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Notizen und Correspondenzen.
Indischer Uegentenspiegel.
Episode ans der tamulischen Bearbeitung des Ramayanam,
2. Buch, 1 Kap. Strophe 5—22.
Von Hugo Sehanz.
5. Der, unausgesetzte Busstugend besitzende Vollkommene (d. i.
der Rischi Vasischta) blickte an den überaus Freigebigen (d.i. den
Rama), weleher die Wissenschaft besass, die festen Grund hat durch
die (in den Veden) gesagte (enthaltene) Richtschnur. „Aus gebüh¬
render Zuneigung wird der Beschützer (d. i. Tesarada, König von
Oude, Vater des Rama) dir, im Kampfe Mächtiger! morgen die
vier Welten (d. i. die Herrschaft über die Erde) übergeben", so
sagte er.
G. Und wiederum den Rama anblickend, begann er zu dem
Reichbekränzten zu sagen: „Ich habe etwas auszusprechen, eine
zuverlässige Sache, diese höre und fasse du wohl, (denn) es ist
eine gute Sache."
7. „Grösser als der dunkelfarbige Vishnu und der stirnäugige
Siva und der auf der ihm lieben Lotus Wohnende (d. i. Birma),
grösser als die (durch den Organismus) ausgebreiteten 5 Sinne, und
grösser als die (absolute) Wahrheit (d. i. der allein wahrhafte
Existenz habende Gott): sind die Brahminen; (darum) versorge
sie von Herzen !!!"
8. „Giebt es auch eine Gränze, o Kind, für die Verehrung
der Götter, die (gleichwohl) durch das Zürnen der Brahminen oder
durch ihre Huld (entweder) Ungemach leiden (oder) plötzlieh er¬
höhet werden?" (d. i. Die Götter muss mau ohne Aufliören ver¬
ehren; wie viel mehr die Brahminen, deren Segen und Fluch auch
die Götter unterworfeu sind!!!).
9. „Weil die Brahminen, o Herr, solche (so erhaben) sind,
so mögest du sie preisen und verehren als einer, der auf sein
Haupt den Fuss der Erhabenen (der Brahmineu) legt, welche dieser
(der auf der Erde im Schwange gehenden) heisseu (grimmigen)
Sünde entnommen sind. (Vor ihnen) stehend, Angenehmes sagend,
thue (ihuen) Agemessenes!"
704 Notizen und Corresjwndenxen.
10. „Weil das Geschick so steht (es so fügt), wie sie (die
Brahminen) Befehl gehen, dass Wohlstand entstehen oder verderben
soll: so ist ihr Befehl etwas Erhabenes nnd eine Hülfe dazu, dass
hinfort jedwedes Wesen hier und dort die Götter verehrt."
11. „Sollten sie (die Götter jemals ihre WaflFen, nämlich) das
rollende Rad (Waffe des Vishnu) und den glänzenden Dreizack
(Waffe des Siva) und das untrügliche Wort (d. i. Saraswati, die
Gemahlin und zugleich Waffe des Brahma), und die an den mäch¬
tigen Dreien deutlich vorhandene gute Tugend und die Gleich-
müthigkeit (Gerechtigkeit) und die Gnade (Huld, Liebe) fahren
lassen (d. i. wenn sie das je thäten!): würde ihnen (den Dreien
dann) irgend etwas (von Macht und Ansehen vorhanden sein (übrig
bleiben) ?
Anm, Der Sinn ist: So musst aucii du, o König, dies Alles haben
und festhalten, um die Welt glücklich zu machen und dein eigenes Ansehn aufrecht zu erhalten, nümlich das Kad der strafenden Gewalt, den Dreizack als Waffe und das Wort der klugen Kede, dazu Tugend, Gerechtigkeit und königliche Huld!
12. „Aus Lüge und der Aehnlichem hervorgehendes grosses
Unheil wird (nach den Büchern der Weissagung oder nach dem
gestellten Horoskop) dich , o gerechter Sohn, nicht befallen. Gleich¬
wohl mögest du bedenken, dass sie (die Lüge) Ursache ist zur Er¬
langung (Aufhäufung) alles dessen, was „Schuld" heisst."
13. „Sobald Jemand gesagt (bei sich beschlossen) hat, dass
er mit Niemandem zürnen will : so schwindet der Kampf (Zorn),
der Ruhm (eines Solchen) aber schwindet nicht ; seine Heeresmacht
nimmt nicht ab. Nachdem (dir von den Brahminen solche Gabe
der Friedensliebe) gegeben sein wird, wird (danu für dich) die
Nothwendigkeit mit Anderen unterzugehen (noch) vorhanden sein?"
(Antw. Nein!).
14. „(Wahre) Regierung ist es so zu regieren , dass man , um
die — Schuld herbeiführenden — fünf Sinne im Zaume zu halten (zu
dämpfen), täglich die Wahrheit im .A.uge behält, und dass man mit
(vor der Sünde) zitteiMider Geisteskraft (Cliaracterstärke) regiert."
15. „Obwohl die Könige so gewaltige Stärke besitzen, wie sie
dem Eheherm der Parvati (d. i. dem Siva) und dem 'Vishnu) des¬
sen Reitpferd der erhabene (Garuda-) Vogel ist, und dem mit den
nicht blinzelnden acht .\upen (d. i. dem Brahma mit vier Köpfen)
eignet, so ist ihr (der Köuige) Wandel (doch nur daun) ein (rechter)
Wandel , wenn sie gemäss dem Worte (Ratbe) der Grosseu (d. i.
der Br.ahminen) wandeln."
16. „Was nützt das die Schuld tilgende Ertöden der fünf Sinne,
' welche ein grausames Unheil sind für die (Wesen), welche Knochen
und Haut haben, und (ebenso auch) für die, welche es uicht ha¬
beu, — da doch ohue Liebe kein Heil jemals in deu drei Welten
(Himmel, Erde. Unterwelt) erlangt wird?" (Vt;l, dazu 1 Tor. 13, 3).
Notizen nnd Correspondenzen. 705
17. „So lange der König, der den Erdenbewohnern beides Seele
und Eeib ist, ohne Furcht in der Busstugend und in der diese be¬
wahrenden Wahrheit steht, ist (ihm dauu auch noch) Opfer noth?"
Anm. Der Sinn der ersten Hälfte der Strophe ist etwas dunkel, etwa:
Gleichwie im Leibe die Seele lebt, so leben im Könige die Erdenbewohner, er ist ihnen darum beides , Leib und Seele , nur in ihm haben sie wirkliches Leben.
18. „Wenn es von einem Könige heisst, dass er liebliche Rede
führt, ein reichlicher Geber ist, gute Anschläge hat, ein Vorsichti¬
ger und Heiliger, ein Erhabener nnd Siegreicher ist, und den vor¬
geschriebenen Gerechtigkeitspfad nicht überschreitet: ist für einen solchen König auch (noch) Untergang vorhanden?"
19. „Wird einem Erdenkönige, welcher, der richtigen Gold¬
wage gleichend, das Unheilige vertreibt und mit der unvergleich¬
lichen Wahrheit sich umgürtet, ausser der (rechten, günstigen) Zeit,
welche die Guten (d. i. die weisen Brabmiuen) ausersehen, irgend
etwas zustossen?"
Anm. Der Sinn ist: Zu Allem, was er voriiinmit, wird ihm eine gün¬
stige Zeit zu Theil werden, weil er nur gute, keine falschen Rathgeber er¬
langen wird.
20. „Dem liebreichen Könige, welcher weiss, dass das Wort
derer, welche durch Forschen rechtschaffene Kenntniss besitzen
fd. i, dass das Wort dir Brahmiueni ewige Wahrheit hat, und
(deshalb) denselben gränzenlose Gunst bezeigt, dem werden diese
Vortrefflichen (die Brahminen) eine Waffe (Schutzwehr) sein."
21. „Für deu König ist weder grausames Verderben noch die
Hölle vorhanden, weleher nicht fröhnt der Lust nach mit schönen
Halsjuwelen geschmückten Frauen, von denen die Leute sagen,
dass sie für die Erde (Erdenbewohncr) ein Unglück (oder verzeh¬
rendes Feuer) sind." —
22. Noch andre solche Gerechtigkeitssprüche dem die Erde
als Speise Habenden (d. i. dem Rama, welcher als Vishnu dereinst
die Erde verschlang) sagend, uahte sich der die Wahrheit (die Wesen¬
heit der Dinge) Kennende (d. i. der Kishi Vasishta) mit dem die
fünf Siune Beherrschenden (Rama) dem Orte des Ofönigs Tesaraden),
welcher 1000 Kronen hatte (und dadurch der auf ihren 1000 Kö¬
pfen 1000 Kronen tragenden Urschlange, .\disescha, dem Ruhe¬
polster des Vishnu, ähnlich w.ar).
Zu dieser für die Kenner indischer Anschauungen gewiss sehr
interessanten Episode sei hier in Kürze nur Folgendes hinzugefügt.
Sie ist - möglichst wöi-tlich — übersetzt aus der classischen Be¬
arbeitung der Ramasage in tamulischer Poesie durch den berühmten
Dichter der Tamulen Kampen, desseu Dichterruhm sprichwörtlich
so bezeichnet wird: „Selbst der Pfahl im Kuh.stalle des Poeten
706 Notizen und Correspondenzen.
Kampen versteht es, Verse zu machen." Seine Bearbeitung der
Ramasage, in 12,000 vierzeiligen Strophen mit oft wechselndem
Metrum (die Tamulen haben eine sehr ausgebildete Poetik und Me¬
trik), wird von Manchen dem Sanskritoriginale vorgezogen. Kampen
lebte (wann?) in der Nähe von Madura in S. Indien. Die mitge¬
theilte Episode ist dem 2. Buche, Ayodhyä-Kanta genannt, ent¬
nommen, und versetzt nns in die Zeit, da Tesarada, der berühmte
König von Ayodhyä, nachdem er selbst 60,000 Jahre regiert, den
Rama zu seinem Nachfolger ernannt hatte. Am andern Tage sollte
er zum König gekrönt werden. Da gab ihm Vasishta, der Haus¬
priester, zuvor die oben enthaltenen Ermahnungen. Abgesehen von
den gotteslästerlichen Anmassungen der brahminischen Priesterscbaft,
welche darin vorkommen, wird man zugestehen müssen, dass dieser
„Indische Regentenspiegel" auch vieles wahrhaft Vortreffliche enthält.
lieber einige Thiernamen im Assyrischen.
Von Eberh. Schräder.
Ich habe bereits an einem anderen Orte die Aufmerksamkeit
der Fachgenossen auf die Uebereinstimmung des Assyrischeu mit
den übrigen semitischen Sprachen auch was die Namen für Thiere
betrifft gelenkt. Ich wies hin auf die Benennung der Fische und
Vögel >) als Nun = hebr. ti: und i.ssur = hebr. iiei: arab.
f- , o ,
jjÄ*^, des Pferdes als ^irs = hebr. ciD; des Kameeies als
r. ^ ^
gammal =bn;, des weiblichen Kameeies als nakat =
r-, , (j-, Gc >
iü'J, des Kam eel, jungen als bakar ar. ^Ju; des Löwen
als aria = hebr. n--^ , aram. jl^p; des gemeinen Esels als imir
r.
= "linn , ^,uj> ; des W a 1 d e s e 1 s als pari = hebr. nie , des Rind¬
viehs als alap , alpu = hebr. tj^N , des K 1 e i n v i e h s (Schaafe
uud Ziegen) als Sin = hebr. -ns. Ich nahm auch Veranlassung,
bei dieser Gelegenheit eine höchst interessante Liste von Vögeln
zu erwähnen (II Rawl. 37), die neben dem Adler nasru = ic:
auch den Storch lakalak d. i. ar. ^.^JläJ verzeichnet. Es mag mir
an diesem Orte verstattet sein, die Aufmerksamkeit uoch auf eine
ähnliche Liste zu lenken, welche, wie jeue Namen von Vögeln, so
11 Siehe Keiliusfhi-iftcn und A. T. Giess. 1872. (KAT zu 1. Mos. 49, 9 (S 6(')ff1.