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1. Das Jugendalter

1.1. Begriffsbestimmung

„Das Jugendalter ist eine Phase innerhalb des Lebenszyklus, die durch das Zu-sammenspiel biologischer, intellektueller und sozialer Veränderungen zur Quelle vielfältiger Erfahrungen wird. Diese Entwicklungsphase bedeutet – anderen Le-bensabschnitten durchaus vergleichbar – für manche eine positive Zeit, für man-che ist sie mit Problemen in persönliman-chen, familiären oder außerfamiliären Berei-chen verbunden“ (Oerter/Montada 2008, S. 271).

Betrachtet man die zeitliche Dimension, so kennzeichnet das Jugendalter bzw. die Adoles-zenz jene Lebensphase, welche zwischen der Kindheit und dem Erwachsenenalter liegt.

Damit ist ungefähr die Zeitspanne zwischen dem 12. bis zum 20.Lebensjahr gemeint, die Grenzen sind jedoch nach oben sowie nach unten unscharf. Darüber hinaus wird die Ver-wendung des Begriffs „Jugendalter“ in Gesetzestexten (z.B. Jugendstrafrecht, Jugend-schutzgesetz) juristisch definiert als Altersstufe, welche vom 14. bis zum 18. Lebensjahr reicht (vgl. Rossmann 2004, S. 133). Die zeitliche Strukturierung des Jugendalters erfolgt über die Unterscheidung von Altersbereichen. Steinberg (2005) teilt das Jugendalter in drei Phasen zur Differenzierung der Veränderungsdynamik:

• „ „frühe Adoleszenz“ (early adolescence) zwischen 10 und 13 Jahren,

• „mittlere Adoleszenz“ (middle adolescence) zwischen 14 und 17 Jahren und

• „späte Adoleszenz“ (late adolescence) zwischen 18 und 22 Jahren; für diesen Alters-abschnitt werden auch die Begriffe „youth“ oder „emerging adulthood“ verwendet“

(Oerter/Montada 2008, S. 272).

6 Statt Altersgrenzen anzugeben, werden die Grenzen auch öfter nach biologischen oder sozi-ologischen Kriterien definiert. Der Beginn des Jugendalters ist biologisch ziemlich klar festzu-legen durch das Einsetzen der Geschlechtsreifungsprozesse. Bei den Mädchen ist dies das Eintreten der ersten Monatsblutung, bei den Knaben die erste Ejakulation. Der Abschluss des Jugendalters ist dagegen schwieriger zu bestimmen. Das Ende der Adoleszenz wird oft mit dem Eintritt in das Berufsleben bzw. das Erreichen der wirtschaftlichen Selbstständigkeit markiert (vgl. Rossmann 2004, S. 133).

Der Begriff Jugendalter kann auch aus der soziologischen Perspektive betrachtet werden:

„Soziologisch betrachtet meint Jugend wiederum die Lebensphase, in der ein Mensch nicht mehr die stark in familiäre Zusammenhänge eingebundene Rolle des Kindes spielt, zugleich aber auch noch nicht die Rolle eines Erwachsenen einnimmt, die zur vollgültigen Wahrnehmung gesellschaftlicher Aufgaben – etwa zu der Gründung einer Familie – berechtigt“ (Ecari-us/Eulenbach/Fuchs/Walgenbach 2011, S. 14).

Die Abgrenzung zwischen Jugendalter und Erwachsenenalter wird immer schwieriger. Die Verlängerung der Ausbildungszeiten in vielen Berufen führt dazu, dass die Auszubildenden, beispielsweise die AbsolventInnen von Universitätsstudien, am Ende ihrer Ausbildung manchmal bereits das 30. Lebensjahr überschritten haben. Sie sind zwar finanziell in der Regel noch von ihren Eltern abhängig, führen aber oft schon mit einem Partner/einer Partne-rin einen eigenen Haushalt, eventuell schon mit eigenen Kindern. Darüber hinaus lässt sich der Vorsprung der Elterngeneration in Bezug auf Wissen und Erfahrung im Alltag immer we-niger erkennen. In einer kurzlebigen Zeit des technischen Fortschritts sind Jugendliche in Alltagssituationen oft besser informiert und orientiert als Erwachsene (z.B. bei der Benutzung neuer technischer Geräte). Im Übrigen trägt das Bemühen der Erwachsenen, sich ein ju-gendliches Aussehen und Auftreten zu bewahren dazu bei, dass die Grenzen zwischen Ju-gendlichen und Erwachsenen zunehmend verschwimmen. Daher wird es immer schwieriger eine obere Grenze des Jugendalters festzulegen. Die meisten EntwicklungspsychologInnen setzen diese Grenze heute willkürlich zwischen dem 19. und 21. Lebensjahr an (vgl. Ross-mann 2004, S. 134). Des Weiteren kann das Jugendalter dann als abgeschlossen gesehen werden, wenn ein Individuum seine persönliche und soziale Identität gefunden hat (vgl.

Schäfers 1998, S. 22).

Ausgehend von der Definition des Begriffs Jugendalter, welcher die Basis für das vorliegen-de Kapitel darstellt, wird im nächsten Teil auf die theoretischen Konzepte vorliegen-der jugendlichen Entwicklung eingegangen.

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1.2. Entwicklungsaufgaben im Jugendalter nach Havighurst

Jugendliche werden im Laufe der Adoleszenz mit Entwicklungsaufgaben konfrontiert, die zu bewältigen sind. In der einfachsten Einordnung wird von drei Bereichen ausgegangen, in denen Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz anstehen:

1. Intrapersonale Art: Der Aufgabenbereich ergibt sich aus den inneren (biologischen bzw. psychischen) Veränderungen in der Adoleszenz.

2. Interpersonale Natur: Dieser Bereich ergibt sich, wenn man darunter das gesamte soziale Beziehungsgefüge einer Person zusammenfasst.

3. Kulturell-sachliche Natur: Der Bereich wird durch die Gesamtheit der kulturellen Ansprüche, Vorgaben und Entwicklungsmöglichkeiten repräsentiert.

Die drei erwähnten Aufgabenbereiche werden durch eine übergeordnete Anforderung zu-sammengehalten, nämlich jener, ein neues und bewusstes Verhältnis zu sich selbst und der Welt zu erarbeiten (vgl. Fend 2000, S. 211).

Ein Konzept, das sich mit Entwicklungsaufgaben im Jugendalter befasst, wurde von Robert J. Havighurst verfasst. Entwicklung ist nicht etwas, das von alleine passiert, sondern es gibt selbst aktiv bestimmte Entwicklungsaufgaben, welche Jugendliche bewältigen müssen. Ha-vighurst (1972) definierte den Begriff folgendermaßen:

„Eine Entwicklungsaufgabe ist eine Aufgabe, die sich in einer bestimmten Le-bensperiode des Individuums stellt. Ihre erfolgreiche Bewältigung führt zu Glück und Erfolg, während Versagen das Individuum unglücklich macht, auf Ablehnung durch die Gesellschaft stößt und zu Schwierigkeiten bei der Bewältigung späterer Aufgaben führt“ (Rossmann 2004, S. 145).

Das Konzept der Entwicklungsaufgaben wurde mit der Intention erarbeitet, entwicklungspsy-chologisches Denken und Wissen zur Förderung pädagogisch kompetenten Handelns zu vermitteln. Das Konzept beruht darauf, dass Entwicklungsaufgaben Lernaufgaben darstellen.

Entwicklung wird dabei als Lernprozess betrachtet, welcher sich über die gesamte Lebens-spanne erstreckt und im Kontext realer Anforderungen zum Erwerb von Fertigkeiten und Kompetenzen führt. Diese sind zur Bewältigung des Lebens in der Gesellschaft notwendig (vgl. Oerter/Montada 2008, S. 279).

Havighurst lenkt die Aufmerksamkeit auf den Umstand, dass der konkrete Verlauf der Ent-wicklung unter anderem eine Funktion sozialer und persönlicher Erwartungen und sozialer

8 Institutionen ist. Es weist darauf hin, dass die Entwicklung nicht automatisch abläuft, sondern teilweise geleistet werden muss. Jugendliche müssen Entwicklungsaufgaben erkennen, an-nehmen und aktiv bewältigen. Da eine Bewältigung der Entwicklungsaufgaben gelingen oder misslingen kann, ist Entwicklung nach diesem Verständnis abhängig von den vorausgehen-den Entwicklungsleistungen (vgl. Flammer/Alsaker 2002, S. 56).

Havighurst (1953) hat für Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren folgende Liste von zehn Entwicklungsaufgaben vorgeschlagen:

1. „Entwicklung neuer und reiferer Beziehungen mit den Gleichaltrigen beider Ge-schlechter

2. Erwerb einer maskulinen oder femininen sozialen Rolle 3. Seinen eigenen Körper akzeptieren und wirksam einsetzen

4. Erreichung emotionaler Unabhängigkeit von Eltern oder anderen Erwachsenen 5. Erwerb ökonomischer Unabhängigkeit

6. Berufswahl und Berufsausbildung 7. Vorbereitung auf Heirat und Familie

8. Erwerb von Begriffen und intellektuellen Fähigkeiten zur Ausübung der bürgerlichen Pflichten und Rechte

9. Anstrebung und Entfaltung sozialverantwortlichen Verhaltens

10. Aneignung von Werten und einem ethischen System als Leitlinie eigenen Verhaltens“

(Flammer/Alsaker 2002, S. 57).

Nach Havighurst sind die Entwicklungsaufgaben teilweise biologisch fundiert oder veranlasst und damit universell, teilweise gesellschaftlich und damit kulturrelativ, teilweise aber auch individuell-subjektiv. Wenn Entwicklungsaufgaben gesellschaftlich bedingt sind, schlagen sich in ihnen sowohl zeitlich-historische Wandlungen der gesellschaftlichen Organisation sowie interkulturelle Differenzen nieder. Das belegt die Untersuchung von Eva und Michael Dreher (1985) an SchülerInnen der 9. und 10. Klassen in München. Einige Entwicklungsauf-gaben waren nach der Beurteilung der Stichprobe für sie gar nicht wichtig, wie zum Beispiel jene der ökonomischen Unabhängigkeit und jene der Ehevorbereitung. Dafür gibt es neue, beziehungsweise spezieller formulierte Aufgaben wie zum Beispiel:

 Aufnahme und Aufbau intimer Beziehungen

 Entwicklung einer Identität

 Aufbau einer Zukunftsperspektive

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 Entwicklung der eigenen Persönlichkeit (vor allem Selbstständigkeit, Selbstsicherheit und Selbstkontrolle.

Mit geringerer Häufigkeit wurden folgende Aufgaben genannt: Aufbau sozialer Kompetenzen (Toleranz, Konfliktlösungskompetenzen), kritische Haltung gegenüber der Gesellschaft (Umweltschutz und Friedenssicherung) und Verständnis für komplexe Zusammenhänge in der Politik und Wirtschaft (vgl. Flammer/Alsaker 2002, S. 57).

Havighurst geht davon aus, dass es innerhalb des Lebens Zeiträume gibt, die für bestimmte Lernprozesse besonders geeignet erscheinen. Er bezeichnet diese Phasen als „sensitive periods for learning“. Es bedeutet nicht, dass die Aufgaben nicht auch zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt erfüllt werden können, jedoch ist der Lernprozess außerhalb der sensitiven Perioden mit einem größeren Aufwand verbunden. Diese zeitliche Begrenzung ruft den Eindruck hervor, dass jede Entwicklungsaufgabe eine in sich abgeschlossene Ein-heit darstellt. Dies trifft jedoch nur für bestimmte Thematiken zu. Havighurst unterscheidet klar zwischen Aufgaben, die zeitlich begrenzt sind (z.B. Erwerb von grundlegenden Kultur-techniken), und solchen, die sich unter variierenden Anforderungen über mehrere Perioden des Lebens erstrecken (z.B. Aufbau von Beziehungen zu Gleichaltrigen).

Die Anordnung der Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz zwischen den vorausgehenden Aufgaben der mittleren Kindheit und nachfolgenden des frühen Erwachsenenalters verdeut-licht die Einbettung der Thematiken innerhalb der Lebensspanne. Die Entwicklungsaufgaben des Jugendalters repräsentieren keine isolierte Thematik. Einige stellen eine Weiterführung von Aufgaben der Kindheit dar, andere beginnen zwar in der Adoleszenz, setzen sich aber im frühen Erwachsenenalter fort. Die Vernetzung von Anforderungen kann als Charakteristi-kum der Entwicklungslage der Adoleszenten interpretiert werden. Es wird offensichtlich,

„dass es sich dabei um eine konzentrierte Phase multipler Bewältigungsleistungen handelt, die sowohl auf Resultaten früherer Aufgaben beruhen als auch Determinanten für die Ausei-nandersetzung mit Anforderungen des Erwachsenenalters darstellen“ (Oerter/Montada 2008, S. 280f.).

1.3. Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung nach Erikson

Ein weiteres theoretisches Konzept, welches die Entwicklung des Jugendalters behandelt, ist das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung nach Erikson.

Erikson (1974) hat die menschliche Entwicklung als psychodynamische und gleichzeitig so-zial bedingte Abfolge von acht fokalen Krisen beschrieben, die zwar alle zu ihrer Zeit mehr oder weniger gelöst werden, deren Themen und Inhalte jedoch für das ganze Leben weiter

10 bestehen und durch die jeweils vorausgehenden Krisen vorbereitet werden (vgl. Flam-mer/Alsaker 2002, S. 157).

Die Theorie von Erikson deckt sich teilweise mit Freuds Modell der psychosexuellen Entde-ckung. Die erste Entwicklungsphase deckt sich zeitlich mit Freuds oraler Phase (1. Lebens-jahr). In dieser Zeit entscheidet sich nach Erikson, ob der Säugling in der Lage ist, ein grund-legendes Gefühl des Vertrauens zu entwickeln (Urvertrauen vs. Urmisstrauen). Dieses Ver-trauen kann, wenn die Bedingungen dazu geeignet sind, aus der Beziehung des Kindes mit seiner ersten Bezugsperson entstehen und wird das ganze weitere Leben beeinflussen.

Im zweiten Abschnitt, der sich zeitlich mit der analen Phase deckt (2. und 3. Lebensjahr), kommen die Bedingungen der Sauberkeitserziehung auf das Kind zu. Bei einer erfolgreichen Bewältigung der Entwicklungsaufgaben dieser Phase wird die Grundlage für das Empfinden persönlicher Autonomie gelegt, der negative Ausgang lässt Scham und Zweifel entstehen.

Die dritte Phase deckt sich zeitlich mit Freuds phallischer Phase (4. und 5. Lebensjahr). In dieser Phase ist die ödipale Situation zu bewältigen. Die erfolgreiche Bewältigung der Phase bedeutet die Gewinnung eines Gefühls von erfolgreicher Initiative, im ungünstigsten Fall den Erwerb überwältigender Schuldgefühle durch ein allzu strenges Gewissen. In der darauf nachfolgenden Latenzzeit (etwa 6.- 12. Lebensjahr) müssen sich die Kinder mit den Anforde-rungen von Schule und Unterricht auseinandersetzen und haben die Möglichkeit, sich dabei als kompetent und fleißig zu erleben, während der negative Ausgang dieser Phase durch den Erwerb tiefer Minderwertigkeitsgefühle gekennzeichnet ist (vgl. Rossmann 2004, S.

147).

Die Adoleszenz (analog zu Freuds genitaler Phase) ist die Zeit der Identitätsfindung, welche etwa das 13.-18. Lebensjahr in Anspruch nimmt. Die Adoleszenz stellt für die Zeitspanne der Identitätssuche und Identitätsfindung eine besonders herausfordernde Phase dar, da in rela-tiv kurzer Zeit die Jugendlichen mit einer Vielzahl an Veränderungen konfrontiert werden.

Dies betrifft durch die Geschlechtsreifung vor allem die körperliche Erscheinung sowie die sexuellen Impulse, mit denen die Heranwachsenden nicht vertraut sind. Der gleichzeitig ein-tretende soziale Druck, sich für eine bestimmte Ausbildung zu entscheiden, zwingt die Ju-gendlichen, unter einer Vielzahl möglicher Rollenmodelle eine Wahl zu treffen und sich in-tensiv mit der eigenen Zukunft auseinanderzusetzen. Die Identitätsfindung fällt jenen Ju-gendlichen am leichtesten, die die vorhergehenden Entwicklungsphasen erfolgreich bewälti-gen konnten. Gelinbewälti-gen die geforderten Integrationsleistunbewälti-gen nicht, droht eine Identitätsdif-fusion. Es fehlt dann der Persönlichkeit der innere Zusammenhalt und sie wirkt zersplittert.

Der/Die Jugendliche ist dann extrem unsicher in Bezug auf einen oder mehrere Aspekte der eigenen Identität, zum Beispiel in Bezug auf die Berufswahl oder sexuelle Orientierung. Die Folgen sind ein Gefühl von Verwirrung, oder auch Versuche, Halt zu gewinnen durch

ideolo-11 gische Radikalität oder durch Flucht in eine irreale Welt, eine Anfälligkeit für Drogen, für reli-giöse Sekten oder die Beschäftigung mit bizarren und ausgefallenen Interessen.

Die weiteren Phasen von Eriksons Entwicklungsmodell gehen über jene von Freud hinaus.

Die nächste Phase ist das frühe Erwachsenenalter (19.- 25. Lebensjahr), in dem die wich-tigste Entwicklungsaufgabe darin besteht, Bindung und Intimität zu einem Partner oder einer Partnerin zu schaffen, andernfalls droht Isolation. Darauf folgt das Erwachsenenalter (etwa 26.- 40. Lebensjahr), in dem sich entscheidet, ob ein Mensch generativ ist oder in seiner Entwicklung stagniert und schließlich die Phase des späten Erwachsenenalters, das von Erikson ab dem Überschreiten des 40. Lebensjahres angesetzt ist. Im letzten Abschnitt be-ginnt der Mensch zu begreifen, dass das eigene Leben nur ein kleiner Beitrag zur Geschich-te der Menschheit ist und hat im Idealfall seine persönliche InGeschich-tegrität erreicht und kann den Verlauf des Lebens akzeptieren. Andernfalls drohen Trauer und Verzweiflung über ein Le-ben, das nicht mehr zu ändern ist und es entsteht Angst vor dem nahenden Tod (vgl. ebd., S. 148).

Nach der Auseinandersetzung mit den beiden theoretischen Modellen von Havighurst und Erikson wird im nachfolgenden Teil der Arbeit auf zwei Entwicklungsaufgaben Bezug ge-nommen, die für die vorliegende Arbeit von besonderer Relevanz sind.

1.4. Entwicklungsaufgaben im Jugendalter

Die Bewältigung von zwei Entwicklungsaufgaben ist im Jugendalter von besonderer Bedeu-tung, nämlich der Aufbau von Identität und Selbstwert. Diese Aspekte werden nachfolgend näher behandelt.

1.4.1. Identität

„Unter Identität versteht man die Definition einer Person als einmalig und un-verwechselbar und zwar sowohl durch die Person selbst wie auch durch ihre soziale Umgebung. Zum persönlichen Erleben von Identität gehört einerseits das Gefühl einer zeitlichen Kontinuität des Selbst, zum anderen die grundsätz-liche Übereinstimmung des Selbstbildes mit dem Bild, das sich die anderen vom einem machen“ (Rossmann 2004, S. 146f.).

Die Jugendphase ist eine Zeit verstärkter, eigenverantworteter und mehr und mehr reflektier-ter Identitätssuche. Der/Die Jugendliche muss zu sich selbst, zum anderen Geschlecht sowie

12 zu den Werten der Kultur und Gesellschaft einen Standpunkt gewinnen (vgl. Schäfers 1998, S. 99).Es geht in der Altersphase darum, eine Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ zu finden und sich eine Position zu sich selber und zur Welt zu erarbeiten. Der/Die Jugendliche muss also Identitätsarbeit leisten, d.h. er/sie muss Ziele entwickeln, um auf dieser Basis zur Selbstregulation der eigenen Entwicklung fähig zu werden (vgl. Fend 2000, S. 403).

Der Begriff Identität bezieht sich im allgemeinen Sinn auf die einzigartige Kombination von persönlichen, unverwechselbaren Daten des Individuums. Damit sind zum Beispiel Name, Alter, Geschlecht und Beruf gemeint, durch die das Individuum gekennzeichnet ist und von allen anderen Personen unterschieden werden kann. In diesem generellen Sinn lässt sich Identität allerdings auch auf Gruppen von Personen anwenden. In einem engeren psycholo-gischen Sinn ist Identität die einzigartige Persönlichkeitsstruktur, verbunden mit dem Bild, das andere von dieser Persönlichkeitsstruktur haben. Für das Verständnis von Entwicklung im Jugendalter ist noch eine dritte Komponente der Identität wichtig, nämlich das eigene Verständnis für die Identität, die Selbsterkenntnis und der Sinn für das, was man ist bzw.

sein will (vgl. Oerter/Montada 2008, S. 278).

Wie bereits im vorigen Abschnitt der Arbeit erwähnt wurde, ist der Begriff der Identität mit Erikson und dem Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung verbunden. Für Erikson sind Ich-Entwicklung und Identitätsentwicklung eng miteinander verbunden:

„Das Ich repräsentiert ein organisiertes System von Einstellungen, Motiven und Bewältigungsleistungen. Die Bewältigung von Krisen (i. S. von Wendepunkten) kennzeichnet die wachsende Persönlichkeit, die der Umwelt aktiv begegnet und deren Kernbereich (Ich) eine gewisse Einheit aufweist. Die Ausbildung von Ich-Identität entspricht dem Aufbau von Selbstkonsistenz, d. h., man weiß, wer man ist und worin über Zeit, Situationen und soziale Kontexte hinweg die Einheitlich-keit und UnverwechselbarEinheitlich-keit der eigenen Person (Individualität) begründet ist“

(Oerter/Montada 2008, S. 278).

Im Rahmen der Identitätsfindung geht es darum, verschiedene Bestandteile der eigenen Identität erfolgreich miteinander zu vereinbaren, sich mit den eigenen Mängeln auseinander-zusetzen und sich als zugehörig zu einer bestimmten Gruppe mit bestimmten Werten und Idealen zu definieren. Zwar erstreckt sich der Prozess der Identitätsfindung über die gesamte Lebensspanne, jedoch werden die Probleme im Zusammenhang mit der Identitätsfindung während der Adoleszenz besonders deutlich. Dies liegt vor allem an den großen Verände-rungen im Hinblick auf Körper und Sexualität. Die Gewinnung von Identität wird daher als eine zentrale Entwicklungsaufgabe für das Jugendalter angesehen (vgl. Rossmann 2004, S.

147).

13 Wenn die Erledigung der Entwicklungsaufgaben positiv verläuft, gelingt es dem/der Jugend-lichen, Ideale und Idole zu entwickeln, an die er/sie glauben kann und die ihm/ihr eine Per-spektive vermitteln, was er/sie sein könnte und wonach er/sie streben sollte. Im nächsten Schritt wird es möglich, ein Identitätsangebot der Kultur in der Form einer Berufsrolle zu ak-zeptieren, in die die gebündelten Energien der eigenständigen Lebensgestaltung münden.

Wichtig dabei ist, das Vertrauen und die Treue in sich selber zu entwickeln, denn erst dadurch wird der Mensch vertrauenswürdig für andere (vgl. Fend 2000, S.46).

Den Gegensatz zu Identität beschreibt Erikson als Identitätsdiffusion. Aus biographischen sowie aus kulturellen Gründen kann es zur Unfähigkeit kommen, eine klare Perspektive in der eigenen Entwicklung zu erkennen. Die Identitätsdiffusion kann sich in folgenden Aspek-ten zeigen:

Auflösung der Zeitperspektive: Es fällt schwer, an eine biographische Kontinuität und ein zukünftiges Sein zu denken.

Identitätsbefangenheit: Darunter versteht man eine auf Scham und Zweifel zurück-gehende Unfähigkeit, sich als Person identisch zu fühlen und darzustellen (z.B. Blick-vermeidung).

Flucht in eine negative Identität (Pseudoidentität): Hier wird das Eigene durch die schlichte Wahl des Gegenteils, was andere sind und erwarten, gefunden. Es erfolgt keine Auseinandersetzung mit Positionen, denn es reicht, einfach anders zu sein.

Arbeitslähmungen: Störungen der Identität sind meist von akuten Arbeitsstörungen begleitet. Der/Die Jugendliche ist nicht mehr in der Lage, sich auf eine Arbeit zu kon-zentrieren (vgl. ebd., S. 406f.).

Der Prozess der Identitätsfindung ist zwar eng mit dem Entwicklungsabschnitt der Adoles-zenz verbunden, allerdings beginnt der Prozess bereits viel früher, wahrscheinlich mit der Entwicklung der sozial-emotionalen Bindungen in der frühen Kindheit und setzt sich fort mit der Entdeckung der eigenen Person als selbständiges Wesen. Die Suche nach der eigenen Identität kann auch nach der Adoleszenz mit jedem kritischen Lebensereignis (Hineinwach-sen in die Elternrolle, Scheidung, Wechsel des Berufs, Eintritt in den Ruhestand usw.) wieder neu aufgenommen werden. Die im Verlauf des Erwachsenenalters wiederkehrende Suche nach der eigenen Identität erreicht eine letzte Phase mit dem Lebensrückblick im späten Er-wachsenenalter. Wie der lebenslange Prozess der Identitätsfindung verläuft, hängt nicht un-erheblich vom Einzelschicksal eines Menschen ab (vgl. Mietzel 2002, S. 387f.).

Der Begriff Identität stellt eine Herausforderung für die Psychologie dar. Diese Herausforde-rung liegt darin, den Begriff so zu definieren, dass die Abgrenzung zu den Begriffen „Selbst“,

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„Selbstkonzept“ und „Selbstwert“, welche im nachfolgenden Kapitel behandelt werden, deut-lich ist.

1.4.2. Selbst – Selbstwert - Selbstkonzept

Neben der Entwicklung und Auseinandersetzung mit der eigenen Identität ist der Aufbau von Selbstwert und Selbstkonzept im Jugendalter von besonderer Bedeutung.

Der Begriff „Selbst“ ist größtenteils deckungsgleich mit dem Begriff der Identität. Das Selbst bezieht sich in einem ontologischen Sinn auf das Wesentliche einer Person, den Kern des Persönlichkeitssystems. Im phänomenologischen Sinn dagegen bedeutet Selbst die Selbst-wahrnehmung und Selbsterkenntnis. In diesem spezifischeren Sinne spricht man dann

Der Begriff „Selbst“ ist größtenteils deckungsgleich mit dem Begriff der Identität. Das Selbst bezieht sich in einem ontologischen Sinn auf das Wesentliche einer Person, den Kern des Persönlichkeitssystems. Im phänomenologischen Sinn dagegen bedeutet Selbst die Selbst-wahrnehmung und Selbsterkenntnis. In diesem spezifischeren Sinne spricht man dann