.1 Gesetzliche Grundlagen

Das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) und das kantonale Spitalversorgungsgesetz (SpVG) bilden den gesetzlichen Rahmen für die statio-näre Gesundheitsversorgung. Sie verlangen zudem eine Planung der Spitalversorgung mit regelmässigen Überarbeitungen. Eine erste Versorgungsplanung ge-mäss Spitalversorgungsgesetz wurde 2007 vom Regie-rungsrat genehmigt. Die vorliegende zweite Versor-gungsplanung des Kantons Bern folgt dem in der ersten Planung angewandten Vorgehen und entwickelt dieses weiter. Der Grund für die Anpassungen liegt vor allem in der von den eidgenössischen Räten Ende 2007 be-schlossenen Teilrevision des KVG. Im Folgenden wer-den die relevanten Gesetzesgrundlagen und insbeson-dere die neuen planerischen Rahmenbedingungen kurz beschrieben.

3.1.1 Nationale gesetzliche Rahmenbedingun-gen: Das Krankenversicherungsgesetz KVG

Das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) sieht vor, dass die Kantone kantonale Spitallisten erlassen.1 Diese dienen der Zulassung von Spitälern zur stationären Leistungserbringung im Rahmen der obliga-torischen Grundversicherung. Die Spitalliste muss «der von einem oder mehreren Kantonen gemeinsam aufge-stellten Planung für eine bedarfsgerechte Spitalversor-gung entsprechen, wobei private Trägerschaften ange-messen in die Planung einzubeziehen sind» (Art. 39 KVG).

Am 21. Dezember 2007 hat das Bundesparlament eine Teilrevision des KVG betreffend die Spitalfinanzierung verabschiedet. Darauf basierend hat der Bundesrat in der revidierten Verordnung über die Krankenversiche-rung (KVV) die Detailbestimmungen zur Anwendung festgehalten.2 Das Gesetz enthält Übergangsfristen, sodass die in der Teilrevision enthaltenen neuen Finan-zierungsregeln erst per 1. Januar 2012 verbindlich wer-den. Sie setzen auch für die Versorgungsplanung 2011–

2014 neue Massstäbe.

Kantonale Beteiligung an der Finanzierung sämtli-cher Listenspitäler

Das revidierte KVG unterscheidet bei der Spitalfinanzie-rung zwischen «Listenspitälern» und «Vertragsspitä-lern». Die Gruppe der Listenspitäler umfasst dabei die-jenigen Institutionen, die auf der Spitalliste des Kantons aufgeführt sind und auf dieser Basis zulasten der

obliga-________________________

1 Bundesgesetz über die Krankenversicherung vom 18. März 1994 (KVG; SR 832.10).

2 Verordnung über die Krankenversicherung vom 27. Juni 1995 (KVV, SR 832.102). Anpassung per 1. Januar 2009.

torischen Krankenpflegeversicherung abrechnen kön-nen. Artikel 41 Absatz 1bis des revidierten KVG hält fest, dass sich Krankenversicherer und Kanton anteilsmässig an der Leistungsvergütung sämtlicher Listenspitäler beteiligen. Das bedeutet, dass der Kanton künftig auch die stationären Leistungen der heutigen Privatspitäler mitvergütet, sofern diese auf der Spitalliste aufgeführt sind. Der kantonale Finanzierungsanteil beträgt minde-stens 55% des Behandlungstarifs inklusive der Investiti-onskosten, derjenige der Krankenkassen maximal 45%.

Dieses System der festen Finanzierungsanteile wird

«dual-fixe Finanzierung» genannt.

Neu haben die Versicherer die Möglichkeit, mit Spitä-lern, die nicht auf der Spitalliste aufgeführt sind, Verträ-ge über die Vergütung von LeistunVerträ-gen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abzuschlie-ssen. Bei diesen als «Vertragsspitäler» bezeichneten Leistungserbringern werden die Leistungen vollumfäng-lich von den Krankenversicherungen bezahlt. Es besteht keine Zahlungspflicht des Kantons.

Einführung leistungsbezogener Fallpauschalen Eine weitere wichtige Neuerung betrifft die Schweiz weite Vereinheitlichung der Tarifsysteme für stationäre Leistungen in Form von leistungsbezogenen Pauscha-len (Artikel 49 KVG).

Im akutstationären Bereich wird das diagnosebezogene oder DRG-basierte Fallpauschalen-System eingeführt (siehe Kasten). Das heisst, dass die Spitäler für jeden Fall einen von der Diagnose abhängigen, fixen Pau-schalbetrag erhalten. Als Basis wird die Systematik

«SwissDRG» erarbeitet, dessen Einführung am 1. Ja-nuar 2012 erfolgt. Im Kanton Bern gilt das Abgeltungs-system DRG-basierter Fallpauschalen bereits heute:

Die öffentlichen Spitäler rechnen mit dem Kanton seit 2005 mittels Fallpauschalen nach AP-DRG ab, für die Privatspitäler gilt das APDRG-System seit 2010. Die Berner Spitäler sind so für den Wechsel auf SwissDRG gut vorbereitet.

Auch die stationären Behandlungen in der Rehabilitation und der Psychiatrie müssen zukünftig über gesamt-schweizerisch einheitliche, leistungsbezogene Tarifsy-steme abgegolten werden. In beiden Bereichen sind entsprechende Projekte in Entwicklung, adäquate neue Entgeltsysteme liegen jedoch derzeit noch nicht vor. Es ist frühestens per 2015 ist mit einer neuen leistungsori-entierten Abgeltung für diese Bereiche zu rechnen. Bis dahin werden wahrscheinlich die heutigen, Schweiz weit sehr unterschiedlichen Tarifsysteme weitergeführt. Da-bei wird auch hier die dual-fixe Finanzierung mit festge-legten Abgeltungsanteilen der Kantone angewandt.

DRG-basierte Fallpauschalen

DRG ist ein Patientenklassifikationssystem auf der Basis von diagnosebasierten Fallgruppen (Diagnosis related groups): Jeder Spitalaufenthalt wird anhand von bestimmten Kriterien wie Hauptdiagnosen, Ne-bendiagnosen, Behandlungen, aufgetretenen Kompli-kationen, Schweregrad und Alter einer Fallgruppe zugeordnet. Der Aufwand für die Leistungserbringung ist innerhalb jeder Fallgruppe homogen, was bedeu-tet, dass die Fälle innerhalb einer DRG kostenspezi-fisch sehr ähnlich sind. Bei der Vergütung der Lei-stung wird jeder Fallgruppe eine spezifische Fallpau-schale zugeordnet und so die Leistung pauschal ab-gegolten.

Das DRG-basierte Abgeltungssystem wird laufend verfeinert: In der Systematik der APDRG (All Patient-DRG, heute im Kanton Bern angewandt) werden bereits rund 880 Fallgruppen unterschieden. Swiss-DRG, das noch in Entwicklung ist, wird voraussichtlich etwa 1’000 Fallgruppen enthalten.

Wieso Fallpauschalen? Nach altem System konnten die Spitäler jeden Eingriff und Aufenthaltstag einzeln verrechnen. Ein Spital konnte folglich finanziell profi-tieren, wenn es seine Patienten möglichst lange in stationärer Behandlung behielt, was zu unnötig lan-gen Aufenthalten und überhöhten Bettenkapazitäten führte. Dieses System wird im Kanton Bern schon heute nicht mehr angewandt, denn heute wird kan-tonsweit nach APDRG abgerechnet.

Gemäss der neuen, Schweiz weit geltenden Tarifstruk-turen werden Investitionsbeiträge ab 2012 direkt an die Leistungsabgeltung gebunden, indem den Fall- oder Tagespauschalen ein fester Investitionszuschlag hinzu-fügt wird. Sämtliche Investitionsbeiträge sollen in Zu-kunft über diesen einheitlichen Investitionsanteil ausbe-zahlt werden (monistische Investitionsfinanzierung).

Dieses System gilt für Akutsomatik, Rehabilitation und Psychiatrie gleichermassen. Das heute in Bern für die öffentlichen Spitäler geltende System der Investitionsfi-nanzierung über den Spitalfonds fällt entsprechend weg.

Freie Spitalwahl

Heute gilt die freie Spitalwahl für Grundversicherte nur innerhalb eines Kantons: Leistungen werden gemäss KVG bezahlt, wenn die Patientinnen und Patienten sich in Spitälern auf der Spitalliste ihres jeweiligen Kantons behandeln lassen. Krankenversicherer und Wohnkanton beteiligen sich heute nur dann an den Kosten einer Behandlung in einem ausserkantonalen Spital ohne Leistungsauftrag des Wohnkantons, wenn diese Be-handlung zwingend notwendig ist (etwa bei Notfällen) oder wenn kein entsprechendes Angebot im Wohnkan-ton vorhanden ist. Die freie Spitalwahl wird nun auf die gesamte Schweiz ausgedehnt. Gemäss Artikel 41 Ab-satz 1bis des revidierten KVG können sich Patientinnen und Patienten künftig auch in einem Spital behandeln lassen, das auf der Spitalliste eines anderen Kantons aufgeführt ist. Krankenversicherer und Wohnkanton

teilen die Leistungsabgeltung auch bei ausserkantona-len Spitalaufenthalten gemäss dem dual-fixen Finanzie-rungssystem unter sich auf. Konsequenz für die Versor-gungsplanung ist es, dass die kantonsübergreifenden Patientenströme abgebildet werden müssen.

Hochspezialisierte Medizin

Artikel 39 Absatz 2bis des revidierten KVG verpflichtet die Kantone, gemeinsam eine gesamtschweizerische Planung im Bereich der hochspezialisierten Medizin vorzunehmen. Zu diesem Zweck wurde die Interkanto-nale Vereinbarung zur hochspezialisierten Medizin (IVHSM) erarbeitet. Alle 26 Kantone sind der Vereinba-rung beigetreten und haben sich damit zur gemeinsa-men Planung und Zuteilung der hochspezialisierten Medizin verpflichtet. Die IVHSM trat per 1. Januar 2009 in Kraft. 2010 wurden erste Planungsentscheide gefällt.

Einheitliche Planungskriterien des Bundesrates Mit dem revidierten KVG und der angepassten KVV wurden die Planungskriterien für die Kantone detailliert.

Artikel 58b–58e KVV enthalten die neuen, einheitlichen Planungskriterien des Bundesrates. Zentral sind darin die folgenden Elemente:

• Die Planung umfasst die Sicherstellung der stationä-ren Versorgung für die Einwohnerinnen und Einwoh-ner des planenden Kantons.

• Der Bedarf wird in nachvollziehbaren Schritten ermit-telt und stützt sich namentlich auf statistisch ausge-wiesene Daten und Vergleiche.

• Das Angebot von potenziellen Vertragsspitälern ist in der Planung zu berücksichtigen.

• Die Planung erfolgt im akutsomatischen Bereich leistungsorientiert. In der Rehabilitation und der Psychiatrie kann die Planung leistungs- oder kapazi-tätsorientiert vorgenommen werden.

• Das bedarfsnotwendige inner- und ausserkantonale Angebot ist auf einer Liste zu sichern.

Bei der Auswahl der Listenspitäler hat der planende Kanton die folgenden Kriterien zu berücksichtigen:

• Die Wirtschaftlichkeit und Qualität: Beachtet wird dabei insbesondere die Effizienz der Leistungs-erbringung, der Nachweis der notwendigen Qualität und im Spitalbereich die Mindestfallzahlen und die Nutzung von Synergien;

• den Zugang der Patientinnen und Patienten zur Behandlung innert nützlicher Frist;

• die Bereitschaft und Fähigkeit der Einrichtung zur Erfüllung des Leistungsauftrages.

Die Spitalliste hat für jedes Spital das zum Leistungsauf-trag gehörende Leistungsspektrum aufzuführen. Die Erteilung eines Leistungsauftrages kann mit Pflichten verbunden sein, insbesondere mit der Führung eines Notfalldienstes.

Verlangt wird ferner eine interkantonale Koordination der Planung, die eine Analyse der Patientenströme zwischen den Kantonen sowie eine Koordination der kantonalen Planungsmassnahmen einschliesst.

Finanzierung der praktischen Aus- und Weiterbil-dungsleistungen

Gemäss Art. 49 Absatz 3 des revidierten KVG gelten die Kosten für die universitäre Lehre als gemeinwirtschaftli-che Kosten, sie sind also keine anregemeinwirtschaftli-chenbaren Kosten.

Darunter fallen auch die Weiterbildungskosten im Arzt-beruf bis zur Erlangung eines eidgenössischen Fach-arzttitels.3 Dies bedeutet, dass die betrieblichen Kosten für die Weiterbildung von Assistenärztinnen und -ärzten weiterhin von den anrechenbaren Kosten ausgeschlos-sen sind und vollumfänglich einer kantonalen Finanzie-rung unterstehen.

Aufgrund der expliziten Beschränkung auf die universi-tären Medizinalberufe gelten die praktischen Ausbil-dungsleistungen in den nichtuniversitären Gesundheits-berufen hingegen neu als anrechenbare Kosten. Sie müssen entsprechend von den Finanzierern gemäss dem dual-fixen System bezahlt werden: Konkret heisst dies, dass die Krankenversicherer neu die Ausbildungs-leistungen für die nichtuniversitären Gesundheitsberufe zu 45% mitfinanzieren.

Gutachten zur Umsetzung des revidierten KVG in kantonalen Steuerungsinstrumenten4

Der Kanton Bern hat aufgrund der breiten öffentlichen Auseinandersetzung über die vorgesehenen Steue-rungsmechanismen ab 2012 im Frühling 2011 ein Rechtgutachten zur Umsetzung der KVG-Vorgaben in kantonalen Steuerungsinstrumenten in Auftrag gege-ben. Im Mittelpunkt dieses Gutachtens, das von Prof.

Bernhard Rütsche (Universität Luzern) erstellt wurde, steht die Zulässigkeit und Anwendung von verschie-denen Steuerungsinstumenten zur Leistungsmen-gensteuerung, unter anderem die Leistungsmengen-beschränkung über die Spitalliste sowie die Lei-stungssteuerung in Tarifverträgen. Im Gutachten ebenfalls thematisiert werden Fragen betreffend die Pflichten für die Leistungserbringer und die Investiti-onstätigkeit, Die in dieser Versorgungsplanung vorge-sehenen Steuerungsinstrumente entsprechen den im Gutachten gezogenen Schlüssen zur Zulässigkeit und Anwendung des KVG auf kantonaler Ebene. In Kapi-tel 5.8 sind die Erörterungen im Zusammenhang mit dem Spitallistenprozess aufgeführt. Für eine umfas-sendere Zusammenfassung der Ergebnisse dieses Gutachtens siehe Anhang E.

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3 Art. 7 Absatz 1b der Verordnung vom 3. Juli 2002 über die Kostenermittlung und die Leistungserfassung durch Spitäler, Geburtshäuser und Pflegeheime in der Krankenversicherung (VKL,SR 832.104). Betroffene Berufe gemäss Bundesgesetz vom 23. Juni 2006 über die Medizinalberufe (Medizinalberufe-gesetz, MedBG. SR 811.11).

4 Bernhard Rütsche: Rechtsgutachten zuhanden des Kantons Bern: Steuerung der Leistungsmenge im Spitalbereich, Luzern 20. Juni 2011.

3.1.2 Kantonale gesetzliche Rahmenbedin-gungen: SpVG und SpVV

Auf kantonaler Ebene bilden das Spitalversorgungsge-setz vom 5. Juni 2005 (SpVG) und die darauf basieren-de Spitalversorgungsverordnung vom 30. November 2005 (SpVV) den rechtlichen Rahmen der Versor-gungsplanung. Das SpVG setzt die KVG-Bestimmungen auf kantonaler Ebene um, wobei die bestehenden kan-tonalen Vorgaben zur leistungsorientierten Planung wie auch die Grundsätze der Planung aus dem Jahr 2005 auch den Anforderungen des revidierten KVG entspre-chen. Gleichzeitig enthält das geltende SpVG Bestim-mungen zu den Inhalten der Planung, die über das KVG hinaus gehen.

Das SpVG regelt die Spitalversorgung in der Akutsoma-tik, Rehabilitation und Psychiatrie wie auch das Ret-tungswesen und entsprechend auch die Planung in diesen Bereichen. Die Versorgungsplanung muss dabei folgende Aufgaben wahrnehmen:

• Sie weist Art und Menge der zur Sicherstellung der Spitalversorgung benötigten Spital- und Rettungslei-stungen aus.

• Sie stellt die damit verbundenen Kosten dar.

• Sie konkretisiert die zur Leistungserbringung benö-tigten Strukturen, das heisst sie nennt die geeigne-ten Leistungserbringer.

• Sie legt dar, welche Zahl an Aus- und Weiterbil-dungsplätzen zur Gewährleistung der Versorgung notwendig sind.

• Sie legt die Versorgungsziele fest.

Es gelten vier Grundsätze der Versorgung: Die Spital-versorgung und das Rettungswesen sind allgemein zugänglich, bedarfsgerecht, von guter Qualität und wirt-schaftlich (siehe dazu Kapitel 4). In der Versorgungs-planung gilt es aufzuzeigen, ob diese Grundsätze aktu-ell eingehalten werden und wie sie zukünftig eingehal-ten werden können.

Die Versorgungsplanung ist zuerst den betroffenen Kreisen zu unterbreiten. Sie wird danach vom Regie-rungsrat genehmigt und dem Grossen Rat zur Kenntnis gebracht. Sie ist zudem in der Regel alle 4 Jahre zu überarbeiten.

Die Versorgungsplanung dient als Grundlage für die Spitalliste und die Rahmenleistungsverträge und muss mit den Richtlinien der Regierungspolitik, dem kantona-len Richtplan und dem Aufgaben- und Finanzplan abge-stimmt sein.

Die KVG-Revision zur Spitalfinanzierung macht eine Anpassung des Steuerungssystems von SpVG und SpVV an die neuen Gegebenheiten ab 1. Januar 2012 notwendig. Die entsprechende Gesetzesrevision des SpVG wird zurzeit erarbeitet. Die vorliegende Versor-gungsplanung basiert noch auf dem bestehenden SpVG, wo dieses jedoch den Anforderungen des revi-dierten KVG widerspricht, werden die nationalen, über-geordneten Bestimmungen berücksichtigt.

3.2 Versorgungsplanung 2007–2010