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2. Lesen

2.1 Begriffsdefinition

Schön (1999: S. 1, zit. nach Böck 2007a: S. 26) definiert Lesen folgendermaßen:

Lesen ist Handeln von Menschen, die in der kognitiven Dimension des Lesens aus einem Text Sinn bilden und in seinen sinnlichen und emotiven Dimensionen sich durch ihr Tun ein Erleben selbst bereiten. Dabei entsteht die Lese-Erfahrung gerade durch die untrennbare Einheit der verschiedenen Dimensionen des Lesens.

Um zu lesen werden drei Dinge benötigt, nämlich ein/e LeserIn, ein Text und eine Situation, in der gelesen wird (vgl. Böck 2007a: S. 27). Wie das Schreiben ist das Lesens sowohl auf eine Einzelperson als auch auf eine Gemeinschaft ausgerichtet – hier kann vor allem das Lesen in der Schule genannt werden (vgl. Abraham 2006: S.

110). Die „multiple Tätigkeit“ (Bertschi-Kaufmann 2011: S. 12) des Lesens gilt als Basiskompetenz der Wissensgesellschaft (vgl. Garbe 2011: S. 67) und kann laut Abraham (2006: S. 106) gleichzeitig Arbeit und Vergnügen, Last und Lust bedeuten, denn Lesen heißt immer auch Lernen.

Spinner (2004, zit. nach Bertschi-Kaufmann 2011: S. 8) schreibt, dass Lesen dazu beiträgt, Teil einer Gesellschaft, die durch Schrift kommuniziert, zu werden. Es ermöglicht – so Böck (2007a: S. 26) – den Zugang zu unterschiedlichen Erfahrungsräumen, denn „alles, was in schriftlicher Form zugänglich ist und kommuniziert wird, setzt für seine Erschließung Lesekompetenz voraus.“ Garbe (2005: S. 12) bezeichnet Lesen als „die Schlüsselqualifikation für jede Art des Wissenserwerbs und der Informationsverarbeitung“. Das Geschriebene bildet die Basis für vielerlei Informationen, die wir im Alltag aufnehmen und verarbeiten:

Informationen, Fakten, Ideen, Wertvorstellungen und kulturelle Inhalte werden über die Schrift aufgenommen, und so können sich uns nach und nach ganze Lebensbereiche erschließen (vgl. Artelt et al. 2001: S. 69).

Beim Lesen handelt es sich um einen aktiven Vorgang, bei dem Informationen eines Textes und das Vorwissen von LeserInnen aufeinander wirken. Da die Lesevoraussetzungen bei jeder Person unterschiedlich sind und Texte je nach LeserIn verschieden wirken, bezeichnet Graf (2007: S. 11) Lesen als einen individuellen, biografischen Prozess. Christmann und Groeben (2006: S. 146ff.) nennen die Wechselwirkung, die bei literarischen und nicht-literarischen Texten entsteht, Text-Leser-Interaktion.

Beim Lesen spielen höchst komplexe Prozesse zusammen, die auf mehreren Ebenen erfolgen. Die Buchstaben- und Worterkennung findet auf der Wortebene statt, die Semantik und Syntax gehören zur Satzebene und die satzübergreifenden Integrationsmechanismen zur Textebene (vgl. Christmann/Groeben 2006: S. 148-172). Satzübergreifende Integrationsmechanismen müssen durchgeführt werden, um eine semantische Textstruktur aufzubauen: „Die Inhalte verschiedener Sätze müssen aufeinander bezogen, integriert und ein sinnvoller Zusammenhang hergestellt werden“ (McElvany 2008: S. 19). Die einfacheren kognitiven Leistungen, wie die Wort- und Satzerkennung und das Schaffen von lokaler Kohärenz, erfolgen bei guten LeserInnen automatisiert. Sie müssen sich bei diesen Leistungen meist nicht mehr geistig anstrengen und haben so mehr kognitive Ressourcen für anspruchsvollere Tätigkeiten wie beispielsweise das Konstruieren von globaler Kohärenz oder das Erkennen sprachlicher Gestaltungsmittel (vgl. Rosebrock 2009: S. 61).

Grundsätzlich unterscheidet man zwei Arten des Lesens: das ästhetische und das instrumentelle Lesen (vgl. Schönbaß 2008: S. 16). Unter dem ästhetischen Lesen, welches oft auch genussorientiertes oder intimes Lesen genannt wird, wird

„die Lektüre von Belletristik aus rein persönlichen Motiven – zur geistigen Bereicherung, zur Identitätsentwicklung oder Selbstvergewisserung, als Mittel zum Eskapismus oder einfach zur Unterhaltung“ (Schönbaß 2010b: S. 20) verstanden.

Graf (2007: S. 140) formuliert dies folgendermaßen: „Ein Buch ist nicht Mittel zu einem Zweck, sondern Selbstzweck.“ Instrumentelles Lesen ist immer an einen Zweck gebunden: Informationen zu einem bestimmten Thema zu erhalten, die Erweiterung seines Wissens oder die Verbesserung beruflicher Chancen stehen hier im Mittelpunkt. Dem instrumentellen Lesen kann anders als dem ästhetischen Lesen kaum ausgewichen werden, da es eine unverzichtbare Voraussetzung für das alltägliche Leben darstellt (vgl. Schönbaß 2010b: S. 20). Graf (2007: S. 129) geht von sieben Lesemodi aus. Er unterscheidet zwischen instrumentellem Lesen, intimem Lesen, partizipatorischem Lesen, Konzeptlesen, Lesen als Erkenntnis, ästhetischem Lesen und Pflichtlektüre. Diese unterschiedlichen Lesemodi greifen manchmal aber auch ineinander und können miteinander kombiniert werden (vgl.

Graf 2007: S. 145).

Der positive Einfluss des Lesens

Kindern und Jugendlichen, die das Lesen nicht ausreichend beherrschen, fehlt „eine zentrale Voraussetzung für Bildung, Berufszugang und gesellschaftliche Teilhabe“

(Ehmig/Reuter 2013: S. 2). Lesen ist in allen Lebensphasen essentiell: Im Rahmen der Lesesozialisation und auch später in der schulischen und beruflichen Karriere gilt Lesen als eine Grundvoraussetzung für Erfolg (vgl. Artelt et al. 2001: S. 70). Lesen kann, wie Steinbrecher (2007: S. 7) schreibt, positiven Einfluss auf viele Bereiche der kindlichen Persönlichkeit nehmen:

• Durch den Umgang mit Büchern und durch das Lesen entwickeln LeserInnen häufig die Fähigkeit, mit anderen Medien, wie dem Fernseher und dem Computer, besser umgehen zu können (vgl. ebd.). Gute LeserInnen sind häufig auch kritischere MediennutzerInnen (vgl. Fürst/Helbig/Schmitt 2000: S.

118).

• Lesen kann dazu beitragen, die Welt besser kennenzulernen, Informationen zu verstehen und in der Lage zu sein, kritisch darüber nachzudenken.

• Beim Lesenlernen handelt es sich um einen Bereich der Bildung, und Lesen ist grundlegend, so Steinbrecher (2007: S. 7), um sich Bildung anzueignen.

Ohne das Lesen zu beherrschen, kann der Bildungsweg „stark erschwert bis fast unmöglich“ (ebd.) werden.

• Lesen und Hören können als eine Einheit betrachtet werden, denn beim Vorlesen werden die gesprochenen Worte und Satzkonstruktionen genauso aufgenommen wie die Geschichte selbst, und Kinder denken in diesem Zusammenhang über Sprache nach.

• Vor allem im Vorschulalter sind Lesen und Sprechen meist stark voneinander abhängig. Sehr kommunikationsfreudige Kinder sind im Vorteil, da sie einen großen Wortschatz besitzen und zusätzlich „die besten Voraussetzungen (haben), das gesprochene und das geschriebene Wort in Zusammenhang zu bringen“ (ebd.).

• Lesen und Schreiben sind nicht voneinander trennbar, da das Schreiben auf das Lesen aufbaut und umgekehrt. Gute LeserInnen haben keine Probleme, Buchstaben zu Wörtern zusammenzusetzen, da sie sich das Schriftbild bereits beim Lesen eingeprägt haben (vgl. ebd.).

• Lesen bewegt LeserInnen häufig emotional. Kinder leiden oder freuen sich mit den HeldInnen aus Büchern und erleben Spannung und Erleichterung je nach

Ausgang der Geschichten. Das bedeutet, dass durch das Lesen Sympathie- und Empathiefähigkeiten gesteigert werden können (vgl. Steinbrecher 2007:

S. 7).

• „Lesen hilft, soziale Kompetenz zu lernen“ (ebd.). Situationen, Probleme und Konflikte werden oft am Beispiel von Buchcharakteren kennengelernt und Kinder haben die Möglichkeit, über mögliche Konsequenzen nachzudenken.

Darüber hinaus können sich Kinder mit Hilfe von Geschichten in fiktionale Welten hineinversetzen, diese erleben und durch die kennengelernten Themen, Szenen, Probleme, Figuren und Inhalte über Lösungen nachdenken und diese eventuell auf die reale Welt übertragen.

• Durch die Beschäftigung mit Büchern kann die Gedächtnis- und Konzentrationsfähigkeit von Kindern gestärkt werden (vgl. ebd.).