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Archiv "Marburger Bund: Voller Einsatz für das Streikrecht" (12.11.2010)

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A 2208 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 45

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12. November 2010

MARBURGER BUND

Voller Einsatz für das Streikrecht

Der Marburger Bund will bis hin zur Klage beim Bundesverfassungsgericht alles daransetzen, die 2006 erkämpften gewerkschaftlichen Rechte zu verteidigen.

D

er Grund, warum der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung deut- scher Arbeitgeberverbände (BDA) in seltener Einigkeit ein Gesetz zur Tarifeinheit fordern, ist für Prof. Dr.

jur. Wolfgang Däubler eindeutig:

„Die Initiative läuft darauf hinaus, die Berufsgewerkschaften mundtot zu machen und ihnen jede Aktivität über das Schreiben von Bittbriefen hinaus zu untersagen“, erklärte der Arbeitsrechtler der Universität Bre- men zum Auftakt der 118. MB- Hauptversammlung in Berlin. Hin- tergrund: Der Marburger Bund (MB) dürfte seine Mitglieder nicht mehr eigenständig zu Streiks aufrufen, wenn der DGB/BDA-Vorstoß von der Politik umgesetzt wird. Dieses Recht soll dann in jedem Betrieb nur noch derjenigen Gewerkschaft zuste- hen, die die meisten Gewerkschafts- mitglieder vertritt – im Krankenhaus also so gut wie immer Verdi.

Das Recht, eine Gewerkschaft zu bilden und als solche zu agieren, sei hierzulande aber ein Grundrecht, das nicht eingeschränkt werden dürfe, betonte Däubler. Geradezu

„grotesk“ sei das Argument der Ini- tiatoren, wonach in Deutschland

permanente Arbeitskämpfe konkur- rierender Gewerkschaften drohten wie im England der 70er Jahre:

„Deutschland ist eines der streik - ärmsten Länder der Erde“, berichte- te der Arbeitsrechtler und verwies auf eine neuere Studie der Hans- Böckler-Stiftung. Danach sind in Deutschland zwischen 2004 und 2007 jährlich gerade einmal sechs Arbeitstage je 1 000 Arbeitnehmer streikbedingt ausgefallen. Zum Ver- gleich: In Großbritannien waren es 27 Tage, in Frankreich 93, in Spa- nien 101 und in Kanada sogar 182.

Gefährdung des sozialen Friedens in Deutschland

„Es hat den Arbeitgebern doch gar nicht geschadet, dass der Marbur- ger Bund im September 2005 die Tarifgemeinschaft mit Verdi aufge- kündigt hat“, stellte Rudolf Henke heraus. Ganz im Gegenteil: „Ohne unser Engagement, ohne unsere Ärztetarife hätten wir heute 15 000 statt 5 500 unbesetzte Arztstellen in den Kliniken“, rief der MB-Vorsit- zende den 200 Delegierten im Ber- liner Estrel-Hotel zu. „Damit haben wir einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit geleistet.“

Werde die DGB/BDA-Initiative Gesetz, könne Verdi künftig dem MB das eigene Handeln diktieren, warnte Henke: „Dies wäre weit schlimmer als die Situation vor 2005. Denn damals haben wir selbstständig entschieden, dass Ver- di für uns handelt. Jetzt würden wir per Gesetz unter die Knute von Ver- di gestellt.“ Dr. med. Frank Ulrich Montgomery (Hamburg), unter des- sen Führung der MB damals den Schritt in die gewerkschaftliche Selbstständigkeit gewagt hatte, er- gänzte: „Alles, was wir 2005 und 2006 erkämpft haben, soll nun wie- der rückgängig gemacht werden.“

In einem einstimmig gefassten Beschluss forderte die Ärztege- werkschaft den Gesetzgeber und die Bundesregierung auf, dem Ge- werkschaftsbund und den Arbeit - geberverbänden nicht nachzugeben und kein Gesetz zur Tarifeinheit auf den Weg zu bringen. „Wir werden bis hin zum Bundesverfassungs - gericht alles daransetzen, dass ein solches Gesetz weder Wirkung noch Bestand hat“, heißt es darin.

Man werde alle juristischen und üb- rigen Möglichkeiten als Gewerk- schaft und als Berufsverband aus- Für weitere drei

Jahre an der Spitze:

Ohne die Ärztetarife des Marburger Bundes gäbe es noch mehr unbesetzte Stellen in den Kliniken, betonte Rudolf Henke, Vorsit-

zender der Ärzte - gewerkschaft.

Foto: Gustav Butenhoff

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A 2210 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 45

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12. November 2010 schöpfen, um diesen Anschlag auf

das Grundrecht der Koalitionsfrei- heit (Artikel 9 Absatz 3 Grundge- setz) zu vereiteln. „Die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland sind mündig, selbst zu entscheiden, wel- cher Gewerkschaft sie beitreten wollen und wem sie zutrauen, unter Beachtung der Verantwortung für die Gesellschaft und ihrer beson - deren Verantwortung gegenüber dem Patienten ihre Interessen wahr- zunehmen. Darauf haben sie einen verfassungsrechtlichen Anspruch, der auch durch den Gesetzgeber nicht eingeschränkt werden darf“, betonten die Delegierten. Keine an- dere Gewerkschaft sei dazu legiti- miert, Tarifverhandlungen für die Ärztinnen und Ärzte an den Kran- kenhäusern zu führen. Eine Umset- zung des BDA/DGB-Vorschlags hät- te eine massive Verschärfung inner- betrieblicher Konflikte und Streitig - keiten zur Folge, prognostizierten die Delegierten: „Der Marburger Bund lehnt eine solche Gefährdung des sozialen Friedens in Deutsch- land ab.

Ein „Riesenerfolg“

bei der Caritas

Auf sehr positive Resonanz unter den Delegierten stieß die Meldung, wonach die arbeitsrechtliche Kom- mission des Deutschen Caritas - verbandes (Bundeskommission) am 21. Oktober die Übernahme des Tarifrechts des Marburger Bundes beschlossen hat. Damit werde die über vier Jahre währende wirt- schaftliche Schlechterstellung von Ärztinnen und Ärzten an katho - lischen Krankenhäusern endlich beseitigt, heißt es im betreffenden Beschluss der Hauptversammlung.

„Dies ist ein Riesenerfolg, auf den wir stolz sein können“, betonte Dr.

med. Claus C. Nommensen (Nie- dersachsen), der die Anwendung der MB-Tarife als Vertreter der Mit- arbeiterseite in der arbeitsrechtli- chen Kommission mitverhandelt hatte. Dies sah Henke zwar grund- sätzlich ähnlich, er äußerte sich aber auch sehr enttäuscht darüber, dass es zuvor „kein einziges Ge- spräch“ der Caritas-Dienstgeberseite mit der Ärztegewerkschaft in dieser Angelegenheit gegeben habe. „Die

treiben den dritten Weg schon sehr, sehr weit“, kommentierte der MB- Vorsitzende und Mitglied des Bun- destages.

Die Beschlüsse der arbeitsrecht- lichen Kommission werden regio- nal jedoch erst wirksam, wenn die sechs Regionalkommissionen sie übernehmen. Sowohl bei der Vergü- tung als auch bei den Arbeitszeiten sind regionale Abweichungen von bis zu 20 Prozent nach oben und unten möglich. Vor diesem Hinter- grund appellierte die Hauptver- sammlung an die Regionalkommis- sionen, dem Beispiel der Regional- kommission Bayern zu folgen und den Beschluss der Bundeskommis- sion schnellstmöglich umzusetzen,

„damit endlich eine marktgerechte Vergütung der Ärztinnen und Ärzte

in den katholischen Krankenhäu- sern in Kraft gesetzt wird“. Bundes- und Regionalkommission des Deut- schen Caritasverbandes blieben weiterhin aufgefordert, auch alle übrigen Arbeitsbedingungen der Ärztinnen und Ärzte an den Markt- standard „TV-Ärzte“ anzupassen.

Kein Verständnis haben die Dele- gierten für die im GKV-Finanzie- rungsgesetz angekündigte Decke- lung der Preise für Krankenhaus - leistungen. Angesichts der tatsäch - lichen Kostenentwicklung erhöhe sich dadurch der im Klinikalltag spürbare Rationalisierungsdruck wei- ter: „Statt einer erneuten Orientie- rung der Krankenhausvergütungen an der Entwicklung der Grundlohn- summe fordert der Marburger Bund die vollständige Berücksichtigung der vom Statistischen Bundesamt ermittelten Kostenentwicklung“, pos- tulierten die Anwesenden. Die wachsenden Anforderungen an Kli- nikärzte und Pflegekräfte seien mit der Beschränkung der Zuwachsrate nicht in Einklang zu bringen. Die unvermeidliche Folge wäre ein er- neuter Personalabbau in den Häu- sern: „Der Marburger Bund fordert die hundertprozentige Finanzierung der Personalkosten in den Kranken- häusern.“ Ebenso klar lehnten die Delegierten den vorgesehenen dau- erhaften Vergütungsabschlag für ge- genüber dem Vorjahr zusätzlich er- brachte Krankenhausleistungen ab.

Breite Rückendeckung für das Führungsduo

Als „ehrlichen Vertrauensbeweis“

wertete Rudolf Henke seine Wie- derwahl zum Ersten Vorsitzenden mit 153 von 182 Stimmen. Der 56-jährige Internist aus Aachen hatte keinen Gegenkandidaten. Dr.

med. Andreas Botzlar (42), Chirurg in München, wurde mit 173 von 189 Stimmen als Zweiter Vorsitzen- der bestätigt. Den neuen Bundes- vorstand komplettieren Dr. med.

Christoph Emminger (Bayern), Dr.

med. Hans-Albert Gehle (Nordrhein- Westfalen/Rheinland-Pfalz), Priv.- Doz. Dr. med. Andreas Scholz (Hes- sen), Dr. med. Frank J. Reuther (Baden-Württemberg) und Dr. med.

Sabine Ermer (Sachsen). ■ Jens Flintrop Klares Signal

nach draußen:

Einstimmig votieren die Delegierten gegen jede Einschränkung des Streikrechts.

Der Marburger Bund will unabhängig bleiben.

Fotos: Katja-Julia Fischer

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