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Masterarbeit. zur Erlangung des akademischen Grades Master of Science an der Karl-Franzens-Universität Graz. vorgelegt von Mag.

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Soziale Netzwerke als Instrument zur Bewältigung von Entwicklungsaufgaben im Jugendalter –

eine Erhebung hinsichtlich Freundschaft, Selbstwert und Wohlbefinden

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades Master of Science

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von Mag.a Daniela Posch

am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft Begutachter: Ao.Univ.-Prof. Dr. phil. Peter Rossmann

Graz, 2015

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Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit vollständig und ohne frem- de Hilfe verfasst, andere als angegebene Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

________________ Graz, am ____________

(Unterschrift) (Datum)

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Zusammenfassung

Die vorliegende Masterarbeit befasst sich mit Thema soziale Netzwerke und geht der Frage nach, inwiefern sich die Nutzung auf Freundschaftsbeziehungen auswirkt. Ziel ist es, her- auszufinden, wie soziale Netzwerke als Instrumente zur Bewältigung von Entwicklungsauf- gaben im Jugendalter genutzt werden können und welche Bedeutung das für Freundschaf- ten hat. Des Weiteren werden die Zusammenhänge zwischen der Nutzung sozialer Netzwer- ke mit dem Selbstwert und dem Wohlbefinden betrachtet.

Das erste Kapitel geht nach der Klärung des Begriffs Jugendalter auf theoretische Konzepte ein, welche sich mit den Entwicklungsaufgaben von Heranwachsenden beschäftigen. Im An- schluss daran steht das Thema Freundschaft im Jugendalter mit der damit verbundenen Be- deutung und Funktion von Freundschaftsbeziehungen im Vordergrund. Des Weiteren wer- den verschiedene Bindungstypen und das Sozialkapital erläutert. Das dritte Kapitel widmet sich dem Thema soziale Netzwerke und der Erledigung von Entwicklungsaufgaben in der Online-Welt.

Im empirischen Teil wird der Frage nachgegangen, welchen Zusammenhang es zwischen der Facebook-Nutzung und dem Sozialkapital, Selbstwert sowie Wohlbefinden gibt. Mittels einer Online-Erhebung wurden 260 Jugendliche im Alter von 14-19 Jahren befragt. Die zent- ralen Ergebnisse der Untersuchung weisen darauf hin, dass Facebook ein wichtiger Be- standteil des Alltags geworden ist, vor allem für Mädchen. Es konnte gezeigt werden, dass Mädchen, welche viele enge FreundInnen besitzen, diese Freundschaften nicht in die Onli- ne-Welt verlagern. Bei Jungen hingegen konnte ein Zusammenhang zwischen lockeren Be- kanntschaften und der Facebook-Nutzung nachgewiesen werden. Des Weiteren zeigten sich so gut wie keine Zusammenhänge zwischen der Facebook-Nutzung und dem Selbstwert sowie dem Wohlbefinden.

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Abstract

The following thesis deals with social networks and the question to what extent the use of social networks affects friendships. The goal is to find out how social networks can be used as instruments for the overcoming of developmental tasks as an adolescent and how this instrument affects friendships. Moreover, this thesis explores the relationship between the use of social networks, self-worth and well-being.

The first chapter clarifies the term adolescent and examines different theoretical concepts which look at developmental tasks of young adults. Then the topic of friendship as an ado- lescent is looked into combined with the meaning and the function of friendships. Moreover, different relationship types and the term social capital are explained. The third chapter anal- yses social networks and the completion of developmental tasks in the online world.

The empirical part of the thesis examines the relationship between the use of Facebook, so- cial capital, self-worth and well-being. 260 adolescents between the ages of 14-19 were questioned with an online questionnaire. The main results of the questionnaire show that Facebook has become an important part of our everyday lives, especially for girls. It could be shown that girls who have many close friends don’t cultivate these friendships online. On the other hand, a correlation between casual acquaintances and the use of Facebook could be proven among boys. Moreover, there is basically no relation between the use of Facebook, self-worth and well-being.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung ... 3

1. Das Jugendalter ... 5

1.1. Begriffsbestimmung ... 5

1.2. Entwicklungsaufgaben im Jugendalter nach Havighurst ... 7

1.3. Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung nach Erikson... 9

1.4. Entwicklungsaufgaben im Jugendalter ...11

1.4.1. Identität ...11

1.4.2. Selbst – Selbstwert - Selbstkonzept ...14

2. Freundschaft ... 17

2.1. Begriffsbestimmung ...17

2.2. Entwicklung von Freundschaften im Jugendalter ...19

2.3. Bedeutsamkeit und Funktion von Peer-Groups ...21

2.3.1. Freundschaft als Entwicklungsaufgabe ...23

2.3.2. Aufbau von Identität und sozialen Kompetenzen vor dem ...24

Hintergrund von Peer-Groups...24

2.4. Bindungstypen ...25

2.4.1. Schwache vs. starke Bindungen ...25

2.4.2. Sozialkapital ...27

3. Soziale Netzwerke... 29

3.1. Was sind soziale Netzwerke? ...29

3.1.1. Begriffsbestimmung ...29

3.1.2. Was bieten soziale Netzwerke? ...30

3.1.3. Facebook...31

3.2. Nutzung von Medien und soziale Netzwerken ...32

3.3. Erledigung von Entwicklungsaufgaben in der Online-Welt ...36

3.3.1. Identität in sozialen Netzwerken ...36

3.3.2. Freundschaft in sozialen Netzwerken ...39

3.4. Empirische Untersuchungen zu sozialen Netzwerken ...42

3.4.1. Me and My 400 Friends: The Anatomy of College Students’ ...42

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2

Facebook Networks, Their Communication Patterns, and Well-Being ...42

3.4.2. The Benefits of Facebook ‘‘Friends:’’ Social Capital and College Students’ Use of Online Social Network Sites ...43

3.4.3. Facebook und Co. Eine soziologische Analyse von Interaktionsformen in Online Social Networks...45

4. Empirische Erhebung ... 48

4.1. Ziele der Untersuchung – Fragestellungen und Hypothesen ...48

4.2. Methodisches Design ...50

4.2.1. Facebook Intensity (FBI) ...50

4.2.2. Internet Social Capital Scales (ISCS) ...51

4.2.3. Rosenberg Self-Esteem-Scale (Rosenberg 1965) ...52

4.2.4. Berner Fragebogen zum Wohlbefinden Jugendlicher (BFW) ...52

4.3. Durchführung und Auswertung ...54

5. Stichprobenbeschreibung ... 55

5.1. Demographische Angaben ...55

5.2. Facebook-Nutzung ...57

5.3. Sozialkapital, Selbstwert und Wohlbefinden ...66

6. Hypothesenbezogene Auswertung ... 72

6.1. Facebook-Nutzung und Freundschaft ...73

6.2. Facebook-Nutzung und Selbstwert ...74

6.3. Facebook-Nutzung und Wohlbefinden ...77

7. Diskussion ... 81

Literaturverzeichnis... 85

Abbildungsverzeichnis ... 90

Tabellenverzeichnis... 92

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3

Einleitung

Im Rahmen der Suche nach einem geeigneten Thema für die Masterarbeit stieß ich immer wieder auf Forschungen zum Thema soziale Online-Netzwerke, welche mich von Anfang an faszinierten und mein Interesse an einer Forschungsarbeit an diesem Themenbereich weck- ten. Soziale Netzwerke bieten, anders als oft angenommen, viel mehr als nur ein bisschen Spaß und Unterhaltung, denn sie sind heutzutage zum Bestandteil des Lebens von Jugend- lichen geworden. Soziale Netzwerke spielen eine zentrale Rolle im gesellschaftlichen Leben, denn sie ermöglichen es, mit Menschen auf der ganzen Welt in Kontakt zu treten und so Freundschaften zu begründen und aufrechtzuerhalten. Doch nicht nur das Thema Freund- schaft hat in diesem Zusammenhang einen wichtigen Stellenwert, denn immer öfters verla- gern Jugendliche die Erledigung ihrer Entwicklungsaufgaben in die Online-Welt. Durch die weite Verbreitung von sozialen Netzwerken stellt sich die Frage, inwiefern sich die Nutzung auf bereits bestehende Freundschaftsbeziehungen auswirkt bzw. ob dadurch neue Freund- schaften entstehen.

Im Rahmen der Masterarbeit wird deshalb näher hinterfragt, wie soziale Netzwerke als In- strumente zur Bewältigung von Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen genutzt werden können und welche Bedeutung das für Freundschaftsbeziehungen hat. Des Weiteren wer- den die Zusammenhänge zwischen der Nutzung sozialer Netzwerke mit dem Selbstwert und dem Wohlbefinden der Jugendlichen betrachtet.

Im ersten theoretischen Kapitel der vorliegenden Arbeit wird nach der Einführung in das Thema Jugendalter auf zwei theoretische Konzepte eingegangen, welche sich mit den Ent- wicklungsaufgaben von Jugendlichen auseinandersetzen. Ausgehend davon wird ein genau- erer Blick auf das Thema Identität und Selbstwert geworfen.

Das zweite Kapitel widmet sich dem Thema Freundschaft. Nach der Unterscheidung von verschiedenen Begriffen wie soziales Netzwerk, Peer-Group und Clique wird auf das Thema Freundschaft im Jugendalter, mit der damit verbundenen Bedeutung und Funktion von Freundschaftsbeziehungen eingegangen, vor allem im Hinblick auf die Erledigung von Ent- wicklungsaufgaben. Des Weiteren steht das Thema Bindungstypen und Sozialkapital im Fo- kus.

Das dritte Kapitel der Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema soziale Netzwerke. Dabei wird Facebook, das bekannteste Online-Netzwerk, näher vorgestellt. Neben aktuellen Nutzungs- tendenzen beschäftigt sich das Kapitel mit der Erledigung von Entwicklungsaufgaben in der

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4 Online-Welt. Abschließend werden am Ende des theoretischen Teils der Arbeit verschiedene empirische Studien vorgestellt, welche sich mit dem Thema soziale Netzwerke sowie deren Auswirkungen beschäftigen.

Nach der theoretischen Auseinandersetzung mit den Themen Jugend, Freundschaft und soziale Netzwerke stehen im zweiten Teil der Arbeit die Auseinandersetzung mit der durch- geführten Untersuchung sowie deren wichtigsten Ergebnisse im Vordergrund. Nach der Er- läuterung der Fragestellung und der Hypothesen wird das methodische Design sowie die Durchführung und Auswertung des Forschungsverfahrens detaillierter erklärt. Im Anschluss daran werden nach der Stichprobenbeschreibung und der Auswertung in einem abschlie- ßenden Resümee die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und ein Überblick über die Arbeit gegeben.

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1. Das Jugendalter

Das Jugendalter wird von vielen EntwicklungspsychologInnen und WissenschaftlerInnen als eine der bedeutendsten Phasen im Lebenszyklus bezeichnet, da diese Entwicklungsperiode mit starken Veränderungen im Leben der Heranwachsenden verbunden ist. Dies liegt vor allem daran, dass sich der/die Jugendliche im Übergang zwischen Kindheit und Erwachse- nenalter befindet und sich dadurch neue Pflichten, Möglichkeiten sowie Gefahren ergeben.

Im ersten Kapitel der vorliegen Arbeit wird auf diese Thematik eingegangen.

Bevor ausführlicher das Thema Entwicklungsaufgaben im Jugendalter erörtert wird und die unterschiedlichen theoretischen Konzepte bezüglich des Themas dargestellt werden, ist es wichtig, den Begriff Jugendalter näher zu definieren.

1.1. Begriffsbestimmung

„Das Jugendalter ist eine Phase innerhalb des Lebenszyklus, die durch das Zu- sammenspiel biologischer, intellektueller und sozialer Veränderungen zur Quelle vielfältiger Erfahrungen wird. Diese Entwicklungsphase bedeutet – anderen Le- bensabschnitten durchaus vergleichbar – für manche eine positive Zeit, für man- che ist sie mit Problemen in persönlichen, familiären oder außerfamiliären Berei- chen verbunden“ (Oerter/Montada 2008, S. 271).

Betrachtet man die zeitliche Dimension, so kennzeichnet das Jugendalter bzw. die Adoles- zenz jene Lebensphase, welche zwischen der Kindheit und dem Erwachsenenalter liegt.

Damit ist ungefähr die Zeitspanne zwischen dem 12. bis zum 20.Lebensjahr gemeint, die Grenzen sind jedoch nach oben sowie nach unten unscharf. Darüber hinaus wird die Ver- wendung des Begriffs „Jugendalter“ in Gesetzestexten (z.B. Jugendstrafrecht, Jugend- schutzgesetz) juristisch definiert als Altersstufe, welche vom 14. bis zum 18. Lebensjahr reicht (vgl. Rossmann 2004, S. 133). Die zeitliche Strukturierung des Jugendalters erfolgt über die Unterscheidung von Altersbereichen. Steinberg (2005) teilt das Jugendalter in drei Phasen zur Differenzierung der Veränderungsdynamik:

• „ „frühe Adoleszenz“ (early adolescence) zwischen 10 und 13 Jahren,

• „mittlere Adoleszenz“ (middle adolescence) zwischen 14 und 17 Jahren und

• „späte Adoleszenz“ (late adolescence) zwischen 18 und 22 Jahren; für diesen Alters- abschnitt werden auch die Begriffe „youth“ oder „emerging adulthood“ verwendet“

(Oerter/Montada 2008, S. 272).

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6 Statt Altersgrenzen anzugeben, werden die Grenzen auch öfter nach biologischen oder sozi- ologischen Kriterien definiert. Der Beginn des Jugendalters ist biologisch ziemlich klar festzu- legen durch das Einsetzen der Geschlechtsreifungsprozesse. Bei den Mädchen ist dies das Eintreten der ersten Monatsblutung, bei den Knaben die erste Ejakulation. Der Abschluss des Jugendalters ist dagegen schwieriger zu bestimmen. Das Ende der Adoleszenz wird oft mit dem Eintritt in das Berufsleben bzw. das Erreichen der wirtschaftlichen Selbstständigkeit markiert (vgl. Rossmann 2004, S. 133).

Der Begriff Jugendalter kann auch aus der soziologischen Perspektive betrachtet werden:

„Soziologisch betrachtet meint Jugend wiederum die Lebensphase, in der ein Mensch nicht mehr die stark in familiäre Zusammenhänge eingebundene Rolle des Kindes spielt, zugleich aber auch noch nicht die Rolle eines Erwachsenen einnimmt, die zur vollgültigen Wahrnehmung gesellschaftlicher Aufgaben – etwa zu der Gründung einer Familie – berechtigt“ (Ecari- us/Eulenbach/Fuchs/Walgenbach 2011, S. 14).

Die Abgrenzung zwischen Jugendalter und Erwachsenenalter wird immer schwieriger. Die Verlängerung der Ausbildungszeiten in vielen Berufen führt dazu, dass die Auszubildenden, beispielsweise die AbsolventInnen von Universitätsstudien, am Ende ihrer Ausbildung manchmal bereits das 30. Lebensjahr überschritten haben. Sie sind zwar finanziell in der Regel noch von ihren Eltern abhängig, führen aber oft schon mit einem Partner/einer Partne- rin einen eigenen Haushalt, eventuell schon mit eigenen Kindern. Darüber hinaus lässt sich der Vorsprung der Elterngeneration in Bezug auf Wissen und Erfahrung im Alltag immer we- niger erkennen. In einer kurzlebigen Zeit des technischen Fortschritts sind Jugendliche in Alltagssituationen oft besser informiert und orientiert als Erwachsene (z.B. bei der Benutzung neuer technischer Geräte). Im Übrigen trägt das Bemühen der Erwachsenen, sich ein ju- gendliches Aussehen und Auftreten zu bewahren dazu bei, dass die Grenzen zwischen Ju- gendlichen und Erwachsenen zunehmend verschwimmen. Daher wird es immer schwieriger eine obere Grenze des Jugendalters festzulegen. Die meisten EntwicklungspsychologInnen setzen diese Grenze heute willkürlich zwischen dem 19. und 21. Lebensjahr an (vgl. Ross- mann 2004, S. 134). Des Weiteren kann das Jugendalter dann als abgeschlossen gesehen werden, wenn ein Individuum seine persönliche und soziale Identität gefunden hat (vgl.

Schäfers 1998, S. 22).

Ausgehend von der Definition des Begriffs Jugendalter, welcher die Basis für das vorliegen- de Kapitel darstellt, wird im nächsten Teil auf die theoretischen Konzepte der jugendlichen Entwicklung eingegangen.

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1.2. Entwicklungsaufgaben im Jugendalter nach Havighurst

Jugendliche werden im Laufe der Adoleszenz mit Entwicklungsaufgaben konfrontiert, die zu bewältigen sind. In der einfachsten Einordnung wird von drei Bereichen ausgegangen, in denen Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz anstehen:

1. Intrapersonale Art: Der Aufgabenbereich ergibt sich aus den inneren (biologischen bzw. psychischen) Veränderungen in der Adoleszenz.

2. Interpersonale Natur: Dieser Bereich ergibt sich, wenn man darunter das gesamte soziale Beziehungsgefüge einer Person zusammenfasst.

3. Kulturell-sachliche Natur: Der Bereich wird durch die Gesamtheit der kulturellen Ansprüche, Vorgaben und Entwicklungsmöglichkeiten repräsentiert.

Die drei erwähnten Aufgabenbereiche werden durch eine übergeordnete Anforderung zu- sammengehalten, nämlich jener, ein neues und bewusstes Verhältnis zu sich selbst und der Welt zu erarbeiten (vgl. Fend 2000, S. 211).

Ein Konzept, das sich mit Entwicklungsaufgaben im Jugendalter befasst, wurde von Robert J. Havighurst verfasst. Entwicklung ist nicht etwas, das von alleine passiert, sondern es gibt selbst aktiv bestimmte Entwicklungsaufgaben, welche Jugendliche bewältigen müssen. Ha- vighurst (1972) definierte den Begriff folgendermaßen:

„Eine Entwicklungsaufgabe ist eine Aufgabe, die sich in einer bestimmten Le- bensperiode des Individuums stellt. Ihre erfolgreiche Bewältigung führt zu Glück und Erfolg, während Versagen das Individuum unglücklich macht, auf Ablehnung durch die Gesellschaft stößt und zu Schwierigkeiten bei der Bewältigung späterer Aufgaben führt“ (Rossmann 2004, S. 145).

Das Konzept der Entwicklungsaufgaben wurde mit der Intention erarbeitet, entwicklungspsy- chologisches Denken und Wissen zur Förderung pädagogisch kompetenten Handelns zu vermitteln. Das Konzept beruht darauf, dass Entwicklungsaufgaben Lernaufgaben darstellen.

Entwicklung wird dabei als Lernprozess betrachtet, welcher sich über die gesamte Lebens- spanne erstreckt und im Kontext realer Anforderungen zum Erwerb von Fertigkeiten und Kompetenzen führt. Diese sind zur Bewältigung des Lebens in der Gesellschaft notwendig (vgl. Oerter/Montada 2008, S. 279).

Havighurst lenkt die Aufmerksamkeit auf den Umstand, dass der konkrete Verlauf der Ent- wicklung unter anderem eine Funktion sozialer und persönlicher Erwartungen und sozialer

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8 Institutionen ist. Es weist darauf hin, dass die Entwicklung nicht automatisch abläuft, sondern teilweise geleistet werden muss. Jugendliche müssen Entwicklungsaufgaben erkennen, an- nehmen und aktiv bewältigen. Da eine Bewältigung der Entwicklungsaufgaben gelingen oder misslingen kann, ist Entwicklung nach diesem Verständnis abhängig von den vorausgehen- den Entwicklungsleistungen (vgl. Flammer/Alsaker 2002, S. 56).

Havighurst (1953) hat für Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren folgende Liste von zehn Entwicklungsaufgaben vorgeschlagen:

1. „Entwicklung neuer und reiferer Beziehungen mit den Gleichaltrigen beider Ge- schlechter

2. Erwerb einer maskulinen oder femininen sozialen Rolle 3. Seinen eigenen Körper akzeptieren und wirksam einsetzen

4. Erreichung emotionaler Unabhängigkeit von Eltern oder anderen Erwachsenen 5. Erwerb ökonomischer Unabhängigkeit

6. Berufswahl und Berufsausbildung 7. Vorbereitung auf Heirat und Familie

8. Erwerb von Begriffen und intellektuellen Fähigkeiten zur Ausübung der bürgerlichen Pflichten und Rechte

9. Anstrebung und Entfaltung sozialverantwortlichen Verhaltens

10. Aneignung von Werten und einem ethischen System als Leitlinie eigenen Verhaltens“

(Flammer/Alsaker 2002, S. 57).

Nach Havighurst sind die Entwicklungsaufgaben teilweise biologisch fundiert oder veranlasst und damit universell, teilweise gesellschaftlich und damit kulturrelativ, teilweise aber auch individuell-subjektiv. Wenn Entwicklungsaufgaben gesellschaftlich bedingt sind, schlagen sich in ihnen sowohl zeitlich-historische Wandlungen der gesellschaftlichen Organisation sowie interkulturelle Differenzen nieder. Das belegt die Untersuchung von Eva und Michael Dreher (1985) an SchülerInnen der 9. und 10. Klassen in München. Einige Entwicklungsauf- gaben waren nach der Beurteilung der Stichprobe für sie gar nicht wichtig, wie zum Beispiel jene der ökonomischen Unabhängigkeit und jene der Ehevorbereitung. Dafür gibt es neue, beziehungsweise spezieller formulierte Aufgaben wie zum Beispiel:

 Aufnahme und Aufbau intimer Beziehungen

 Entwicklung einer Identität

 Aufbau einer Zukunftsperspektive

(13)

9

 Entwicklung der eigenen Persönlichkeit (vor allem Selbstständigkeit, Selbstsicherheit und Selbstkontrolle.

Mit geringerer Häufigkeit wurden folgende Aufgaben genannt: Aufbau sozialer Kompetenzen (Toleranz, Konfliktlösungskompetenzen), kritische Haltung gegenüber der Gesellschaft (Umweltschutz und Friedenssicherung) und Verständnis für komplexe Zusammenhänge in der Politik und Wirtschaft (vgl. Flammer/Alsaker 2002, S. 57).

Havighurst geht davon aus, dass es innerhalb des Lebens Zeiträume gibt, die für bestimmte Lernprozesse besonders geeignet erscheinen. Er bezeichnet diese Phasen als „sensitive periods for learning“. Es bedeutet nicht, dass die Aufgaben nicht auch zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt erfüllt werden können, jedoch ist der Lernprozess außerhalb der sensitiven Perioden mit einem größeren Aufwand verbunden. Diese zeitliche Begrenzung ruft den Eindruck hervor, dass jede Entwicklungsaufgabe eine in sich abgeschlossene Ein- heit darstellt. Dies trifft jedoch nur für bestimmte Thematiken zu. Havighurst unterscheidet klar zwischen Aufgaben, die zeitlich begrenzt sind (z.B. Erwerb von grundlegenden Kultur- techniken), und solchen, die sich unter variierenden Anforderungen über mehrere Perioden des Lebens erstrecken (z.B. Aufbau von Beziehungen zu Gleichaltrigen).

Die Anordnung der Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz zwischen den vorausgehenden Aufgaben der mittleren Kindheit und nachfolgenden des frühen Erwachsenenalters verdeut- licht die Einbettung der Thematiken innerhalb der Lebensspanne. Die Entwicklungsaufgaben des Jugendalters repräsentieren keine isolierte Thematik. Einige stellen eine Weiterführung von Aufgaben der Kindheit dar, andere beginnen zwar in der Adoleszenz, setzen sich aber im frühen Erwachsenenalter fort. Die Vernetzung von Anforderungen kann als Charakteristi- kum der Entwicklungslage der Adoleszenten interpretiert werden. Es wird offensichtlich,

„dass es sich dabei um eine konzentrierte Phase multipler Bewältigungsleistungen handelt, die sowohl auf Resultaten früherer Aufgaben beruhen als auch Determinanten für die Ausei- nandersetzung mit Anforderungen des Erwachsenenalters darstellen“ (Oerter/Montada 2008, S. 280f.).

1.3. Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung nach Erikson

Ein weiteres theoretisches Konzept, welches die Entwicklung des Jugendalters behandelt, ist das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung nach Erikson.

Erikson (1974) hat die menschliche Entwicklung als psychodynamische und gleichzeitig so- zial bedingte Abfolge von acht fokalen Krisen beschrieben, die zwar alle zu ihrer Zeit mehr oder weniger gelöst werden, deren Themen und Inhalte jedoch für das ganze Leben weiter

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10 bestehen und durch die jeweils vorausgehenden Krisen vorbereitet werden (vgl. Flam- mer/Alsaker 2002, S. 157).

Die Theorie von Erikson deckt sich teilweise mit Freuds Modell der psychosexuellen Entde- ckung. Die erste Entwicklungsphase deckt sich zeitlich mit Freuds oraler Phase (1. Lebens- jahr). In dieser Zeit entscheidet sich nach Erikson, ob der Säugling in der Lage ist, ein grund- legendes Gefühl des Vertrauens zu entwickeln (Urvertrauen vs. Urmisstrauen). Dieses Ver- trauen kann, wenn die Bedingungen dazu geeignet sind, aus der Beziehung des Kindes mit seiner ersten Bezugsperson entstehen und wird das ganze weitere Leben beeinflussen.

Im zweiten Abschnitt, der sich zeitlich mit der analen Phase deckt (2. und 3. Lebensjahr), kommen die Bedingungen der Sauberkeitserziehung auf das Kind zu. Bei einer erfolgreichen Bewältigung der Entwicklungsaufgaben dieser Phase wird die Grundlage für das Empfinden persönlicher Autonomie gelegt, der negative Ausgang lässt Scham und Zweifel entstehen.

Die dritte Phase deckt sich zeitlich mit Freuds phallischer Phase (4. und 5. Lebensjahr). In dieser Phase ist die ödipale Situation zu bewältigen. Die erfolgreiche Bewältigung der Phase bedeutet die Gewinnung eines Gefühls von erfolgreicher Initiative, im ungünstigsten Fall den Erwerb überwältigender Schuldgefühle durch ein allzu strenges Gewissen. In der darauf nachfolgenden Latenzzeit (etwa 6.- 12. Lebensjahr) müssen sich die Kinder mit den Anforde- rungen von Schule und Unterricht auseinandersetzen und haben die Möglichkeit, sich dabei als kompetent und fleißig zu erleben, während der negative Ausgang dieser Phase durch den Erwerb tiefer Minderwertigkeitsgefühle gekennzeichnet ist (vgl. Rossmann 2004, S.

147).

Die Adoleszenz (analog zu Freuds genitaler Phase) ist die Zeit der Identitätsfindung, welche etwa das 13.-18. Lebensjahr in Anspruch nimmt. Die Adoleszenz stellt für die Zeitspanne der Identitätssuche und Identitätsfindung eine besonders herausfordernde Phase dar, da in rela- tiv kurzer Zeit die Jugendlichen mit einer Vielzahl an Veränderungen konfrontiert werden.

Dies betrifft durch die Geschlechtsreifung vor allem die körperliche Erscheinung sowie die sexuellen Impulse, mit denen die Heranwachsenden nicht vertraut sind. Der gleichzeitig ein- tretende soziale Druck, sich für eine bestimmte Ausbildung zu entscheiden, zwingt die Ju- gendlichen, unter einer Vielzahl möglicher Rollenmodelle eine Wahl zu treffen und sich in- tensiv mit der eigenen Zukunft auseinanderzusetzen. Die Identitätsfindung fällt jenen Ju- gendlichen am leichtesten, die die vorhergehenden Entwicklungsphasen erfolgreich bewälti- gen konnten. Gelingen die geforderten Integrationsleistungen nicht, droht eine Identitätsdif- fusion. Es fehlt dann der Persönlichkeit der innere Zusammenhalt und sie wirkt zersplittert.

Der/Die Jugendliche ist dann extrem unsicher in Bezug auf einen oder mehrere Aspekte der eigenen Identität, zum Beispiel in Bezug auf die Berufswahl oder sexuelle Orientierung. Die Folgen sind ein Gefühl von Verwirrung, oder auch Versuche, Halt zu gewinnen durch ideolo-

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11 gische Radikalität oder durch Flucht in eine irreale Welt, eine Anfälligkeit für Drogen, für reli- giöse Sekten oder die Beschäftigung mit bizarren und ausgefallenen Interessen.

Die weiteren Phasen von Eriksons Entwicklungsmodell gehen über jene von Freud hinaus.

Die nächste Phase ist das frühe Erwachsenenalter (19.- 25. Lebensjahr), in dem die wich- tigste Entwicklungsaufgabe darin besteht, Bindung und Intimität zu einem Partner oder einer Partnerin zu schaffen, andernfalls droht Isolation. Darauf folgt das Erwachsenenalter (etwa 26.- 40. Lebensjahr), in dem sich entscheidet, ob ein Mensch generativ ist oder in seiner Entwicklung stagniert und schließlich die Phase des späten Erwachsenenalters, das von Erikson ab dem Überschreiten des 40. Lebensjahres angesetzt ist. Im letzten Abschnitt be- ginnt der Mensch zu begreifen, dass das eigene Leben nur ein kleiner Beitrag zur Geschich- te der Menschheit ist und hat im Idealfall seine persönliche Integrität erreicht und kann den Verlauf des Lebens akzeptieren. Andernfalls drohen Trauer und Verzweiflung über ein Le- ben, das nicht mehr zu ändern ist und es entsteht Angst vor dem nahenden Tod (vgl. ebd., S. 148).

Nach der Auseinandersetzung mit den beiden theoretischen Modellen von Havighurst und Erikson wird im nachfolgenden Teil der Arbeit auf zwei Entwicklungsaufgaben Bezug ge- nommen, die für die vorliegende Arbeit von besonderer Relevanz sind.

1.4. Entwicklungsaufgaben im Jugendalter

Die Bewältigung von zwei Entwicklungsaufgaben ist im Jugendalter von besonderer Bedeu- tung, nämlich der Aufbau von Identität und Selbstwert. Diese Aspekte werden nachfolgend näher behandelt.

1.4.1. Identität

„Unter Identität versteht man die Definition einer Person als einmalig und un- verwechselbar und zwar sowohl durch die Person selbst wie auch durch ihre soziale Umgebung. Zum persönlichen Erleben von Identität gehört einerseits das Gefühl einer zeitlichen Kontinuität des Selbst, zum anderen die grundsätz- liche Übereinstimmung des Selbstbildes mit dem Bild, das sich die anderen vom einem machen“ (Rossmann 2004, S. 146f.).

Die Jugendphase ist eine Zeit verstärkter, eigenverantworteter und mehr und mehr reflektier- ter Identitätssuche. Der/Die Jugendliche muss zu sich selbst, zum anderen Geschlecht sowie

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12 zu den Werten der Kultur und Gesellschaft einen Standpunkt gewinnen (vgl. Schäfers 1998, S. 99).Es geht in der Altersphase darum, eine Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ zu finden und sich eine Position zu sich selber und zur Welt zu erarbeiten. Der/Die Jugendliche muss also Identitätsarbeit leisten, d.h. er/sie muss Ziele entwickeln, um auf dieser Basis zur Selbstregulation der eigenen Entwicklung fähig zu werden (vgl. Fend 2000, S. 403).

Der Begriff Identität bezieht sich im allgemeinen Sinn auf die einzigartige Kombination von persönlichen, unverwechselbaren Daten des Individuums. Damit sind zum Beispiel Name, Alter, Geschlecht und Beruf gemeint, durch die das Individuum gekennzeichnet ist und von allen anderen Personen unterschieden werden kann. In diesem generellen Sinn lässt sich Identität allerdings auch auf Gruppen von Personen anwenden. In einem engeren psycholo- gischen Sinn ist Identität die einzigartige Persönlichkeitsstruktur, verbunden mit dem Bild, das andere von dieser Persönlichkeitsstruktur haben. Für das Verständnis von Entwicklung im Jugendalter ist noch eine dritte Komponente der Identität wichtig, nämlich das eigene Verständnis für die Identität, die Selbsterkenntnis und der Sinn für das, was man ist bzw.

sein will (vgl. Oerter/Montada 2008, S. 278).

Wie bereits im vorigen Abschnitt der Arbeit erwähnt wurde, ist der Begriff der Identität mit Erikson und dem Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung verbunden. Für Erikson sind Ich-Entwicklung und Identitätsentwicklung eng miteinander verbunden:

„Das Ich repräsentiert ein organisiertes System von Einstellungen, Motiven und Bewältigungsleistungen. Die Bewältigung von Krisen (i. S. von Wendepunkten) kennzeichnet die wachsende Persönlichkeit, die der Umwelt aktiv begegnet und deren Kernbereich (Ich) eine gewisse Einheit aufweist. Die Ausbildung von Ich- Identität entspricht dem Aufbau von Selbstkonsistenz, d. h., man weiß, wer man ist und worin über Zeit, Situationen und soziale Kontexte hinweg die Einheitlich- keit und Unverwechselbarkeit der eigenen Person (Individualität) begründet ist“

(Oerter/Montada 2008, S. 278).

Im Rahmen der Identitätsfindung geht es darum, verschiedene Bestandteile der eigenen Identität erfolgreich miteinander zu vereinbaren, sich mit den eigenen Mängeln auseinander- zusetzen und sich als zugehörig zu einer bestimmten Gruppe mit bestimmten Werten und Idealen zu definieren. Zwar erstreckt sich der Prozess der Identitätsfindung über die gesamte Lebensspanne, jedoch werden die Probleme im Zusammenhang mit der Identitätsfindung während der Adoleszenz besonders deutlich. Dies liegt vor allem an den großen Verände- rungen im Hinblick auf Körper und Sexualität. Die Gewinnung von Identität wird daher als eine zentrale Entwicklungsaufgabe für das Jugendalter angesehen (vgl. Rossmann 2004, S.

147).

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13 Wenn die Erledigung der Entwicklungsaufgaben positiv verläuft, gelingt es dem/der Jugend- lichen, Ideale und Idole zu entwickeln, an die er/sie glauben kann und die ihm/ihr eine Per- spektive vermitteln, was er/sie sein könnte und wonach er/sie streben sollte. Im nächsten Schritt wird es möglich, ein Identitätsangebot der Kultur in der Form einer Berufsrolle zu ak- zeptieren, in die die gebündelten Energien der eigenständigen Lebensgestaltung münden.

Wichtig dabei ist, das Vertrauen und die Treue in sich selber zu entwickeln, denn erst dadurch wird der Mensch vertrauenswürdig für andere (vgl. Fend 2000, S.46).

Den Gegensatz zu Identität beschreibt Erikson als Identitätsdiffusion. Aus biographischen sowie aus kulturellen Gründen kann es zur Unfähigkeit kommen, eine klare Perspektive in der eigenen Entwicklung zu erkennen. Die Identitätsdiffusion kann sich in folgenden Aspek- ten zeigen:

Auflösung der Zeitperspektive: Es fällt schwer, an eine biographische Kontinuität und ein zukünftiges Sein zu denken.

Identitätsbefangenheit: Darunter versteht man eine auf Scham und Zweifel zurück- gehende Unfähigkeit, sich als Person identisch zu fühlen und darzustellen (z.B. Blick- vermeidung).

Flucht in eine negative Identität (Pseudoidentität): Hier wird das Eigene durch die schlichte Wahl des Gegenteils, was andere sind und erwarten, gefunden. Es erfolgt keine Auseinandersetzung mit Positionen, denn es reicht, einfach anders zu sein.

Arbeitslähmungen: Störungen der Identität sind meist von akuten Arbeitsstörungen begleitet. Der/Die Jugendliche ist nicht mehr in der Lage, sich auf eine Arbeit zu kon- zentrieren (vgl. ebd., S. 406f.).

Der Prozess der Identitätsfindung ist zwar eng mit dem Entwicklungsabschnitt der Adoles- zenz verbunden, allerdings beginnt der Prozess bereits viel früher, wahrscheinlich mit der Entwicklung der sozial-emotionalen Bindungen in der frühen Kindheit und setzt sich fort mit der Entdeckung der eigenen Person als selbständiges Wesen. Die Suche nach der eigenen Identität kann auch nach der Adoleszenz mit jedem kritischen Lebensereignis (Hineinwach- sen in die Elternrolle, Scheidung, Wechsel des Berufs, Eintritt in den Ruhestand usw.) wieder neu aufgenommen werden. Die im Verlauf des Erwachsenenalters wiederkehrende Suche nach der eigenen Identität erreicht eine letzte Phase mit dem Lebensrückblick im späten Er- wachsenenalter. Wie der lebenslange Prozess der Identitätsfindung verläuft, hängt nicht un- erheblich vom Einzelschicksal eines Menschen ab (vgl. Mietzel 2002, S. 387f.).

Der Begriff Identität stellt eine Herausforderung für die Psychologie dar. Diese Herausforde- rung liegt darin, den Begriff so zu definieren, dass die Abgrenzung zu den Begriffen „Selbst“,

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14

„Selbstkonzept“ und „Selbstwert“, welche im nachfolgenden Kapitel behandelt werden, deut- lich ist.

1.4.2. Selbst – Selbstwert - Selbstkonzept

Neben der Entwicklung und Auseinandersetzung mit der eigenen Identität ist der Aufbau von Selbstwert und Selbstkonzept im Jugendalter von besonderer Bedeutung.

Der Begriff „Selbst“ ist größtenteils deckungsgleich mit dem Begriff der Identität. Das Selbst bezieht sich in einem ontologischen Sinn auf das Wesentliche einer Person, den Kern des Persönlichkeitssystems. Im phänomenologischen Sinn dagegen bedeutet Selbst die Selbst- wahrnehmung und Selbsterkenntnis. In diesem spezifischeren Sinne spricht man dann vor- wiegend vom Selbstkonzept, von dem man wiederum verschiedene Komponenten erfassen kann (vgl. Oerter/Montada 2008, S. 303). Das Selbstkonzept wird von vielen als das Resultat einer Selbstbeschreibung und Selbstbewertung konzipiert, während Identität das Ergebnis einer aktiven Suche, Definition oder Konstruktion des Selbst beinhaltet (vgl. Flammer/Alsaker 2002, S. 157). Selbstwert wird als das Ergebnis evaluativer Prozesse oder als Einstellung gegenüber sich selbst definiert (vgl. ebd., S. 143).

Meist werden zwei Hauptkomponenten des Selbstkonzeptes unterschieden. Die affektive Komponente des Selbstkonzeptes erfasst das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen.

Die kognitive Komponente beinhaltet das Wissen, das man von sich hat und die Selbstwahr- nehmung. Während der Identitätsbegriff durch Erikson eingeführt wurde, geht der Begriff des Selbst auf James (1890) zurück. Er unterscheidet zwischen „I“ (Ich) und „Me“ (Mich), einem Erkennenden und einem Erkannten. Der Erkennende (Wissende), das Ich, hat die Aufgabe und zugleich das kognitive Bedürfnis, ein klares Bild vom Gegenstand seines Erkennens, dem „Mich“, zu gewinnen. Mead (1973) führt diese Unterscheidung weiter. Das „Me“ wird zu einer individuellen Spiegelung des gesellschaftlichen Gruppenverhaltens. Das „Me“ steht für eine bestimmte Organisation in der Gemeinschaft, die in unserer Haltung präsent ist und verlangt nach einer Reaktion. Die Reaktion des Subjekts auf gesellschaftliche Inhalte nennt Mead das „I“. Das „I“ reagiert auf die Identität, die sich durch die Übernahme der Haltungen anderer entwickelt. Indem wir diese Haltungen übernehmen, führen wir das „Me“ ein und reagieren darauf als ein „I‘“. Beim „I“ wird auch Freiheit und Unvorhersehbarkeit des Han- delns angesiedelt. Die Handlung des „I“ ist etwas, dessen Natur wir im Vorhinein nicht be- stimmen können. Damit wird zugleich die Offenheit von Entwicklung theoretisch postuliert (vgl. Oerter/Montada 2008, S. 303f.).

Obwohl man Selbstkonzept und Selbstwert theoretisch klar voneinander trennen kann, ist das empirisch eine komplizierte Sache. AutorInnen, welche das Selbstkonzept erforschen,

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15 fragen meist nach den Einschätzungen und Bewertungen des Selbst oder sie sprechen von positivem oder negativem Selbstkonzept. Es gibt wenig Forschungen darüber, die sich direkt mit Selbstbeschreibungen und den Vorstellungen über das Selbst beschäftigt haben. Selbst- konzept und Selbstwert werden, trotz aller Bemühungen, sie zu differenzieren, meist implizit synonym verwendet. Das hat eine gewisse Berechtigung, weil Selbstbeschreibungen selten neutral sind. Meistens haben unsere Selbstbeschreibungen klare evaluative Komponenten und liegen nahe bei Selbsteinschätzungen. Rosenberg (1979) geht noch weiter und meint, dass der Mensch kaum in der Lage ist, etwas wahrzunehmen, ohne es zu bewerten. Dies impliziert, dass alle Selbstwahrnehmungen auch Selbstbewertungen sind (vgl. Flam- mer/Alsaker 2002, S. 143).

Rosenberg unterteilt das Selbstkonzept in drei Bereiche, nämlich das Konzept des aktuellen Selbst (extant self), d.h. wie eine Person sich selbst wahrnimmt, das, was wir üblicherweise Selbstkonzept oder Selbstbild nennen, das Konzept des erwünschten Selbst (desired self), d.h. wie eine Person sich selbst gern sehen möchte und das Konzept des sich darstellenden Selbst (presenting self), d.h. wie eine Person sich anderen gegenüber darstellt (vgl. ebd., S.

145).

Selbstkonzept und Identität besitzen gerade in der Entwicklung der Adoleszenz einer Son- derstellung. Die Adoleszenz beinhaltet zahlreiche Veränderungen, die nicht ohne Auswir- kungen auf die Selbstrepräsentation bleiben. Wie bereits im vorigen Abschnitt der Arbeit er- wähnt wurde, entstehen Identität und Selbstkonzept nicht erst in dieser Lebensphase. Die Adoleszenz führt zu Neuorientierungen und damit vereinzelt auch zur Desorientierung. Nicht nur die körperlichen Veränderungen, sondern auch die kognitive Entwicklung fordert Umstel- lungen der Selbstrepräsentationen. Jugendliche sind in einer Phase, in der sie zunehmend abstrakter denken können und sich der Relativität von Aussagen über die Wirklichkeit und sich selbst bewusst werden. Es zeigt sich auch, dass sich Jugendliche mehr als zuvor damit beschäftigen, wer sie wirklich sind, woher sie kommen und wie andere Menschen sie wahr- nehmen (vgl. ebd., S. 142).

Im Verlauf der späten Adoleszenz hat sich ein ziemlich realistisches Selbstbild entwickelt.

Der/Die Jugendliche weiß, dass er/sie sich nicht in allen Situationen seinem idealen Selbst- bild entsprechend verhalten kann und schafft es, sich selbst viel realistischer als früher ein- zuschätzen, kennt seine/ihre Stärken und Schwächen genauer und ist in der Lage, das eige- ne Selbst einheitlicher und stabiler zu sehen als noch Jahre zuvor. Mit der Bildung des Selbstkonzepts verfügt der/die Jugendliche über eine gute Voraussetzung zu seiner/ihrer Identitätsfindung, die aber damit noch nicht abgeschlossen ist, sondern erst ermöglicht wird.

Eine persönliche Identität ist mehr als ein Selbstkonzept, denn sie erfordert, dass vorausge- gangene Erfahrungen, fortdauernde persönliche Veränderungen während der gesamten Le-

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16 bensspanne integriert werden. Die Identität gilt als gefunden, wenn junge Menschen verbind- liche Antworten auf Fragen der folgenden Art gefunden haben: Welchen Beruf sollte ich er- greifen? Welche religiösen Überzeugungen, welche moralischen Werte und welche politi- schenEinstellungen wähle ich als für mich verbindlich aus? Wer bin ich als Mann oder Frau, als sexuelles Wesen? Wie kann ich mich konstruktiv in die Gesellschaft einfügen? (vgl. Miet- zel 2002, S. 389f.).

In der heutigen Zeit ist es nicht nur normal, dass wenig vorgegeben ist, sondern auch, dass vieles angeboten und gefordert wird. Der heranwachsende Mensch soll nicht nur ein Gefühl der Identität aufbauen, er ist auch vor die Aufgabe gestellt, den Inhalt seines Lebens zu ge- stalten und damit auch selbst zu bestimmen, wie er sich definieren will. Auf der anderen Sei- te verlangen die schnellen technologischen Entwicklungen und die sich schnell wandelnden sozialen Strukturen eine hohe Anpassungsfähigkeit, die weniger Raum für die Bildung eines Gefühls der Einigkeit mit sich selbst lassen. Selbstrepräsentationen sind vielfältig bedingt und beeinflussen ihrerseits Wahrnehmungen und Entscheidungen. Das Selbstkonzept und die Identität beeinflussen darum die weitere Entwicklung einer jeden Person. Ein hoher Selbstwert kann als Schutzfaktor fungieren, ein niedriger Selbstwert als Risikofaktor. Da Selbstbeurteilungen sich in der Adoleszenz mit zunehmenden Alter stabilisieren und sehr negative Einstellungen zu sich selbst meistens nicht spontan verbessern, ist es ein wichtiges Anliegen, Jugendlichen mit negativen Selbstrepräsentationen adäquate Unterstützung zu geben (vgl. Flammer/Alsaker 2002, S. 165f.).

Nach der Einführung in das Thema Jugendalter, in der die wichtigsten theoretischen Konzep- te der jugendlichen Entwicklung und die Entwicklungsaufgaben erläutert wurden, wird im nächsten Kapitel das Thema Freundschaft behandelt.

(21)

17

2. Freundschaft

Mit anderen Menschen zu agieren und sich Freundschaften und Beziehungen aufzubauen, ist für den Menschen als soziales Wesen von großer Bedeutung. Vor allem im Jugendalter kommt dieser Aufgabe eine wichtige Bedeutung zu, da Gleichaltrige für Jugendliche als eine der wichtigsten Sozialisationsinstanzen gelten. Die Beziehung zu Gleichaltrigen hilft dabei, die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Entwicklungsaufgaben wie Identitätssuche und Aufbau von Selbstwert zu unterstützen. Des Weiteren sind diese für den Erwerb von sozialen Kompetenzen von Relevanz.

Das zweite Kapitel der vorliegenden Arbeit setzt sich mit dem Thema Freundschaft ausei- nander und versucht nach den grundlegenden Begriffsbestimmungen näher auf die Entwick- lung von Freundschaften im Jugendalter sowie auf deren Wichtigkeit einzugehen.

2.1. Begriffsbestimmung

Die Auseinandersetzung mit dem Thema Freundschaft beinhaltet Begriffe wie „soziale Be- ziehung“, „soziales Netzwerk“ und „Peer Group“. Für Gemeinschaften und Gruppen im Ju- gendalter werden verschiedene Begriffe verwendet, u.a. Clique, Jugendgruppe, Peer-Group, Jugendkultur, Jugendsubkultur oder Szene (vgl. Ecarius/Eulenbach/Fuchs/Walgenbach 2011, S. 105).Nachfolgend sollen diese Begriffe näher erläutert werden.

Soziales Netzwerk

Die Gesamtheit der sozialen Beziehungen, die eine Person mit anderen Menschen unterhält sowie deren Beziehungen untereinander bezeichnet man als soziales Netzwerk dieser Per- son (vgl. Döring 2003, S. 409).

Soziale Beziehung

„Zwischen zwei Personen besteht eine soziale Beziehung, wenn sie wiederholt miteinander Kontakt haben, also mehrfach zeitversetzt kommunizieren oder zeit- gleicht interagieren. Im Unterschied zum sozialen Kontakt als Einzelereignis er- strecken sich soziale Beziehungen über mehrere Zeitpunkte, so dass jeder ein- zelne Kontakt sowohl von den vorausgegangenen als auch von der Erwartung zukünftiger Kontakte beeinflusst wird“ (Döring 2003, S. 403).

Soziale Beziehungen stellen für jede Person zentrale Bezugssysteme dar, die sowohl im Hinblick auf Integration in die Gesellschaft als auch vor dem Hintergrund von Anerkennung

(22)

18 und dem Wohlbefinden eine wichtige Rolle einnehmen. Nicht nur bezüglich der Freizeitge- staltung haben soziale Beziehungen zu Gleichaltrigen in der Adoleszenz eine entscheidende Bedeutung, sondern auch in Bezug auf die soziale Orientierung und Lebensführung. Die Familie wird in vielen Bereichen als primäre Bezugsinstanz abgelöst. Gleichaltrige FreundIn- nen eröffnen somit neue Bildungs- und Sozialisationsräume in der Freizeit, welche schuli- sches und informelles Lernen ermöglichen. Das Lernen in der Freizeit bedeutet vorwiegend auch Lernen mit und von Gleichaltrigen (vgl. Harring/Böhm-Kasper/Rohlfs/Palentien 2010, S.

9).

Peer-Group

Wenn man von den Freundschaftsbeziehungen von Jugendlichen spricht, wird immer häufi- ger der Begriff „Peer-Group“ verwendet.

„Das englischsprachige Wort peer bedeutet sowohl Gleichaltrige(r), als auch Gleichgestellte(r)/Gleichrangige(r). Synonym zum Begriff der Peer-Group wird in wissenschaftlichen Kontexten auch von Peers, Clique, Gleichaltrigen, informeller Gruppe, Freundeskreis und bisweilen auch von Jugendkultur und neuerdings von Netzwerken Gleichaltriger gesprochen“(Ecarius/Eulenbach/Fuchs/Walgenbach 2011, S. 113).

Als Peer-Groups werden somit Gruppen von etwa gleichaltrigen Kindern und Jugendlichen bezeichnet. Diese Gruppen entstehen meistens im Umfeld von Bildungsinstitutionen, kom- men aber freiwillig zustande und entziehen sich dem direkten Einfluss Erwachsener mit zu- nehmendem Alter. Im Mittelpunkt stehen gruppenspezifische Interessen und Aktivitäten, wel- che sich positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung und auf das soziale Lernen auswirken (vgl. Ecarius/Eulenbach/Fuchs/Walgenbach 2011, S. 113). Wenn man von der Peer-Group im Jugendalter spricht, darf man sich darunter nicht eine fest gefügte Gruppe mit starkem Normengefüge, fester Mitgliedschaft und strenger Rollenverteilung vorstellen. Die Peer- Group begegnet uns meist als Clique mit einer großen Vielfalt von Ausprägungsformen des jugendlichen Lebensstils (vgl. Oerter/Montada 2008, S. 324).

Cliquen/informelle Gruppen

Cliquen bzw. informelle Gruppen werden als auf direkten und relativ dauerhaften Beziehun- gen zwischen Personen beruhende Kommunikations- und Interaktionsnetzwerke charakteri- siert. Bei Cliquen handelt es sich somit um ein soziales Gebilde mit einer begrenzten Mitglie- derzahl, welches auf eine formelle Zugehörigkeits- und Mitgliedschaftsregulierung sowie auf starre Hierarchien verzichtet. Für Cliquen ist die wiederkehrende Herstellung von Anwesen-

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19 heit bzw. Kommunikation bedeutsam, da sie auf dieser Grundlage eine Vorstellung darüber entwickeln, wer als dazugehörig gilt. Cliquen/informelle Gruppen ermöglichen eine Verstän- digung über Bedeutung und Sinn relevanter Erfahrungen unter Gleichaltrigen und damit eine Vergewisserung darüber, dass andere die Wirklichkeit ebenso erleben und bewältigen wie man selbst. Nicht nur im Jugendalter, sondern auch unter Erwachsenen stellen Cliquen eine gängige Form der Vergemeinschaftung dar (vgl. Scherr 2010, S. 75ff.).

Nach der Einführung in die wichtigsten Begriffe wird im nächsten Abschnitt der Arbeit auf die Entwicklung von Freundschaften im Jugendalter Bezug genommen.

2.2. Entwicklung von Freundschaften im Jugendalter

Schon in der Vorschulzeit haben Freundschaften eine wichtige Bedeutung für Kinder. Diese Freundschaften entstehen durch die räumliche Nähe sowie durch gemeinsame Spielaktivitä- ten. Freundschaftsbeziehungen können auch länger erhalten bleiben, wenn sich die Spiel- partnerInnen aufgrund elterlicher Vereinbarungen regelmäßig treffen. In der mittleren Kind- heit sind Zugehörigkeit und soziale Akzeptanz ein wichtiges Entwicklungsthema und be- stimmen die Freundschaften mit. In der Adoleszenz dienen Freundschaften in hohem Maße der Beantwortung der Frage, wer man ist und wer man werden möchte. In diesem Alter sind FreundInnen jemand, die einen besser kennen als die anderen und denen man sich offen- bart. Gegenseitiges Verstehen wird wichtiger als eine aktuelle Hilfeleistung (vgl. Oer- ter/Montada 2008, S. 260).

Jugendliche wenden sich eher an Gleichaltrige, wenn sie Ratschläge und Informationen su- chen. Zwar geben Eltern ihren Kindern weiterhin emotionale Unterstützung und können ihnen auch noch Ratschläge erteilen, Gleichaltrige haben als Informationsquelle jedoch ei- nen unersetzlichen Wert gewonnen. Ob aus Gleichaltrigen FreundInnen werden, hängt ent- scheidend davon ab, welche Persönlichkeitsmerkmale sie aufweisen und inwieweit diese sich bei Menschen, die zusammentreffen, entsprechen. Im Jugendalter kann sich eine Freundschaft zwischen Menschen entwickeln, wenn bei ihnen das Gefühl der Nähe, der per- sönlichen Bestätigung, der Bindung, der Zuneigung, der Wertschätzung und der unbedingten Akzeptierung vorhanden sind. Im Übergangsfeld zwischen Kindheit und Erwachsenenalter gewinnt die Gruppe der Gleichaltrigen eine besondere Bedeutung als Sozialisationsinstanz und Quelle sozialer Unterstützung. Die Peergruppe wirkt auf drei Ebenen, nämlich:

 im Sinne einer Jugendlichensubkultur als große Gemeinschaft von Personen mit ähnlichen Interessen, Vorlieben und Werthaltungen

 als konkrete Clique, der ein/e Jugendliche/r angehört und angehören möchte und

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20

 als Freundschaft zwischen Einzelpersonen, die spezifische Bindungserfahrungen ermöglicht (vgl. Rossmann 2004, S. 148f.).

Die Elemente der jugendlichen Subkultur werden durch die enge internationale Verflechtung und den Einfluss der Massenmedien in verschiedenen Ländern einander immer ähnlicher.

Jugendliche verstehen einander dadurch in Bezug auf ihre Vorlieben und Interessen über Grenzen und Sprachbarrieren hinweg. So bestehen zum Beispiel Ähnlichkeiten der kol- lektiven Erwartungen bezüglich des Aussehens von Jugendlichen, bezüglich ihres Auftretens und bestimmter Umgangsformen und in Bezug auf gemeinsame Normen und Wertvorstel- lungen. Innerhalb der Jugendsubkultur gibt es allerdings eine weitere starke Differenzierung zwischen spezifischen Gruppenstilen (z.B. große Unterschiede zwischen Gruppen von Um- weltschützern, Discofans und Skinheads) (vgl. ebd., S. 149).

Epstein (1989) nennt drei Aspekte, welche bei der Entwicklung von Freundschaften von Be- deutung sind: Die Ähnlichkeit als Tiefenmerkmal, die Altershomogenität bzw. -heterogenität als Oberflächenmerkmal und die räumliche Nähe als sozial-ökologisches Merkmal.

Die Ähnlichkeit (bezogen auf die wahrgenommene psychische Nähe bei Interessen und Werthaltungen) gewinnt mit zunehmendem Alter an Bedeutung, wobei nach Ansicht von Epstein schon mit ca. 12 Jahren der Höhepunkt erreicht wird, d.h. bis zu diesem Zeitpunkt spielt die Ähnlichkeit für die Entwicklung von Freundschaften eine wichtige Rolle. Die Alter- shomogenität als Selektionsbedingung verliert an Wichtigkeit und hat ihren Höhepunkt etwa mit 8 bis 10 Jahren. Die räumliche Nähe (Wohnung, Schule) ist zunächst völlig ausschlagge- bend, da es für kleine Kinder keine andere Möglichkeit der Freundschaftsbildung gibt. Sie wird aber später sukzessive unwichtiger, da durch die Schule Freundschaften zwischen Per- sonen entstehen können, die relativ weit voneinander entfernt wohnen (vgl. Oerter/Montada 2008, S. 260).

Wie in Abbildung 1 ersichtlich ist, sind Eltern-Kind-Beziehungen durch die biologische Ab- stammung „ascribed“ (gegeben) und müssen nicht erst mühsam hergestellt werden. Unter Gleichaltrigen sind sie dagegen „achieved“, d.h. sie müssen in gewisser Weise verdient wer- den und jede/r Partner/in ist berechtigt, eine ihm/ihr unbefriedigend erscheinende Beziehung wieder aufzugeben. Wer möchte, dass eine Beziehung bestehen bleibt, der muss sich auch so verhalten, dass sie dem anderen attraktiv erscheint (vgl. Fend 2000, S. 305).

(25)

21 Abb. 1: Struktur von Eltern-Kind-Beziehungen und Peer-Beziehungen

(übernommen aus: Fend 2005, S. 306).

Ab dem 6. Schuljahr werden Freundschaften auf der Grundlage von Ähnlichkeiten in Interes- sen, Meinungen und Einstellungen gebildet. Gleichaltrige sind in der Adoleszenz füreinander notwendige Umwelten, um ein Selbstverständnis zu entwickeln, um sich vergleichen zu kön- nen, um die Ereignisgeschichte des Alltagslebens auf ihren Sinn hin durcharbeiten zu kön- nen, um zu wissen, was man kann, wen man mag, was man werden möchte, wie man sein möchte. In der Adoleszenz stehen die Bedürfnisse nach Akzeptanz und Integration in der Altersgruppe im Vordergrund. Werden sie nicht erfüllt, dann sind auch schwerwiegende Kon- sequenzen in der psychischen Gesundheit von Mädchen und Jungen zu erwarten (vgl. Fend 2000, S. 307). Nachfolgend wird genauer erläutert, warum Peer-Groups so wichtig für Ju- gendliche sind.

2.3. Bedeutsamkeit und Funktion von Peer-Groups

Das Lernfeld der Jugendlichen hat stark an Bedeutung gewonnen. Gleichaltrige übernehmen zahlreiche Funktionen. Diese lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen:

Loslösung vom Elternhaus: Jugendliche stehen vor der Entwicklungsaufgabe, sich bis zu einem gewissen Grad vom Elternhaus loszulösen und so zunehmende Unabhängigkeit zu erlangen. Gleichaltrige unterstützen diesen Prozess, indem sie die Möglichkeit bieten, das Gefühl der Einsamkeit und des Verlassenseins zu verhindern.

Entscheidungshilfe: Ein Kennzeichen der Adoleszenz besteht darin, die Lebensstandards der Erwachsenenwelt sowie die elterliche Autorität in Frage zu

(26)

22 stellen. Eltern werden nicht mehr in allen Bereichen als Vorbilder anerkannt.

Gleichzeitig besitzt der/die Jugendliche allerdings noch nicht die Sicherheit, sämtliche Entscheidungen allein zu treffen. In dieser Situation können sich Gleichaltrige beraten, um eine Antwort darauf zu finden, was richtig und was falsch ist.

Identitätsfindung: Gleichaltrigen bietet sich die Möglichkeit, eigene Einstellungen, Gefühle und Verhaltensweisen mit denen anderer Jugendlicher zu vergleichen. Auf diese Weise wird eine wichtige Voraussetzung geboten, das eigene Selbstbild und die eigene Identität zu entwickeln. Da es Jugendlichen am Anfang noch an Selbstsicherheit fehlt, den Weg der Identitätsfindung allein zu gehen, geben Gleichaltrige im Rahmen freundschaftlicher Beziehungen und in Cliquen eine vorübergehende Identität.

Erlernen sozialer Fertigkeiten: Schon seit der frühen Kindheit bietet der Kontakt mit Gleichaltrigen die Möglichkeit, soziale Fertigkeiten, wie etwa die des Austausches, der gegenseitigen Anerkennung und des Teilens zu lernen.

Entwicklung einer prosozialen Motivation: Durch Erfahrungen mit Gleichaltrigen wird es auch möglich, eine prosoziale Motivation einzuüben (vgl. Mietzel 2002, S.

362f.).

Die Gruppe der Gleichaltrigen ist das wichtigste Übungsfeld für Jugendliche. In der Gruppe der Gleichaltrigen lernen sie durch ihr Tun die sozialen Prozesse unserer Kultur kennen. Sie klären ihre Geschlechterrolle, indem sie agieren und Reaktionen auslösen und sie lernen Wettbewerb, Zusammenarbeit, soziale Fertigkeiten, Wert- und Zielvorstellungen, indem sie am Gemeinschaftsleben teilnehmen. Die Peer-Group vermittelt auch Ziel- und Wertvorstel- lungen der sozialen Schicht und verschafft ihnen Geltung, denn die Eltern haben nicht mehr genug Einfluss oder Zugang, um dieser Funktion gerecht zu werden (vgl. Ausubel 2003, S.

117.).

Eine wichtige Funktion von Peer-Groups ist, dass sie für das emotionale Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen unersetzbar sind. Freundschaften verhindern Gefühle der Ein- samkeit und des Verlassenseins und sind ein zentrales Feld, um Spaß zu haben. Beziehun- gen zu Gleichaltrigen sind unerlässlich, um soziale Beziehungen aufzunehmen, aufrechtzu- erhalten und, wenn nötig, wieder aufzugeben (vgl. Fend 2000, S. 309). Sozialbeziehungen sind das ganze Leben hindurch für das Wohlbefinden wichtig. Es wird davon ausgegangen, dass gute Beziehungen Jugendlicher zu den Gleichaltrigen zu einem höheren Selbstwert und schlechtere Beziehungen zu einem tieferen Selbstwertgefühl führen. Dieser Frage wird auch im empirischen Teil der Arbeit nochmals nachgegangen. Die Beziehungen der Jugend-

(27)

23 lichen sowohl zu den Erwachsenen als auch zu den Gleichaltrigen werden neu definiert. Ju- gendliche verbringen einen größeren Teil ihrer Freizeit mit Gleichaltrigen, als mit ihren Eltern.

Dies verleiht den Bewertungen durch die Peer-Group und der wahrgenommenen Sozialkom- petenz eine zentrale Rolle in der Selbstbeurteilung (vgl. Flammer/Alsaker 2002, S. 152).

2.3.1. Freundschaft als Entwicklungsaufgabe

In diesem Abschnitt der Arbeit wird auf eine weitere Entwicklungsaufgabe eingegangen, wel- che für Jugendliche von Bedeutung ist, nämlich die Entwicklung von Beziehungen zu Gleich- altrigen. Die Entwicklung neuer und reiferer Beziehungen zu den Gleichaltrigen beider Ge- schlechter gehörte schon nach Havighurst (1972) zu den allerwichtigsten Aufgaben der Ju- gendlichen. Jugendliche werden im Bereich der Beziehungen zu ihren Peers nicht mit einer völlig neuen Aufgabe konfrontiert. Wie bereits im vorigen Kapitel erwähnt wurde, wurden bereits in der Kindheit Erfahrungen mit Gleichaltrigen gemacht und diese prägen die Erwar- tungen, die sie an die gegenwärtigen Beziehungen haben. Durch diese frühen Erfahrungen haben sie bereits Sozialkompetenzen entwickelt. Das heißt, dass Beziehungen in der Ado- leszenz nicht unabhängig von früheren Erfahrungen und Kompetenzen entstehen. Was die- se Entwicklungsperiode vor allem kennzeichnet ist die Erweiterung des sozialen Umfelds.

Jugendliche haben mehr Zugang zu unterschiedlichen sozialen Situationen außerhalb der Familie als jüngere Kinder. Darüber hinaus werden soziale Beziehungen in der Adoleszenz differenzierter und auch neu formuliert. Zum Beispiel unterscheiden Kinder zwar auch zwi- schen besten FreundInnen und anderen Peers, aber sie definieren die Beziehungen haupt- sächlich aufgrund von gemeinsamen Spielaktivitäten. In der Adoleszenz bekommen Bezie- hungen neue Inhalte und Funktionen. Die kognitive Entwicklung in der Adoleszenz bringt eine gute Basis für eine erfolgreiche Neudefinition der Peer-Beziehungen mit sich. Außer- dem fördern die steigende kognitive Differenziertheit sowie die Selbstreflexion das Verständ- nis für das Verhalten und die Gefühle anderer Personen und führen zu einer höheren Bezie- hungsqualität. Dies zeigt sich in der größeren Fähigkeit, einander zu unterstützen und Mei- nungen anderer zu respektieren. Dies ist vor allem auch der Grund dafür, Beziehungen zu Peers aufrechtzuerhalten, die einem nicht in allem gleich sind. Demgegenüber werden Ju- gendliche in dieser Entwicklungsphase auch verletzlicher. Zum Beispiel kann ein negatives Feedback zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen mit dem Selbstkonzept führen (vgl.

Flammer/Alsaker 2002, S.195).

Entsprechend kann die fehlende Einbindung in Freundschaftsbeziehungen und Peer-Groups auch ein belastender Faktor für die Entwicklung Heranwachsender sein, da ihnen positive Lernerfahrungen fehlen. Es werden nicht nur positive, sondern auch riskante und deviante

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24 Verhaltensweisen Jugendlicher mit bestimmten Peer-Groups in Verbindung gebracht, vom Konsum legaler und illegaler Drogen bis hin zu Kriminalität, Rechtsextremismus und Gewalt (vgl. Ecarius/Eulenbach/Fuchs/Walgenbach 2011, S. 113). Die erfolgreiche Neuformulierung von Beziehungen zu Gleichaltrigen wird den Jugendlichen keineswegs geschenkt, aber die Lösung der Aufgabe ist von großer Bedeutung für die spätere soziale Entwicklung (vgl.

Flammer/Alsaker 2002, S.195).

2.3.2. Aufbau von Identität und sozialen Kompetenzen vor dem Hintergrund von Peer-Groups

Wie bereits im ersten Kapitel der Arbeit erläutert wurde, ist es für Jugendliche von zentraler Bedeutung, eine Identität aufzubauen. Wichtig sind dabei auch die Erfahrungen, die sie im Umgang mit Gleichaltrigen machen. Im Rahmen der Identitätsbildung geht es vor allem da- rum, die eigene Person so zu definieren, dass sowohl die Abgrenzung zu anderen als auch die Einbettung in einen sozialen Rahmen gewährleistet sind. Die Peer-Group bietet Bestäti- gungen der eigenen Interessen und des eigenen Geschmacks. Dadurch werden sowohl die Unterscheidung von den Eltern und von anderen Erwachsenen als auch eine gewisse Zuge- hörigkeit zu Gleichgestellten gewährleistet. Die Suche nach Zugehörigkeit zu Cliquen, die etwas Bestimmtes repräsentieren, ist für die Selbstdefinition wichtig. Die soziale Einbettung ist gewährleistet, solange man einer Gruppe angehört. Gleichzeitig ist diese Einbettung aber gefährdet, wenn die Gruppe so eng definiert ist, dass der Zugang zu anderen, breiter defi- nierten Gruppen schwierig wird. In solchen Fällen kann die eigene Identität so stark mit der Gruppe verbunden sein, dass ein Bruch mit der Gruppe als Identitätsverlust empfunden wird (vgl. Flammer/Alsaker 2002, S.197f.). Die Peer-Group leistet einen wichtigen Beitrag in der Identitätsarbeit der Heranwachsenden. Gleichaltrige bieten eine Art der Interessensgemeinschaft. Dies zeigt sich vor allem bei identitätsrelevanten Freizeitinteressen wie Fußball, wenn das Interesse gemeinsam als Freizeitbeschäftigung auf dem Fußballplatz, über das Spielen von Computerspielen und über den Austausch in Fangruppen im Internet weiterverfolgt wird. In der Auseinandersetzung mit dem Selbst ist die Peer-Group für viele Jugendliche ein zentrales Forum, um Unterstützungsleistungen zu erfahren (z.B. konkrete Anleitungen und Hilfestellungen) oder auch emotionale Unterstützung zu erhalten sowie alltagsrelevante Themen zu verhandeln (wie z.B. Schulaufgaben) (vgl. Wagner 2009, S.

123f.).

Eine weitere wichtige Funktion von Freundschaftsbeziehungen ist die Vermittlung sozialer Kompetenzen. Oerter (2002) versteht unter dem Begriff der sozialen Kompetenz ein Bündel

(29)

25 unterschiedlicher Fähigkeiten, Einstellungen und Fertigkeiten, die den Menschen erst als handlungsfähig erscheinen lassen. Jeder Mensch lernt im Rahmen von Sozialisations- und Bildungsprozessen bestimmte Verhaltensregeln, die im Umgang mit anderen Personen er- wünscht und die zu einem gutmütigen Ablauf zwischenmenschlicher Kontakte wichtig sind (vgl. Harring/Böhm-Kasper/Rohlfs/Palentien 2010, S. 10).

2.4. Bindungstypen

Im nachfolgenden Abschnitt wird auf die Klassifikation von Beziehungs- bzw. Bindungstypen eingegangen, nämlich auf schwache und starke Bindungen sowie die Formen des Sozialka- pitals. Insbesondere die Formen des Sozialkapitals werden in der empirischen Erhebung von Relevanz sein.

2.4.1. Schwache vs. starke Bindungen

Soziale Beziehungen lassen sich entsprechend ihrer Funktionen in formale und persönliche Beziehungen einteilen. Diese Einteilung ist in Abbildung 2 ersichtlich. Gemäß ihrer subjektiven Bedeutsamkeit unterscheidet man schwache (lockere) und starke (enge) Bindungen. Schließlich kann man soziale Beziehungen nach der Art der jeweiligen Rollen der BeziehungspartnerInnen etwa in KollegInnen-, Freundschafts- oder Eltern-Kind- Beziehungen aufgliedern (vgl. Döring 2003, S. 405).

Abb. 2: Beziehungstypen (übernommen aus: Döring 2003, S. 405).

(30)

26 Formale Beziehungen dienen dazu, gesellschaftliche Aufgaben zu erfüllen. Dabei geht es meist um den Transfer von Gütern und Leistungen (z.B. Tausch politischer Unterstützung gegen politische Leistung oder Tausch Geld gegen Arbeitskraft). Die Menschen, die dabei beteiligt sind, handeln nach weitgehend formalisierten Rollen. Sie sind zum Beispiel Verkäufer/in oder Käufer/in, Wähler/in oder Gewählte/r oder Arbeitskollege/in in einem Team.

Formale Beziehungen sind schwerpunktmäßig auf der Sachebene angesiedelt und die Interaktionsstrukturen sind durch formale Vorgaben reglementiert. Die Beziehungsebene wird möglichst neutral gestaltet, da sowohl zu große emotionale Nähe als auch übertriebene Distanz die Aufgabenabwicklung stören können. Grob lassen sich drei Gruppen von formalen Beziehungen unterscheiden: Dienstleistungsbeziehungen, Verwaltungsbeziehungen und Arbeitsbeziehungen.

Im Unterschied zu den formalen Beziehungen haben informale bzw. persönliche Beziehungen mehr Freiheitsgrade und können stärker durch die individuelle Aushandlung der Regeln und Ziele gestaltet werden. Menschen werden durch persönliche Beziehungen in soziale Systeme bzw. Kollektive eingebunden. In Kollektiven geht es vor allem um das Aufgebot des Ähnlichen und Gleichen, um Gefühle der Nähe und Verbundenheit. Rollen, welche in persönlichen Beziehungen eingenommen werden, sind variabler und erlauben die Integration systemexterner Motive und Themen, sodass mehrere Selbstaspekte bzw.

Teilidentitäten involviert sind. In persönlichen Beziehungen spielt die Beziehungsebene (z.B.

wechselseitige Wertschätzung, Vertrauen, Antipathie etc.) eine besonders wichtige Rolle, die Sachebene tritt daher oft in den Hintergrund. Persönliche Beziehungen werden gleich wie formale Beziehungen gemäß den Rollen der Beteiligten in Beziehungsklassen eingeteilt (z.B.

Eltern-Kind-Beziehung, Freundschafts-Beziehung, Nachbarschafts-Beziehung (vgl. Döring 2003, S. 405f.).

Laut Diewald (1991) zeichnen sich starke Bindungen (strong ties) durch folgende Merkmale aus: Sie schließen starke Emotionalität und Intimität ein, berücksichtigen eine Vielfalt gemeinsamer Interessen und Aktivitäten und weisen einen hohen Zeitaufwand sowie ein dauerhaftes und stabiles Engagement auf. Aufgrund des Verpflichtungscharakters der engen Beziehungen, geben alle Beteiligten einander viel Unterstützung, allerdings stellen sie umgekehrt auch hohe Erwartungen. Enge Beziehungen bestehen in der Regel zu Lebens- und LiebespartnerInnen, zu nahen Familienangehörigen sowie zu guten FreundInnen. Diese Personen sind uns in demographischer Hinsicht (vor allem hinsichtlich Bildung und sozialer Schicht) in der Regel ähnlich bzw. werden nach Ähnlichkeit ausgewählt. Unsere engen Bezugspersonen kennen sich meist untereinander.

Schwache Bindungen (weak ties) sind im Gegensatz zu starken Bindungen weniger emotional und intim. Sie spezialisieren sich auf einige wenige gemeinsame Interessen oder

(31)

27 Aktivitäten, verlangen insgesamt einen geringen Zeitaufwand und nur temporäres Engagement, welches relativ leicht zu kündigen ist. Gegenüber Personen, zu denen wir schwache Beziehungen unterhalten, präsentieren wir uns gewöhnlich nur in wenigen, ausgewählten Identitäten (z.B. gemeinsames Hobby, gleicher Beruf). Schwache Bindungen bestehen in der Regel zu Bekannten, entfernteren Verwandten, Nachbarn und KollegInnen, die sich untereinander in der Regel kaum kennen.

Schwache Beziehungen erfüllen auch wichtige soziale Funktionen und sind deshalb in keiner Weise als defizitäre Beziehungsformen aufzufassen. Eine Defizitsituation entsteht nur, wenn starke Bindungen fehlen und schwache zur Kompensation herangezogen werden. Die Stärke der schwachen Bindungen liegt laut Granovetter (1973) unter anderem darin, dass diese uns mit Menschen außerhalb unseres engen persönlichen Umfeldes in Kontakt bringen und bei kritischen Lebensereignissen oder Statusveränderungen neue Informationen, Orientierungen und Rollenangebote liefern, die im sozialen Netzwerk der engen Beziehungen mit ihren eingefahrenen Rollenmustern und Normen nicht vorhanden sind (vgl. ebd., S. 407f.).

Granovetter stellte fest, dass die Mitglieder in einem Teilnetzwerk untereinander aufgrund der hohen Dichte und der Multiplexität sehr intensive Kontakte haben, aber dass sie sich gleichzeitig durch diese starke Binnenbeziehungen von der Außenwelt abkapseln und somit schlecht in das Gesamtnetz eingebunden sind. Es wird davon ausgegangen, dass starke Beziehungen ein Gesamtnetzwerk fragmentieren, während schwache Beziehungen Brücken zwischen ansonsten unverbundenen Teilen des Gesamtnetzwerkes bilden und sich dadurch die Erfolgschancen für das Handeln der Akteure erhöhen. Die Informationen, die man über starke Beziehungen innerhalb einer Gruppe erhält, unterliegen einer gewissen Redundanz.

Schwache Bindungen bieten aber, wenn sie als Brücken auftreten, die Möglichkeit des In- formationsflusses zwischen ansonsten isolierten Gruppen und integrieren die verschiedenen Gruppen innerhalb der Gesellschaft (vgl. Henning 2006, S. 75f.).

2.4.2. Sozialkapital

Der Aspekt des Sozialkapitals spielt im Bereich der sozialen Beziehungsformen eine zentrale Rolle. Mit Sozialkapital umschreibt man den Nutzen, den man aus sozialen Beziehungen ziehen kann. Dieser ist somit eine Art Maßzahl für den Wert von sozialen Bindungen.

Voraussetzungen für das Sozialkapital sind soziale Beziehungen, die auf verschiedenem Wege zunächst aufgebaut, dann erhalten und gepflegt werden müssen, um tatsächlich vom Sozialkapital profitieren zu können. Sozialkapital ist weder eine reine Eigenschaft des Indivi- duums, noch kann es als reine Eigenschaft einer Gesellschaft insgesamt zugeschrieben

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