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3. Soziale Netzwerke

3.3. Erledigung von Entwicklungsaufgaben in der Online-Welt

3.3.1. Identität in sozialen Netzwerken

Wie bereits in Kapitel 1 erwähnt wurde, haben die klassischen Sozialisationsinstanzen einen immer geringer werdenden Stellenwert. Dafür tritt die Peer-Group in den Vordergrund. Auch Medien nehmen heutzutage einen zentralen Stellenwert ein. Sie vermitteln die vermeintlichen und tatsächlichen Entwicklungsaufgaben, die die Gesellschaft den Jugendlichen stellt. Diese Gesellschaft jedoch, die den Jugendlichen via Medien Vorgaben für die inhaltliche Gestaltung und Entwicklung von Identität macht, tritt den Menschen diffus gegenüber (vgl. Schorb 2009, S. 84). Identitätsarbeit von Jugendlichen findet ihre Ausdrucksformen in Online-Räumen über vier Dimensionen im Medienhandeln:

Sich in Beziehung setzen: Jugendliche stehen in einem regen Austausch mit anderen Gleichaltrigen. Sie suchen in ihren Selbstkonstruktionen ein Gegenüber, das

37 ihnen die Möglichkeit der Bestätigung des Eigenen gibt. Allerdings müssen sie durchaus mit Widerspruch zurechtkommen.

Sich als kompetent erleben: In den Interessen wird besonders deutlich, dass Jugendliche die Bestätigung für das eigene Handeln suchen und dabei stolz auf ihre Kenntnisse und Fähigkeiten sind und diese kontinuierlich weiterentwickeln wollen.

Sich selbstbestimmte Freiräume suchen: Medien bieten bei der Suche nach Abgrenzung (z.B. gegenüber Erwachsenen) vielfältige Vorgaben und Vorlagen, die Jugendliche aufgreifen und in ihrer Gestaltung erproben müssen.

Sich beteiligen: Die Jugendlichen finden in medialen Räumen die Möglichkeit, sich zu positionieren und zu verorten. Die Verortung bildet die Voraussetzung, sich mit der eigenen Lebenswelt sowie der weiteren sozialen, kulturellen und politischen Welt auseinanderzusetzen (vgl. Wagner 2009, S. 124).

Soziale Netzwerke geben den NutzerInnen die Möglichkeit, sich selbst darzustellen und zu präsentieren. In diesem Zusammenhang sind zwei Begriffe in Umlauf gekommen, nämlich Online-Selbstdarstellung und Online-Identität. Online-Selbstdarstellung (virtuelle Selbstdarstellung) meint die dienst- oder anwendungsspezifische Repräsentation einer Person im Internet. Die Online-Selbstdarstellung impliziert weder Dauerhaftigkeit noch subjektive Relevanz. Bei der erst- und einmaligen Anmeldung mit einem bestimmten Usernamen in einem Chat ist eine Online-Selbstdarstellung erschaffen, die vielleicht nur einige Minuten besteht, da die Person dann den Chat wieder verlässt, ihn nie wieder aufsucht und auch den Usernamen nie wieder verwendet. Virtuelle Identität (Online-Identität) meint eine dienst- oder anwendungsspezifische, mehrfach in konsistenter und für andere Menschen wiedererkennbare Weise verwendete, subjektiv relevante Repräsentation eines Menschen im Internet. Ob es sich bei einer Online-Selbstdarstellung um eine Online-Identität handelt, ist einerseits aus den Medientexten zu ermitteln (z.B. Dauerhaftigkeit, Umfang, Datum der letzten Aktualisierung etc.), andererseits von den jeweiligen NutzerInnen zu erfragen (vgl. Döring 2003, S. 341).

Das Internet bietet die ideale kommunikationstechnische Grundlage für ein Selbst, das sich zur permanenten Selbstdarstellung gezwungen sieht. Das Erfolgsrezept für den Einzelnen heißt Selbstvermarktung. Nicht nur Waren und Dienstleistungen müssen unter den Ge-sichtspunkten des Marketings betrachtet werden, auch das Individuum selbst ist zur Ware geworden. Insbesondere Jugendliche erhalten die Möglichkeit, sich über die natürlichen Be-grenzungen des körper- und gegenstandsgebundenen Soziallebens hinaus zu vernetzen.

Soziale Netzwerke erweitern die Kontakträume und eröffnen zusätzliche Möglichkeiten der

38 Vernetzung und der Intensivierung von sozialen Beziehungen (vgl. Heinzlmaier 2013, S.

60ff.).

In diesem Zusammenhang ist auf die wichtige Funktion des Internets für die Herausbildung von kulturellen Identitäten unter Jugendlichen hinzuweisen. Wenn sich Jugendliche auf be-stimmten Plattformen einloggen oder sich in jugendkulturell codierte Netzwerke einbringen, arbeiten sie an ihrer Identität, die dabei ist, zur multiplen Identität zu werden. Die identitäts-orientierte Nutzung des Internets ist zu einem Spiel mit Identitätsmasken geworden. Jugend-liche wollen flexibel bleiben, was die eigene Identität betrifft. Das Internet eröffnet ihnen ei-nen Raum, in dem es weit weniger als im wirklichen Leben notwendig ist, sich festzulegen.

Rollen können gewechselt oder verschiedene Rollen gleichzeitig auf verschiedenen Platt-formen gespielt werden (vgl. ebd., S. 68f.).

Jugendliche, die ein Profil in sozialen Netzwerken erstellen, müssen sich einerseits mit den eigenen Fähigkeiten, Talenten und Interessen und andererseits mit den eigenen Merkmalen und Eigenschaften auseinandersetzen. Die Jugendlichen stellen sich die Frage „Was macht mich aus?“ Dabei stehen ihre Hobbys, Fähigkeiten und Interessen im Vordergrund.

Jugendliche haben im Rahmen der Identitätsentwicklung vor allem das Bedürfnis, sich selbst als kompetent zu erleben. Dies zeigt sich darin, wenn Jugendliche ihre Hobbys und Interessen öffentlich machen und sich darüber austauschen oder bei der Auseinandersetzung mit den eigenen Vorlieben und Interessen (vgl. Wagner 2009, S. 117f.).

Durch die Gestaltung der eigenen Profilseite, das Erstellen von inhaltlichen Beiträgen (z.B.

Pinnwand-Kommentaren), die Mitgliedschaft in Online-Gruppen und die Wahl virtueller Freundschaften präsentiert sich der/ die Jugendliche nach außen und betreibt Selbstdarstellung. Dabei bieten soziale Netzwerke die Möglichkeit, sich möglichst authentisch zu präsentieren oder mit der Identität zu spielen und zu experimentieren. Die Selbst- und Fremddarstellung zieht meist Reaktionen anderer UserInnen nach sich und kann somit eventuell die Reflexion der eigenen Persönlichkeit antreiben (vgl. Friedrichs/Sander 2010, S. 301).

Eine Problematik, die sich aus der Identitätsarbeit in sozialen Netzwerken ergibt ist, dass es medialen Angeboten an Klarheit und Struktur fehlt und dass sie widersprüchlich und ungeordnet sind (vgl. Schorb 2009, S. 86). Medien bieten Jugendlichen die vielfältigsten Möglichkeiten, aber liefern weder Hilfen zur Strukturierung und Bewertung der Möglichkeiten, noch Kriterien zur Messung des Erfolges der Identitätsarbeit. Erfolgsmaßstab ist höchstens der individuelle Erfolg, der sich in medialer Aufmerksamkeit messen lässt, aber auch dieser Maßstab ist flüchtig und ungenau. So hat Identitätsarbeit in einer Mediengesellschaft einerseits viel mehr Ressourcen zur Gestaltung des Identitätsprozesses zur Verfügung, von der Auseinandersetzung mit der vorgegebenen Orientierung bis zum Erproben und Erleben

39 von Identität, ist aber auch prekär, geprägt von Unsicherheit des Gestaltens bis zur Unbestimmbarkeit des Ereignisses (vgl. ebd., S. 91).