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Cannabis sativa. Diplomarbeit. Zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Naturwissenschaften. an der Karl-Franzens-Universität Graz

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Cannabis sativa

Ein Superfood im Schatten seiner Stigmatisierung?

Diplomarbeit

Zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Naturwissenschaften

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von DANIEL SCHWEIGER

am Institut für Biologie

Begutachterin: Ao.Univ.-Prof. Dr.phil. Maria Müller

Graz, 2021

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Danksagung

Eine Qualifikationsschrift wird in der Regel zwar von der Person verfasst deren Name sie auch trägt, aber es ist vermutlich selten wirklich die Leistung dieser einen Person allein, die für die Fertigstellung verantwortlich ist. Aus keinem geringeren Grund möchte ich diese Zeilen all jenen widmen, deren unbedingte Unterstützung eine tragende Säule in diesem Projekt war.

Zu Beginn möchte ich meinen herzlichen Dank, meiner Betreuerin Ao.Univ.-Prof. Dr.phil.

Maria Müller dafür ausdrücken, dass sie sich nicht nur der Aufgabe annahm meine Diplomarbeit zu betreuen, sondern wo auch immer und wann auch immer mit Rat und Tat bereitstand, um zu helfen.

Ein ganz besonderer, von Herzen kommender Dank gebührt meinen Freunden, egal ob nah oder fern, die ungeachtet dessen welche Herausforderungen sich vor mir auftun mir immer unterstützend zur Seite stehen. Hinsichtlich dieser Arbeit geht ein ganz großes Dankeschön an Doris und Nina, die mir motivierend und korrekturlesend beistanden – mit Ausnahme dieser Zeilen, das etwaige sprachliche Defizite erklären dürfte. Und natürlich auch Haui, langjähriger und treuer Studiumsgefährte, ohne den die Studienzeit nur halb so aufregend, aber dafür doppelt so produktiv gewesen wäre.

Auch meinem Arbeitsbündnis und Schicksalsgefährten, Anna und Mathias, möchte ich danke sagen, für die gemeinsame Zeit, all die Stunden der Verzweiflung, die wir gemeinsam durchlebten und die gemeinsamen Freuden und stundenlangen Diskussionen, die ich mit euch teilen durfte. Der Schreibprozess wäre ohne euch nicht derselbe gewesen.

Den größten Dank möchte ich gemeinsam mit dieser Arbeit meinen Eltern widmen, ohne die weder eine Zeile dieser Diplomarbeit noch mein Studium möglich gewesen wären und die mich all die Jahre bedingungslos unterstützten und meinen Weg finden ließen, wohin auch immer mich die Suche gerade führte.

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Kurzfassung

Das Ziel der vorliegenden Diplomarbeit besteht darin, mittels Beispielen und Belegen zu demonstrieren, über welchen wertvollen Nutzen die Jahrtausende alte Kulturpflanze Cannabis sativa verfügt, um zugleich auch ein differenzierteres Bild von der als

„Drogenpflanze“ stigmatisierten Feldfrucht zu zeichnen. So wird der Fragestellung, ob Cannabis sativa als ein Superfood angesehen werden kann, nachgegangen. Um diese zu beantworten, ist eine weitflächige Literaturstudie durchgeführt worden, die sich damit beschäftigte, die Nährstoffzusammensetzung der Samen von C. sativa zu ergründen und deren gesundheitsfördernde Wirkung und ihre Wirksamkeit gegen bestimmte chronisch- entzündliche Erkrankungen zu klären. Es stellte sich heraus, dass Hanfsamen durchaus eine besondere Nährstoffzusammensetzung aufweisen, von der im Speziellen das Verhältnis von Omega-6- zu Omega-3-Fettsäuren von 3:1 eine positive Wirkung auf die in der Regel viel zu hohe Aufnahme an Omega-6-Fettsäuren in westlichen Diäten ausübt.

Weiterführende klinische Studien an Patienten wären wünschenswert, um die zahlreichen und vielversprechenden Ergebnisse der gesundheitsfördernden Wirksamkeit aus In-vitro- und In-vivo-Studien auch in Humanstudien zu erproben und die dahinterliegenden molekularen Mechanismen besser zu erforschen.

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Abstract

This thesis contributes to the body of research on the value of Cannabis sativa as a crop, cultivated for several millennia, and aid in breaking a persisting stigma around a perceived primary usage as a gateway drug. Accordingly, this work explores the question whether Cannabis sativa can be regarded as a superfood by examining a wide variety of publications, which investigate the nutrient composition of hemp seeds, their positive effects on health, and their efficacy on certain chronic inflammatory diseases. The nutrient composition analysis of C. sativa seeds reports an omega-6 to omega-3 polyunsaturated fatty acids’ ratio of three to one (3:1). This data indicates that traditional western diets, usually too high in omega-6 polyunsaturated fatty acids, would stand to benefit from the consumption of this supplement. The implications of this study support further clinical research on patients to examine the promising, health-promoting results of the in vitro and in vivo studies on the human organism. Further, clinical trials will allow for a more detailed study of C. sativa’s underlying molecular mechanisms and benefits thereof.

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Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG ... 1

1. SUPERFOOD ... 3

1.1BEGRIFFSANALYSE ... 3

1.2.UNTERSCHIED ZU ANDEREN NAHRUNGSMITTELN ... 5

1.3.FUNCTIONAL FOODS ... 7

1.4.WARUM CANNABIS SATIVA EIN SUPERFOOD SEIN KÖNNTE ... 9

2. ZUR PFLANZE CANNABIS SATIVA ... 10

2.1.SYSTEMATIK UND TAXONOMIE ... 10

2.2.EINE KLEINE GESCHICHTE DES HANFES ... 14

2.2.1. Erster Kontakt mit Menschen ... 14

2.2.2. Verbreitung in Süd- und Südwestasien ... 17

2.2.3. Die Skythen und die Wanderung nach Westen ... 19

2.2.4. Verwendung als Nahrung ... 21

3. NÄHRSTOFFZUSAMMENSETZUNG DER SAMEN VON CANNABIS SATIVA ... 30

3.1.FETTSÄUREZUSAMMENSETZUNG ... 30

3.2.PROTEINE UND AMINOSÄUREN ... 32

3.3.KOHLENHYDRATE UND BALLASTSTOFFE ... 36

3.4.MINERALIEN UND SPURENELEMENTE ... 37

3.5.TOXISCHE ELEMENTE SCHWERMETALLE ... 39

3.6.SEKUNDÄRE PFLANZENSTOFFE ... 44

3.6.1. Terpene ... 45

3.6.2. Phenole ... 49

3.6.3. Terpenphenole – Phytocannabinoide ... 52

3.7.INHIBIERENDE KOMPONENTEN DER NÄHRSTOFFAUFNAHME ... 54

3.7.1. Phytinsäure ... 55

3.7.2. Kondensierte Tannine ... 56

3.7.3. Trypsin-Inhibitoren... 57

3.7.4. Cyanogene Glykoside ... 58

3.7.5. Saponine ... 59

4. GESUNDHEITSFÖRDERNDE WIRKSAMKEIT VON CANNABIS SATIVA UND IHRE WIRKSAMKEIT BEI ERKRANKUNGEN ... 61

4.1.KARDIOVASKULÄRE GESUNDHEIT ... 61

4.2.ERKRANKUNGEN DES ZENTRALEN NERVENSYSTEMS ... 65

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4.3.RHEUMATOIDE ARTHRITIS ... 68

4.4.DERMATITIS UND ANDERE ERKRANKUNGEN DER HAUT ... 69

5. DISKUSSION ... 71

CONCLUSIO ... 77

LITERATURVERZEICHNIS ... 78

INTERNETQUELLEN ... 87

TABELLENVERZEICHNIS ... 89

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Einleitung

Als sogenannter „Mörder der Jugend“ (Herer und Bröckers 2013, 202) oder als

„Einsteigerdroge Nr. 1“ ist Cannabis weitläufig bekannt. Das Cannabis sativa allerdings weit mehr kann als nur ein Rauschmittel zu sein ist zwar öffentlich zugängliche Information, dennoch scheint dieser Aspekt gerne zwischen reißerischen Schlagzeilen über ausgehobene Hanfplantagen und illegalen Marihuanakonsum verlorenzugehen.

Der Kreuzzug gegen die Nutzung von Cannabis als Kulturpflanze begann zirka Mitte des 20. Jahrhunderts, aufgrund einiger Unterarten mit psychoaktiver Wirkung (Herer und Bröckers 2013, 202-203). Es wurde zwar nicht jegliche Kultivierung verboten – Anbau von Industriehanf war in vielen Ländern noch erlaubt – aber das negative Image breitete sich schnell auf alle Vertreter der Art aus. Gegenwärtig scheint sich diesbezüglich ein langsamer aber stetiger Wandel im Denken der Gesellschaft abzuzeichnen. Immer mehr verschiedene Produkte, gewonnen aus Cannabis sativa, kommen auf den Markt. Das Nutzungsfeld dieser Produkte umfasst die verschiedensten Bereiche, angefangen von Verkleidungsteilen in der Automobilindustrie, Fassadendämmungen in der Bauindustrie bis hin zur Herstellung von Papier und Lacken. Aber auch in der Medizinforschung wird an den zahlreichen noch großteils unbekannten Inhaltsstoffen mit viel Interesse geforscht. Weiter wäre auch noch die Nutzung als Nahrungsmittel, welche den zentralen Fokus dieser Arbeit einnehmen soll, zu erwähnen.

In dieser Abschlussarbeit soll der Frage nachgegangen werden, ob Cannabis sativa als sogenanntes „Superfood“ angesehen werden kann. Dafür wird zuerst analysiert, wie die Begrifflichkeit „Superfood“ unter den Nahrungsmitteln einzuordnen ist und welche Eigenschaften mit dieser Zuschreibung einhergehen. In Kapitel 2 werden einerseits die Systematik und Taxonomie der Pflanze geklärt, da es hierbei innerhalb der Literatur zu bedeutenden Unterschieden kommt, und andererseits wird ein Blick in die Vergangenheit von Cannabis geworfen, mit besonderem Augenmerk auf ihre Verwendung als Nahrungsmittel. Im darauffolgenden Kapitel 3 wird die Nährstoffzusammensetzung der Samen von Cannabis sativa anhand der Erkenntnisse

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verschiedener Studien untersucht, um schließlich in Kapitel 4 zu prüfen, ob und, falls ja, welche gesundheitsfördernden Wirkungen die diätische Integration von Hanfsamen haben könnte. Abschließend werden in Kapitel 5 alle Ergebnisse zusammengetragen und diskutiert.

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1. Superfood 1.1 Begriffsanalyse

Der verhältnismäßig junge Begriff „Superfood“ wird vorrangig mit Ernährungstrends in Verbindung gebracht. Auf der Suche nach einer eindeutigen Begriffsklärung findet man eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen, die, wie es wirkt, den Begriff zwar in unterschiedlichem Wortlaut beschreiben, aber dennoch inhaltliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Beispielsweise beschreibt das Oxford Dictionary den Begriff folglich:

„Superfood ist ein nährstoffreiches Lebensmittel, welches als besonders nützlich für Gesundheit und Wohlbefinden angesehen wird“ (Oxford Dictionaries 2016 nach Schweiger und Haas 2020, 13). Das Europäische Informationszentrum für Lebensmittel (EUFIC 2012) definiert den Begriff folgendermaßen: „Lebensmittel, insbesondere Obst und Gemüse, die aufgrund ihres Nährstoffgehaltes einen höheren gesundheitlichen Nutzen als andere Nahrungsmittel haben“ (EUFIC 2012 nach Schweiger und Haas 2020, 13). Jedoch ist anzumerken, dass das EUFIC diesen Schluss nach genauerer Betrachtung mehrerer anderer Definitionen des Begriffs zieht.

Susanna Bingemer (2015), Foodbloggerin und Buchautorin beschreibt den Begriff folgendermaßen: „Bei Superfoods handelt es sich um Nahrungsmittel, die überall auf der Welt zu finden sind. Diese Lebensmittel, vorwiegend pflanzlichen Ursprungs, enthalten wertvolle Nährstoffe in ungewöhnlich hohen Konzentrationen“ (nach Schweiger und Haas 2020, 13). Wolfe (2009) definiert Superfood wie folgt: „Das sind Nahrungsmittel, die nicht nur eine oder zwei ganz besondere Eigenschaften besitzen, sondern ein ganzes dutzend [sic!] oder mehr“ (nach Schweiger und Haas 2020, 13-14).

Den verschiedenen Definitionen können Gemeinsamkeiten wie ein erhöhter Nährstoffgehalt, vorwiegend pflanzlicher Ursprung und, dass sie zwar keine Heilpflanzen sind, aber dennoch einen höheren gesundheitlichen Nutzen als „gewöhnliche“

Nahrungsmittel vorweisen sollen, entnommen werden. Letzteres ist im Besonderen hervorzuheben, da der Begriff „Super“ unter Umständen genau dieses Bild hervorrufen,

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beziehungsweise ein solches Bild fördern könnte. Es gibt daher durchaus auch kritischere Stimmen gegenüber der Begriffsverwendung Superfood:

Mit dem Marketingbegriff Superfoods werden in den letzten Jahren immer wieder Lebensmittel bezeichnet, die einen hohen Nährstoffgehalt aufweisen und besonders gesundheitsförderlich sein sollen. Superfood ist wissenschaftlich und rechtlich nicht definiert und damit auch nicht eindeutig zu fassen. Meist sind damit normale Lebensmittel gemeint, denen aufgrund bestimmter Inhaltsstoffe eine besondere gesundheitliche Wirkung zugesprochen wird. Vereinzelt liegen kleine Studien zu Effekten auf bestimmte Risikofaktoren oder das subjektive Wohlbefinden vor. Meist allerdings fehlen Belege für die behaupteten Wirkungen völlig oder die Aussagen stehen im Widerspruch zum wissenschaftlichen Kenntnisstand. Häufig als Superfood genannte Lebensmittel sind u. a. Aronia-, Goji- und Acaibeeren, Chiasamen, Weizengras und verschiedene Algen. (Matissek 2019, 60)

Auch Schweiger und Haas (2020) deuten in ihrem Buch an, dass der Begriff Superfood durchaus als Marketingbegriff verwendet wird. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass keine dieser Definitionen rechtlich bindend ist und gegenwärtig darf diese Bezeichnung auch nicht im Handel oder in der Bewerbung dieser Lebensmittel zur Verkaufsförderung verwendet werden (Europäische Kommission 2015 nach Schweiger und Haas 2020, 10).

Mit dieser Einschätzung sind Schweiger und Haas nicht alleine, denn auch andere Autoren heben hervor, dass die mediale Aufmerksamkeit, welche Superfoods zu Teil wird, durchaus auch dazu genutzt wird, eine höhere Wertigkeit zu suggerieren, um die Nahrungsmittel überteuert an Konsumentinnen und Konsumenten zu verkaufen (Geist 2016 nach Schweiger und Haas 2020, 127). Auch das Europäische Informationszentrum für Lebensmittel (2012) schreibt, dass das Voranstellen des Begriffs „Super“ durch die Medien implizit die Botschaft vermittle, dass andere Lebensmittel weniger gesund seien, selbst dann, wenn seitens des Nährstoffgehalts vergleichbare Werte vorzufinden sind. So liefern beispielsweise Karotten und Zwiebeln wertvolle Nährstoffe wie Betacarotin und Quercetin, stärkehaltige Produkte wie Reis, Brot oder Nudeln beinhalten in ihrer Vollkornvariante reichlich Ballaststoffe, von denen ein erwachsener Mensch mindestens 25g am Tag zu sich nehmen sollte. Alle eben erwähnten Nahrungsmittel besitzen auch den Vorteil der weitläufigen Verfügbar- und Erschwinglichkeit, die es ermöglicht, sie in

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regelmäßigen und ausreichenden Mengen konsumieren zu können, um damit von ihren Inhaltsstoffen zu profitieren (EUFIC 2012).

Zusammengefasst ist festzuhalten, dass auch bei Abwesenheit einer rechtlich bindenden Definition durchaus inhaltlich deckungsgleiche Beschreibungen des Begriffs zu finden sind. Gewarnt wird jedoch vor der suggerierenden Wirkung der Bezeichnung von bestimmten Nahrungsmitteln als „Super“, da diese die Wahrnehmung und Wertigkeit von nicht als Superfood bezeichneten Lebensmitteln unbegründet verzehren könnte.

1.2. Unterschied zu anderen Nahrungsmitteln

Dass der Verzehr bestimmter Nahrungsmittel eine Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden nach sich ziehen kann, wurde bereits im antiken Griechenland von Hippokrates beschrieben (Matissek 2019, 53-54). Ausgewogenheit und Nährstoffdichte sind wichtige Parameter, um den Körper gesund zu halten. Dieser Meinung sind auch viele Expert:innen und empfehlen daher die Aufnahme von reichlich Gemüse, Obst, Nüssen, Samen und Beeren (Geist 2016 nach Schweiger und Haas 2020, 126). Alles samt Nahrungsmittel, welche bekannt sind für einen hohen Anteil an Nährstoffen, die wichtig sind für zahlreiche verschiedene Stoffwechselprozesse.

Ein Hauptkritikpunkt an Superfoods ist, dass ein Großteil dieser medial stark beworbenen Nahrungsmittel Importprodukte aus Übersee sind und damit eine sehr schlechte Klimabilanz vorzuweisen haben (Geist 2016 nach Schweiger und Haas 2020, 126). Des Weiteren soll es genügen, einige wenige, gesunde Nahrungsmittel – diese finden sich auch unter regional produzierten Lebensmitteln – in die täglichen Essgewohnheiten aufzunehmen, um mehr Wohlbefinden und einen gesünderen Lebensstil zu kultivieren (Geist 2016 nach Schweiger und Haas 2020, 126). Bestärkt wird dies auch durch die Tatsache der unzureichenden Zufuhr an Obst und Gemüse vieler in Europa lebender Menschen, welche die täglichen Empfehlungen einer diversen und nährstoffreichen Nahrungsmittelaufnahme nicht erfüllen. Demnach würde nämlich ein höherer täglicher

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Konsum an Obst und Gemüse ohnehin das allgemeine Wohlbefinden merklich steigern (EUFIC 2012).

Eine Tatsache, welche man Superfoods bei aller Kritik dennoch nicht streitig machen kann, ist ihre besonders hohe Dichte an unterschiedlichen Nährstoffen, welche in mehreren wissenschaftlichen Studien belegt wird (Ho 1992; Bingemer 2015 nach Schweiger und Haas 2020, 126). Es ist durchaus eine Besonderheit, bestimmte Nährstoffe in einzelnen Nahrungsmitteln derart konzentriert vorzufinden.

Die EUFIC (2012) warnt aber auch davor, übersteigerte Erwartungen an Superfoods zu stellen und zu denken, eine vollständige, das Wohlbefinden steigernde Ernährung könnte gänzlich aus nicht mehr als einiger weniger Superfoods bestehen (EUFIC 2012). Denn auch wenn Superfoods über eine besonders hohe Dichte an unterschiedlichen Nährstoffen verfügen, muss die Frage berücksichtigt werden, wie wirksam sich diese Lebensmittel in eine alltägliche Ernährungsweise einbauen lassen und in weiterer Folge tatsächlich Gesundheit und Wohlbefinden beeinflussen können (vgl. EUFIC 2012).

Nichtsdestotrotz, unabhängig von der medialen Beflügelung einiger außergewöhnlicher Lebensmittel durch ihren großen Nutzen für die Gesundheit, hat die Wissenschaft gezeigt, dass bestimmte Inhaltsstoffe in Nahrungsmitteln mit großer Wahrscheinlichkeit eine positive Wirkung auf die Gesundheit haben. Letzten Endes zeigt sich dies auch in der Genehmigung einiger gesundheitsbezogener Angaben, welche die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit als überzeugend einstuft, aufgrund ihrer wissenschaftlichen Fundiertheit (EUFIC 2012). Ein prominentes Beispiel hierfür wären die Omega-3- Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) und deren anti- inflammatorische Wirkung, welche in einem späteren Kapitel eine detailliertere Erwähnung finden.

Eine Steigerung des Wohlbefindens und der Gesundheit öffnen selbstverständlich auch Tür und Angel für Vermutungen darüber, wie wirksam Superfoods gegen bestimmte Erkrankungen sein könnten bzw. sind. Hierzu muss vorab erwähnt werden, dass viele Ergebnisse aus Studien an Tieren (Gao et al. 2014; Xiao et al. 2011 nach Schweiger und

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Haas 2020, 127) oder im Labor und an Zellkulturen erzielt wurden (Pavan 2013; Martinez- Cruz und Paredes-López 2013 nach Schweiger und Haas 2020, 127) und daher nicht mit absoluter Sicherheit gesagt werden kann, ob diese Wirkweise auch für den Menschen gilt, „[…] wenn Superfood normal als Nahrung eingenommen wird und nicht einzelne Stoffe der Pflanzen als Konzentrate wirken können“ (Schweiger und Haas 2020, 127).

Auch Matissek (2019) teilt diese Ansicht und sagt, dass gewonnene Erkenntnisse aus Tierversuchen oder in Zellkulturen „lediglich Hinweise auf eine potenzielle Wirkung am Menschen“ liefern, nicht aber direkt auf diesen umgelegt werden können. Selbst wenn eine Vielzahl an Stoffen belegbare gesundheitsfördernde Wirkungen aufweisen und eine ähnliche Wirksamkeit am Menschen plausibel erscheint, fehlen dennoch aussagekräftige Daten aus Humanstudien, welche diese Wirkungen auch mit absoluter Gewissheit bestätigen würden (Matissek 2019, 54).

Zusammenfassend kann man sagen, dass Superfoods eine besondere Dichte und unter Umständen auch Zusammensetzung an Nährstoffen aufweisen. Superfoods machen gleichzeitig aber auch einen großen Teil gesunder und natürlicher Nahrungsmittel aus, welche eine wichtige Grundlage für eine gesunde Ernährung bilden (Schweiger und Haas 2020, 129). Exotische, aus Übersee stammende Lebensmittel sind kein unabdinglicher Bestandteil für eine ausreichende Versorgung mit bestimmten Nährstoffen, denn auch genügend regional produzierte Nahrungsmittel können aufgrund ihrer Nährstoffzusammensetzung und -dichte als Superfood klassifiziert werden. Nicht der Wert von Superfoods an sich ist infrage zu stellen, sondern der medial kreierte Hype, welcher dem Anschein nach Superfoods exotischen Ursprungs bevorzugt.

1.3. Functional Foods

Ein weiterer, dem Superfood definitorisch ähnlich lautender Begriff, ist der des

„functional food“, zu Deutsch „funktionelle Lebensmittel“. Als funktionelle Lebensmittel werden jene Lebensmittel bezeichnet, welche „neben ihrer Bedeutung als Lieferant von

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Energie und Nährstoffen einen darüberhinausgehenden gesundheitlichen Zusatznutzen aufweisen“ (Matissek 2019, 53). Rechtlich bindende Definitionen sind auch bei dieser Lebensmittelgruppe auf europäischer Ebene nicht vorzufinden, was laut Matissek (2019), auch künftig vermutlich nicht zu erwarten ist. Das bedeutet, dass für „functional foods“

dieselben rechtlichen Vorgaben gelten „wie für Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs“.

Anders sieht dies in Japan aus, wo diese Produkte ihren Ursprung haben sollen und ein gesetzlicher Rahmen zur Bezeichnung derselben besteht (Matissek 2019, 53).

Obwohl sich auf europäischer Ebene keine rechtliche Definition für diese Gruppe von Nahrungsmitteln etabliert hat, wurde in den 1990er-Jahren dennoch eine Kommission eingesetzt, deren Aufgabe es war, sich mit der wissenschaftlichen Grundlage solcher Lebensmittel zu beschäftigen. Ihr Augenmerk fiel dabei darauf, welche Inhaltsstoffe wichtig sind, in welchen Bereichen solche Produkte Einsatz finden könnten und welche wissenschaftlichen Nachweise der Wirkungsweise notwendig sind, um den ihnen zugeschriebenen positiven Mehrwehrt für Gesundheit und Wohlbefinden, „der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit“ und der „Prävention von Erkrankungen“

zu belegen (Matissek 2019, 54). Entfalten sollen funktionelle Lebensmittel diese Wirkweise in „verzehrtypischen Mengen“ (Matissek 2019, 54). Beispiele solcher Produkte wären probiotische Joghurts, mit Omega-3 Fettsäuren angereichertes Brot, mit Vitaminen angereicherte Säfte und phytosterolhaltige Margarinen (Matissek 2019, 54).

Ob und wann ein Nahrungsmittel als funktionell gilt, obliegt jedoch dem Anbieter, da es keine verbindliche Vorschreibung diesbezüglich gibt. Zu beachten ist dennoch, dass „die nährwert- und gesundheitsbezogene Bewerbung von Lebensmitteln in Europa einem Verbotsprinzip mit Erlaubnisvorbehalt“ unterliegt (Matissek 2019, 55). Das bedeutet, dass eine Vermarktung unter einer solchen Bewerbung erst dann rechtlich zulässig ist, nachdem das Produkt einen aufwändigen Prozess der Prüfung und Zulassung durchlaufen hat. Angaben zu einer über die gewöhnliche Funktion hinausgehenden Wirkung sind bisher nur begrenzt zugelassen worden. Beispiele solcher sind Milchprodukte und Margarinen mit Zusatz von Phytosterol, um einen erhöhten Cholesterinspiegel zu senken. Aufgrund möglicher Nebenwirkungen sind aber auch diese in Diskussion geraten (Matissek 2019, 55).

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Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass es sich bei „functional foods“ um natürliche Nahrungsmittel handeln kann, worin sie in ihrer Beschreibung den Superfoods ähneln oder aber um Lebensmittel, deren Nährstoffzusammensetzung gezielt verändert wurde (Matissek 2019, 54). Letzteres unterscheidet die Definition der Lebensmittel dieser beiden Gruppen eindeutig voneinander, da Superfoods Nahrungsmittel sind, welche in ihrer natürlichen Form diese Eigenschaften aufweisen, ohne in ihrer Nährstoffzusammensetzung oder -dichte verändert worden zu sein.

1.4. Warum Cannabis sativa ein Superfood sein könnte

Das Augenmerk dieser Arbeit liegt auf der Kulturpflanze Cannabis sativa und darauf, ob diese als Superfood angesehen werden kann und falls ja, welche gesundheitsfördernde Wirkung sie liefert. Im Kapitel zuvor wurde auf die Begrifflichkeit der Bezeichnung Superfood eingegangen und welche Konnotationen und Bedeutung mit dieser Betitelung einhergehen. In den nun folgenden Kapiteln wird die Systematik und Taxonomie der Pflanze und ihre bisherige Geschichte genauer betrachtet, um schlussendlich ein ganzheitliches Bild davon zu bekommen, warum, trotz des ihr nachgesagten Nährstoffreichtums, sie dennoch ein Nischenprodukt mit relativ geringer Nutzung als Nahrungsmittel ist.

Rupasinghe et al (2020) führen in ihrer Publikation auch an, dass die zahlreichen gesundheitlichen Vorteile, welche von kommerziellen Hanfprodukten beworben werden, bis dato noch nicht vollständig von der Wissenschaft belegt wurden und es da noch Aufholbedarf gibt. Diese gesundheitlichen Vorteile schließen zudem kosmetische Produkte mit ein und beziehen sich nicht ausschließlich auf Lebensmittel (Rupasinghe et al. 2020).

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2. Zur Pflanze Cannabis sativa

In diesem Kapitel wird einerseits beleuchtet, wo sich Cannabis sativa der Systematik nach eingliedert, aber auch eine klare Antwort auf die unterschiedliche, teils verwirrende Taxonomie gesucht, um schlussendlich zu klären, welche Nomenklatur in dieser Arbeit verwendet werden wird.

2.1. Systematik und Taxonomie

Die Familie der Cannabaceae (Hanfgewächse) besteht aus den Gattungen Cannabis, Humulus und noch weiteren acht: Celtis, Pteroceltis, Gironniera, Chaetachme, Lozanella, Aphananthe, Parasponia und Trema (McPartland 2018). Die letzteren acht gehörten davor der Familie der Celtidaceae an und wurden von der Angiosperm Phylogeny Group (2003) mit den Cannabaceae zusammengeführt. Diese Verschmelzung war aus morphologischer Sicht schwer nachvollziehbar, da Cannabis und Humulus krautige Pflanzen sind, die Gattungen der Celtidaceae aber hölzerne Bäume darstellen (nach McPartland 2018). Jedoch ergab eine DNA-Analyse der Chloroplasten durch Yang et al.

(2013), dass es sich bei den Cannabaceae wie auch Celtidaceae um eine monophyletische Gruppe handle (nach McPartland 2018). Damit besitzt die Familie der Cannabaceae jetzt ungefähr 170 Arten und, obwohl es den Gattungen nach logischer erscheinen würde, die Familie unter dem Name Celtidaceae zusammenzufassen, geschah dies letztendlich deswegen nicht, da der Name Cannabaceae älter ist und somit, den Regeln der Nomenklatur nach, den Vorrang hat (McPartland 2018).

Auf den Ebenen der Familie und Gattung ist die Hierarchie noch relativ eindeutig und einheitlich geklärt. Jedoch wird es auf Ebene der Art unübersichtlich und es scheint, als hätten Chaos und Willkür freie Hand. Aus morphologischer Sicht gibt es Arten mit längeren und faserigeren Stielen und Arten mit kürzeren und holzigen Stielen. Auch in der Form und Farbe der Blätter gibt es Unterschiede ebenso wie in den Blüten und der Frage, ob die Individuen monözisch oder diözisch sind. Die Arten mit den längeren und

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faserigeren Stielen werden unter C. sativa eingeteilt und seitens der Phytochemie ist ihr Gehalt an Delta-9-Tetrahydrocannabinol (D9-THC) > Cannabidiol (CBD). C. indica hingegen besitzt einen kürzeren und holzigen Stiel und der Gehalt an D9-THC < CBD. Dies bringt uns auch schon zum Kern des taxonomischen Problems und drängt die Frage auf, ob man C. sativa und C. indica, wie hier veranschaulicht, auf Ebene der Art oder auf Ebene der Unterart unterteilen sollte (McPartland 2018).

Die Einteilung der taxonomischen Ränge innerhalb dieser Hierarchie ist bekannterweise sehr subjektiv. Beispielsweise schrieb Darwin (1859), dass er sehr verblüfft über die Vagheit und Willkür der Unterscheidung zwischen Art und Varietät sei, denn aus seiner Perspektive war der Prozess der Evolution nicht mit dem Konzept der Trennung in taxonomische Ebenen vereinbar (nach McPartland 2018). Allgemein formuliert, soll die Trennung in Arten dazu dienen aufzuzeigen, ab wo eine Hybridisierung nicht mehr möglich ist. Jedoch entspricht das gerade bei Pflanzen leider nicht immer der Wahrheit.

McPartland (2018) erklärt dies anhand des Beispiels der Brassica napus (Raps), welche sich mit Brassica rapa (ein Kraut) kreuzen lässt. Denn B. napus hat ihr Transgen für Glyphosatresistenz an seinen krautigen Verwandten B. rapa weitergegeben (Warwick et al. 2008 nach McPartland 2018).

Im Zeitalter der Genomanalyse lassen sich Verwandtschaftsbeziehungen besser analysieren und klären. Dadurch verändert sich auch gelegentlich die Zugehörigkeit in und zwischen den Taxa. Eine Methode, die zur Trennung von Gattung, Art und Unterart verwendet werden kann und in der Regel auch wird, ist das DNA-Barcoding. Dabei wird die Abfolge der Basenpaare der DNA, ähnlich wie ein Strichcode, als kennzeichnend für eine bestimmte Art gesehen. Beispielsweise werden Äpfel und Orangen in unterschiedliche Gattungen und Arten eingeteilt und weisen einen DNA-Barcode-Gap von 18,07% in fünf Sequenzen auf (McPartland 2018). In seiner Publikation verglich McPartland (2018) den durchschnittlichen DNA-Barcode-Gap von fünf verschiedenen, aber verwandten Paaren, die sich nicht kreuzen können. Dieser lag bei 3,0% ± 0,3% und ist damit analog zur 2,7%-Grenze bei Tierarten. Der durchschnittliche DNA-Barcode-Gap bei fünf verschiedenen, aber verwandten Paaren, die sich kreuzen können, lag bei 1,0%

± 0,1%. Und letztendlich lag der durchschnittliche DNA-Barcode-Gap bei fünf

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Pflanzenpaaren, welche sich entweder auf Ebene der Unterart oder Varietät unterschieden, bei 0,43% ± 0,1% (McPartland 2018).

Der durchschnittliche DNA-Barcode-Gap zwischen C. sativa und C. indica liegt bei 0,406%

± 0,257% und gleicht somit dem durchschnittlichen Unterschied bei Pflanzen auf Ebene der Unterart oder Varietät. Schlussfolgernd kann gesagt werden, dass C. sativa und C.

indica nicht als zwei verschiedene Arten angesehen werden sollten, sondern als zwei Unterarten derselben Art (McParland 2018). Die korrekte Nomenklatur sollte also C.

sativa subsp. sativa und C. sativa subsp. indica lauten (Small und Cronquist 1976 nach McPartland 2018).

Es wurde von Small und Cronquist (1976) eine formelle Nomenklatur für C. sativa aufgestellt, welche seitdem eigentlich auch nicht ersetzt wurde. Ihr taxonomisches Konzept ist relativ einfach und besteht aus einem zweistufigen hierarchischen Klassifizierungssystem. Im ersten Schritt werden die Unterarten nach ihrem THC-Gehalt in den getrockneten weiblichen Blüten getrennt, wobei 0,3% THC als Grenze zur Trennung dient. In einem zweiten Schritt nehmen sie noch Rücksicht auf ihre Domestizierungsphase und unterscheiden noch jeweils zwei Varietäten innerhalb der Unterarten (Small und Cronquist 1976 nach McPartland 2018):

C. sativa subsp. sativa var. sativa (low THC, with domestication traits)

C. sativa subsp. sativa var. spontanea (low THC, wild-type traits)

C. sativa subsp. indica var. indica (high THC, domestication traits)

C. sativa subsp. indica var. kafiristanica (high THC, wild-type traits)

Für einen Großteil der Verwirrung bezüglich der Nomenklatur von Cannabis sativa ist der umgangssprachliche Gebrauch von „Sativa“ und „Indica“ verantwortlich, welcher auch auf zahlreichen Webseiten in dieser Form verwendet und verbreitet wird, ohne dabei Rücksicht auf organoleptische, morphologische oder phytochemische Eigenschaften zu nehmen. In dieser umgangssprachlichen Gebrauchsform wird „Sativa“ eine stimmungsaufhellende und belebende, psychoaktive Wirkung zugesprochen und darüber hinaus, bei Appetitslosigkeit, Kopfschmerzen und Übelkeit zu helfen. „Indica“

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soll eine entspannende und betäubende Psychoaktivität aufweisen und gegen Entzündungen, Schmerzen, Schlaflosigkeit, Epilepsie, Muskelkrämpfe und Grünem Star helfen. „Sativa“ soll auch einen höheren THC- als CBD-Gehalt besitzen und aufgrund des Terpenprofils süßer oder auch nach Kräutern riechen. „Indica“ andererseits wird in dieser Gebrauchsform zugeschrieben, mehr CBD als „Sativa“ zu produzieren, und beinahe ein 1:1-Verhältnis von THC zu CBD zu haben. Seitens des Geruchs wird „Indica“ eine eher miefende Note zugeschrieben (McPartland 2018).

Durch die unzähligen Hybridisierungen und dem Untereinander-Kreuzen ist auch der umgangssprachliche Gebrauch von „Sativa“ und „Indica“ weitgehend bedeutungslos geworden. Ein Beispiel, an dem sich diese Willkür zeigt, ist der Hybrid „AK-47“, welcher im Jahr 1999 den Cannabis Cup als „Best Sativa“ gewann und vier Jahre später die Auszeichnung für „Best Indica“ (McPartland 2018). Überdies gibt es noch eine weitere Art, welche in der Literatur zu finden ist und als C. ruderalis bezeichnet wird. Diese Bezeichnung Janischevskys (1924) beschreibt jedoch eigentlich Vavilovs (1922) als C.

sativa subsp. sativa var. spontanea bezeichnete Varietät und Vavilovs Bezeichnung hat aufgrund der früheren Einführung in der Nomenklatur natürlich wieder Vorrang (McPartland 2018).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass taxonomisch sehr unterschiedliche Bezeichnungen, sowohl auf Ebene der Art, Unterart und Varietät als auch aus morphologischer, organoleptischer und phytochemischer Sicht verwendet werden. Dies ist der Begriffsverwendung in der Umgangssprache geschuldet, manifestiert sich aber auch in der formellen Nomenklatur. Die beiden Welten in Einklang bringend ist „Sativa“

eigentlich die Unterart indica, „Indica“ ist in Wahrheit die Varietät afghanica und

„Ruderalis“ für gewöhnlich sativa und alle drei gehören einer Art an, Cannabis sativa L.

(McPartland 2018). In Anbetracht dessen wird in dieser Arbeit Cannabis sativa als Bezeichnung der gesamten Art verwendet.

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2.2. Eine kleine Geschichte des Hanfes

In diesem Kapitel soll ein grober Überblick über die gemeinsame Geschichte des Menschen und einer der ältesten Kulturpflanzen, welche die Menschheit schon seit Jahrtausenden begleitet, geboten werden. Dabei stehen ihre Nutzung und die insbesondere durch den Menschen bedingte weltweite Verbreitung im Fokus, gleichsam aber auch, wie sich der Bedarf der von ihr gelieferten Rohstoffe und deren unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten im Laufe der Zeit, besonders jedoch in den letzten Jahrzenten des vergangenen Jahrhunderts, änderte. Spezielles Augenmerk liegt dabei auf der Verwendung als Nahrungsmittel.

2.2.1. Erster Kontakt mit Menschen

Die ersten Kontakte zwischen Menschen und Cannabis sativa stammen vermutlich aus einer Zeit, noch bevor Menschen wussten, wie man Pflanzen kultiviert oder Tiere domestiziert. In ihrem Buch Cannabis: Evolution and Ethnobotany verorten Clarke und Merlin (2013) die Pflanze in einer historischen Zeit, in welcher sich menschliche Gruppierungen im Übergang vom Dasein als Jäger:innen und Sammler:innen zur Agrikultur befanden. Darüber hinaus stellen sie die Hypothese auf, dass Cannabis sativa als eine der ältesten Kulturpflanzen sogar eine Rolle darin gespielt haben könnte, wie einige kleine Menschengruppierungen durch Zufall die Möglichkeit entdeckten, für sie nützliche Pflanzen gezielt anzubauen (Clarke und Merlin 2013, 1).

Während der uns bekannte Ursprung der Mensch-Cannabis-Beziehung (verhältnismäßig) leichter durch Funde rekonstruierbar ist, erschwert gerade die zeitlich weit zurückreichende Beziehung die Rückverfolgung des tatsächlichen Ursprungs der Pflanze selbst, da sie dadurch ein sehr weites Verbreitungsgebiet besitzt. Aber auch unvollständige fossile Funde erschweren diese Datierung zusätzlich. Die allgemeine, für lange Zeit geltende Vermutung war – beruhend auf Wildpflanzen-Beständen – dass Cannabis sativa ihren endemischen, aber auch Kultivierungsursprung in Zentralasien habe, wo demnach auch der erste Kontakt mit Menschen vermutet wurde (Clarke und

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Merlin 2013, 26). Ergebnisse aus einer zum Zeitpunkt des Entstehens dieser Arbeit erst kürzlich veröffentlichten Studie liefern jedoch neue wissenschaftliche Erkenntnis darüber und versetzen den möglichen Ursprungsort der Pflanze als auch den der Mensch- Cannabis-Beziehung nach Ostasien, in die frühe Jungsteinzeit des heutigen nördlichen Chinas vor ungefähr 12.000 Jahren nämlich (Ren et al. 2021). Diese Theorie wurde bereits von Vavilov (1949-51) und etwas später auch Harlan (1975) vertreten, welche sich beide im Konsens darüber befanden, dass die eurasischen Steppen ein eher unbedeutender Ort für den Beginn von Domestizierungen und eine darauffolgende Landwirtschaft waren.

Daher vermuteten sie, dass die ursprüngliche Heimat des Hanfes im nördlichen China lag (nach Clarke und Merlin 2013, 86), was durch die Forschung von Ren et al. (2021) nun auch bestätigt wurde.

In ihrer Studie verwendeten Ren und Kolleg:innen (2021) Sequenzierungen des vollständigen Genoms von 110 verschiedenen Hanfpflanzenarten weltweiten Ursprungs, um das gesamte Spektrum wild wachsender Arten, historischer Cultivare und moderner Hybride, von sowohl THC-reichem als auch Faserhanf zu erfassen, und legten dabei einen besonderen Fokus auf Zentral- und Ostasien, da dort der Ursprung der Domestizierung der Pflanze vermutet wird (Small 2015; Clarke und Merlin 2013 nach Ren et al. 2021).

Tatsächlich stimmten alle DNA-Sequenzen mit dem Genpool einer wilden bzw.

verwilderten Art überein, welche auch heute noch im Nordwesten Chinas zu finden ist.

Dies lässt darauf schließen, dass alle heutigen Varietäten auf den Genpool eines domestizierten Vorfahren aus dieser Region in Ostasien zurückzuführen sind, dessen genetisch nächste Nachfahren noch heute als Wild- bzw. verwilderte Pflanzen in China wachsen. Diese Erkenntnis stimmt auch mit archäobotanischen Funden aus dieser Region überein (Ren et al. 2021). Die Beschreibung der wild wachsenden Cannabis Unterarten als möglicherweise verwildert rührt daher, dass es bei so alten Kulturpflanzen oft schwer ist, eindeutig festzustellen, ob es sich um eine tatsächliche Wildart oder eine aus der Kultivierung entkommene und wieder verwilderte Art handle. Dies trifft besonders auf eine Pflanze wie Cannabis sativa zu, die sehr geschickt darin ist, sich an eine Vielzahl gemäßigter und subtropischer Klimata anzupassen (Clarke und Merlin 2013, 18).

Interessant ist auch, dass mit dieser Entdeckung die Liste der antiken Domestizierungen in Ostasien um einen weiteren Vertreter ergänzt wird, denn aus diesem Teil der Welt

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stammen unter anderem auch Kulturpflanzen wie z. B. Soja, Reis, Kolbenhirse, der Pfirsich und die Aprikose (Doebley et al. 2006; Gepts 2014; Larson et al. 2014 nach Ren et al. 2021).

Zum ursprünglichen Nutzen, den unsere Vorfahren aus Cannabis sativa zogen, gibt es verschiedene Theorien und die Frage, ob es zuerst als Faser, Nahrung oder wegen seiner psychoaktiven Wirkung verwendet wurde, ist nicht vollends geklärt. Dennoch sollte erwähnt werden, dass die Nutzung als Droge für bewusstseinsverändernde oder spirituelle Erfahrungen vermutlich der Verwendung als Faser- und Nahrungsquelle nachzureihen ist (Clarke und Merlin 2013, 6 und 32). Eine Hypothese ist, dass aufgrund des unterschiedlich schnell voranschreitenden Verrottungsprozesses der Bestandteile des Sprosses die resistenteren, langen Fasern freigelegt werden und so von frühen Menschen gefunden und zur Herstellung von Tauwerk, Netzen oder anderer Gegenstände verwendet werden konnten (Clarke und Merlin 2013, 32). Klar ist jedenfalls, dass Cannabis sativa seit Jahrtausenden zur Fasergewinnung genutzt wird und auf sie als eine der ältesten, kultivierten Faserpflanzen verwiesen wird (Small et al. 1975;

Damania 1998 nach Clarke und Merlin 2013, 33).

Andererseits gibt es auch Theorien, dass Hanf vor der Verwendung als Faserpflanze bereits als Nahrungsmittel diente. Im Altertum des nördlichen Chinas zählten Hanfsamen gemeinsam mit zwei Hirse Arten (Setaria italica und Panicum miliaceum) und Buchweizen (Fagopyrum esculentum) zu den vier wichtigsten Feldfrüchten. Dies hielt an bis zur Kultivierung und Verbreitung von Reis (Oryza sativa) und der Sojabohne (Glycine max), welche beide vor ungefähr 3000 Jahren eingeführt wurden. In Gegenden, in welchen bereits andere Faserpflanzen existierten, wie z.B. in Südasien die Abacá (Musa textilis) oder Jute (Corchorus spp), wurde Cannabis sativa selten als Faserpflanze verwendet, weshalb von dort auch keine Faser Varietäten stammen (Clarke und Merlin 2013, 33).

Es geht jedenfalls deutlich hervor, dass die mannigfaltigen Nutzungsmöglichkeiten von Cannabis sativa sie verständlicherweise als eine kostbare und essenzielle Ressource für eine sich gerade erst niederlassende Menschheit positionierte. Darüber hinaus formte sie, als eine der ältesten Kulturpflanzen, die Geschichte eines Teils der Menschheit

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maßgeblich mit und es wird davon ausgegangen, dass sie sich vermutlich durch ihre denkbare Teilhabe an der Entdeckung des bewussten Anbaus einer Pflanze zur Produktion von Nahrung und anderen Rohstoffen am Legen des Grundsteins für die Entwicklung der Landwirtschaft einiger früher Kulturen beteiligte und damit in weiterer Folge auch an der Entstehung von Städten, Staaten und Zivilisation (Clarke und Merlin 2013, 30-31). Wo der tatsächliche Ursprung der Landwirtschaft liegt, ist jedoch noch nicht gänzlich geklärt und es gibt gegenwärtig auch keine definitive Antwort auf diese Frage. Auskünfte hierzu finden sich nur in Theorien, welche auf geschichtlichen Rekonstruktionen von archäologischen Funden und kulturellen Überlieferungen beruhen.

2.2.2. Verbreitung in Süd- und Südwestasien

In der heutigen Zeit gibt es Berichte darüber, dass Cannabis an zahlreichen Orten Südasiens, darunter der Norden Indiens und das nordwestliche Pakistan, wie auch entlang der Hänge des Himalayas von der Region Kaschmir im Westen bis zum nördlichen Burma im Osten ohne menschliches Zutun von selbst wächst und dies auf Höhen von bis zu 3000 m (Chopra und Chopra 1939 nach Clarke und Merlin 2013, 98).

Die Einführung von Cannabis und seine Verwendung als Rauschmittel im südlichen Asien – so wird anhand einer Reihe von Evidenzen vermutet – soll bei indoarischen Stämmen aus dem Westen Zentralasiens vor ungefähr 4000 Jahren seinen Ausgang genommen haben. Geschichtlichen Interpretationen zufolge sind kriegerische Nomaden, welche erfolgreiche Heerscharen kommandierten, aus den weiten Steppen Zentralasiens, den Wüsten und Bergen ihrer eigentlichen Heimat vor ca. 3700 Jahren aus aufgebrochen.

Diese sogenannten „arischen“ Nomaden reisten südwestlich in das östliche iranische Hochland Persiens und hielten von dort in Richtung Südwesten auf den indischen Subkontinent zu (Clarke und Merlin 2013, 98). Es handelt sich um eine Route, die bei einem Blick auf die Karte durchaus nachvollziehbar ist, da sie dadurch vermieden, die gewaltigen Gebirgsmassive Südostasiens zu queren, und stattdessen entlang der Gebirgskette wanderten. Jedoch gibt es tatsächlich auch Theorien, welche ebendiese Möglichkeit in Betracht ziehen, dass eine beachtliche Zahl der Nomaden den Hindu Kusch

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und das Himalaya-Gebirge auf den wenigen abgelegenen Pässen überquerten und im nördliche Pakistan, der Region Punjab, dem „Land der fünf Flüsse“, herunterkamen.

Beweise, welche diese Theorie stützen, gibt es allerdings nur wenige (Clarke und Merlin 2013, 98).

Einige dieser arischen Völkerwanderungen und der daraus folgende Import von Hanf nach Südasien könnte(n) vermutlich auch direkt aus dem Norden stammen. Denn zumindest eine zur Verwendung als Rauschmittel gedachte Aufbereitung von Cannabis sativa, nämlich Haschisch, hat sich möglicherweise aus nördlicher Richtung in den Süden Asiens ausgebreitet und es wird vermutet, dass dies vom südlichen Zentralasien aus geschah (Clarke und Merlin 2013, 98). Obwohl es den Anschein hat, dass die Kleidung der Arier hauptsächlich aus Wolle gefertigt war und sie Sesamöl als Hauptquelle für Öl verwendeten, gibt es Belege, dass sie bei ihrer Migration nach Indien Seile aus Bhanga verwendeten, was ihre native Bezeichnung für sowohl die Pflanze Cannabis als auch die daraus gewonnenen Fasern und das Rauschmittel ist (Burkill 1962; Basham 1959 nach Clarke und Merlin 2013, 98). Vermutungen legen nahe, dass sie vor der Verwendung von Sesamöl sehr wohl aus Hanfsamen gewonnenes Öl nutzten, da sie aus Sesam gewonnenes Öl vermutlich erst in Indien kennenlernten (Majumdar 1952 nach Clarke und Merlin 2013, 98). In Südasien jedoch setzten sich Hanffasern, wie bereits erwähnt, nie durch, was vermutlich dem Überfluss an bereits vorhandenen heimischen Naturfasern geschuldet war (Fuller 2008 nach Clarke und Merlin 2013, 98).

Obwohl es keine maßgeblichen Beweise für die Existenz von Cannabis in den Anfängen der mesopotamischen Zivilisation gibt, gehen Clarke und Merlin (2013) dennoch davon aus, dass der Südwesten Asiens und folglich auch die Mittelmeerregion sehr bald nach der Domestizierung des Pferdes vor mehreren Tausend Jahren in Kontakt mit Cannabis sativa kamen. Zwischen 3700 und 3500 v. u. Z. begannen Oberhäupter der antiken Maikop-Kultur des nördlichen Kaukasusgebirges, mit den damals erst kürzlich entstandenen Städten der Uruk-Kultur Mesopotamiens über anatolische Mittelsmänner Güter auszutauschen (Clarke und Merlin 2013, 100). Die Menschen der Maikop-Kultur trieben Handel in Richtung der nördlichen Steppen der Pontokaspis, der Region zwischen Schwarzem und Kaspischen Meer, mit neuartigen Metalllegierungen, welche die

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Entwicklung der Metallurgie vorangetrieben und zur Erfindung des ersten Wagens geführt haben könnten (Anthony 2007 nach Clarke und Merlin 2013, 100-101). Aus dem Süden bekamen sie, darauf deuten die Belege hin, Pferde, Wolle und Antilopenhäute, aber auch Cannabis könnte auf diesem Wege zu den Maikop gelangt sein und von dort aus eventuell auch über Russland weiter Richtung Europa (Clarke und Merlin 2013, 101).

Obwohl es nicht belegt ist, dass Hanf in der frühen Zeit mesopotamischer Zivilisation oder anderswo im südwestlichen Teil Asiens weit verbreitet war, vermuten Clarke und Merlin (2013) dennoch, dass sich mit steigendem Kontakt zu den Nomaden der eurasischen Steppen auch die Verwendung von aus Cannabis gewonnenen Produkten weiter in diesem großen Gebiet verbreitete. Vom asiatischen Mittelmeerraum und der arabischen Halbinsel aus soll es sich später auch nach Nord- und Ostafrika verbreitet haben. In Beit Shemesh nahe Jerusalem wurde ein Grab mit den Überresten eines 14-jährigen Mädchens und verbranntem Pflanzenmaterial gefunden, in welchem auch Cannabis enthalten war. Die Grabstätte wurde auf ein Alter von 1600 Jahren datiert und stammt vermutlich aus der späten römischen Zeit (Clarke und Merlin 2013, 103). Für die Verbreitung in Nord- und Ostafrika soll einige Jahrhunderte später die Migration muslimischer Gemeinschaften verantwortlich sein, welche Cannabis sativa hauptsächlich zur Produktion von Haschisch verwendeten (Du Toit 1980 nach Clarke und Merlin 2013, 103). Die Kultivierung von Cannabis zur Produktion von Haschisch soll beispielsweise in Ägypten bis weit ins 20. Jahrhundert stattgefunden haben (Clarke 1998 nach Clarke und Merlin 2013, 103).

2.2.3. Die Skythen und die Wanderung nach Westen

Die skythische Kultur wird mit alten Nomadenstämmen in Verbindung gebracht, welche zu ihrer Blütezeit ein großes Gebiet der Steppen- und Waldsteppenzone Eurasiens besiedelten. Heutzutage geht man davon aus, dass ihre frühe Migration und weite Verbreitung bedingt wurden durch den Klimawandel um 800 v. u. Z., während welchem sich die Luftfeuchtigkeit in verschiedenen Regionen der eurasischen Landmasse erhöhte und sich dadurch das Angebot an Weideland verändert haben könnte. Die mit dem klimatischen Wandel einhergehenden ökologischen Veränderungen während des 1.

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Jahrtausends v. u. Z. wirkten sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf die natürliche und kultivierte Verbreitung von Cannabis aus (vgl. Clarke und Merlin 2013, 83). Diesen im Wesentlichen reitenden Hirtenvölkern wurden kriegerische Neigungen und eine Vertrautheit mit Cannabis zugeschrieben. Als eine Quelle dafür kann beispielsweise Herodot (5. Jh. v. u. Z., Buch IV) schon beschrieb (nach Clarke und Merlin 2013, 83) genannt werden. Der Name „Skythen“ wurde ihnen ebenfalls von den Griechen gegeben, jedoch sollen sie anderorts unter zahlreichen anderen Namen bekannt gewesen sein (Clarke und Merlin 2013, 83). Die Annahme der Nutzung von Cannabis durch die Skythen wird auch durch archäologische Funde antiker Samen in Keramikgefäßen unterstützt, welche im Tal des Flusses Tiasmyn, in der heutigen Ukraine, entdeckt wurden (Pashkevich 1998a nach Clarke und Merlin 2013, 83).

De Candolle (1967) skizzierte bereits in seinem Buch Origin of Cultivated Plants, welches 1882 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, dass Cannabis sativa ungefähr 1500 v. u. Z., kurz vor dem trojanischen Krieg, durch die Skythen über Westasien und Russland nach Europa gebracht wurde (nach Clarke und Merlin 2013, 103). Auch Schultes (1970) bestätigt diese Theorie De Candolles, datiert sie jedoch mit 500 bis 600 Jahren früher auf ca. 3500 Jahren v. u. Z. (nach Clarke und Merlin 2013, 103).

Letztlich gibt es aber auch andere Theorien über die Verbreitung des Hanfes nach Europa.

So vertreten beispielsweise Clarke und Merlin (2013), aber auch Sherrat (1997) die Ansicht, dass Hanf, im Speziellen die Unterart indica, inklusive seiner Verwendung mit einer Reihe gemeinsamer kultureller Merkmale in den Anfängen der Bronzezeit zwischen 4000 und 3700 v. u. Z. über die Steppen Eurasiens bis nach Osteuropa verbreitet wurden (nach Clarke und Merlin 2013, 103). Darauf schließen sie aufgrund der Ähnlichkeiten in der nomadischen Hirtenwirtschaft, in den Haus- und Siedlungsformen, Waffentypen, Keramikstilen, aber auch Totenritualen, in denen Cannabis eine feste Rolle einnahm. Sie waren Traditionen, welche sich während der frühen Bronzezeit über die eurasischen Steppen verbreiteten. Dies ist wenig überraschend, da zu dieser Zeit allgemein vergleichbare und zu weiten Teilen miteinander interagierende Kulturen die Steppen von den Grenzen Chinas bis nach Mitteleuropa besiedelten. Archäologische Funde und andere Belege weisen darauf hin, dass Cannabis, in diesem Fall Cannabis sativa, im

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Westen Asiens und in großen Teilen Europas mit Sicherheit schon in der Eisenzeit angebaut und verwendet wurde, und in manchen Gebieten war dies bereits in der Bronzezeit der Fall. Überdies könnte es sein, dass in bestimmten Regionen Europas, wie z. B. dem Baltikum oder Nordwestrussland, die Verwendung von Hanf bereits vor der Jungsteinzeit passierte oder sogar bis in die Mittelsteinzeit zurückreichen könnte (Clarke und Merlin 2013, 103).

2.2.4. Verwendung als Nahrung

Cannabis sativa wurde ursprünglich von China aus in Korea eingeführt und Jahrtausende lang als Nahrungsmittel verwendet. Heutzutage ist in Südkorea der Anbau zur Gewinnung von Hanfsamen weitaus geringer als jener zur Fasergewinnung und die Samen und das Öl werden kaum als Nahrung konsumiert. In Nordkorea jedoch zählen Hanfsamen immer noch als ein Grundnahrungsmittel, insbesondere unter der ländlichen Bevölkerung (Clarke und Merlin 2013, 204). Laut Clarke und Merlin (2013) könnte der Grund dafür der Politik und der wirtschaftlichen Lage geschuldet sein und in Zusammenhang mit der Wohlstandslage stehen (Clarke und Merlin 2013, 204). So führen sie in ihrem Buch an mehreren Stellen aus, dass über die Jahrtausende Hanfsamen vielerorts und häufig als Nahrungsmittel für Hungersnöte und Armut gesehen wurden und durch ihre leicht verdaulichen Proteine und wertvollen essenziellen Fettsäuren ein wertvolles Grundnahrungsmittel darstellten (Clarke und Merlin 2013).

In Japan gibt es kaum historische Aufzeichnung über den Einsatz von Hanfsamen als Nahrungsmittel und auch in der Gegenwart ist der Verzehr eher eine Seltenheit.

Vollkommen anders sieht es im Anbau zur Fasergewinnung aus, denn diese soll laut Nishida (2002) bereits seit der Einführung in Japan in der Jōmon-Zeit (ca. 13000-300 v. u.

Z.) bis heute anhalten (nach Clarke und Merlin 2013, 205). Archäologische Funde von Samen deuten darauf hin, dass Cannabis sativa bereits vor ungefähr 10000 Jahren in der Geschichte Japans eine Rolle spielte (Okazaki et al. 2011; Kudo et al. 2009 nach Clarke und Merlin 2013, 205).

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Auch wenn Hanfsamen im gegenwärtigen Japan eine eher geringe Rolle in der Ernährung einnehmen, finden sie sich dennoch als Teil gewisser Gewürze vor, wie z. B. in Shishimi, eine Gewürzmischung, welche aus sieben verschiedenen Gewürzen besteht und als Würzung in der Zubereitung von Udon Nudeln dient. Reis und Soja sind bekannte japanische Grundnahrungsmittel mit einer langen Geschichte, aber auch Hanfsamen trugen einen kleinen geschichtlichen Teil zur traditionellen japanischen Ernährung bei und kamen als Zusatz bei Gemüsen und Haferbrei zum Einsatz (Clarke und Merlin 2013, 205). Insbesondere während der Feudalzeit Japans waren Hanfsamen für die Ernährung der Armeen sehr wichtig und es ist überliefert, dass sie oft von nicht mehr lebten als einer Kugel gemahlenen Hanfsamen vermengt mit braunem Reis (Olsen 1997 nach Clarke und Merlin 2013, 206). Des Weiteren wird auch die Verwendung als Medizin und Tierfutter (insbesondere Vögel) in historischen Aufzeichnungen beschrieben (Clarke und Merlin 2013, 206).

Die Menschen, welche in den nordwestlichen Gebirgsausläufern des Himalayas in Nepal und Indien lebten, haben für viele Jahrhunderte Hanfpflanzen zur Gewinnung der Fasern und auch zum Rösten und Verzehr der Samen angebaut (Watt 1908 nach Clarke und Merlin 2013, 206). Im heutigen Indien werden Hanfsamen immer noch von vielen in Armut lebenden Menschen gegessen. Es gibt einige klassisch indische Gerichte, in welchen Hanfsamen eine Zutat darstellen. Beispiele hierfür sind Bosa, welches aus Fingerhirse (Eleusine indica) und Hanfsamen besteht, und Mura, in welchem getrockneter Weizen gemeinsam mit Amaranth, Reis und Hanfsamen vermengt wird.

Hanfsamen werden in Indien als Zusatz von Speisen gesehen, welche Gemüse verdaulicher machen und Gerichte im Allgemeinen vervollständigen (Robinson 1996 nach Clarke und Merlin 2013, 206).

Im alten Persien, heutiger Iran, wurden Hanfsamen dem Anschein nach seit ungefähr dem 10. Jahrhundert als Nahrungsmittel und Öl verwendet. Einige alte literarische Fragmente deuten auf die wirtschaftliche Nutzung von Cannabis sativa, jedoch als Öl und nicht als Faser, hin. Im Bundahishn, dem „Buch der Urschöpfung“, welches als Quelle des zoroastrischen Glaubens und ebendieser Mythologie gilt, finden sich Erwähnungen vieler Pflanzen, aus welchen nützliche Öle gewonnen werden können, und unter diesen findet

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sich auch Cannabis sativa wieder. Der Beginn der Nutzung von Hanfsamen im alten Persien, so wird es vermutet, soll jedoch noch viele Jahrhunderte früher begonnen haben (Clarke und Merlin 2013, 206).

Immanuel Löw (1926) berichtet von einer Speise in Persien aus dem 6. Jahrhundert mit dem Namen Sahdanag, das übersetzt in etwa „königliches Korn“ oder „Korn des Königs“

bedeutet, in welchem Hanfsamen als eine der Zutaten verwendet wurde. Er berichtet auch weiter, dass das jüdische Volk eine lange und wertvolle Beziehung zur Pflanze Cannabis sativa hatte, welche es Q’aneh-bosm nannte. Es lernte auch die Zubereitung von Sahdanag von den Perser:innen und war verantwortlich für den Erhalt dieses Namens vor langer Zeit (Löw 1926 nach Bennett 1999 nach Clarke und Merlin 2013, 206).

Die Reise dieser aus gerösteten Hanfsamen bestehenden und von jüdischen Leuten adoptierten Speise war damit jedoch noch lange nicht an ihrem Ende angelangt. Denn jüdische Einwander:innen brachten diese im Mittelalter mit nach Europa, wo sie sich unter der dort lebenden Bevölkerung großer Beliebtheit erfreut haben soll (Clarke und Merlin 2013, 206). Lev und Amar (2006) zufolge wurden die Samen von Cannabis sativa und auch andere aus der Pflanze gewonnene Produkte als ärztliche Verordnungen von der jüdischen Gemeinschaft im mittelalterlichen Kairo in Ägypten verschrieben (Lev und Amar 2006 nach Clarke und Merlin 2013, 206). Um die Geschichte von Cannabis sativa in Süd- und Südwestasien der vergangenen Millennia genauer zu ergründen, fehlt noch einiges an archäobotanischer und geschichtlicher Aufarbeitung dieses Teils der Erde (Clarke und Merlin 2013, 206).

Uralte Funde der Reste von Hanfsamen können an zahlreichen Orten in Europa verzeichnet werden. Die meisten dieser stammen aus der Zeit zwischen dem Mittelalter und der Römerzeit und einige reichen sogar bis in die Eisenzeit (ca. 1200-332 v. u. Z.) zurück. Der deutsche Archäologe Hermann Busse fand 1896 in einem Grab in Wilmersdorf in Deutschland eine Vase, deren Ursprung auf das 5. Jahrhundert v. u. Z.

datiert wurde und die mit Sand und pflanzlichen Überresten gefüllt war (Reininger 1967 nach Clarke und Merlin 2013, 206). Der Botaniker Ludwig Wittmack untersuchte diese Überreste und konnte darin die Samen und deren Perikarp von Cannabis sativa identifizieren (Clarke und Merlin 2013, 206). Diese Entdeckung wurde von Busse im Jahr

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1897 der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte gemeldet, schlussfolgernd, dass Hanf bereits in der Urgeschichte des nördlichen Europas bekannt war (Clarke und Merlin 2013, 206).

Porcher (1863) verwies bereits darauf, dass unter den Völkern Polens und Russlands, selbst die Oberschicht, Hanfsamen quetschen oder rösten, salzen und damit Brote zum Verzehr belegen, verbreitet war (nach Clarke und Merlin 2013, 206). Es gibt darüber hinaus zahlreiche ethnographische Verweise auf die Zubereitung und den Verzehr von Hanfsamen unter den baltischen und osteuropäischen Völkern. Zum Beispiel wurden in Polen Hanfsamen geschmort und dem in Klöstern, Kasernen und unter den weniger einflussreichen Leuten üblichen und beliebten Haferbrei beigemengt (Dembinska 1999;

Zajaczkowa 2002 nach Clarke und Merlin 2013, 206). Viele dieser Verweise stehen aber auch in Verbindung mit der rituellen Nutzung von Hanf und betreffen dessen berauschende Wirkung (Clarke und Merlin 2013, 206).

In weiten Teilen Litauens und Lettlands, aber auch der Ukraine und Polens, wird eine Suppe, zubereitet aus Hanfsamen und bekannt als Semientiatka, als festliche Speise am Weihnachtsabend gegessen (Clarke und Merlin 2013, 207). Im 18. Jahrhundert wurden Kartoffeln mit ihrer Einführung in Litauen schnell zu einem Grundnahrungsmittel. In der Region Zemaitija werden diese gemeinsam mit Hanfsamen als Mahlzeit serviert (Ambrazevicius 1996 nach Clarke und Merlin 2013, 207). In Estland wurden Hanfsamen auf traditionelle Weise mit Butter, Milch und Haferbrei zubereitet (Kokassar 2003 nach Clarke und Merlin 2013, 207) und in Finnland wurden sie zu Mehl gemahlen, gemeinsam mit Buchweizen, Gerste und Salz vermengt und dienten als Dip für gekochte Rübenwurzeln. Auch in Zeiten von Knappheit an Getreidemehl verwendete die finnische Bevölkerung oft Hanfmehl, um Mehl zu strecken und Brot zu backen (Ahokas 2007 nach Clarke und Merlin 2013, 207).

Ebenso war das aus Hanfsamen gewonnene Öl von großer Bedeutung für die traditionellen Gesellschaften Russlands, Polens, Finnlands und anderer osteuropäischer Länder. Hanfsamen wurden in Finnland zum Beispiel als Brennstoff für Lampen, in der Produktion von Lack und als Rohmaterial für Seifen verwendet (Laitinen 1996 nach Clarke

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und Merlin 2013, 207). Des Weiteren waren in Osteuropa die aus Schlafmohn (Papaver sominferum) und Hanf gewonnenen Öle besonders in der Verwendung als Speiseöle wichtig aufgrund der mancherorts bestehenden religiösen Restriktionen, welche die Zubereitung von Speisen mittels aus Tieren gewonnenen Fetten verbot. In Russland wurden traditionellerweise nur wenige andere Fette neben Butter, Hanfsamenöl und importiertem Olivenöl verwendet (Mack und Surina 2005 nach Clarke und Merlin 2013, 207). Hanfsamen selbst oder das aus ihnen gewonnene Öl wurde(n) in den verschiedensten Speisen genutzt, entweder wurden sie direkt in die Gerichte eingearbeitet oder das Öl wurde zum Braten der Speisen eingesetzt. Darüber hinaus waren Hanfsamen als Teil von Zuwendungen oder Spenden an Bedürftige im 16.

Jahrhundert weit verbreitet (Smith und Christian 1984 nach Clarke und Merlin 2013, 207).

In der russischen Geschichte reichen Hanfsamen weit zurück und gelten als uralte Kulturpflanze mit einer Reichweite bis weit in den Norden. Sie sind sogar im Domostroi vorzufinden, das übersetzt so viel wie „Hausregeln“ oder „häusliche Ordnung“ bedeutet und eine Sammlung von 43 russischen Manuskripten ist, welche ursprünglich vermutlich in den 1550er-Jahren verfasst wurde und bis ins 19. Jahrhundert im Gebrauch war. Das Sammelwerk beschreibt, wie ein ordentlicher, russischer, christlicher Haushalt zu führen ist (Pouncy 1994; Khorikhin 2001; Kolesov 2001 nach Clarke und Merlin 2013, 207). In den Kapiteln über Nahrungsmittel wird angegeben, dass Vorräte an Hanfsamen und Hanfsamenöl zuhause zu lagern sind, und es beinhaltet auch Rezepte zu Speisen, deren Zubereitung diese enthalten (Pouncy 1994 nach Clarke und Merlin 2013, 207). Hanf zählte gemeinsam mit einigen anderen Getreiden als eines der wichtigsten Exportprodukte Russlands und dies für Jahrhunderte. Speziell in den Jahren von 1758 bis 1762 waren sie Russlands Hauptexportgüter (Davidyan 1972 nach Clarke und Merlin 2013, 207), bis dies schließlich um die Wende zum 20. Jahrhundert stark abnahm, da der inländische Verbrauch stark anstieg und es zur Hauptquelle für essbare Fette wurde.

Besonders die ländliche Bevölkerung in Zentralrussland war darauf angewiesen, denn Rinder- und Schweinefett waren sehr rar (Clarke und Merlin 2013, 207). Die flächenmäßig größte Kultivierung von Cannabis sativa in Russland erfolgte im Jahr 1925 und betrug ungefähr 816.910 Hektar (Grigoryev 2007 nach Clarke und Merlin 2013, 207).

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Im Mittelmeerraum und den westlichen Regionen Europas reichen literarische Belege zur Existenz und Nutzung von Hanf auch weit zurück. Laut Butrica (2006) belegen schriftliche Überlieferungen, dass Hanfkuchen (vermutlich der Presskuchen, welcher nach der Ölextraktion überbleibt) bereits im 4. Jahrhundert v. u. Z. konsumiert wurde. Ephippus, ein Dichter von Komödien, verfasste Aufzeichnungen über Snacks, sogenannte Tragêmata, welche während Zusammenkünften (bekannt als Symposia) gereicht wurden, bei denen Männer zusammenkamen, um zu diskutieren, anzugeben, zu feiern und auch sich zu verschwören. Diese Treffen wurden begleitet von Speis und Trank und eine der Speisen war etwas, das den Namen Kannabides trug und ein Zuckerwerk aus Hanfsamen und Honig darstellte (Butrica 2006 nach Clarke und Merlin 2013, 207).

Mehrere Jahrhunderte später erfahren wir durch den bekannten römischen Arzt Claudius Galen, welcher von 129 bis ca. 216 u. Z. lebte, dass auch zu dieser Zeit noch Kuchen verzehrt wurden, welche Hanfsamen beinhalteten, und diese in Leuten ein Gefühl von Begeisterung und Wärme hervorriefen (Clarke und Merlin 2013, 207).

Claudius Galen war ein anerkannter Gelehrter und Schriftsteller, der dem berühmten griechischen Arzt Hippokrates nacheiferte und sogar der Leibarzt Mark Aurels, dem römischen Kaiser von 161 bis 180, war. Seine Schriften hatten einen weiten und langen Einfluss auf medizinische Praktiken in Europa, welcher über seine eigene Zeit hinaus bis ins 16. Jahrhundert reichte. Unglücklicherweise fielen die meisten seiner Werke Bränden zum Opfer. Bekannt ist jedoch, dass Galen in seiner De Facultatibus Alimentorum (Über die Eigenschaften von Nahrungsmitteln) ein Dessert auflistet, das Hanfsamen enthält (Galen 2003; Brunner 1973; Butrica 2006 nach Clarke und Merlin 2013, 207). Serviert wurde dieses Gericht hauptsächlich in der Form kleiner Kuchenstückchen auf Banketten und soll sich großer Beliebtheit erfreut haben. Die beschriebenen Wirkungen nach dem Verzehr umfassten Heiterkeit (Watt 1908; Gerard 1633 nach Clarke und Merlin 2013, 207) und ebenso erhöhtes Durstgefühl und Trägheit, wenn im Übermaß konsumiert (Lewin 1964 nach Clarke und Merlin 2013, 207). Wenn diese Zuckerwaren jedoch, wie von Galen angeführt, Euphorie und Entspannung hervorriefen, dann enthielten sie neben Samen vermutlich auch die Infloreszenzen der Pflanzen, in welchen sich die psychoaktiven Stoffe befinden (Clarke und Merlin 2013, 207).

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Auch weiter westlich in Europa wurden frühe Funde von Hanfsamen-Überresten zutage getragen. Eine dieser Fundstätten war am Grunde des Boulou Tals im südwestlichen Frankreich bei der Al-Poux-Stätte und die Hanfsamen-Funde wurden auf die späte Eisenzeit vor ungefähr 2100 Jahren datiert. Gegenwärtig zählt dieser Fund zu den ältesten in Westeuropa (Bouby 2002 nach Clarke und Merlin 2013, 207).

Meerschaert et al. (2007) berichten von Funden von Hanfsamen in den Stadtmauern des 17. Jahrhunderts der Stadt Damme in Westflandern, Belgien (nach Clarke und Merlin 2013, 207). Diese und weitere Hanfsamen-Funde in Belgien, England, den Niederlanden, Deutschland, Frankreich, der Schweiz und weiteren westeuropäischen Ländern legen nahe, dass Cannabis sativa spätestens seit dem Mittelalter für die Gewinnung von Fasern, Samen und Öl kultiviert wurde (Clarke und Merlin 2013, 207-208). Im Westen der Niederlande zum Beispiel fand Bakels (2005) alte Hanfsamen in mehreren frühmittelalterlichen Kontexten und verwies daher darauf, dass Cannabis sativa eine weiterverbreitete Kulturpflanze in vor allem feuchteren Regionen dieser Zeit war (Bakels 2005 nach Clarke und Merlin 2013, 208). Hanfsamen wurden an einer Vielzahl an Ausgrabungsstätten gefunden, welche vom 7. Jahrhundert bis ins frühe 20. reichen.

Zumeist wurden sie in Klärgruben gefunden, was darauf hindeutet, dass sie primär zur Produktion von Fasern für Tauwerk und Samen für Öl gepflanzt wurden. Ein niederländisches Beratungsunternehmen dokumentierte in einem Bericht eine durchaus aufschlussreiche archäobotanische Entdeckung, bei der zerstoßene Hanfsamen in einer mittelalterlichen Ausgrabungsstätte in Lochem, einer Gemeinde der niederländischen Provinz Gelderland, gefunden wurden und darauf schließen lassen, dass dies Überreste einer Ölpressung sein könnten (De Man 1996 nach Clarke und Merlin 2013, 208).

Natürlich legte diese uralte Kulturpflanze auch den Weg über den Atlantischen Ozean zurück und schaffte es, in der Neuen Welt Fuß zu fassen. Im Grunde genommen wurde Cannabis sativa in Nordamerika sowohl zur Gewinnung von Samen als auch der Fasern von den Anfängen der Siedler- und Kolonialzeit bis zum Verbot im 20. Jahrhundert angebaut. Osteuropäische Siedler:innen brachten die Hanfsamen mit sich und pflanzten sie, als sie in die weiten Prärie-Regionen emigrierten. Aber nicht nur die osteuropäischen Einwander:innen, welche die Samen zur Erzeugung von frischem Öl, zum Backen oder für

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traditionelle Gerichte verwendeten, führten Cannabis mit sich, sondern auch Einwander:innen chinesischer Herkunft, die ohnehin eine lange Historie im Verzehr von Hanfsamen für medizinische und diätische Zwecke hatten (CHTA/ACCC 2004 nach Clarke und Merlin 2013, 208). Nach jahrelangen, mit der Regierung abgesprochenen Studien legalisierte Kanada 1998 wieder den Anbau von Hanf zu Zwecken der Nahrungsmittel- und Fasererzeugung (Clarke und Merlin 2013, 208). Die US-Regierung ließ sich damit 20 Jahre länger Zeit und erst mit Dezember 2018 nahm sie Hanfsorten, welche sehr geringe Konzentrationen des psychoaktiven Bestandteils Delta-9-Tetrahydrocannabinol (nicht mehr als 0,3% im Trockengewicht) aufweisen, von der Liste der kontrollierten Substanzen, auf welcher 1937 alle Cannabis-sativa-Unterarten ungeachtet dessen landeten, ob sie überhaupt als Rauschmittel eingesetzt werden können oder nicht (Abernathy 2019; Clarke und Merlin 2013, 208). Seitdem ist es bundesweit wieder möglich, Hanf als industriell genutzte Kulturpflanze zu kultivieren.

Auch hinsichtlich der psychoaktiven Cultivare gab es bisher (August 2021) im Großteil der Bundesstaaten der USA Veränderungen und Schritte in Richtung Entkriminalisierung bis hin zur Legalisierung (DISA 2021). Dies könnte sich auf den Rest der Welt auswirken, da die USA 1937 ihr Verbot Jahrzehnte vor dem internationalen Verbot 1961 durch die UN- Konvention in Kraft setzten und in der Zeit dazwischen möglicherweise auch stark für ein internationales Verbot plädierten. Ein gegenteiliger Effekt könnte auftreten und internationale Lockerungen könnten die Folge sein, wenn eine einflussreiche Nation diesen Weg vorangeht. Denn das negative Image, mit dem Cannabis sativa zu kämpfen hat, wirkt sich auch auf Industrien und Wirtschaftszweige aus, welche fernab jeglicher psychoaktiven Nutzung positioniert sind.

In Frankreich und Osteuropa war das Kultivieren von Faserhanf-Cultivaren kommerziell während des gesamten späten 20. Jahrhunderts möglich. Jedoch war die Produktion viel zu kostspielig für die Verwendung als Nahrungsmittel. In Nordamerika war Jahrzehnte lang Kanada der einzige Hanfsamenproduzent und die bepflanzte Fläche wuchs von 2370 Hektar 1998 auf 19.458 Hektar im Jahr 2006 an (Alberta Government 2007 nach Clarke und Merlin 2013, 209). Interessanterweise brach der Anbau 2007 wieder auf 11.569 Hektar ein, da es an Verarbeitungseinrichtungen für Schaft und Fasern der Hanfpflanzen

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fehlte. Darüber hinaus litt die Kulturpflanze trotz ihres von der Regierung freigegebenen Wiedereinsatzes immer noch unter der Assoziation mit dem schlechten Ruf der mit ihr nah verwandten bewusstseinsverändernden Cultivare, welche gemeinhin als Marihuana bekannt sind (Alberta Government 2007 nach Clarke und Merlin 2013, 209).

Nichtsdestotrotz war der Anbau zur Gewinnung von Samen und Fasern aus Hanf seit 1998 in Kanada wieder erlaubt und zur selben Zeit stieg die Produktion von Hanfsamen auch in Deutschland, Spanien, Frankreich und den Niederlanden wieder an. Durch das Entfernen der knackigen Schale und der Einführung von geschälten Hanfsamen stieg auch das Interesse der Konsument:innen deutlich an. Die nährstoffreichen Samen und das Hanfsamenöl fanden Verwendung in einer breiten Palette an Pflegeprodukten, wie z. B.

Body Lotions, Balsamen, Shampoos und Seifen (Clarke und Merlin 2013, 209).

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