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Befreiungsversicherungen

Im Dokument Tabellen- und Abbildungsverzeichnis (Seite 73-0)

7 Fördermaßnahmen in Deutschland

7.8 Befreiungsversicherungen

264 Sog. „Sperrerlass“.

265 Vgl. Borscheid, P., [Sicherheit], Greven / Münster 1989, S. 16 m.w.N., S. 151.

266 Bis zu einem Anspruch von ursprünglich RM 70 / Monat.

267 Vgl. Borscheid, P., [Sicherheit], Greven / Münster 1993, S. 26 und S. 30.

268 Vgl. auch Frerich, J. / Frey, M., [Sozialpolitik], 2. Aufl., München / Wien 1996, S. 46f.

269 Vgl. hierzu Kapitel 7.8 Befreiungsversicherungen.

Zur Förderung diverser Wirtschaftsbereiche wird ab 1951 der Erwerb von öffentlichen Schuldverschreibungen, Pfandbriefen des sozialen Wohnungsbaus sowie die Gewährung von Darlehen zur Förderung von Schiffs- und Wohnungsbau steuerlich begünstigt. 1953 begann man mit der staatlichen Förderung des langfristigen Sparens durch Zuschüsse i.H.v. bis zu 20% des Sparbetrags. Es folgten ab 1959 Sparprämiengesetze und Vermögensbildungsgesetze. Diese staatlichen Förderungsmaßnahmen sind aber bei weitem niemals ausreichend gewesen um eine echte private Altersvorsorge i.S. einer dritten Säule aufzubauen.270

Die Struktur der privaten Lebensversicherung wandelte sich von der Anfang der 50er Jahre noch überwiegenden Kleinleben-Versicherung stetig hin zur Großleben-Versicherung.271

Die deutsche Lebensversicherungswirtschaft erfährt 1968 durch die Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze in der Angestellten-versicherung weitere Zuwachsraten, da sie den betroffenen Angestellten als Befreiungsversicherung dienen kann.272

Während der Amtszeit Willi Brandts werden Lebensversicherungen in den Katalog der i.S.d. Vermögensbildungsgesetzes förderungswürdigen Anlageformen aufgenommen.

Das am 22. Dezember 1974 in Kraft getretene Gesetz betreffend Direktversicherungen, das die betriebliche Altersversorgung fördern soll, eröffnet der Lebensversicherungswirtschaft neue Absatzmärkte.273

In den Fokus steuerlicher Gestaltungsmaßnahmen rückten Lebensversicherungen nach der Abschaffung des allgemeinen Schuldzinsenabzugs im Jahr 1974. Finanzierungskosten sind steuerlich seither grds. nur dann abzugsfähig, wenn sie Betriebsausgaben oder Werbungskosten sind. Die steuerlichen Gestaltungen zielen daher darauf ab, abzugsfähige Finanzierungskosten zu kombinieren mit steuerlich begünstigten Lebensversicherungsverträgen, deren Ansprüche als Sicherheit für das Finanzierungsvorhaben dienen und deren Erträge bei entsprechender Gestaltung steuerfrei bezogen werden können.

Um diese Konstruktionen wieder einzudämmen verschärfte der Gesetzgeber 1992 die Voraussetzungen für den Abzug der Beiträge als Sonderausgaben und die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der Erträge aus der Lebensversicherung.274

Der europäische Binnenversicherungsmarkt wurde 1994 dereguliert.

Damit änderten sich rechtlich und faktisch Bedingungen der

270 Vgl. Kapitel 7.12 Sparförderung; vgl. Borscheid, P., [Sicherheit], Greven / Münster 1993, S. 46, S. 49 und S. 56f.

271 Vgl. Petersen, H.-G., [Ansatzpunkte], Gießen 1986, S. 83.

272 Vgl. hierzu Kapitel 7.8 Befreiungsversicherungen.

273 Vgl. Kapitel 7.7 Direktversicherung; vgl. Borscheid, P., [Sicherheit], Greven / Münster 1993, S. 87f.

274 Vgl. Kapitel 7.2 Sonderausgaben und Kapitel 7.3 Kapitalerträge in der Ansparphase.

Geschäftstätigkeit grundlegend. Der deutsche Versicherungsmarkt öffnete sich für ausländische Versicherer und umgekehrt. Die Versicherer erhielten mehr unternehmerische Freiheit bei der Gestaltung von Versicherungsprodukten und bei der Preisfindung.275

Die mehrfache Ankündigung des Gesetzgebers Lebensversicherungen zukünftig zu besteuern bescherte den Versicherern insbesondere Ende 1999 lebhaftes Neugeschäft. Dennoch zeigt der Trend bei den Versicherungsabschlüssen, dass die kapitalbildende Lebensversicherung gegenüber der privaten Rentenversicherung relativ an Bedeutung verliert.276 Die 2002 erstmals ansparbare „Riester-Rente“, die die durch zukünftige Rentenniveauabsenkungen entstehenden zusätzlichen Versorgungslücken in der gesetzlichen Rentenversicherung abmildern soll, wird diesen Trend weiterhin aufrechterhalten. Mit der „Riester-Rente“

fördert der Gesetzgeber den Abschluss von privaten Renten-versicherungen.277

4.2 Großbritannien

„Großbritannien ist der älteste der entwickelten Lebensversicherungsmärkte der Welt.“278 Ursprünglich war die Lebensversicherung eine reine Risikoversicherung.279 Die moderne Lebensversicherung hat sich in England aus Gesellschaften bzw.

Versorgungskassen, die der Witwen- und Waisenversorgung dienten, entwickelt.280 Die oben dargestellten Kennzeichen der modernen Lebensversicherung entstanden mit dem Zeitgeist der Aufklärung unter Anwendung rationaler wissenschaftlicher Überlegungen. Bereits Mitte der 1760er Jahre war die Lebensversicherung als Versicherungsinstrument bekannt. Die erste mit modernen, mathematisch basierten Methoden arbeitende Lebensversicherungsgesellschaft der Welt, „The Society for Equitable Assurances on Lives and Survivorships“, wurde 1762 in London gegründet. Auch in Großbritannien setzte sich die Lebensversicherung erst im Laufe des 19. Jahrhunderts gegen die bis dahin für Zwecke der Hinterbliebenenversorgung dominierenden Versorgungskassen durch.281 Das Versicherungsgeschäft erfuhr zwischen 1850 und 1870 deutliche Zuwächse. Wie später in Deutschland, beruhten die Zuwächse im Wesentlichen auf Kleinlebensgeschäft mit der Arbeiterschaft.282

275 Vgl. Farny, D., [Versicherungsbetriebslehre], 2. Aufl., Karlsruhe 1995, S. 137ff.

276 Vgl. hierzu bereits Kapitel 3.4 Bedeutung der Lebensversicherung.

277 Vgl. hierzu Kapitel 7.6 „Riester-Rente“.

278 Dürkop, H., [Bestandsaufnahme], Bayreuth 1992, S. 59.

279 Vgl. Trimm, L., [Planning], 2. Aufl., London 1984, S. 1.

280 Diese Gesellschaften begannen mit ihrer Tätigkeit insbesondere in den Jahren 1696-1721; vgl. Schmoller, G., [Frage], München / Leipzig 1918, S. 357f.

281 Vgl. Borscheid, P., [Sicherheit], Greven / Münster 1989, S. 4 und S. 9; vgl. Braun, H., [Lebensversicherung], 2. Aufl., Berlin 1963, S. 145ff.; Ebersperger, K., [Konsumstil], München 1967, S. 26.

282 In England als industrial life assurance bezeichnet, vgl. Wasner, P., [britische Lebensversicherung], München 1991, S. 2.

Der Limited Liability Companies Act von 1862 sollte u.a. dem Schutz von Aktionären und Versicherungsnehmern dienen und hatte erhöhte Publizitätspflichten zur Folge. Firmenzusammenbrüche führten zu weiter verschärften Publizitätspflichten, Rechnungslegungsvorschriften und Vorschriften betreffend die Kapitalverwaltung, Sicherheiten und Prämienreserven im Rahmen des Life Assurance Companies Act von 1870. Insbesondere sollte die Gründung von Gesellschaften verhindert werden, die Geschäfte in betrügerischer Absicht tätigen.283

Die Staatsaufsicht wird durch die Reform des Assurance Companies Act 1909284 und durch den Industrial Life Assurance Act 1923 zum Schutz der Versicherungsnehmer ausgeweitet.

Der erste und der zweite Weltkrieg führte anders als bei den deutschen Lebensversicherungen nicht zu einem vergleichbaren Vermögensverlust.

Wasner ist folgender Ansicht: „Damit hatten sowohl die Versicherer als auch die Versicherungsnehmer beider Länder sehr ungleiche Erfahrungen und Startbedingungen, die sowohl Anlageverhalten und Strategien als auch Einstellungen, Mentalitäten und Wertvorstellungen beider Marktpartner bis in die heutige Zeit prägen [...].“285

Der Beveridge-Report aus dem Jahr 1942 sollte der britischen Bevölkerung eine Perspektive für große soziale Veränderungen bieten. In der Folge dieser Erwartungen wurde 1945 die Labour Partei an die Regierung gewählt. Sie vertrat weitreichende Verstaatlichung, den National Health Service als nationalen Gesundheitsdienst, soziale Sicherheit, mehr Wohnraum und Lebensmittel. Sogar die Verstaatlichung der Versicherungswirtschaft war im Rahmen von Überlegungen der Labour Partei seit dem Jahr 1942 angedacht und wurde in einer Resolution von 1949 hinsichtlich der Verstaatlichung von Lebensversicherungsunternehmen ernsthaft weiter verfolgt. Die Wahlniederlage von Labour im Jahr 1951 beendete – zumindest bis in die 1970er Jahre – diese Überlegungen.286

In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg wuchs die Bedeutung der mit Hilfe von Lebensversicherern angebotenen Modelle der betrieblichen Altersversorgung. Bereits in den 50er Jahren betrug der Anteil der Prämieneinnahmen und des Vermögens der Standard Life, einem der großen britischen Lebensversicherer, der aus betrieblichen Alters-versorgungsmodellen generiert wurde 70% der gesamten Prämien-einnahmen und des verwalteten Vermögens von Standard Life.287

Ab 1960 kam die fondsgebundene Lebensversicherung in Großbritannien auf den Markt. Sie vereint den Sicherheitsaspekt von Versicherungen mit einer spekulativen Komponente. Als Ende der 60er Jahre die fondsgebundenen Lebensversicherungen in Deutschland verkauft wurden,

283 Vgl. Braun, H., [Lebensversicherung], 2. Aufl., Berlin 1963, S. 260f.

284 In Kraft getreten am 1. Juli 1910; vgl. Braun, H., [Lebensversicherung], 2. Aufl., Berlin 1963, S. 339f.

285 Wasner, P., [britische Lebensversicherung], München 1991, S. 4f.

286 Vgl. Royal Insurance Holdings plc (Hrsg.), [Integrity], London 1995, S. 29.

287 Vgl. Moss, M., [Standard Life], Edinburgh / London 2000, S. 242.

betrug ihr Anteil am britischen Neugeschäft für Policen mit laufenden Beiträgen bereits ein Drittel. In den 70er Jahren entstand als neues Marktsegment das Einmalbeitragsgeschäft. Es wurde von Anfang an von fondsgebundenen Verträgen dominiert.288 Die fondsgebundene Lebensversicherung bleibt in Deutschland bis in die 90er Jahre ein unbedeutendes Nischenprodukt.289

Das Jahrzehnt ab 1970 war in Großbritannien gezeichnet von hoher Inflation und wirtschaftlicher Schwäche. Die Inflation hatte sich seit den 60er Jahren beschleunigt, verursacht durch nachhaltige Ausweitung der Staatsausgaben beim Versuch die Wirtschaft nachfrageorientiert anzuregen und Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Die wirtschaftliche Schwäche wurde durch den dramatischen Anstieg der Ölpreise im Jahr 1973 verstärkt. Im Jahresvergleich von 1974 fiel der FT Actuaries Index (Index der Financial Times für im Versicherungsbereich tätige Unternehmen) um 54%.290 Hierin spiegelten sich auch die realen Verluste der von Versicherungsunternehmen getätigten Kapitalanlagen wider.

Seit Ende der 60er kamen zudem erneut die Pläne von Labour zur Verstaatlichung von Versicherungsgesellschaften auf den Tisch. Sie konkretisierten sich im Jahr 1976, wurden aber von dem Labour-Premierminister James Callaghan zunächst noch verschoben. Die Wahlniederlage von Labour im Jahr 1979 veränderte die Rahmenbedingungen vollständig.291 Die Conservatives unter der Leitung von Margaret Thatcher verfolgten genau das gegenteilige Ziel, nämlich Rückzug des Staates aus diversen Aktivitäten des Marktes und Privatisierung.

Ab Mitte der 80er Jahre wurde das Geschäft mit „personal pensions“, d.h.

privaten Altersvorsorgemodellen, die einen Austritt aus der staatlichen Zusatzversorgung SERPS ermöglichen, für Lebensversicherer zu einem bedeutenden Geschäftszweig mit großen Wachstumsraten. Dieses Geschäft wurde auch von der Angst getrieben, die von staatlicher Seite gegeben steuerlichen Anreize könnten wieder entfallen.292 Tatsächlich wurde die Förderung kontinuierlich verstärkt.

Ein strukturierter Markt für Gebrauchtpolicen, der sich in Deutschland bisher nicht etabliert hat, entstand in Großbritannien ab dem Ende der 1980er Jahre. Vereinzelt hat bereits vorher Handel mit gebrauchten Lebensversicherungen stattgefunden, allerdings ohne breites öffentliches Interesse an dieser Kapitalanlageform. Bereits im Life Insurance Act von 1774 waren Policen verboten worden, an denen der Versicherungsnehmer kein eigenes Interesse am Leben der versicherten Person hat.293 In einem

288 Vgl. Turtle, C., [fondsgebundene LV (I)], VW 1993, S. 663 (S. 663).

289 Anteil am Neuzugang 1991: 3%; Vgl. Borscheid, P., [Sicherheit], Greven / Münster 1993, S. 76.

290 Vgl. Moss, M., [Standard Life], Edinburgh / London 2000, S. 282.

291 Vgl. Royal Insurance Holdings plc (Hrsg.), [Integrity], London 1995, S. 31f.

292 Vgl. Moss, M., [Standard Life], Edinburgh / London 2000, S. 311; vgl. Kapitel 8.4 personal pensions.

293 Insbesondere um Lebensversicherungen den Charakter von Wetten zu nehmen. Bsp.

waren Wetten auf das Leben verschiedener Mitglieder des Königshauses

Gerichtsurteil von 1854 wurde diese Regelungen auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beschränkt. Dies eröffnete rechtlich die Möglichkeit mit gebrauchten Policen zu handeln. 1992 entstand der erste Investmentfonds, der in gebrauchte Policen investierte.294

Der britische Lebensversicherungsmarkt zeichnet sich traditionell durch eine hohe Flexibilität aus, die auch auf eine im Gegensatz zu Deutschland weit weniger strikte Versicherungsaufsicht zurück zu führen ist.

Tarifgestaltung, Preisstellung, Reserveberechnung und die Wahl der Vermögensanlagen werden von der Versicherungsaufsicht nicht in der aus Deutschland bekannten Art der materiellen Versicherungsaufsicht durch aktive Eingriffe in den Versicherungsbetrieb vorgeschrieben. Es finden seitens der britischen Versicherungsaufsicht zwar Solvenzkontrollen statt, im Gegensatz zum deutschen Aufsichtsrecht sind Zahlungsunfähigkeiten aber i.d.R. zu spät erkannt worden, Konkurse von Versicherungs-unternehmen bereits unvermeidbar gewesen. Millionen Lebens-versicherungsnehmer wurden durch derartige Konkurse und Finanzskandale in den 1970er und 1980er Jahren geschädigt. Um die Versicherungsaufsicht zu verbessern, den Verbraucher verstärkt zu schützen und den Wettbewerb unter den Versicherungsunternehmen zu erhöhen verabschiedete die Regierung im Jahr 1986 den Financial Services Act (FSA).295 Der Vertrieb von Versicherungsprodukten und anderen Kapitalanlagen wird mit dem FSA reglementiert.296

In den 90er Jahren machten Lebensversicherer negative Schlagzeilen, insbesondere im Zusammenhang mit falscher Beratung beim Wechsel von betrieblichen Altersvorsorgeplänen zu ungünstigeren individuellen privaten Plänen.297 Der spektakuläre finanzielle Zusammenbruch der Barings Bank im Januar 1995 beschleunigte eine Überarbeitung der staatlichen Aufsicht über Finanzdienstleistungsunternehmen. Im Jahr 1999 wurde zu diesem Zweck der Financial Services and Markets Bill verabschiedet.

In den vergangenen Monaten kamen vermehrt endowment mortgages in das Blickfeld des öffentlichen Interesses. In Großbritannien ist es üblich, in Verbindung mit dem fremdfinanzierten Erwerb eines Eigenheims gleichzeitig eine Kapitallebensversicherung abzuschließen.298 Die Kapitallebensversicherung ist so ausgelegt, dass der Vertrag im Erlebensfall am Ende der Darlehenslaufzeit fällig wird und zur Tilgung des Darlehens maßgeblich beiträgt. Der Versicherer investiert das Sparkapital schwerpunktmäßig in den Aktienmarkt. Nachdem sich die Kapitalmärkte in den vergangenen drei Jahren deutlich schwächer als zuvor entwickelt haben, kann es sein, dass die Ablaufleistungen der Kapitallebensversicherungen nicht mehr zur Tilgung des Darlehens

vorgenommen worden; vgl. Wasner, P., [britische Lebensversicherung], München 1991, S. 2 m.w.N.

294 Vgl. Bühler, G. A. / Ruß, J., [Gebrauchtpolicen], VW 2000, S. 24 (S. 24).

295 In Kraft getreten am 1.1.1990.

296 Vgl. Dürkop, H., [Bestandsaufnahme], Bayreuth 1992, S. 59f. m.w.N.

297 Vgl. Moss, M., [Standard Life], Edinburgh / London 2000, S. 343f.

298 ABI gibt für 2002 an, dass etwa 10,3 Mio. Briten eine Kapitallebensversicherung mit einem Darlehen gekoppelt haben; vgl.

http://www.abi.org.uk/Display/File/87/Endowment_Website.doc (Stand 27.12.2002).

ausreichen.299 Dies kann insbesondere deshalb problematisch sein, da Eigenheime in Großbritannien mit bis zu 90% des Verkehrswertes fremdfinanziert werden.

299 Vgl. stellvertretend für regelmäßige Berichterstattung in der brit. Tagespresse Nugent, H., [Shortfalls], The Times v. 3.8.2002, S. 8.

5 Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung

5.1 Deutschland

5.1.1 Ursprung

Die moderne gesetzliche Rentenversicherung wurde von Reichskanzler Bismarck unter Kaiser Wilhelm I. im Rahmen der Sozialversicherungsgesetzgebung eingeführt. Die unter Bismarck vollzogene Sozialgesetzgebung geht auf die „Kaiserliche Botschaft“

Wilhelms I. am 17. November 1881 zurück.300 Die wirtschaftlich schlechte Lage nach der „großen Depression“ 1873 führte zu sozialen Spannungen und innenpolitischem Handlungsbedarf. Auch um dem politischen Aufschwung der Arbeiterbewegung entgegenzutreten hatte Bismarck die Sozialgesetzgebung eingeleitet.301 Zielsetzung der Gesetzgebung war, die wesentlichen sozialen Probleme der Arbeiterschaft, bekannt als die

„Arbeiterfrage“, in Angriff zu nehmen. Die Gefahren aus Unfällen, Krankheiten, Invalidität oder abnehmender körperlicher Leistungsfähigkeit im Alter konnten für die auf ihre eigene Arbeitskraft angewiesenen Arbeiter zu existentiellen Risiken werden.302 Zunächst entstand die gesetzliche Krankenversicherung (1883), anschließend die gesetzliche Unfall-versicherung (1884). Erst 1888 folgte der Gesetzentwurf zur Alters- und Invaliditätsversicherung.303 Das „Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung“ vom 22. Juni 1889 begründete die deutsche Rentenversicherung.304 Bereits Ende der 80er Jahre war offenkundig, dass die Eindämmung der Sozialdemokratie durch Versöhnung der Arbeiterschaft mit Gesellschaft und Staat nach der Methode „Zuckerbrot und Peitsche“ nicht im erhofften Maß gelingen wird.305

Das 1891 eingeführte Alterssicherungssystem wird als weltweit erstes offizielles Rentensystem angesehen.306 Die Wirksamkeit der damaligen Sozialreform ist bis in die heutige Zeit umstritten.307 Regelmäßig wird davon ausgegangen, dass Bismarck den modernen Sozialstaat begründet

300 Vgl. Schmoller, G., [Frage], München / Leipzig 1918, S. 408.

301 Vgl. Pagenkopf, H., [Sozialpolitiker], Bonn 1965, S.30f.; Ritter, G. A., [Sozialversicherung], München 1983, S. 42, 76; Tewinkel, A.,

[Bevölkerungsrückgang], München 1987, S. 79; Knie, F. / Korff, M., [Sichere Rente], Idstein 1998, S. 18ff.; Döring, D., [System der gRV], Frankfurt am Main / New York 1980, S. 13.

302 Vgl. zur Arbeiterfrage auch Schmoller, G., [Frage], München / Leipzig 1918.

303 Erlass am 22. Juni 1889; in Kraft getreten am 1. Januar 1891.

304 Vgl. zu Vorläufern der Rentenversicherung Pagenkopf, H., [Sozialpolitiker], Bonn 1965, S.29; Schmoller, G., [Frage], München / Leipzig 1918, S. 389ff.; Ritter, G. A., [Sozialversicherung], München 1983, S. 20.

305 Vgl. Döring, D., [System der gRV], Frankfurt am Main / New York 1980, S. 15.

306 Vgl. Börsch-Supan, A. / Miegel, M. u.a., [Reformerfahrungen], Köln 1999, S. 9; vgl.

Döring, D., [System der gRV], Frankfurt am Main / New York 1980, S. 13; vgl.

Eichenhofer, E., [Bismarck], Berlin 2000, S. 15 (S. 21).

307 Vgl. Schröder, W., Subjekt oder Objekt der Sozialpolitik?, in: Machtan, L., [Sozialstaat], Frankfurt am Main / New York 1994, S. 126 (S. 126-162).

habe.308 Die neuere Geschichtsschreibung differenziert an diesem Punkt stärker. So ginge die Idee einer staatlichen Zwangsversicherung von deutschen Großindustriellen aus, die ursprünglich aus kapitalistischem Interesse die im Rahmen ihrer Unternehmertätigkeit entstehenden sozialen Probleme dem Staat übertragen wollten. Die Fortentwicklung und vor allem politische Durchsetzung erfolgte durch Bismarck, der Sozialreformen ursprünglich zwei Jahrzehnte verhindert hatte. Alternative demokratisch orientierte Sozialreformkonzepte konnten sich nicht durchsetzen, da das Kaiserreich von Obrigkeitsstaat und Klassengesellschaft geprägt war.309 Die Geschichtsschreibung und Wissenschaft vor dem 1. Weltkrieg sei den Reformen trotz seit Einführung der Sozialversicherungssysteme vorhandener Strukturdefizite nicht kritisch genug gegenüber gestanden. „Die sozialpolitische Ideologie vom monumentalen Reformwerk triumphierte“.310 Die Weimarer Republik sah Sozialstaatlichkeit als zentrale Aufgabe. Allerdings erfolgte kein qualitativer Umbau des Sozialstaats, sondern die im Kaiserreich gesetzten Grundlagen wurden weiterentwickelt und legitimierten das Bismarcksche Sozialstaatsmodell endgültig. Ausgelöst durch die Weltwirtschaftskrise erfolgte eine Rückbesinnung auf die Sozialpolitik Bismarcks.

Das in Deutschland eingeführte Rentensystem unterschied sich vom später in England eingeführten System im Wesentlichen zunächst durch folgende Merkmale:311

• Staffelung der Beiträge bei entsprechend differenzierten Leistungen;

• vergleichsweise hohe Beteiligung der Versicherten und geringe Beteiligung des Staates.

5.1.2 Entwicklung

Die Rahmendaten des Ursprungsgesetzes von 1889 bestanden in der Erfassung eines Personenkreises von etwa 10 Millionen Versicherten.312 Altersrente wurde Versicherten ab Vollendung des 70. Lebensjahrs und nach 30 Jahren Beitragszeit (sog. Wartezeit) gewährt.313 Nur eine Minderheit erreichte diese Altersgrenze tatsächlich. 1881/90 lag die durchschnittliche Lebenserwartung eines männlichen Neugeborenen bei 37,2 Jahren. Modellrechnungen zufolge erreichten nur etwa zwischen 19,7% bis etwa 23% der männlichen Neugeborenen die Altersgrenze von 70 Jahren.314 Die betragsmäßig höhere Invaliditätsrente hingegen konnte

308 Vgl. Eichenhofer, E., [Bismarck], Berlin 2000, S. 15 (S. 15).

309 Vgl. Machtan, L., Einleitung und Thesen, in: Machtan, L. (Hrsg.), [Sozialstaat], Frankfurt am Main / New York 1994, S. 15ff.; vgl. hierzu ausführlich Breger, M., Der Anteil der deutschen Großindustriellen an der Konzeptualisierung der Bismarckschen Sozialgesetzgebung, in: Machtan, L. (Hrsg.), [Sozialstaat], Frankfurt am Main / New York 1994, S. 25ff.

310 Machtan, L., Einleitung und Thesen, in: Machtan, L. (Hrsg.), [Sozialstaat], Frankfurt am Main / New York 1994, S. 19.

311 Vgl. Ritter, G. A., [Sozialversicherung], München 1983, S. 40.

312 Eine Volkszählung für das Deutsche Reich am 1. Dezember 1890 ergab eine Gesamtbevölkerung von 49,4 Mio. Personen.

313 Mit Übergangsfristen für ältere Arbeitnehmer.

314 Vgl. Döring, D., [System der gRV], Frankfurt am Main / New York 1980, S. 13, S. 16f.

m.w.N.; Der VDR gibt die fernere Lebenserwartung im Zeitpunkt der Geburt 1891/1900 mit nur 35,6 Jahren an. 1997/1999 liegt dieser Wert bereits bei 74,4

nach festgestellter dauernder Erwerbsunfähigkeit bereits mit einer Beitragszeit von 5 Jahren bezogen werden. Die Invalidenrente bestand aus drei Teilen:

• einheitlicher Grundbetrag von der Versicherungsanstalt für grds.

jeden Rentner;

• einheitlicher Reichszuschuss zur Rente;

• beitragsabhängige Ergänzung des Grundbetrags durch die Versicherungsanstalt in Abhängigkeit der Beitragsdauer und Beitragshöhe.

Nur der dritte Bestandteil der Rente führte letztlich zu differenzierten Rentenhöhen. Die Altersrente unterschied sich von der Invalidenrente dadurch, dass kein einheitlicher Grundbetrag von der Versicherungs-anstalt gezahlt wurde und die beitragsabhängige Ergänzung niedriger ausfiel. Dies verdeutlicht wiederum den Zuschusscharakter der Rente.

Die Höhe der Beiträge orientierte sich an der Höhe des Arbeitseinkommens des Versicherten. Allerdings wurden nicht bestimmte Prozentsätze vom Arbeitseinkommen festgesetzt, sondern der Versicherte wurde einer von vier Lohnklassen zugeordnet. Die Beiträge variierten dann von 14 Pfennig wöchentlich in der niedrigsten Lohnklasse bis hin zu 30 Pfennig wöchentlich in der höchsten Lohnklasse. Als Folge der Festlegung absoluter Beitrage in Abhängigkeit einer Lohnklasse lässt sich ein einheitlicher, prozentualer Beitragssatz nicht errechnen. Effektiv schwankte der Beitragssatz etwa zwischen 1,3% und 2,7% des Arbeitseinkommens. Der prozentuale Beitragssatz wird mit durchschnittlich 1,7% angegeben. Wie heute war der Beitrag jeweils hälftig vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu tragen. Eine Hinterbliebenenversorgung existierte noch nicht. Die Witwen- und Waisenversorgung wurde erst im Jahr 1912 geschaffen und war zunächst beschränkt auf arbeitsunfähige Witwen.315

Die Geschichte der gesetzlichen Rentenversicherung von der Gründungsphase bis zur dynamischen Rente 1957 ist gekennzeichnet von zwei wesentlichen Merkmalen: Einerseits werden die Ungleichheiten der Behandlung von Arbeitern und Angestellten in der gesetzlichen Rentenversicherung stufenweise abgebaut.316 Andererseits ist die Rentenversicherung verursacht durch 1. und 2. Weltkrieg sowie Weltwirtschaftskrisen und inflatorischen Tendenzen sowie nicht zuletzt durch sozial- und arbeitsmarktpolitische Absichten von einer instabilen finanziellen Entwicklung geprägt. Darüber hinaus – also auch im Zeitraum nach 1957 – sind weitere Tendenzen erkennbar, nämlich die Ausweitung des von der gesetzlichen Rentenversicherung erfassten Personenkreises

Jahren, vgl. VDR (Hrsg.), [Zeitreihen 2002], Frankfurt am Main 2002, Kapitel 13, Tab.:

Entwicklung der (ferneren) Lebenserwartung und der Überlebenden in Deutschland.

Nach Angaben des VDR erreichten von 100.000 männlichen lebend Geborenen 1891/1900 gerade 31.294 das 65. Lebensjahr. Für 1997/1999 beträgt der Wert bereits 79.784.

315 Vgl. Döring, D., [System der gRV], Frankfurt am Main / New York 1980, S. 18ff.

316 Döring bezeichnet diese Tendenz als „Einheitlichkeit ohne Einheitsversicherung“, da die organisatorische Trennung weiterhin bestehen bleibt, vgl. Döring, D., [System der gRV], Frankfurt am Main / New York 1980, S. 30; Die „Rentenversicherung der Arbeiter“ wurde bis dahin als „Invaliditätsversicherung“ bezeichnet; vgl. Petersen, H.-G., [Ansatzpunkte], Gießen 1986, S. 47.

sowie Leistungsverbesserungen gefolgt von Beitragssatzanhebungen. Die Ausweitung des erfassten Personenkreises wurde auch im Hinblick auf finanzielle Engpässe der Rentenkassen durchgeführt. Derartige Sanierungsmaßnahmen können stets nur kurzfristiger Natur sein.317 Sie erhöhen die zukünftigen Anwartschaften der Beitragenden und führen nur zu einer zeitlichen Verlagerung des Finanzierungsproblems.

Durch das Invalidenversicherungsgesetz (IVG) kommt es 1899 zur ersten Reform. Die wesentlichen Neuerungen waren die Ausweitung des pflichtversicherten bzw. leistungsberechtigten Personenkreises318 und Anhebung der Leistungen. Als Finanzierungssystem war ein Anwartschaftsdeckungsverfahren, d.h. ein kapitalgedecktes und nicht umlagefinanziertes System vorgesehen.319

Im Jahr 1911 wurde das „Versicherungsgesetz für Angestellte“320 verabschiedet. Die Invaliden- und Altersversicherung von 1889 hatte im Wesentlichen nur Arbeiter und geringverdienende Angestellte einbezogen.321 Mit dem neuen Gesetz wurde die Einführung der Angestelltenversicherung zum 1. Januar 1913 mit einem selbständigen Versicherungsträger322 beschlossen.323 Sowohl die Leistungen als auch die Beiträge zur Angestelltenrentenversicherung waren deutlich höher als die der Arbeiterrentenversicherung.324 Im Lauf der Jahre haben sich die Rentenversicherung der Arbeiter und die Rentenversicherung der Angestellten in ihren Leistungen aneinander angeglichen. Seit 1957 sind sie leistungs- und beitragsmäßig vereinheitlicht.325

1917 hatte man in der Rentenversicherung ein Vermögen von etwa 2,5 Mrd. Mark angesammelt. Das entsprach etwa dem Zehnfachen einer

1917 hatte man in der Rentenversicherung ein Vermögen von etwa 2,5 Mrd. Mark angesammelt. Das entsprach etwa dem Zehnfachen einer

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