ie neue Bundesregierung will die Strukturen im Gesund- heitswesen grundlegend än- dern – einiges wird indes auch nach der „großen Reform“ bleiben, wie es ist. Für den Knackpunkt hält Prof. Dr.
Günter Neubauer, Direktor des In- stituts für Gesundheitsökonomik in München, das Kernproblem, das auch nach der Gesundheitsreform 2000 be- stehenbleibt: die Knappheit der finan- ziellen Mittel. Das ideologische Leit- bild der Gesundheitspolitik habe sich nach der Bundestagswahl zwar geän- dert. Die neue Regierung setze auf Solidarität statt auf Selbstverantwor- tung. Doch der enge ökonomische Spielraum zwinge dazu, Prioritäten zu setzen. „Wir stellen uns der Ehrlich- keit nicht, daß dies immer auch Ratio- nierung bedeutet“, sagte Neubauer bei einer Euroforum-Konferenz Ende April in Düsseldorf. Die entscheiden- de Frage sei daher nicht, wie man die Knappheit der finanziellen Mittel auf- heben könne, sondern vielmehr, wie und was man rationiere.
Der stellvertretende Hauptge- schäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med.
Lothar Krimmel, unterstrich dies. Im Gegensatz zur optimierten Indivi- dual-Medizin, sagte er, gebe es in der Gesetzlichen Krankenversiche- rung seit 1993 eine rationierte Bud- get-Medizin. Und die orientiere sich maßgeblich daran, die starren Bud- gets einzuhalten. Leitgedanke oder zumindest Konsequenz dieser Bud- get-Medizin sei es, auch unterhalb von Standards zu behandeln. Nämlich dann, wenn die Budgetgrenze er- reicht sei.
Welche Folgen der „Budget- irrsinn“ für die Kassenärzte in diesem Jahr habe, verdeutlichte er am Bei- spiel der Arznei- und Heilmittelbud- gets. Die Kassenärzte allein müßten beispielsweise für den medizinischen Fortschritt, die Zunahme der Morbi- dität, die demographische Belastung und auch das Leistungsgebaren der Krankenkassen haften. Krimmel:
„Das hat mit den tatsächlichen Ver- antwortlichkeiten nichts mehr zu tun.“ Die Folge sei, daß das Arznei- und Heilmittelbudget in den neuen Bundesländern Anfang Oktober auf- gebraucht sei.
Einkaufsmodelle
zersplittern die Versorgung
Das anstehende Gesetz soll je- doch mehr als bloße Kostendämp- fung bewirken. Die Pläne der Regie- rungskoalition zielen nicht zuletzt darauf ab, die Machtverhältnisse im Gesundheitswesen zugunsten der Krankenkassen zu verschieben. Das angestrebte Einkaufsmodell bei in- tegrierten Versorgungsformen lehnt Krimmel strikt ab. Es stehe dem Leitgedanken einer einheitlichen Versorgung diametral gegenüber.
Risikoselektion und eine zersplitterte Versorgung wären unausweichlich.
Zudem würden sich die Vertragsebe- nen und die Fremdkassenprobleme vervielfachen, die Gesamtvergütun- gen und die Arzneimittelbudgets der Kassenärztlichen Vereinigungen wür- den wegfallen. Statt dessen plädiere die KBV dafür, die Krankenkassen- verbände zu verpflichten, Stukturver-
träge kassenartenübergreifend abzu- schließen.
Ganz anders sehen das die Kran- kenkassenvertreter. Sie wollen Ver- träge über kooperative Versorgungs- formen mit den Ärzten vor Ort schließen. Karl-Heinz Schönbach vom BKK-Bundesverband forderte eigenständige Vertragsrechte der re- gionalen ärztlichen Zusammenschlüs- se. Der Gesetzgeber soll seiner An- sicht nach Mindestvoraussetzungen für die Vertragsfähigkeit ärztlicher Zusammenschlüsse festlegen und de- ren Rechtsformen und Geschäfts- führungen normieren.
Kombinierte Budgets für kooperative Modelle
Die derzeit entscheidende Frage ist, in welcher Form integrierte Versor- gungsformen unter einem Globalbud- get gesteuert und finanziert werden können. Nach Schönbachs Vorstellun- gen sind kombinierte Budgets das Mit- tel der Wahl. Wie diese umgesetzt wer- den könnten, erklärte er so: Für die Versicherten, die sich für ein integrier- tes Modell entschieden haben, verein- baren die Krankenkassen vor Ort ein aus den sektoralen Budgets abgeleite- tes kombiniertes Budget als Obergren- ze. Dazu werden die sektoralen Bud- gets um die Ausgabenanteile für die in- tegrierten Leistungen bereinigt. Die durchschnittlichen Ausgaben je Ver- sicherten werden für die teilnehmen- den Versicherten nach den Merkmalen des Risikostrukturausgleichs gewich- tet. Schönbach zufolge werden so Risi- koverschiebungen zugunsten oder zu Lasten teilnehmender oder nicht teil- nehmender Ärzte und Versicherter vermieden. In die kombinierten Bud- gets sollen seiner Ansicht nach Dritt- leistungen wie Arznei-, Heil- und Hilfsmittel soweit wie möglich einbe- zogen werden. Auf diese Weise werde eine medizinische und ökonomische Gesamtverantwortung ermöglicht.
Daß die anstehende Struktur- reform nicht das Maß aller Dinge sein wird, daran ließ Prof. Dr. Günter Neu- bauer keinen Zweifel. „Im Jahr 2004 haben wir die nächste Gesundheits- reform“, prognostizierte er. Von der jetzigen oder einer anderen Bundes- regierung. Dr. Sabine Glöser A-1180 (24) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 18, 7. Mai 1999
P O L I T I K AKTUELL