ndrea Fischer will noch in diesem Jahr eine Gesund- heitsreform verabschiedet sehen, die zum 1. Januar 2000 in Kraft tritt – notfalls am Bundesrat vorbei, der am 26. November ab- schließend tagt. „Wir arbeiten an ei- ner entsprechenden Variante“, be- stätigte eine kämpferische Bundes- gesundheitsministerin auf der Medi- ca in Düsseldorf. Im Rahmen des Gesundheitspolitischen Forums, ei- ner Veranstaltung des Deutschen Ärzteblattes und der Pharmazeuti- schen Zeitung, verdeutlichte sie vor gut 300 Zuschauern, welche Punkte der Gesundheitsreform 2000 dann übrigblieben.
Der Grundsatz der Beitrags- satzstabilität, die Einführung einer Positivliste für Medikamente und ei- ne größere Durchlässigkeit zwischen den Sektoren ambulant und sta- tionär berühren nach Auffassung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) keine länderspezifischen In- teressen und könnten somit im Ge- setz verbleiben. Als zustimmungs- pflichtig bewertet das BMG die Ein- führung des vor allem von der Op- position und den Heilberufen scharf kritisierten Globalbudgets, die ge- plante Zusammenführung von Pa- tientendaten und eine monisti- sche Krankenhausfinanzierung. Al- lerdings sei auch ohne Monistik die Einführung weiterer markt- wirtschaftlicher Elemente in den Krankenhaussektor möglich, erklärte Fischer.
Die Bundesgesundheitsministe- rin betonte, daß die integrierten Ver- sorgungsformen wieder in der ur- sprünglichen Form, also ohne die in- zwischen ausgehandelte effektive Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), eingeführt werden müßten. Schließlich tangiere die zuvor gefundene Kompromißlö- sung, in der die KVen in den Län- dern eingebunden waren, Länderin- teressen und müsse somit wieder aus dem Gesetz herausgenommen wer- den. Eine abgespeckte Variante des Gesetzes sei somit „ungünstig“ für die Leistungserbringer.
Durchlöcherung des Sicherstellungsauftrags
Für Prof. Dr. med. Jörg-Diet- rich Hoppe, Präsident der Bundes- ärztekammer, bedeutet die Ein- führung integrierter Versorgungs- formen ohne Vetorecht der KVen ei- ne Durchlöcherung des Sicherstel- lungsauftrags, eines zentralen Ele- ments innerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung. Mit dem Sicherstellungsauftrag hätten die KVen die Verantwortung für die am- bulante Versorgung übertragen be- kommen und im Gegenzug auf das Streikrecht zur Durchsetzung ihrer Interessen verzichtet. Diese Über- einkunft sei bedroht, wenn die KVen nicht an Verträgen, die die ambulan- te Gesundheitsversorgung betref- fen, ihrem Auftrag entsprechend
beteiligt würden. Hoppe drohte der Ministerin indirekt mit einer Ar- beitsniederlegung seitens der Ärzte- schaft: „Das Pfand für das abgegebe- ne Streikrecht wird weggegeben“, unterstrich Hoppe. Er könne sich gut ausmalen, was dann in Deutsch- land los wäre; es drohe mehr als nur ein Aufstand. Hoppe plädierte dafür, das Gesetz zurückzuziehen und einen Neuanfang zu wagen, also auch unter Beteiligung der Ärzte ei- ne von breitem Konsens getragene Reform vorzubereiten. Er verwies auf den SPD-Sozialexperten Rudolf Dreßler, der bereits frühzeitig hatte verlauten lassen, daß das Gesetz ohne die Punkte Globalbudget und monistische Krankenhausfinanzie- rung nicht mehr viel wert sei.
Hoppes Aufforderung, das Ge- setz ganz bleiben zu lassen („mit die- sem Torso wird Schaden angerich- tet“), stieß bei Fischer – erwartungs- gemäß – nicht auf Gegenliebe („ein unsittliches Angebot“). Die Ge- sundheitsministerin bedauerte die sich abzeichnende Blockadepolitik der Unionsparteien. Sie erinnerte an ihr Gesprächsangebot in Sachen Ge- sundheitsreform. Daß CDU/CSU- Fraktionschef Wolfgang Schäuble darauf nicht eingegangen sei, scheint Frau Fischer den Ärzten anlasten zu wollen. Die hätten mit Schäuble ge- sprochen und ihm geraten, das Ge- setzespaket komplett zu verhindern.
In der Tat hatte Schäuble in der ab- schließenden Lesung dezidiert und ablehnend zur Gesundheitsreform A-3013
P O L I T I K LEITARTIKEL
Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 47, 26. November 1999 (13)
Gesundheitsreform 2000
Eine zustimmungsfreie Variante wäre „ungünstig“ für die Ärzte ...
..., sagt Bundesgesundheitsministerin Fischer. Für den Fall, daß die Gesundheitsreform 2000 den Bundesrat nicht passiert,
hat sie konkrete Pläne in der Schublade.
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Stellung bezogen, nachdem er sich zu- vor mit Spitzenvertretern der Ärzte- schaft getroffen hatte. Freilich – Schäuble dürfte seine Opposition ge- gen Fischers Reform aus eigenem Entschluß formuliert und betrieben haben; aber das ist ein Thema, das nicht mehr Gegenstand der Medica- Diskussion war.
Gut ein Jahr nach dem Regie- rungswechsel zog Hoppe eine positive
Zwischenbilanz der Ärzteproteste ge- gen die rot-grünen Reformpläne. Die gewählte Strategie aus Dialog und Wi- derstand sei bislang erfolgreich gewe- sen. Man habe es geschafft, die Öf- fentlichkeit über die fatalen Folgen ei- nes Globalbudgets zu informieren.
Die Proteste des „Bündnis Gesund- heit 2000“ hätten die jüngsten Land- tagswahlen mitbeeinflußt und dazu beigetragen, die Mehrheitsverhältnis- se im Bundesrat zu ändern, worüber sich die Ärzteschaft freue. „Wir wer- den weiter dagegen kämpfen, daß das Leistungsgeschehen rein ökonomi- schen Zwängen untergeordnet wird und die Verwaltung der finanziellen Ressourcen zu den Krankenkassen wandert“, sagte Hoppe. Aus seiner Sicht gibt es bereits jetzt eine medizi- nische Unterversorgung bei Alzhei- mer- und Demenzpatienten, im Be- reich der Schmerztherapie sowie bei der Behandlung von Hepatitis-C- und onkologischen Patienten.
Die Bundesgesundheitsministe- rin erklärte rückblickend, vor die Wahl gestellt, würde sie zwar einzelne
Verfahrens- und Einzelfragen anders regeln, im Kern aber die gleichen Zie- le verfolgen. Allerdings frage sie sich manchmal, warum sie nicht eine „ech- te Revolution“ gemacht habe, wenn sowieso schon alle ihr so etwas unter- stellten; tatsächlich habe sie sich aber um Verständigung bemüht. Im übri- gen sei sie froh, daß das Gesundheits- wesen nicht steuerfinanziert ist, denn dann hätte auch sie im Sinne des Spar-
pakets 7,5 Prozentpunkte einsparen müssen. „Sie können sich vorstellen, wie laut dann das Geschrei gewesen wäre“, sagte Fischer.
Radikale Vorschläge von neuer Reformkommission
Für Diskussionsstoff sorgte in Düsseldorf ein Alternativvorschlag für den Umbau der Krankenversiche- rung, den eine „Reformkommission Soziale Marktwirtschaft“ am 15. No- vember vorgelegt hatte. In dem von privaten Stiftungen initiierten Papier wird unter anderem eine Versiche- rungspflicht für alle gefordert. In die- sem Rahmen sollten sich die Kran- kenversicherungen dann einem härte- ren Wettbewerb stellen. Das Sachlei- stungsprinzip sei durch die Kostener- stattung abzulösen. Auch der Wettbe- werb der „Anbieter“ müsse verschärft werden. Die gesetzlichen Kranken- kassen sollten sich auf eine Basisversi- cherung beschränken. Pikanterweise gehören auch Siegmar Mosdorf (SPD),
Staatssekretär im Bundeswirtschafts- ministerium, Oswald Metzger, Haus- haltsexperte der Grünen, sowie der Altgewerkschaftler Hermann Rappe (SPD) der Reformkommission an.
Die Bundesgesundheitsministe- rin lehnte das Konzept der Reform- kommission strikt ab. Damit werde die Gesundheitsversorgung unter das Ni- veau des medizinisch Notwendigen gedrückt, wertete Fischer. Sie warnte den Bundesärztekammerpräsidenten davor, den Vorstoß der Kommission allein schon deshalb zu unterstützen, weil er offensichtlich ihrer geplanten Reform widerspreche. „Die Vorschlä- ge gehen teilweise weit über das hin- aus, was wir durchsetzen möchten“, betonte Fischer. Hoppe interessierte hingegen weniger der Inhalt des Re- formpapiers als vielmehr der Zeit- punkt, zu dem die Ideen publik ge- macht wurden: „Es ist schon erstaun- lich, daß die Kommission in ihrer be- sonderen Zusammensetzung, die be- reits seit Anfang 1997 existiert, genau zum jetzigen Zeitpunkt an die Öffent- lichkeit tritt“, sagte der oberste Ärzte- vertreter. Die Schlüsse aus dieser Fest- stellung ließ er offen.
In welcher Form die Gesund- heitsreform 2000 auch in Kraft treten mag, für Fischer „ist dieses Gesetz nicht das Ende aller Tage in der Ge- sundheitspolitik“. So gab sie zu erken- nen, daß sie im Anschluß an diese Ge- sundheitsreform zwei weitere Punkte in Angriff nehmen wolle: Einnahme- seite und Umfang des Leistungskata- loges. Fürs erste glaubt Fischer frei- lich, daß Zugeständnisse in Sachen Einnahmen die Beteiligten „nur sinn- lich machen“ würden. Es gebe kein drastisch unterfinanziertes Gesund- heitssystem. Denn neben Unterver- sorgung sei auch Überversorgung festzustellen.
Niedergelassene Ärzte werden bei einer Diskussion mit Andrea Fi- scher gewiß das Reizthema Arzneimit- telbudgets erwarten. Es wurde in der Tat in Düsseldorf aus dem Publikum heraus angesprochen. Frau Fischer hält Drohungen mit Regressen für ver- früht. Bisher seien Regresse wegen Budgetüberschreitung von der Politik geregelt worden, und „für Briefe von KVen bin ich nicht verantwortlich“.
Jens Flintrop, Norbert Jachertz A-3014
P O L I T I K LEITARTIKEL
(14) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 47, 26. November 1999
Dazugelernt: Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer präsentierte sich auf der Medica kämpferisch und offenbarte, genau ein Jahr nach Amtsantritt, beachtliches Detailwissen. Foto: Johannes Aevermann