• Keine Ergebnisse gefunden

Buchlesen und anschließende Arbeit mit Literatur

10. Darstellung der Untersuchungsergebnisse

10.3 Bücher im Deutschunterricht

10.3.4 Buchlesen und anschließende Arbeit mit Literatur

Alle befragten Lehrerinnen haben bei Gesprächen über vorangegangene Themenbereiche bereits Einblicke gegeben, wie sie mit gelesenen Büchern im Deutschunterricht in weiterer Folge arbeiten. In diesem Kapitel wird auf die Aktivitäten, die vor, nach und während des Lesens durchgeführt werden, kurz eingegangen.

Lehrerin 2 liest mit ruhigen Klassen manchmal gemeinsam, wobei sie immer eine Seite zuerst ruhig lesen lässt und erst dann laut gelesen wird, „weil viele Kinder damit überfordert sind, gleich laut zu lesen“ (Lehr2: 424f.). In manchen Klassen liest sie nur zum Ausklang in den letzten zehn Minuten. Die SchülerInnen dürfen dann dort weiterlesen, wo sie das letzte Mal aufgehört haben.

Lehrerin 3 gestaltet das Lesen einer Klassenlektüre immer unterschiedlich:

„Manchmal lasse ich sie ganz alleine lesen, einfach leise, jeder für sich. Weil es hat ja jeder schon ein unterschiedliches Lesetempo. (.) Äh. Manchmal lesen wir aber auch gemeinsam laut, weil ja genauso das Vorlesen auch trainiert werden soll. Also das ist ganz unterschiedlich. Und dann ist aber eben meistens so, dass ich dann eben sag: Ja, bis zu einem gewissen Kapitel oder in der Oberstufe mache ich es so, dass das Buch dann oft fertig zu lesen ist und dass das zuhause zu machen ist, als Hausübung. Weil einfach im Unterricht die Zeit/Ja die Zeit fehlt. Was schade ist natürlich, ist ja klar“ (Lehr3: 202-210). Lehrerin 3 gestaltet das Lesen selbst sehr unterschiedlich: „Es gibt nämlich Klassen, die einfach lieber leise lesen, jeder für sich, weil [...] vom Leseniveau her sind die Kinder ja auch oft unterschiedlich. Und wenn einer vielleicht nicht so gut liest, äh das stört dann auch die anderen, wenn sie halt dem Inhalt folgen wollen und so. Dann lasse ich sie oft auch leise lesen. Dann liest jeder sein individuelles Tempo und wie weit er halt kommt und so. Natürlich

muss das laute Lesen auch trainiert werden und geübt werden. Wenn wir das dann so machen, dass wir laut lesen, dann mache ich ungefähr so, dass jeder ungefähr einen Absatz liest“ (Lehr3: 427-435). Die Lehrerin stoppt die SchülerInnen während des Lesens aber nicht ab, da sie das sehr störend findet, sondern sie lesen, so lange sie wollen – mindestens einen Absatz.

Bei Lehrerin 4 werden Bücher teilweise in der Deutschstunde, teilweise aber auch zuhause gelesen. Vor allem die ersten Seiten lesen sie meist gemeinsam in der Schule, was den SchülerInnen – so Lehrerin 4 – immer sehr gut gefällt. Danach bekommen die SchülerInnen Leseaufträge für zuhause. Am Beginn der nächsten Lesestunde müssen die SchülerInnen der Lehrerin den bisherigen Inhalt kurz zusammenfassen. Auch die Figuren werden meist in der Deutschstunde besprochen, was eine gute Übung für das Schreiben von Charakteristiken darstellt. Wie oft in der Deutschstunde gelesen wird, hängt davon ab, wie schnell die Lehrerin mit dem restlichen Stoff vorankommt. Wenn es sich um eine sehr flotte Klasse handelt, kommt es durchaus auch vor, dass fast das gesamte Buch in der Schule gelesen wird. Auch Lehrerin 6 liest mit ihren SchülerInnen oft gemeinsam in der Klasse.

Diese Lesesequenzen sind besonders für Kinder mit Migrationshintergrund wichtig:

„Weil wenn die Schüler einen Migrationshintergrund haben, verstehen sie einige Sachen wirklich nicht, was für uns ganz normal ist. Und wenn jemand selbst liest, dann überliest man es. Man bildet sich selbst dann auch irgendwie ein Bild und vielleicht ist es ein falsches Bild“ (Lehr6: 196-199). Deshalb muss das Gelesene im Anschluss gemeinsam besprochen werden, so Lehrerin 6. Das gemeinschaftliche Lesen ist ihrer Ansicht nach sehr wichtig und auch „ein Erlebnis. Sei es leise. Dass wir gemeinsam leise einmal lesen, bzw. dass jeder seine eigene/die Klassenlektüre einmal selbst liest, oder laut. Wir müssen es trotzdem üben“ (Lehr6: 203ff.). Der Lesebeginn eines Buches erfolgt bei Lehrerin 2, Lehrerin 5, Lehrerin 7 und Lehrerin 8 immer in der Schule, den Großteil der Klassenlektüre müssen die SchülerInnen dann eigenständig zuhause lesen. Nach dem Lesen werden die Bücher bei Lehrerin 5 immer gemeinsam im Unterricht besprochen. Lehrerin 7 begründet den gemeinsamen Lesebeginn so: „Weil sie ja ganz neugierig sind und nicht bis zuhause warten, dass sie/ dass wir in der ersten Stunde gemeinsam lesen“ (Lehr7: 153f.).

Danach haben alle ihr eigenes Lesetempo, die Lehrerin legt eine Deadline fest und die SchülerInnen lesen das Buch zuhause fertig. Wenn die Deadline dann erreicht

ist, wird mit der Arbeit am Portfolio begonnen. Das gesamte Buch gemeinsam in der Schule zu lesen, ist zeitlich unmöglich.

Lehrerin 1 arbeitet mit Klassenlektüre immer langfristig. Die SchülerInnen müssen ein ganzes Portfolio dazu gestalten und einen Lektüreplan abarbeiten.

Klassenlektüren bilden für sie die Grundlage für eine Vielzahl von Aufgaben, auch kreative. Die Aufgaben, die Lehrerin 1 ihren SchülerInnen zu einer Klassenlektüre aufgibt, sind sehr vielseitig: Diese reichen von Fragen zu einzelnen Kapiteln oder zum konkreten Inhalt bis zu handlungsorientieren, produktiven Aufgaben, wie dem Verfassen von Briefen oder WhatsApp-Nachrichten. Kreative Aufgaben spielen für sie eine wichtige Rolle: Die SchülerInnen müssen zum Beispiel eine Bildgeschichte zu einem Kapitel gestalten oder eine Onlinerezension auf einer Social Reading Plattform verfassen. Dafür besuchte sie mit ihren SchülerInnen den Computerraum und jede/r von ihnen verfasste ein paar Zeilen zu seinem/ihrem Buch. Auch wenn nicht alle Jugendlichen ihre Rezensionen abgeschickt haben, stellte es eine gute Übung dar. Klassenlektüre verwendet Lehrerin 1 aber genauso für Übungen zur Sprachreflexion, wie das Suchen von Modalverben im Text. Die Einstiegsaktivitäten versucht sie immer besonders außergewöhnlich zu gestalten, um die SchülerInnen zum Lesen zu motivieren. Beispielsweise zeigt sie ihnen den Trailer zum Film. Als sie das Buch Löcher von Louis Sachar zu lesen begannen, legte sie am Boden eine dunkle Decke auf und ließ die SchülerInnen Assoziationen zum Thema Löcher sammeln oder sie selbst sammelte Sprichwörter zum Thema Loch und besprach die Bedeutung dieser gemeinsam mit den SchülerInnen.

Bei Lehrerin 2 müssen die SchülerInnen öfter ein Buch mit Hilfe einer Lesekiste vorstellen. Das bedeutet, dass sie drei oder vier für das Buch typische Gegenstände in eine Schuhschachtel geben und das Buch mit diesen vorstellen. Mit Inhaltsangaben hat sie schon häufig schlechte Erfahrungen gemacht, weil die meist von Wikipedia oder vom Klappentext eines Buches abgeschrieben werden. Seit längerem schon verwendet sie deshalb nun eher Fragebögen oder Lesekisten, um ein Buch nachzubesprechen. Die SchülerInnen bekommen von Zeit zu Zeit auch Rechercheaufträge, die sie mit Hilfe des Internets ausführen müssen. Bei unheimlichen Geschichten verdunkelt sie die Klasse oder sie liest den SchülerInnen vor und diese dürfen dabei eine bequeme Haltung einnehmen. Sie sagt, dass sie meistens sehr spontan entscheidet. Fixe Rituale hat sie eigentlich nicht. Wichtig ist

ihr, sich immer der Klasse anzupassen, denn nicht in jeder Klasse ist dasselbe durchführbar.

Lehrerin 3 versucht in der ersten Stunde, in der mit einer neuen Klassenlektüre gearbeitet wird, das Vorwissen der SchülerInnen zu aktivieren: Meist arbeitet sie zum Cover, zum Titel oder zum Thema des Buches generell. Danach bekommen die SchülerInnen Fragen zum Text, die sie versucht so zu stellen, dass sie erkennt, ob die SchülerInnen das Buch wirklich gelesen haben. Genau wie Lehrerin 2 lässt sie ihre SchülerInnen nie Inhaltsangaben schreiben, weil „eine Inhaltsangabe im heutigen Zeitalter, wie gesagt, die kann ich mir dann im Internet auch nachlesen und dann sehe ich wahrscheinlich eh die gleichen Texte, die die Schüler mir abgegeben haben“ (Lehr3: 359-362). Sie findet, dass man als Lehrperson über das Buch sehr gut Bescheid wissen muss, um die Aufgaben so stellen zu können, damit nur SchülerInnen, die das Buch gelesen haben, in der Lage sind, diese zu erledigen. Manchmal schaut sie mit den SchülerInnen Ausschnitte aus der Verfilmung oder den ganzen Film an, worüber sie sich immer sehr freuen. Am Ende einer Lesestunde diskutieren sie meist, wie es weitergehen oder das Buch enden könnte. Weitere Ideen für den Unterricht sind: ein eigenes Ende zu einem Text oder eine Personenbeschreibung zu einem Charakter aus dem Buch schreiben.

Lehrerin 3 orientiert sich immer an den Textsorten, die im jeweiligen Jahrgang durchgenommen werden müssen. Auch bei Lehrerin 7 müssen die SchülerInnen ein Lesetagebuch führen und ein Portfolio verfassen. Darin müssen sie ihre Lesefortschritte festhalten und über das Buch reflektieren.

Wie Lehrerin 3 gibt auch Lehrerin 4 manchmal gelesene Bücher zur Schularbeit. Die SchülerInnen müssen beispielsweise einen Brief oder eine Fortsetzung schreiben. Beim Buch Austauschkind von Christine Nöstlinger mussten die SchülerInnen beispielsweise zur Schularbeit einen Brief an die richtige Familie des Austauschkinds in England schreiben. So müssen sie sowohl den Inhalt wiedergeben als auch einen eigenen Standpunkt beziehen.

Die SchülerInnen von Lehrerin 5 müssen ihren MitschülerInnen häufig Bücher vorstellen. Dazu sollen sie ein Handout erstellen und ihnen das Buch mit einfachen Mitteln empfehlen.

Die SchülerInnen von Lehrerin 6 erstellen zu gelesenen Büchern zum Beispiel eine Lesemappe mit Deckblatt, Vorstellung des Autors, Inhaltsangabe, beliebten Zitaten, Auszügen, eigener Meinung und Zeichnungen. Ein weiteres Beispiel ist

‚Book in a box’: „Das heißt: Sie haben ein besonderes Element bzw. eine besondere Passage aus dem Buch auch künstlerisch dargestellt und das ist in einer Schachtel sozusagen. Und dann haben sie dazu gesprochen, warum sie diese Szene so begeistert hat und (..) und ja, und wie sie das jetzt interpretieren und wie sie auch anderen Lesern es schmackhaft machen würden“ (Lehr6: 214-219). Damit sich die SchülerInnen mit der Lektüre beschäftigen, bekommen sie immer verschiedenste Arbeitsaufträge wie zum Beispiel Arbeitsblätter. Zeitweise schauen sie gemeinsam den Film an oder müssen etwas künstlerisch gestalten, etwas dazu aufführen oder es werden grammatikalische Übungen anhand des Textes gemacht. Eine Vielfalt an Aufgaben ist Lehrerin 6 sehr wichtig. Die Klassenlektüre steht für Lehrerin 6 das ganze Schuljahr lang im Mittelpunkt und hat den gleichen Stellenwert wie eine Schularbeit. Manchmal organisieren sie und ihre KollegInnen Präsentationsabende für den Elternsprechtag oder den Tag der offenen Tür, an denen Sequenzen daraus vorgespielt und Textpassagen rezitiert werden oder es wird gemeinsam gesungen.

Auch bei Lehrerin 8 bekommen die SchülerInnen verschiedenste Aufgaben zu einem Buch: Ein Lesetagebuch schreiben, gewisse Szenen illustrieren, in Gruppenarbeit Plakate gestalten, ein Lieblingskapitel ausarbeiten oder eine Personencharakteristik schreiben, listet sie als mögliche Aufgaben zur Klassenlektüre auf. Teilweise verwendet sie dafür bereits ausgearbeitete Unterrichtsvorschläge aus dem Internet.

Spannend fand ich folgende Erzählung von Lehrerin 4: Sie schilderte mir, dass sie eine Klasse vor kurzem etwas durcheinander gebracht hat, als sie ihnen ein Gedicht zeigte und dazu sagte: ‚So, das interpretieren wir einmal nicht. Das genießt nur einmal.’ Die SchülerInnen waren daraufhin vollkommen verzweifelt, weil sie es gewohnt sind, alles immer interpretieren und ‚zerlegen’ zu müssen. Lehrerin 4 findet es schrecklich, dass die SchülerInnen vor lauter Interpretationen und Analysen, die Schönheit von Sprache nicht mehr erkennen können.

Abschließend ist zur Arbeit der befragten Lehrerinnen mit Literatur zu sagen, dass fast alle Lehrerinnen nur die ersten Seiten eines Buches im Unterricht lesen.

Den Rest müssen die SchülerInnen dann aufgrund fehlender Unterrichtszeit zuhause lesen. Nur eine Lehrerin liest manchmal sogar ganze Bücher im Unterricht, wenn sie mit dem restlichen Stoff schnell vorankommt. Die anschließende Arbeit zu einem Werk gestalten die Lehrerinnen sehr vielseitig, wobei sich alle über einen langen Zeitraum hinweg mit der gelesenen Klassenlektüre beschäftigen. Das Gestalten von

Portfolios, Buchpräsentationen oder andere kreative Aufgaben zu einem Werk sind besonders beliebt.