A-565
S
Se eiitte e e eiin nss
Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 10, 10. März 2000
Gesundheitspolitik
CDU/CSU sammelt sich
D
ie Auseinandersetzung mit Sachfragen kam in der kri- sengeschüttelten CDU in den vergangenen Monaten zu kurz. Dies gilt auch für die Ge- sundheitspolitik. Hatte man sich vor Verabschiedung der Gesund- heitsreform 2000 vor allem in per- spektivloser Totalablehnung geübt, so wurde das öffentliche Erschei- nungsbild der Partei in der Zeit da- nach durch die Abrechnung mit dem „System Kohl“ geprägt. Mit der Neuwahl des CDU/CSU-Frak- tionsvorstands scheinen nun die Chancen günstig, zu einer an Sach- fragen orientierten Oppositionsar- beit zurückzukehren. In der Ge- sundheitspolitik gilt es, einen ein- heitlichen Kurs vorzugeben. Hier bestehen durchaus unterschiedli- che Vorstellungen, von denen manche – wie etwa die weitere schrittweise Aushebelung der gel- tenden Vertragsverhältnisse zwi- schen Ärzten und Krankenkassenim CSU-Konzept – bei den kas- senärztlichen Organisationen auf wenig Gegenliebe stoßen werden.
Auch die Bundesarbeitsge- meinschaft Freie Berufe der Mittel- stands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU wurde nun gesund- heitspolitisch aktiv. Mit einer Viel- zahl von Verbänden des Gesund- heitswesens führte sie Anfang März eine Anhörung zu den Folgen der Gesundheitsreform durch. Beklagt werden die negativen Auswirkun- gen: Bürokratisierung, Reglemen- tierung, drohende Staatsmedizin.
Gefordert wird – bei stärkerer Kon- zentration des Leistungskatalogs auf das medizinisch Notwendige – die Aufhebung von Budgets für ärztliche Leistungen. Das in Bonn vorgestellte 10-Punkte-Programm für eine Reform ist allerdings sehr plakativ formuliert und lässt viele Fragen offen. Der gesundheitspoli- tische Sprecher der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, Wolfgang Loh-
mann, verwies auf den noch anste- henden Abstimmungsbedarf inner- halb der Fraktion über die inzwi- schen vorliegenden gesundheitspo- litischen Konzepte. Er begrüßte die Wahl von Horst Seehofer, Mit-Ver- fasser des CSU-Papiers zur Gesund- heitspolitik, zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden mit dem Aufgabenbereich Sozial- und Ge- sundheitspolitik. Auch die CDU- Kommission „Sozialstaat 21“ hat eigene Vorstellungen zur Gesund- heitspolitik entwickelt.
Ende März will sich die Ar- beitsgruppe Gesundheit in der CDU/CSU-Fraktion mit den un- terschiedlichen Entwürfen zur Ge- sundheitspolitik befassen. Man darf gespannt sein, welche Rich- tung sich durchsetzen wird. Doch man muss kein Hellseher sein, um vorauszusagen, dass demnächst ein ehemaliger Bundesminister für Gesundheit den Kurs in der Frakti- on vorgeben wird. Thomas Gerst
Positivliste
Vorsicht: Schnellschuss
D
ie Ärzteschaft lehnt – anders als in der Vergangenheit – ei- ne Positivliste für Arzneimit- tel in der Gesetzlichen Krankenver- sicherung nicht mehr rundweg ab.Mitentscheidend für die letztendli- che Bewertung einer solchen Liste ist aber die Frage, wie wissenschaft- lich solide sie erarbeitet worden ist.
Und hier sind Zweifel angebracht.
Am 20. Januar 2000 versandte das Bundesgesundheitsministeri- um (BMG) eine Aufforderung an alle wissenschaftlichen medizini- schen Fachgesellschaften, die „am besten belegten und therapeutisch aussichtsreichsten Arzneimittel“
zur Aufnahme in die Positivliste zu benennen. Dies müssten Arznei-
mittel für „erhebliche Gesundheits- störungen“ sein, denn „geringfügi- ge Gesundheitsstörungen“ werden der Selbstmedikation des Patien- ten anheim gestellt. Für eine kurze Begründung „insbesondere unter Berücksichtigung der therapeuti- schen Evidenz“ wäre man beson- ders dankbar. Schlusstermin: Ende März 2000!
Wenn man einmal davon ab- sieht, dass es keine verbindlichen Definitionen dafür gibt, was „er- hebliche Gesundheitsstörungen“
sind, oder an welcher Linie man die „therapeutisch aussichtsreich- sten Arzneimittel“ von den ande- ren abtrennen kann, scheint man sich im BMG keine Vorstellung da-
von zu machen, welchen wissen- schaftlichen Arbeitsaufwand es bedeutet, „Evidenz“ für den Beleg der Wirksamkeit eines Arzneimit- tels zu recherchieren und zu be- werten. Wer selbst eine Gesund- heitsreform im Hauruck-Verfah- ren und nach dem Prinzip „Trial and Error“ vorantreibt, kommt vermutlich nicht mehr auf den Ge- danken, dass eine wissenschaftli- che Gesellschaft einer fachgerech- ten und seriösen Herangehenswei- se verpflichtet ist. Oder sollten gar durch eine knappe Terminierung zu viele kritische Einwände bereits im Keim erstickt werden?
Bruno Müller-Oerlinghausen Rainer Lasek