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zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts an der Karl-Franzens-Universität Graz vorgelegt von Barbara NUSSBAUMER, Bakk. a phil.

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Academic year: 2022

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zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

Barbara NUSSBAUMER, Bakk.

a

phil.

am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft Begutachterin: Univ.-Prof.

in

Dr.

in

phil. Cornelia Wustmann

Graz, 2013

(2)

E

IN

D

ANKESCHÖN

… möchte ich zu Beginn allen Menschen aussprechen, die mich während meines Studiums und bei der Erstellung der vorliegenden Arbeit unterstützt haben.

Besonderer Dank gilt hierbei den beiden Institutionen Diakonie de La Tour und SOS Kin- derdorf Moosburg in Kärnten. Durch die Bereitschaft der Pädagogen und Pädagoginnen und der Kinder sich für Interviews zur Verfügung zu stellen, wurde mir ein besonderer Einblick in die Herangehensweise der Biografiearbeit ermöglicht.

Ein großes Dankeschön geht auch an meine Familie, die mich immer unterstützt hat.

Des Weiteren möchte ich an dieser Stelle meinen Freund/innen danken, die mich stets dazu motiviert haben, diese Arbeit fertigzustellen… und danke für eine unvergessliche Studien- zeit.

Auch Frau Univ.-Prof.in Dr.inphil. Cornelia Wustmann möchte ich herzlich für ihre rich- tungsweisende Unterstützung und Begleitung der vorliegenden Arbeit danken.

(3)

E

IDESSTATTLICHE

E

RKLÄRUNG

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt.

Ferner entspricht die vorliegende Fassung der eingereichten elektronischen Version.

(Ort, Datum) (Unterschrift)

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K

URZFASSUNG

Die vorliegende Masterarbeit mit dem Titel – „Wer bin ich“ Biografiearbeit mit Kindern als sozi- alpädagogische Handlungsmethode – geht der Frage nach, wie Biografiearbeit Kinder in ihrer Identitätsentwicklung unterstützen kann und welche Anforderungen sich daraus für die pädagogi- sche Praxis ergeben. Auf Basis einschlägiger Fachliteratur und den Erkenntnissen aus leitfadenge- stützten Expert/inneninterviews wird aufgezeigt, wie sich Biografiearbeit mit Kindern praxisorien- tiert umsetzen lässt. Des Weiteren wird beleuchtet, welche Voraussetzungen professionelle Beglei- ter/innen benötigen, um sich der kindlichen Lebens- und Erlebniswirklichkeit annähern zu können.

Das Hauptaugenmerk liegt auf den förderlichen Effekten, die Biografiearbeit mit sich bringt. Ihr Anliegen ist es, gerade Kindern in Umbruchsituationen oder Krisen dabei zu helfen, Lebenszu- sammenhänge verstehen zu lernen und auf einer ressourcenorientierten Basis Handlungsperspekti- ven für die Zukunft zu entwerfen. Vorrangig wird dabei thematisiert, wie Kinder durch biografi- sche Selbstreflexion unterstützt werden können eine eigene Identität auszubilden und diese auf- rechtzuerhalten. Abgeschlossen wird die Arbeit mit notwendigen Forderungen auf struktureller Ebene, um Biografiearbeit als professionelle Methode im sozialpädagogischen Kontext etablieren und weiter ausbauen zu können.

Die Ergebnisse sollen verdeutlichen, dass Biografiearbeit das Potenzial bietet, Kinder als aktive Gestalter/innen ihrer Wirklichkeit in den Blick zu nehmen und sie bei der Ausbildung einer starken und positiven Identität kompetent begleiten zu können.

A

BSTRACT

The present master thesis with the title – „Who am I?“ Life story work with children as a method in social education – pursues the question of how life story work can support children in developing their own identity and which requirements for the educational practice result therefrom. Based on relevant literature and findings from the guided interviews with experts it is demonstrated how life story work with children could be performed in a practical way. Furthermore, requirements for professional companions to approach to the reality of life of children were worked out. The focus of this work lies on the beneficial effects of life story work in order to support children in crisis or in a situation of change. Life story work can help them to understand their life contexts and to de- velop successful perspectives for their future – based on a resource-oriented view. Additionally it is illustrated how children could be supported to develop and maintain identity through biographical self-reflection. Finally structural demands required to establish and expand life story work as a professional method in social education are presented.

The results illustrate that life story work offers the potential to take children into account as active designers of their own reality and to accompany them in a competent way by the development of a powerful and positive identity.

(5)

I

NHALTSVERZEICHNIS

1 Einleitung ... 1

2 Was ist Biografiearbeit? ... 4

2.1 Biografie als sozialwissenschaftliches Konstrukt ... 5

2.2 Überlegungen zum autobiografischen Gedächtnis ... 7

2.3 Biografiearbeit als eigenständige Handlungsmethode ... 10

2.3.1 Traditionslinien ... 11

2.3.2 Anwendungsfelder ... 14

3 Biografiearbeit mit Kindern in der Sozialpädagogik ... 16

3.1 Zielgruppen und Zielsetzungen... 18

3.2 Praxis der Biografiearbeit ... 23

3.2.1 Setting und Rahmenbedingungen ... 23

3.2.2 Schwerpunktthemen ... 28

3.2.3 Methoden ... 30

3.3 Pädagogische Haltung und Rolle des Kindes ... 35

3.4 Beobachtung: „Aber echt, wer bin ICH überhaupt?“ ... 44

4 Identität im Kontext der Sozialisationstheorie ... 47

4.1 Sozialisation ... 47

4.2 Identität ... 52

4.2.1 Identitätsentwicklung nach Erikson... 55

5 Biografiearbeit als identitätsstiftende Methode ... 60

6 Anforderungen für die sozialpädagogische Praxis ... 71

6.1 Forderungen auf struktureller Ebene ... 71

6.2 Forderung nach Professionalisierung ... 75

7 Resümee ... 78

8 Literaturverzeichnis ... 80

9 Abbildungsverzeichnis ... 87

10 Anhang ... 88

(6)

1 E

INLEITUNG

Wer bin ich? ist jene Frage, die sich alle Menschen im Laufe ihres Lebens stellen und gleichzeitig das zentrale Thema der Identitätsentwicklung. Ihre Beantwortung wird aber besonders in Situationen erschwert, wo unser Leben durch Krisen oder Umbrüche ins Wanken gerät. Die vorliegende Arbeit will daher Biografiearbeit als eine mögliche Metho- de vorstellen, die vor allem Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen kann und sich gemeinsam mit ihnen auf die Suche nach diesem Ich begibt.

Der bekannte Ausspruch von Johann Wolfgang von Goethe, dass Kinder von Eltern Wur- zeln und Flügel bekommen sollen, kann auch auf die Biografiearbeit übertragen werden.

Wenn ein Kind keine oder nur eingeschränkten Zugang zu seinen familiären Wurzeln hat, kann es schwer sein zu wachsen und später eigenständig fliegen zu können. Leben Kinder beispielsweise in Fremdunterbringung, kann Biografiearbeit dort effektiv ansetzen, mit Mädchen und Buben die Vergangenheit zu klären, ihre Lebenszusammenhänge nachvoll- ziehbar zu machen und sie bei ihrer Identitätsbildung zu begleiten.

Erkenntnisleitend für die nachfolgenden Ausführungen ist die Fragestellung, wie Biogra- fiearbeit die Identitätsentwicklung von Kindern positiv unterstützen kann und welche For- derungen sich daraus für die pädagogische Praxis ergeben. Darüber hinaus soll geklärt werden, wie Biografiearbeit als Methode in der sozialpädagogischen Praxis zur Anwen- dung kommen kann.

Der Fokus dieser Arbeit liegt auf Kindern, die fremduntergebracht sind und nicht bei ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen. Dennoch sollen und können die nachstehenden Ausführun- gen auch auf Kinder und Jugendliche übertragen werden, die anderwärtig zu Klient/innen der Sozialpädagogik werden.

Um einen tiefergehenden Einblick in die Praxis der Biografiearbeit zu erlangen, wurden qualitative leitfadengestützte Interviews mit Kindern und Pädagog/innen durchgeführt, die Biografiearbeit erhalten haben bzw. diese praktizieren. Als Kooperationspartner fungierten das SOS Kinderdorf Moosburg sowie die sozialpädagogische Initiative Herrnhilf der Dia- konie de La Tour in Kärnten. Insgesamt wurden fünf Pädagog/innen, zwei Kinder (Domi- nik und Susi1) und eine Jugendliche (Lena2) zu ihren Erfahrungen mit Biografiearbeit be-

1 Namen von der Autorin geändert.

2 Name von der Autorin geändert.

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fragt. Darüber hinaus konnte auch eine Biografiearbeit-Einheit mit Tim3 beobachtet wer- den. Die Beobachtung und die Kinderinterviews stellen gleichzeitig einen Beitrag dar, Kinder in der sozialwissenschaftlichen Forschung als eigenständige Subjekte ernst zu nehmen. Wie Fuhs (2000) folgerichtig konstatiert, reicht es nicht aus, nur Erwachsene zu befragen, wenn man die Lebens- und Erfahrungswelt von Kindern in den Blick nimmt (vgl. Fuhs 2000, S. 88).

Zum Zweck der Befragung wurden eigene Interviewleitfäden für Pädagog/innen und Kin- der erstellt sowie ein Beobachtungsleitfaden konzipiert, die sich im Anhang (s. S. 89ff.) befinden. Durchgeführt wurden die Interviews und die Beobachtung im Zeitraum von Juli bis August 2012. Die erwachsenen Expert/innen haben alle mehrjährige Erfahrung (2½ - 6 Jahre)in der Anwendung von Biografiearbeit mit den ihnen anvertrauten Kindern und Ju- gendlichen. Susi und Dominik waren zum Zeitpunkt der Befragung 13 Jahre alt, Lena war 16 und der beobachtete Tim 14. Alle durchgeführten Interviews und die Beobachtung wur- den im Anschluss verschriftlicht. Die Interviewtranskripte und das Beobachtungsprotokoll liegen der Arbeit als pdf-Dateien auf der separaten CD-Rom bei. Die Strukturierung und Auswertung des erhobenen Datenmaterials erfolgte computergestützt mittels der qualitati- ven Analysesoftware MaxQDA 11. Die Ergebnisse der Erhebung fließen direkt in die Ar- beit mit ein und werden nicht gesondert in einem eigenen Kapitel dargestellt.

Das Ziel der Arbeit ist es einerseits aufzuzeigen, wie Biografiearbeit im Hinblick auf Pro- fessionalität sinnvoll und gewinnbringend für alle Beteiligten in den pädagogischen Alltag integriert werden kann. Andererseits sollen die Wirkungen und Effekte von Biografiearbeit vor allem hinsichtlich ihrer identitätsförderlichen Komponenten beleuchtet werden. Aus beiden Zielsetzungen ergeben sich Anforderungen an die sozialpädagogische Praxis, die zum Einen eine professionelle pädagogische Begleitung und Haltung betreffen und zum Anderen auf struktureller Ebene eingeordnet werden können. Auf diese eben erwähnten Aspekte wird ausführlich eingegangen. Dazu gliedert sich die Arbeit in fünf größere Kapi- tel. Im ersten Abschnitt wird als Basis der weiteren Ausführungen geklärt, was Biografie- arbeit eigentlich ist und grundlegende Begriffe wie Biografie und autobiografisches Ge- dächtnis näher beleuchtet. Darüber hinaus wird kurz auf die Entwicklung von Biografiear- beit eingegangen und ein Blick auf mögliche Anwendungsfelder geworfen. Im zweiten Abschnitt liegt der Fokus auf der Zielgruppe der Kinder. Darin wird ausführlich beschrie- ben, wie Biografiearbeit für Kinder adaptiert werden kann und welche Zielsetzungen sich

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speziell für Kinder in Umbruchsituationen ergeben. Daneben werden praxisrelevante Über- legungen angestellt, die aufzeigen, wie Biografiearbeit innerhalb der sozialpädagogischen Praxis zur Anwendung kommen kann. Neben diesen praxisgenerierenden Überlegungen ist eines der Hauptaugenmerke in diesem Kapitel darauf gerichtet, welche Anforderungen Biografiearbeit an die pädagogischen Begleiter/innen richtet, welches Menschenbild der Methode inhärent ist und wie die Rolle der Kinder im Prozess aussieht.

Das dritte Kapitel setzt sich mit der Identität im Kontext der Sozialisationstheorie ausei- nander. Daher wird erläutert, wie sich innerhalb von Sozialisationsprozessen die menschli- che Persönlichkeit manifestiert und wie sich Identität als wesentliche Komponente darin entwickelt. Nach der theoretischen Klärung des Begriffes wird die Identitätsentwicklung nach Erikson beschrieben und auf ihren Anspruch nach Gültigkeit hin untersucht.

Der nächste Abschnitt dient der Klärung des Zusammenhangs zwischen Identitätsentwick- lung und Biografiearbeit und bringt die bisher erwähnten Ausführungen in ein gesammel- tes Zwischenfazit.

Im fünften und letzten Kapitel erfolgt eine Reflexion auf der Metaebene, die dazu dienen soll, die Anforderungen zu klären, die es braucht, um Biografiearbeit professionell in der sozialpädagogischen Praxis etablieren und weiter ausbauen zu können.

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AS IST

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IOGRAFIEARBEIT

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Durch Prozesse der Modernisierung, die sich in gesellschaftlichen Umbruchsituationen, Pluralisierung, Enttraditionalisierung und zunehmender Individualisierung ausdrücken, sind Menschen heute stärker als zuvor gefordert, sich mit ihrer eigenen Biografie ausei- nanderzusetzen. Mehr noch, nämlich die Gestaltung derselben aktiv vorzunehmen, da auch das Konzept der Normalbiografie als solches an Gültigkeit verloren hat (vgl. Roer / Mau- rer-Hein 2002, S. 586). In der Beliebigkeit der postmodernen Gesellschaften wird Nor- malbiografie in eine Fülle möglicher Lebensentwürfe zersplittert, was zu Orientierungs- schwierigkeiten führen kann und Individuen dazu auffordert, sich ihre Identität in Eigen- leistung zu basteln. Dadurch wächst gleichermaßen das Bedürfnis nach Unterstützung bei diesem Prozess (vgl. Gudjons / Wagener-Gudjons / Pieper 2008, S. 23). Schlüsselthemen finden sich dabei in den Fragen Wer bin ich? und Was will ich?. Diese kommen im sich entwickelnden Praxisfeld der Biografiearbeit zu tragen (vgl. Miethe 2011, S. 7).

Dass Umbrüche und Einschnitte im Lebenslauf nicht nur erwachsene Menschen, sondern bereits Kinder betreffen, ergibt sich ebenfalls aus dem gesellschaftlichen Wandel. So ha- ben beispielsweise Schul- und Wohnortwechsel, veränderte familiäre Verhältnisse oder die schnelllebige Konsumindustrie zur Folge, dass sich die Kontinuität bereits in sehr jungen Jahren verändert und Kinder in einer sich stetig veränderten Alltagsumwelt aufwachsen.

Diese Aspekte bieten bereits Mädchen und Jungen Anlässe, über ihr eigenes Leben und sich als individuelle Person nachzudenken (vgl. Behnken / Mikota / Zinnecker 2009, S.

171).

Schulze (1993) postuliert weiters, dass Biografiearbeit im Kontext einer biografisch orien- tierten Pädagogik einen wesentlichen Beitrag dabei leisten kann, die Individuen bei der Entwicklung biografischer Kompetenzen zu unterstützen und zu fördern (vgl. Schulze 1993, S. 34f.).

Wie diese Unterstützungsleistung aussehen kann soll in der vorliegenden Arbeit exempla- risch anhand der Zielgruppe der Kinder beleuchtet werden. Aus den einleitenden Worten zeigt sich bereits die Aktualität des Gegenstandsbereichs der Biografiearbeit. Um sich die- sem thematisch annähern zu können, sollen im Vorfeld zentrale Begrifflichkeiten abgeklärt werden und einige Ausführungen zum autobiografischen Gedächtnis folgen.

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2.1 Biografie als sozialwissenschaftliches Konstrukt

Der Begriff Biografie kommt aus dem Griechischen und setzt sich aus den beiden Wörtern bios (Leben) und gráphein (zeichnen, abbilden) zusammen, was übersetzt mit Lebensbe- schreibung bezeichnet werden kann (vgl. Lattschar / Wiemann 2011, S. 13). Knoblich und Schmid-Isringhausen (2002) differenzieren dahingehend, dass unter Biografie nicht allein der tatsächliche Lebensweg bzw. Lebenslauf, sondern die im Gedächtnis subjektiv abge- speicherte und erinnerte Lebensgeschichte verstanden wird (vgl. Knoblich / Schmid- Isringhausen 2002, S. 104). Petzold (1999) verweist auf den diesbezüglichen Unterschied, indem er zwischen Biosodie und Biografie differenziert. Unter Biosodie wird dabei der gelebte Lebensweg verstanden, wohingegen der Begriff der Biografie die im Gedächtnis verankerte Lebensgeschichte beschreibt. Beide Begriffe kennzeichnen sich aber letztlich durch ihre Verschränktheit und das Zusammenwirken von neurowissenschaftlichen, biolo- gischen und entwicklungspsychologischen Sachbeständen mit den soziologischen und his- torischen Gegebenheiten (vgl. Petzold 1999, S. 46).

„Mit einer Biographie werden sowohl äußere Fakten, sozialgeschichtliche Er- eignisabläufe als auch Identitätsbildungsprozesse, Lern- und Bildungsgeschich- ten und individuelle wie gesellschaftliche Prozessverläufe erfasst, die im Leben eines Menschen bedeutsam sind.“ (Bock 2011, o.S.)

Der Lebenslauf bildet dabei den Hintergrund oder Rahmen für die Lebensgeschichte. Bio- grafie bildet sich gleichermaßen in der gesamten Lebensgeschichte ab, aber auch in den kleinen, alltäglichen Geschichten. Sie beinhaltet daher sowohl die gesellschaftliche, soziale und historische Dimension als auch die Art und Weise, wie der Mensch sich selbst darin positioniert und Einfluss auf die Gestaltung seines Lebens nimmt (vgl. Maurer-Hein 2004, S. 69f.).

Damit geht Biografie über das Vorhandensein eines persönlichen Lebenslaufs hinaus und umfasst nicht nur Daten über bestimmte Zeitspannen, sondern auch die individuelle Bedeu- tung, die das Subjekt diesen beimisst. Zusammenfassend lässt sich dies unter dem Begriff der Bedeutungsstrukturiertheit ausdrücken. Fakten erhalten ihre bestimmte Bedeutung erst durch den eigenen Erfahrungshintergrund (vgl. Miethe 2011, S. 12f.).

„Biografie ist demnach nicht nur die Beschreibung des individuellen Lebens- laufs, in dem die objektiven Fakten des Lebens (…) zumeist chronologisch aufgelistet werden, sondern sie bringt die Sinnhaftigkeit und Bedeutung, die das Individuum diesen Fakten beimisst, zum Ausdruck.“ (Marotzki / Tiefel 2005, S. 134)

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Dieses Verständnis von Biografie dient auch als sozialwissenschaftliches Konstrukt (vgl.

Maurer-Hein 2004, S. 68). Bei Miethe (2011) findet sich eine zusammenfassende Darstel- lung über die Merkmale, die Biografie in diesem Verständnis inhärent sind. Neben ihrer Bedeutungsstrukturiertheit basieren Biografien auf sequenziellen Erfahrungsaufschichtun- gen, die von der aktuellen Lebenssituation beeinflusst werden. Gleichsam sind sie immer subjektive Konstruktionen, die als Teil der individuellen Geschichte stets Allgemeines und Spezielles beinhalten. Darüber hinaus manifestieren sich Biografien in der kognitiven, emotionalen und körperlichen Auseinandersetzung zwischen individuellem Erleben und der gesellschaftlich-kulturellen Dimension (vgl. Miethe 2011, S. 13ff.).

Sowohl für Biografie im sozialwissenschaftlichen Verständnis als auch in weiterer Folge für Biografiearbeit gilt:

„Immer geht es um die Frage, wie konkrete Menschen ihrer Welt Sinn geben, wie sie die Welt und sich immer wieder neu konstruieren (…) aber auch: wie sie sich fügen, sich wehren oder anstrengen, um mit den ihnen gestellten Auf- gaben mehr oder weniger gut zurecht zu kommen, wie sie sich ihrer Welt zu- ordnen.“ (Maurer-Hein 2004, S. 70)

Daraus lässt sich ableiten, dass es, um Lebensgeschichten sinnhaft verstehen zu können, beides braucht: das Vorhandensein objektiver Daten sowie die individuelle Erzählung (vgl.

ebd., S. 69).

Bevor nun näher auf diesen Aspekt und dessen Nutzung in der Biografiearbeit eingegangen wird, erfolgt eine Übersicht, wie Menschen Erlebnisse verarbeiten und erinnern und wie sich diese Erinnerungen produktiv nutzen lassen.

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2.2 Überlegungen zum autobiografischen Gedächtnis

Unter Gedächtnis wird die Gesamtheit des von einem Individuum Erfahrenen verstanden und beinhaltet alles, was einmal gelernt, umgelernt und verlernt wurde. Auch das autobio- grafische Gedächtnis ist ein Teil davon und bildet gleichzeitig die höchste Organisations- stufe des Gedächtnisses. Es enthält jene Erinnerungen, die in engem Zusammenhang zur eigenen Identität stehen (vgl. Köhler 2001, S. 65ff.).

Dass Menschen Ereignisse überhaupt wahrnehmen und in der Lage sind, diese später zu erinnern, hängt davon ab, ob dem vorhergegangenen Ereignis eine Bedeutung beigemessen wird (vgl. Miehte 2011, S. 13). Erinnerungen sind folglich keine exakten Wiedergaben von realen Ereignisseen, sondern vielmehr subjektive Konstruktionen der Wirklichkeit (vgl.

Knoblich / Schmid-Isringhausen 2002, S. 106). Wie Maurer-Hein (2004) konstatiert: „Das Erlebte wird in selektiver Form gespeichert und erfährt bereits im Akt des Speicherns Ver- änderungen, Färbungen.“ (Maurer-Hein 2004, S. 73).

Das Entstehen unserer Erinnerungen ist ein kontinuierlicher Prozess ohne Abschluss, der sich in Lebensabschnitte und Lebensthemen strukturieren lässt. Das autobiografische Ge- dächtnis arbeitet im Hintergrund: die Entscheidung, ob es sich beim alltäglich Erlebten um relevante Erinnerungen handelt, vollzieht sich unbewusst im Nachhinein. Spezifische Er- innerungen werden in weiterer Folge zu allgemeingültigen Erinnerungen. Das heißt, sie werden zu Skripts, die Orientierung bieten und Bedeutungen und Bewertungen für unser Leben beinhalten, ohne die konkrete Auslösesituation genau erinnern zu können. Dieses autobiografische Memorieren hat im Wesentlichen die Funktion der Konstruktion von Identität (vgl. Knoblich / Schmid-Isringhausen 2002, S. 107f. / vgl. Conway 1990 zit.n.

Petzold 1999, S. 48).

Was die Entwicklung des autobiografischen Gedächtnisses anbelangt, können sich Men- schen ab ca. zwei Jahren an ihre eigene Geschichte erinnern (Howe 2003, zit.n. ter Horst 2005, S. 166), da sie sich ihrer selbst immer bewusster werden. Ungefähr mit 18 Monaten ist ein Kind außerdem in der Lage, sich selbst im Spiegel zu erkennen.

In der Literatur wird der Beginn des autobiografischen Gedächtnisses unterschiedlich fest- gemacht. Knoblich und Schmid-Isringhausen (2002) vertreten die Auffassung, dass Kinder bereits zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr die notwendigen Kompetenzen entwi- ckeln, um autobiografisch erinnern zu können. Dazu gehören die Fähigkeiten Erinnerungen aus dem Gedächtnis abzurufen, sie zumindest in einfache Worte zu fassen und zu sich

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selbst in Beziehung zu setzen. Autobiografischen Charakter erhalten Erinnerungen in wei- terer Folge über die Lebensspanne (vgl. Knoblich / Schmid-Isringhausen 2002, S. 109).

Köhler (2001) argumentiert dem gegenüber, dass erst im Alter zwischen fünf und sechs Jahren die Gehirnreifung so weit fortgeschritten ist, dass das autobiografische Gedächtnis in seiner vollen Leistung möglich ist. Ab diesem Zeitpunkt sind nämlich Gedächtnisinhalte selbst in Abwesenheit des äußeren Kontextes der Erinnerung abrufbar. Die Autorin räumt aber selbst ein, dass der Beginn des autobiografischen Gedächtnisses mit dem Enden der infantilen Amnesie zusammenhängt. Infantile Amnesie bedeutet, dass Rückerinnerungen an die ganz frühe Kindheit und die ersten Lebensjahre nicht oder nur bruchstückhaft möglich sind (vgl. Köhler 2001, S. 66ff.). Demzufolge sind Kinder ab dem Kindergarten- und Vor- schulalter in der Lage, wichtige persönliche Erfahrungen über einen längeren Zeitraum erinnern zu können (vgl. Schneider / Büttner 1995, S. 699 zit.n. Fuhs 2000, S. 91). Mit der fortschreitenden Entwicklung des autobiografischen Gedächtnisses nimmt sich das Kind zunehmend als Mensch mit Vergangenheit und Zukunft wahr (vgl. Sechtig / Viernickel 2003, S. 28).

Zentral für das autobiografische Gedächtnis ist, dass es die Wirklichkeit nie objektiv abbil- det, sondern die erinnerten Inhalte je nach Stimmung, Kontext und Bedeutsamkeit organi- siert und strukturiert. Jedes Erinnern geht mit einer Neukonstruktion des Gehirnes einher.

Die eigenen Emotionen beim Speichern oder Abrufen von Erinnerungen beeinflussen und verändern das Erinnerungsbild (vgl. Köhler 2001, S. 66).

Dadurch, dass Erinnerungen subjektive Interpretationen von Erlebnissen und Erfahrungen sind, können sie aber auch aktiv rekonstruiert und zu neuen Erinnerungsbildern zusam- mengesetzt werden. Insofern ermöglicht diese Rekonstruktion, dass sich unser Selbstkon- zept weiterentwickelt und sie bietet Potenzial für Veränderungen. Darin liegt auch der Sinn des Vergessens, das immer dann passiert, wenn eine Erinnerung durch Wiederholung oder eine Änderung des Lebenskontextes ihre ursprüngliche Bedeutung verliert.

Das autobiografische Gedächtnis garantiert die Verbindung von Vergangenem, Gegenwär- tigem und Zukünftigen. Damit schafft es die Grundlage für die Identitätsentwicklung und das Gefühl der Integrität. Wie wir uns erinnern ist ebenfalls von Bedeutung für unsere Selbstwahrnehmung. Gleichzeitig formt sich aus den autobiografischen Erinnerungen auch unser Selbstbild (vgl. Keiner / Macé / Theobald 2000, S. 23).

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Für die Biografiearbeit bedeuten diese Ausführungen zum autobiografischen Gedächtnis, dass es primär nicht um die objektive Wahrheit von Fakten geht – die selbstverständlich auch von zentraler Bedeutung ist – sondern darum, wie etwas erlebt wurde. Jede erinnerte Sequenz ist als innere Realität für das Subjekt wahr und der dahinter liegende subjektive Sinn erschließt sich erst durch Erzählen und gezieltes Nachfragen (vgl. Gudjons et al.

2008, S. 26). Gleichzeitig wird aber auch verdeutlicht, dass Erinnerungen nichts Statisches sind, sondern von den Individuen auch neu bewertet und genutzt werden können. Diese Rekonstruktion hat darüber hinaus wieder eine Änderung des eigenen Selbstbildes zur Fol- ge. Darin zeigt sich auch bereits ein Zusammenhang zwischen den Zielsetzungen der Bio- grafiearbeit und der Entwicklung der eigenen Identität, wie in Kapitel 5 noch genauer er- läutert werden soll.

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2.3 Biografiearbeit als eigenständige Handlungsmethode

Miethe (2011) weist darauf hin, dass es bis dato in der Literatur noch keine einheitliche Begriffsdefinition bezüglich Biografiearbeit gibt, sondern lediglich Synonyme verwendet werden bzw. anhand von Zielsetzungen beschrieben wird, was Biografiearbeit sein soll. In vielen Literaturbeiträgen wird gar nicht erst der Versuch unternommen, Biografiearbeit zu definieren und es findet eine Reduktion auf Auseinandersetzung mit der eigenen Lebens- geschichte statt. Da das Feld der Biografiearbeit begrifflich sehr heterogene Bedeutungen aufweist, ist es vorab notwendig, eine genaue Begriffsklärung anzustreben, um die Biogra- fiearbeit von ähnlichen Arbeitsfeldern abgrenzen zu können, eine Weiterentwicklung der- selben zu ermöglichen und der Professionalisierung Rechnung zu tragen (vgl. Miethe 2011, S. 7).

Ein in der Literatur oft zitiertes Synonym für Biografiearbeit ist der von Gudjons et al. in den 80ern entwickelten Begriff der biografische Selbstreflexion (vgl. Gudjons et al. 2008, S. 12). Wenn diese methodisch organisiert wird, kann nach Auffassung der Autor/innen von Biografiearbeit gesprochen werden (vgl. Gudjons et al. 2008, S. 12ff.). Dass dies al- lerdings nur einen – wenn auch nicht unwesentlichen – Teilaspekt von Biografiearbeit ausmacht, wird an der untenstehenden Definition von Miethe (2011) deutlich.

Laut Hölzle (2011) ist Biografiearbeit die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte, die unter Anleitung und mittels aktiver Gestaltung in Gruppen oder mit Individuen stattfindet (vgl. Hölzle 2011a, S. 31). Diese Definition beschreibt kurz und prägnant, was unter Biografiearbeit verstanden wird und wie ein diesbezügliches Set- ting aussehen kann, lässt aber die Zielsetzung außer Acht.

Krautkrämer-Oberhoff (2009) bringt Biografiearbeit folgendermaßen zum Ausdruck: „Mit Hilfe von Biografiearbeit fokussieren wir die vergangene und gegenwärtige Lebensge- schichte eines Menschen und erfahren deren emotionalen und sozialen Bedeutungsgehalt.“

(Krautkrämer-Oberhoff 2009, S. 115). In dieser Definition wird zwar beschrieben, was das Anliegen von Biografiearbeit ist, allerdings fehlt darin die Zukunftsperspektive, die eben- falls wesentlich ist, da Biografie auch mit dem weiteren Leben verknüpft ist. Außerdem fehlen Hinweise auf das Setting, in dem biografisch gearbeitet werden kann.

Stärker auf die Klienten und Klientinnen von Biografiearbeit fokussieren Roer und Mau- rer-Hein (2002), die konstatieren, dass Biografiearbeit den/die Klient/in mit seiner/ihrer Lebenswelt im Blick hat und sich folglich an dessen/deren Geschichten, Lebensentwürfen, Wünschen, Bedürfnissen, Erfahrungen, Fähigkeiten und Möglichkeiten orientiert (vgl. Ro-

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er / Maurer-Hein 2002, S. 589). Diese Deutung von Biografiearbeit ist eine sehr zielgrup- penorientierte. Sie beschreibt deutlich, welches Menschenbild Biografiearbeit zugrunde liegt, aber auch hier fehlen Hinweise auf das konkrete Setting sowie die Zielsetzung.

Wenn man die Definition von Roer und Maurer-Hein (2002) mit der von Jansen (2011) verbindet, zeichnet sich bereits deutlicher ab, was unter Biografiearbeit konkret verstanden werden kann. So ist Jansen der Auffassung, dass Biografiearbeit in pädagogischen Settings den Menschen unterstützen soll, indem sie das biografische Gewordensein der Subjekte im Kontext und im Kontinuum von Lebensgeschichte erarbeitet und den Blick dahingehend verändert, Biografie als gestaltbares Element zu verstehen (vgl. Jansen 2011a, S. 21).

Diese ausgewählten Definitionen bringen gleichzeitig auch die Uneindeutigkeit und Hete- rogenität zum Ausdruck, die mit dem Begriff einhergehen. Miethe (2011) hat nun versucht, alle wesentlichen Einzelaspekte in einer breit angelegten Definition zusammen zu fassen:

„Ausgehend von einem ganzheitlichen Menschenbild ist Biografiearbeit eine strukturierte Form der Selbstreflexion in einem professionellen Setting in dem an und mit der Biografie gearbeitet wird. Die angeleitete Reflexion der Ver- gangenheit dient dazu, Gegenwart zu verstehen und Zukunft zu gestalten.

Durch eine Einbettung der individuellen Lebensgeschichte in den gesellschaft- lichen und historischen Zusammenhang sollen neue Perspektiven eröffnet und Handlungspotenziale erweitert werden.“ (Miethe 2011, S. 24)

Besonders betont wird in dieser Definition der Aspekt der Ganzheitlichkeit bezüglich der Trias Denken, Fühlen, Handeln. Weiters verweist die Autorin auf ein professionelles Set- ting, welches den pädagogischen und methodischen Rahmen der Biografiearbeit bildet und verdeutlicht, dass Biografiearbeit immer ein interaktives Miteinander darstellt. Außerdem ist für Biografiearbeit vonnöten festzuhalten, dass der Mensch immer in einen gesellschaft- lichen und historischen Kontext eingebettet ist, woraus sich die Zeitperspektive als charak- teristisches Merkmal entpuppt, die eine Reflexion der Vergangenheit als Grundlage für die Gestaltung der Zukunft zum Ziel hat (vgl. ebd., S. 21ff.).

Diese Definition veranschaulicht darüber hinaus, dass ein bloßes Erzählen über die eigene Lebensgeschichte in einer Alltagssituation oder das Verfassen einer Autobiografie noch keine Biografiearbeit im eigentlichen Sinne darstellt.

2.3.1 Traditionslinien

Miethe (2011) erläutert in ihrem Grundlagenwerk zur Biografiearbeit, dass sich dieselbe aus unterschiedlichen Traditionslinien entwickelt hat, wie folgende Grafik verdeutlichen soll:

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Abb. 1: Traditionslinien der Biografiearbeit (Miethe 2011, S. 46)

Die Haupteinflüsse sind den Sozial- und Erziehungswissenschaften, der Psychotherapie und Psychologie und den Geisteswissenschaften zuordenbar. Um das volle Potenzial dieser unterschiedlichen Richtungen auch im Sinne einer professionellen Entwicklung nutzen zu können, müssen sich die unterschiedlichen Einflüsse miteinander verbinden (vgl. Miehte 2011, S. 45). Die Vielfalt der Einflüsse ist aber keineswegs von Nachteil, sondern bewirkt, dass sich Biografiearbeit in vielen unterschiedlichen Handlungsfeldern etablieren kann (ebd., S. 9).

In den Sozial- und Erziehungswissenschaften hat die Biografieforschung wesentliche Impulse für die Biografiearbeit beigesteuert. Die Biografieforschung stellt einen anerkann- ten Forschungsansatz in den Sozialwissenschaften dar, aus dem die Biografiearbeit ihr Me- thodenrepertoire im Hinblick auf narratives Erzählen erhält (vgl. ebd., S. 87f.). Biografie- arbeit lässt sich so im weitesten Sinne auch den qualitativen Methoden der Sozialen Arbeit zuordnen. Gleichzeitig ist es aber wichtig, beide Disziplinen voneinander abzugrenzen.

Biografieforschung verfolgt das Ziel, allgemeine Erkenntnisse aus narrativen Interviews mit Biografieträger/innen zu gewinnen. Die subjektiven Erzählungen, Dokumente und Ge- genstände aus der Alltagswelt dienen dabei als Grundlage für die Rekonstruktion von Le- bensgeschichten und den dahinter liegenden individuellen (aber auch kollektiv eingebette- ten) Sinnzusammenhängen. Auf Basis dieser Rekonstruktion wird in der Biografiefor- schung versucht, allgemeingültige Aussagen herauszuarbeiten. Biografiearbeit zeichnet sich ebenfalls durch kritisches Fragen, bewusstes Nachforschen und differenzierte De- tailanalyse aus und ist bestrebt, in einen echten Erkenntnisgewinn für das Subjekt überzu- gehen. Dennoch, bleibt sie immer am Einzelfall orientiert und sieht diesen als etwas Be- sonderes an, ohne dabei weitreichende wissenschaftliche Interpretationen anzustreben.

(vgl. Gudjons et al. 2008, S. 15ff.). Im Vordergrund stehen in der Biografiearbeit die Selbsterkenntnis und Weiterentwicklung des Subjektes. Des Weiteren fehlt der Biografie-

(18)

forschung ein zentrales Element, nämlich dass der pädagogischen Beziehung und notwen- digen Interaktion mit dem Menschen an dessen Biografie gearbeitet werden soll. Biogra- fiearbeit weist zwar Berührungspunkte zur Biografieforschung auf und sie bedienen sich ähnlichen methodischen Hilfsmitteln, allerdings unterscheiden sie sich eindeutig in ihrer Zielsetzung und dem Weg diese zu erreichen (vgl. Miethe 2011, S. 24f.).

Der Einfluss der Psychotherapie und Psychologie betrifft vor allem die von Freud be- gründete Psychoanalyse. Wesentlichste Erkenntnis für Biografiearbeit ist, dass unsere Bio- grafie neben bewussten Anteilen auch aus Unbewusstem besteht. Das betrifft vor allem Erinnerungen, welche in der Vergangenheit verdrängt wurden, aber dennoch Einfluss auf die weitere Entwicklung haben, indem sie das eigene Wachstum und Handlungspotenzial einschränken können. Dadurch, dass diese Erinnerungen uns selbst aber nicht ohne Weite- res zugänglich sind, macht es Sinn, mit Hilfe von außen darauf zu blicken und sie gegebe- nenfalls neu zu bewerten. Hierin begründet sich die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Biografiearbeit (vgl. ebd., S. 53).

Zentrales Element der Biografiearbeit, das aus der Humanistischen Psychologie übernom- men wurde, ist das dahinterliegende Menschenbild. Das Individuum wird verstanden als ganzheitliches Wesen, das von sich aus ein Bedürfnis nach Weiterentwicklung und Entfal- tung besitzt. Damit einher geht auch die Notwendigkeit der eigenen Selbstreflexion (vgl.

ebd., S. 68f.).

Durch den Einfluss der Familientherapie erhält Biografiearbeit ihren systemischen Blick, der Individuen eingebettet in soziale Zusammenhänge sieht (vgl. ebd., S. 75f.)

Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch eine Abgrenzung von Biografiearbeit zur (Psycho-)Therapie. Auch wenn diese schwierig ist, liegen Unterscheidungsmerkmale in der Selbstdefinition beider Disziplinen und der spezifischen Ausbildung für Psychothera- peuten und Psychotherapeutinnen. Wesentlichstes Merkmal ist aber folgendes:

„In der Biografiearbeit können therapeutische Prozesse geschehen, in der The- rapie werden sie bewusst angestrebt.“ (Gudjons et al. 2008, S. 21)

Wenn sich im Prozess der Biografiearbeit heraus kristallisiert, dass eine zusätzliche Thera- pie nötig ist (z.B.: bei Traumatisierungen), darf diese nie zugunsten der Biografiearbeit außen vor gelassen werden (vgl. Gudjons et al. 2008, S. 21). Biografiearbeit kann und will Therapie nicht ersetzen (vgl. Miethe 2011, S. 33)!

(19)

Die den Geschichtswissenschaften zuordenbare Oral History sieht die kleinen Leute als (Mit-)Träger/innen der großen Geschichten und misst ihren individuellen Erfahrungen die notwendige Wertschätzung bei. Neben diesem grundlegenden Ansatz bezieht sich die Oral History auch auf die in der Sozialen Arbeit wichtigen Prämissen der Lebenswelt- und So- zialraumorientierung, um das So-Gewordensein-Sein von Menschen zu verstehen. Dane- ben lässt sich der Forschungsprozess der Oral History der, sich als gemeinsamer Arbeits- und Lernprozess zwischen Forscher/innen und Beforschten versteht, auch auf das Arbeits- bündnis in der Biografiearbeit übertragen (vgl. ebd., S. 94f.).

Nachdem in diesem Kapitel die wesentlichen Grundlagen für Biografiearbeit besprochen wurden und eine begriffliche Positionierung vorgenommen wurde, soll nachfolgend kurz auf die unterschiedlichen Anwendungsfelder eingegangen werden.

2.3.2 Anwendungsfelder

Biografiearbeit kann in ganz unterschiedlichen Settings zum Einsatz kommen. Am stärks- ten entwickelt hat sich Biografiearbeit zunächst auf dem Gebiet der Altenbildung und Al- tenpflege (vgl. Miethe 2011, S. 101). Für den Bereich der Altenarbeit erstellte Robert N.

Butler 1963 das Konzept der Life-Review. Durch eine Rückschau auf ihr bisheriges Leben sollten ältere Menschen die Möglichkeit erhalten, sich mit ihren eigenen Erfahrungen aus- einanderzusetzen. Nach und nach wurde dieses Konzept erweitert und fand in den 1980ern im Bereich der Erwachsenenbildung und der Altenarbeit auch im deutschsprachigen Raum Einzug. Biografiearbeit mit der Zielgruppe der älteren Menschen wird heute vielfach als aktivitätsorientiert verstanden, indem sie dazu befähigen soll, Kompetenzen im Alter zu fördern und aufrecht zu erhalten (vgl. Lattschar / Wiemann 2011, S. 23).

Von Biografiearbeit in der Altenarbeit kann der Bogen zum Einsatz im Rahmen der Kin- der- und Jugendhilfe gespannt werden, welches das jüngste Einsatzgebiet darstellt. Parallel dazu entwickelte sich Biografiearbeit auch als methodischer Strang in der Frauenbildung und in der Behindertenhilfe (vgl. Miethe 2011, S. 101).

Neben der Differenzierung nach unterschiedlichen Zielgruppen gilt allgemein für das Feld der Biografiearbeit, dass es immer dort zum Einsatz kommen kann, wo der bisherige Le- benslauf durch einschneidende Erlebnisse oder Situationen verändert oder in Frage gestellt wird (vgl. Hölzle 2011a, S. 35). Dies trifft vor allem dann zu, wenn Biografiearbeit in ei- nem sozialpädagogischen Setting angewendet wird:

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„Insbesondere im Kontext der Sozialen Arbeit wird Biografiearbeit herangezo- gen zur systematischen biografischen Unterstützung von Menschen, die auf- grund einer ressourcenarmen Lebenslage, einer Krise, eines gesellschaftlichen Ausschlusses, einer besonders prekären Lebenssituation Unterstützung beim lebendigen Gestalten ihrer Biografie benötigen und zwar unter Anerkennung ihrer jeweiligen Sozialen Wirklichkeit mit der sie biografisch verwoben sind.“

(Jansen 2011a, S. 24)

Wesentliche Vorteile, die diesen Ansatz für die Soziale Arbeit und die Sozialpädagogik nutzbar machen, liegen in der adressatenorientierten Zielbestimmung, der Ressourcenakti- vierung, der Arbeit mit kreativen Elementen und der Niedrigschwelligkeit des Zugangs.

Alle erwähnten Aspekte setzen jeweils das Vorhandensein einer fachlichen Professionalität voraus (vgl. Jansen 2011a, S. 26). Diese Merkmale sind ebenso grundlegend für die Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe. Wie Biografiearbeit in dieser zum Einsatz kommen kann, soll der nachfolgende Abschnitt klären.

(21)

3 B

IOGRAFIEARBEIT MIT

K

INDERN IN DER

S

OZIALPÄDAGOGIK

Wurden im vorigen Kapitel die Grundlagen zur Biografiearbeit allgemein beleuchtet, liegt der Fokus in diesem Abschnitt auf Biografiearbeit mit Kindern in der sozialpädagogischen Praxis.

Bis zum Erscheinen des Klassikers Wo gehöre ich hin? von Ryan und Walker im Jahr 1997, war Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen im deutschsprachigen Raum ein relativ unbekannter Begriff in der (Fach-)Öffentlichkeit (vgl. Ryan / Walker 2007, S. 7).

Im angelsächsischen Raum, der auch die Biografiearbeit hierzulande stark mitprägte, exis- tieren unterschiedliche Bezeichnungen für Biografiearbeit. Dies lässt sich einerseits auf die unterschiedlichen Zielgruppen zurückführen, andererseits aber auch auf die Tatsache, dass Biografiearbeit von englischen Autoren und Autorinnen selten interdisziplinär verstanden wird und je nach Leitprofession unterschiedliche Formen und Schwerpunkte aufweist. Bei Biografiearbeit mit Kindern ist daher von life story work, life book oder life story book die Rede, wobei die Begriffe synonym verwendet werden (vgl. Frampton 2009, S. 123f.).

Biografiearbeit mit Kindern stellt in Großbritannien mittlerweile eine etablierte Methode der Sozialen Arbeit dar. Die Ursprünge finden sich im Amerika der 60er Jahre, wobei Ma- ry B. Horn im Children’s Bureau of Los Angeles durch die erste dementsprechende Kon- zeptentwicklung als Gründerin der Biografiearbeit angesehen werden kann (vgl. Aust 1981, S. 536 zit.n. ebd., S. 125). Ab den 1980er Jahren nahm in England die Bedeutung des Handlungsprinzips der Partizipation zu. Diese Entwicklung hatte auch für den Blick auf Kinder und Kindheit Folgen, da sie zunehmend als eigenständige Subjekte gesehen wurden, die an den Entscheidungen, die ihr Wohlergehen betreffen, mitbestimmen und teilhaben sollten. Dadurch wurde der Einsatz von Biografiearbeit im Adoptionswesen in der 2005 in Kraft getretenen Adoption and Children Act von 2002 verankert, was zu einem Pool an standardisierten Methoden und der Entwicklung eines speziellen Arbeitsverlaufes führte. Das Interesse der deutschsprachigen Fachkräfte am englischen Modell, lässt sich vor allem auf die klare, zukunftsorientierte, kommunikationsfördernde und ganzheitliche Zielsetzung, die Methodenbreite und die für das Kind nutzbaren Arbeitsergebnisse, vor allem in Form von Lebensbüchern, zurückführen (vgl. ebd., S. 123ff.).

Im Unterschied zum angloamerikanischen Sprachraum stellt Biografiearbeit mit Kindern in Deutschland und Österreich einen sehr jungen Bereich dar. Dies ist vor allem auf die Übersetzung des oben genannten Standardwerkes Wo gehöre ich hin? durch die Psycholo-

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gin Irmela Wiemann und der Pädagogin Birgit Lattschar zurückzuführen, die auch zahlrei- che weitere Arbeiten zu diesem Themengebiet publizierten und so wesentlich zur Verbrei- tung der Methode beitrugen (vgl. Morgenstern 2011, S. 10).

Da sich der Ansatz speziell an Kinder richtet, die aus diversen Gründen getrennt von ihrer leiblichen Familie aufwachsen (vgl. Plass 2009, S. 6), sind primäre Zielgruppen Pflege- und Adoptivkinder sowie Klient/innen der stationären Jugendhilfe (vgl. Miethe 2011, S.

125f.). Eine ausdifferenzierte Betrachtung der möglichen Zielgruppen findet sich im fol- genden Kapitel.

(23)

3.1 Zielgruppen und Zielsetzungen

Biografiearbeit ist speziell für Kinder und Jugendliche geeignet, die Brüche in ihrem bishe- rigen Leben erfahren haben. Dadurch lässt sie sich in besonderem Maße bei Kindern an- wenden, die von ihrer Herkunftsfamilie getrennt leben und denen vielfach die Möglichkeit fehlt, etwas über ihre Vergangenheit zu erfahren. Eine ungefähre Auflistung der möglichen jungen Klienten und Klientinnen findet sich bei Lattschar und Wiemann (2011):

Kinder in Pflege- und Adoptivfamilien

Kinder in Verwandtenpflege

Kinder bei Alleinerziehenden

Kinder, die einen leiblichen Elternteil nicht kennen

Kinder in Stieffamilien / Patchworkfamilien

Kinder in Erziehungsstellen

Kinder und Jugendliche in ambulanten und stationären Einrichtungen der Jugend- wohlfahrt

Kinder mit Verlusterfahrungen von Bezugspersonen

Kinder in Trennungs- und Scheidungskonflikten

Kinder mit Migrationserfahrungen (vgl. Lattschar / Wiemann 2011, S. 29ff.)

Da gerade bei Kindern, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen, die familiären Wurzeln eingeschränkt oder gar nicht zugänglich sind, wird Biografiearbeit dazu verwen- det, dass die Betroffenen Klarheit über ihre eigene Lebensgeschichte erlangen und ein rea- listisches Bild von sich und ihrer Familie bekommen (vgl. Miethe 2011, S. 126).

Bei Kindern mit Migrationserfahrungen kommt oft die problematische Situation hinzu, dass sie Orientierungsangebote zweier oder mehrerer, oftmals sehr gegensätzlicher Kultu- ren integrieren müssen. Diese Kinder kennen das Gefühl des Fremdseins, erleben unter Umständen Diskriminierung und bei Flucht vor Krieg oder Verfolgung aus dem Herkunfts- land können zusätzlich Traumatisierungen auftreten (vgl. Lattschar 2004, S. 58).

Lediglich Weinberger (2001) weist darauf hin, dass sich Biografiearbeit auch für Kinder mit einer chronischen oder lebensbedrohlichen Krankheit oder für Kinder mit Behinderung eignet (vgl. Weinberger 2001, S. 179). Allerdings gibt es für diese besondere Zielgruppe kaum Literatur mit konkreten Handlungsumsetzungen und es fehlen empirische Forschun- gen zur Wirksamkeit.

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Unerwähnt lassen Lattschar und Wiemann (2011) das Einsatzgebiet der Schule für Kinder und Jugendliche. Zwar gibt es für diesen Bereich bis dato erst wenig konkrete Erfahrungen in der Umsetzung, aber einzelne Projektansätze zeigen auf, dass Biografiearbeit auch im Kontext Schule nutzbar gemacht werden kann (vgl. Morgenstern 2011 / Baierl 2008).

Den Zielgruppen inbegriffen ist die Tatsache, dass alle diese Kinder Brüche und/oder Kri- sen in ihrem Lebenslauf bewältigen müssen (vgl. Bock 2011, o.S.). Darüber hinaus wird in der Literatur auch die Auffassung vertreten, dass Biografiearbeit überall dort zum Einsatz kommen kann, wo eine kontinuierliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen stattfindet (vgl. Morgenstern 2011, S. 4). Biografiearbeit kann für jedes Kind eine Unterstützung dar- stellen, vor allem wenn im Leben Neubeginne oder Abschiede bevorstehen, wie beispiels- weise ein Wohnortwechsel, Eintritt in Kindergarten oder Schule, die Geburt von Ge- schwistern, der Verlust einer Bezugsperson etc. Hier bietet Biografiearbeit eine Möglich- keit, einschneidende Veränderungen besser ins Leben einordnen zu können (vgl. Wiemann 2004, S. 17 / vgl. Lattschar / Wiemann 2011, S. 29). Durch die eingangs erwähnten Mo- dernisierungsprozesse unserer Gesellschaft wird allerdings auch deutlich, dass Mädchen und Jungen zunehmend professionelle Unterstützung benötigen, ihre heterogenen Le- benserfahrungen in einen subjektiven Gesamtsinn, in ihre Biografie, einzubetten, was eine der wesentlichen Zielsetzungen im Kontext der biografischen Arbeit darstellt.

Das Bedürfnis nach biografischen Sinnzusammenhängen steigt in Zeiten von Krisen und Umbrüchen und führt mitunter dazu, dass sich Identitätsfindung in der Postmoderne nicht mehr aus der Tradition ergibt, sondern dass diese nur durch eine mühevollen und risikorei- chen Reflexionsprozess gewonnen werden kann, bei dem die Unterstützung eines kompe- tenten Erwachsenen von Vorteil sein kann (vgl. Gudjons et al. 2008, S. 20). Diesbezüglich kommen auch Wandlungsprozesse auf die Sichtweise von Kind und Kindheit allgemein zum Tragen, die Bock (2010) wie folgt im Kontext der postmodernen Gesellschaft be- schreibt:

„(…) in denen Kindheit und Kindsein sukzessive als eigenständige Lebenspha- se konzipiert wird, in der biographische Verselbstständigungsschritte, spezifi- sches Alltagserleben, Aufwachsbedingungen und Alltagsorganisation im Hori- zont von speziellen Lebensmilieus, sozialen Ungleichheiten, gesellschaftlichen Chancen, Möglichkeiten und Grenzen in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Modernisierungsschüben und Wandlungsprozessen gesehen werden.“ (Bock 2010, S. 34)

Diese Ausführungen belegen, dass die subjektive Biografie eng an die vorgefundenen Rahmen- und Aufwachsbedingungen gekoppelt ist. Biografiearbeit sollte daher das Kind in

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seiner gesamten Komplexität sehen und neben dem familiären auch den kulturellen, sprachlichen und religiösen Hintergrund des Kindes mit einfließen lassen und berücksich- tigen (vgl. Frampton 2006, S. 129).

Bezogen auf die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen will Biografiearbeit dahingehend unterstützen, dass das Kind seine eigene Lebensgeschichte verstehen und akzeptieren lernt und es zu einer neuen Betrachtung und Bewertung von gemachten Lebenserfahrungen ge- langt. Auf diese Weise kann es ein realistisches Selbstbild entwickeln und die eigene Iden- tität festigen (vgl. Krautkrämer-Oberhoff 2009, S. 123f.).

„Biografiearbeit kann schwierige Lebenserfahrungen der Kinder und Jugendli- chen nicht rückgängig machen. Sie kann aber im Umgang mit solchen Leben- sereignissen unterstützen und es ermöglichen, dass Kinder und Jugendliche diese Erfahrungen als Teil ihres Lebens akzeptieren lernen.“ (Miethe 2011, S.

130).

Im Sinne einer lebensweltorientierten Sozialen Arbeit begünstigt Biografiearbeit das Errei- chen eines gelingenderen Alltags (Thiersch 1986 zit.n. Köttig / Rätz-Heinisch 2005, S. 16).

Dies meint, dass die Kinder und Jugendlichen dahingehend unterstützt werden sollen, um am Ende der Maßnahme die Anforderungen des Alltags besser und weitgehend selbststän- dig bewältigen können. In diesem Sinne soll dialogische Biografiearbeit durch das Anre- gen von Selbstverstehensprozessen Kinder bei der bewussten und aktiven Gestaltung des eigenen Lebens unterstützen (vgl. ebd., S. 16ff.).

Biografiearbeit stellt außerdem einen möglichen Weg dar, um auf niederschwellige Weise Zugang zu den Erinnerungen der Kinder und Jugendlichen zu bekommen (vgl. Wiemann 2003, S. 124). Sie kann dabei hilfreich sein, Brücken von einem Lebensraum in den nächs- ten zu schlagen und Übergänge professionell zu begleiten. Dieses Brücken bauen von der Vergangenheit über die Gegenwart hin zur Zukunft wird in der Fachsprache als Bridging bezeichnet und stellt den Versuch dar, Lebenserfahrungen in einen sinnvollen Zusammen- hang zu bringen (vgl. Maywald 2001, S. 235).

Bei Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen geht es noch mehr als mit anderen Ziel- gruppen um ein entwerfendes Verstehen, das heißt, Kinder zu befähigen den Blick auf neue Zukunftsperspektiven zu richten. Allerdings geschieht dies unter dem Aspekt, gemeinsam mit dem Kind Wissen und Verständnis für all das zu entwickeln, was bisher in seinem Le- ben geschehen ist. Diese Prämisse beinhaltet auch, dass Biografiearbeit Raum schafft, sich mit seiner eigenen Vergangenheit auszusöhnen und den Weg für neue Handlungsmöglich- keiten zu ebnen (vgl. Gudjons et al. 2008, S. 19f.).

(26)

„Gerade die Kinder, die massive biografische Brüche erlebt haben, wissen sehr genau, dass die Welt von morgen ganz anders sein kann als es heute scheint.“

(Wolf 2009, S. 245).

Dieses Zitat zeigt auf, dass gerade Kinder mit Umbrucherfahrungen dabei unterstützt wer- den müssen ihre eigene Lebensgeschichte annehmen zu können. Um sich selbst wieder als aktive/r Gestalter/in des eigenen Lebens verstehen zu können und die Selbstbestimmung zu erhöhen, ist es hilfreich wenn Platz für Emotionen wie Wut, Trauer oder Hoffnungslosig- keit geschaffen wird (vgl. Gudjons et al. 2008, S. 19f.). Weiß (2009) spricht im Zusam- menhang von Traumatisierungen bei Kindern und Jugendlichen davon, dass der Weg in die Zukunft untrennbar mit der Vergangenheit eines Menschen verbunden ist. Das bedeutet folglich, je belastender die gemachten Erfahrungen sind, desto eingeschränkter sind die Perspektiven und Vorstellungen für die Zukunft. Damit Lebensgestaltung selbstbestimmter werden kann, benötigen die Mädchen und Jungen Bewusstheit über die Zusammenhänge, die ihr aktuelles Leben prägen (vgl. Weiß 2009, S. 84ff.). Um den Bogen wieder zurück zu einem gelingenderen Alltag zu spannen, erklärt Miethe (2011):

„Zukunft wird aber lebbarer, wenn die verschiedenen Anteile des bisherigen Lebens in den Lebensverlauf integriert werden können und nicht negiert wer- den müssen.“ (Miethe 2011, S. 127)

Weiß (2009) verweist allerdings auch darauf, dass Pädagog/innen der Vergangenheit der Kinder, vor allem wenn sie eine sehr belastete ist, vielfach aufgrund von Überforderung, aus dem Weg gehen wollen. Dies geschieht indem zum Beispiel die Verantwortung an die Psychotherapie abgegeben wird (vgl. Weiß 2009, S. 84ff.).

Biografiearbeit kann somit den Versuch darstellen, diesem Defizit in der Pädagogik ge- recht zu werden und so wie Plass (2004) postuliert, als methodischer Zugang die jungen Menschen bei der Wahrnehmung ihrer Lebensgeschichte und der darauffolgenden Ausei- nandersetzung mit zurückliegenden Ereignissen und deren Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft zu unterstützen (vgl. Plass 2004, S. 6). Das Stärken für die Zukunft wird auch in folgendem Zitat zum Ausdruck gebracht:

„Es geht darum, die eigene Biografie immer neu zu erschaffen, um sich seiner selbst zu vergewissern und selbstbewusst in die Zukunft zu gehen.“ (Maywald 2001, S. 240).

Das Hauptanliegen von Biografiearbeit mit Kindern besteht darin, den kindlichen Selbst- wert und die Selbstachtung zu stärken, um langfristig die Entwicklung einer stabileren Identität zu fördern (vgl. Frampton 2006, S. 126). Biografiearbeit will Kinder stark für die

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Zukunft machen. Je nach Zielgruppe müssen die Unterziele und die Umsetzung flexibel an das Kind und seine Bedürfnisse angepasst werden. Näheres dazu findet sich im nächsten Kapitel.

(28)

3.2 Praxis der Biografiearbeit

In diesem Kapitel sollen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für professionelle Biografiearbeit mit Heranwachsenden thematisiert werden. Um die theoretischen Grundla- gen mit dem aktuellen Bild in der Praxis zur Passung zu bringen, sollen in diesem Kapitel wichtige Aussagen und Erkenntnisse aus den Interviews mit den Experten und Expertinnen sowie den Kindern und der Jugendlichen aus den beiden sozialpädagogischen Einrichtun- gen in Kärnten einfließen.

3.2.1 Setting und Rahmenbedingungen

Miethe (2011) unterscheidet ganz allgemein zwischen formeller und informeller Biografie- arbeit. Während bei formeller Biografiearbeit die bewusste Arbeit an und mit der Biografie im Zentrum steht, beinhaltet informelle Biografiearbeit alle Alltagssituationen, die sich in einem professionellen Setting, z.B. im Rahmen der Jugendwohlfahrt, nebenbei ergeben und mit einer pädagogischen Intervention einhergehen (vgl. Miethe 2011, S. 31f.).

Wie informelle Biografiearbeit in der Sozialpädagogik mit Kindern und Jugendlichen um- gesetzt wird, soll folgende Interviewpassage verdeutlichen:

„Also, es ist eh so wie ich jetzt gesagt hab, ein Kind kommt und und fragt, weiß ich nicht, es ist halt irgendein Anlass. Das Kind sagt: ‚Ja, ich…warum bin ich da?‘ oder ‚Wie ist das gewesen?‘, ‚Wie, wie war das?‘ und und dann redet man einfach darüber. Oder ja, auch wenn jetzt, weiß nicht, wenn jetzt die Oma oder der Opa zum Beispiel stirbt oder so und man, die Kinder haben oft viel- leicht gar nicht so viel Kontakt zu ihnen, dann wird das einfach irgendwie wie- der aufgerollt. Und dann nimmt man einfach diesen Anlassfall her, um mit den Kindern über, über die Biografie und über das zu sprechen. So ist das eigent- lich bei uns da, ja. So läuft das.“ (Interview E 2012, Abs. 14)

Des Weiteren wird im Hinblick auf das Setting unterschieden. Hierbei gibt es sowohl die Möglichkeit Biografiearbeit im Einzelsetting als auch im Gruppenkontext zu praktizieren.

Biografiearbeit ist in ihren Ursprüngen durch die Gruppenarbeit in der Alten- und Erwach- senenbildung heraus entstanden, wird in der Praxis heute aber sowohl im Gruppensetting, als auch in Einzelarbeit durchgeführt (vgl. Miethe 2011, S. 33).

Die Herausforderung im Einzelsetting besteht darin, eine klare Abgrenzung zur Therapie beizubehalten. Häufig kommt Einzelarbeit im Kontext der Jugendwohlfahrt zum Einsatz, wobei unter anderem das Argument der ungeteilten Aufmerksamkeit einer Bezugsperson sowie ein damit einhergehendes engeres Vertrauensverhältnis stark für dieses Setting spre- chen (vgl. Miethe 2011, S. 33).

(29)

Auch die Rückmeldungen der interviewten Pädagogen und Pädagoginnen lassen eine ein- deutige Präferenz zur Einzelarbeit erkennen. Lediglich die Jugendliche Lena gibt an, dass sie Biografiearbeit gemeinsam mit ihrer Schwester gemacht habe. Einer der Hauptgründe die Methode im Einzelsetting zu praktizieren liegt laut den Befragten am höheren Grad an Individualität. Da in den besuchten sozialpädagogischen Einrichtungen die Kinder und Jugendlichen in Gruppen zusammenleben, wird das Einzelsetting gegenüber einer Grup- penaktivität vorgezogen, um den Kindern eine Form der Einzelzuwendung zu Teil kom- men zu lassen:

„Ähm, noch einmal, jede Form der Einzelzuwendung wird schon einmal gut angenommen, weil’s einfach ein Kollektiv ist. Es ist eine Gruppe mit 11 Kin- dern und ich glaub, das ist schon systembedingt, dass einfach die Kinder dann oft das Gefühl haben, subjektiv vielleicht komm ich ein wenig zu kurz, könnte sein oder ist so!“ (Interview C 2012, Abs. 45)

Argumente, die in der Literatur für Biografiearbeit als Gruppenarbeit sprechen, finden sich in der höheren Ökonomie, der Möglichkeit Perspektivenwechsel durch unterschiedliche Beteiligte herbeizuführen und darin, dass Gruppendynamiken positiv genutzt werden kön- nen (vgl. Miethe 2011, S. 34). Biografiearbeit in Gruppen stellt darüber hinaus eine Me- thode dar, tiefere Einblicke in die Erlebniswelt von Kindern zu erlangen (vgl. Knoblich / Schmid-Isringhausen 2002, S. 116).

Wird Biografiearbeit in der Kinder- und Jugendhilfe ausgeübt, sollte die Größe der Gruppe zwischen sechs und sieben Personen betragen (vgl. ebd., S. 112 / vgl. Lattschar 2005b, S.9). Der Vorteil der Arbeit in der Gruppe besteht darin zu erkennen, dass die eigene Le- benssituation kein Einzelfall ist. Des Weiteren können die Teilnehmer/innen von den Er- fahrungen der Anderen profitieren und diese als Impulse für die eigene Selbstreflexion und das Teilen von Erfahrungen heranziehen. Durch das wachsende Vertrauen in die Grup- penmitglieder nimmt auch der subjektiv empfundene Rückhalt zu (vgl. Knoblich / Schmid- Isringhausen 2002, S. 112). Aus diesem Grund kann die Gruppe selbst als Ressource für die eigene Lebensbewältigung gesehen werden (vgl. Hölzle 2011b, S. 79).

Abgesehen von der Wahl des passenden Settings hängt das Gelingen von Biografiearbeit in hohem Ausmaß von den vorhandenen Rahmenbedingungen ab. Diese betreffen den zeitli- chen Kontext, in dem Biografiearbeit stattfindet, sowie zahlreiche Umgebungsfaktoren.

Nennenswert sind hierbei die räumlichen Ressourcen, die Raumausstattung und die Atmo- sphäre, die die Gestaltung einer dialogischen Beziehung zwischen Kind und Erwachsenen

(30)

wesentlich mitprägen (vgl. Miethe 2011, S. 35f.). Auf die Anforderung, die ein/e kompe- tente/r Begleiter/in mitbringen sollte, wird im nächsten Kapitel genauer eingegangen.

In der Literatur herrscht kein einheitlicher Konsens über das Alter, welches ein Kind haben sollte, um mit Biografiearbeit beginnen zu können.

Werden Kinder beispielsweise fremduntergebracht, empfiehlt es sich, gleich unmittelbar nach der Aufnahme in eine sozialpädagogische Einrichtung oder in eine Pflege- bzw.

Adoptivfamilie mit Biografiearbeit zu beginnen. Zu diesem Zeitpunkt sind zum Einen viele Themen und Fragen bei den Kindern präsent und zum Anderen lernt gleichsam die neue Bezugsperson das Kind in seinen biografischen Prozessen zu verstehen (vgl. Lattschar / Wiemann 2011, S. 69).

„Und das (Anm.d.Verf.: Biografiearbeit) sollte eigentlich stattfinden, sobald das Kind den ersten Schritt da herein setzt! Das man sich schon zusammensetzt und wo kommst jetzt her und hin und her. Also da schon ansetzt. Und das ist schon ein Punkt, wo Beziehungsarbeit dann stattfindet und das was wichtig ist, das was einfach, Ja, die interessieren sich für mich und so, ge, also es gehört total ausgebaut.“ (Interview D 2012, Abs. 66)

Ter Horst (2005) hält die Spanne zwischen Vorschulzeit und Pubertät generell für ein günstiges Alter, um biografisch zu arbeiten (vgl. ter Horst 2005, S. 169). Gerade im Vor- schulalter und der Pubertät interessieren sich Kinder und Jugendliche verstärkt für ihre eigene Geschichte (vgl. Wiemann 2003, S. 124) und sind sehr für deren Bearbeitung zu begeistern (vgl. Krautkrämer-Oberhoff 2009, S. 118).

Grundsätzlich kann Biografiearbeit mit Kindern jeden Alters begonnen werden, allerdings müssen die Methoden, die zur Anwendung kommen, an das Alter, den Entwicklungsstand und an die jeweiligen Interessen des Kindes angepasst werden (vgl. Lattschar 2005b, S. 3).

„Je früher biografisches Arbeiten anfängt, um so heilsamer für die Entwicklung der Kinder. Es ist aber auch nie zu spät, damit zu beginnen.“ (Wiemann 2003, S. 124)

Rath (2011) merkt in diesem Zusammenhang allerdings kritisch an, dass vor allem mit Kindern unter acht Jahren sehr behutsam und vorsichtig gearbeitet werden muss. In diesem Alter sind Kinder noch nicht in der Lage, sich an Kontinuitäten und Jahre zu erinnern, son- dern zumeist nur an einzelne Situationen und Momente aus der Vergangenheit, weshalb ihre Erinnerungen auch anfälliger für Veränderungen und Manipulationen sind. Des Weite- ren neigen sie aufgrund ihrer Suggestibilität und ihrer noch eingeschränkten autobiografi-

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schen Kompetenz eher dazu, das zu sagen, was die Erwachsenen hören wollen (vgl. Rath 2011, S. 96ff.).

Wird also mit jüngeren Kindern gearbeitet, bieten sich spielerische Methoden an, die da- rauf abzielen, dass die Kinder ihre Erfahrungen imitativ ausdrücken können (vgl. ebd. S.

103).

„A: Wir starten eher so im Schulalter. Eigentlich eher später. Obwohl’s natür- lich früher auch ginge, jetzt theoretisch. Nur muss man es dann halt anders an- gehen. Dann ist es mit der Vorlage (Anm.d.Verf.: Lebensbuch) schwieriger.

I: Ja. Okay.

B: Da ist dann viel mehr Spielerisches und Gestalterisches drinnen.

A: Und Zeichnerisches.

B: Also es wird wohl teilweise im Barbakus schon von, sag ich einmal, eher jüngeren Kindern auch gemacht, die oft von ihrer Aufenthaltsdauer nicht so lange da sind.“ (Interview A+B 2012, Abs. 73ff.)

Oben angeführtes Zitat von Wiemann (2003) wirft die Frage auf, was heilsam in diesem Kontext bedeutet. Hier fehlen empirische Befunde, welche die These der Autorin eindeutig belegen können. Der wichtigere Aspekt der Aussage liegt allerdings darin, dass es für Bio- grafiearbeit eigentlich nie zu spät ist, da der Prozess untrennbar an die eigene Lebensge- schichte gebunden ist, die kontinuierlich voranschreitet.

Demnach verfügt Biografiearbeit im eigentlichen Sinn auch nicht über ein definierbares Ende. Lediglich die gemeinsame Arbeit kann vorerst abgeschlossen sein, wenn Kind und Bezugsperson darin übereinstimmen, dass die Gegenwart erreicht ist (vgl. Ryan / Walker 2007, S. 21f.).

Im SOS Kinderdorf zeigt sich, dass Biografiearbeit prinzipiell allen dort betreuten Kindern zur Verfügung stehen soll:

„A: Also grundsätzlich ist es die Intention, dass alle Kinder, die im Dorf sind in der Zeit sie da sind, einfach die Möglichkeit kriegen. Es ist ja auf freiwilliger Basis. Also wenn ein Kind sagt oder ein Jugendlicher ‚Das interessiert mich nicht!‘, dann ist das klar. Aber grundsätzlich kann’s jeder oder sollt’s jeder. Es ist für alle da.“ (Interview A+B 2012, Abs. 66)

Auch in der Diakonie wäre dies von Seiten der Pädagog/innen wünschenswert. Da aller- dings die dafür nötigen personellen und zeitlichen Ressourcen fehlen, wird spezifisch aus- gewählt, welche Kinder am meisten von Biografiearbeit profitieren könnten.

„Wenn’s scheinbar Defizite gibt, an Informationen über die eigene Vergangen- heit oder wo es nicht so häufige Elternkontakte gibt. Ich sag amal, ich hab eini-

(32)

ge Kinder, die wirklich regelmäßigst nach Hause fahren, wo die Eltern mehr als mitteilungsbedürftig sind, wo die Oma und die Tauftante kommen und zum Geburtstag drei Torten da stehen, ist es weniger, muss ich ehrlich sagen. (…) also wo sich dieser Faden des familiären Zusammenhaltes sich ein bisserl lo- ckert und wo man denkt, jetzt strauchelt das Kind ein wenig, jetzt muss ich da wieder wo ansetzen und jetzt muss ich wieder sagen ‚Ich hab familiäre Wur- zeln‘ – will ich da hin schauen?, kann ich da gemeinsam mit dem Sozialpäda- gogen hinschauen?“ (Interview C 2012, Abs. 42f.)

Dieses Zitat zeigt auf, dass Biografiearbeit eher dann zum Einsatz kommt, wenn Kinder wenige familiäre Wurzeln haben.

Für die Frequenz, in der Einheiten zur Biografiearbeit stattfinden, ist es vonnöten in klei- nen Schritten zu arbeiten. Wiemann (2003) schlägt hierfür ungefähr 30 Minuten pro Wo- che vor, wobei die erwachsene Bezugsperson für die Regelmäßigkeit der Termine Sorge zu tragen hat. Für Biografiearbeit in Gruppen empfiehlt Lattschar (2005) ungefähr 10 Sitzun- gen. Die gesamte Dauer liegt durchschnittlich zwischen einem halben und einem Jahr, bis alle Informationen gesammelt, besprochen und dokumentiert worden sind (vgl. Wiemann 2003, S. 125f. / vgl. Lattschar 2005b, S. 3).

Die Einblicke in die Praxis zeigen folgendes Bild:

„B: Eigentlich allein mit einem Kind. Das ist üblich. Und wie’s fürs Kind am besten passt. Also natürlich haben wir da diesen eigenen Raum dafür. Aber wie schon gesagt, manche Themen lassen sich vielleicht leichter in der Natur be- sprechen oder außerhalb vom Dorf ganz einfach, weil’s doch da so mitten drinnen ist. Und manchmal ist es dann auch ausgedehnter, wenn man jetzt ei- nen Ausflug macht. Dann beschränkt sich das nicht nur auf eine Stunde. Ich kann mich erinnern, die Frau Wiemann hat davon gesprochen es reicht im Grunde eine halbe Stunde weil manchmal sind gewisse Themen schon nach ei- ner halben Stunde so viel und intensiv, ge, dass das für ein Kind schon passt.

Manchmal kann man’s aber durchaus ausdehnen auch, das ist offen.“ (Inter- view A+B 2012, Abs. 23)

„I: Mhm. Und wie häufig finden solche Einheiten statt?

C: Es kommt drauf an… Ich sag einmal so, wie wenig Identität der Bursche oder das Mädchen hat. Das heißt, wenn jemand wirklich da ist, wo die Eltern weggebrochen sind, aus welcher Art auch immer, aus psychischen Krankheits- gründen oder wenn sie gestorben sind, denk ich wird’s schon intensiver ge- macht. Wenn’s einfach ein zusätzliches Angebot ist, dann schaut man, dass man sich einmal / zweimal im Monat sich zusammensetzt, ge.“ (Interview C 2012, Abs. 20f.)

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