A2376 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 37⏐⏐15. September 2006
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setzt voraus, dass der Zu- und Abfluss von Studierenden in der Vorklinik über den Zeitraum von 1992 bis 2002 kon- stant geblieben ist. Das ist mit Sicher- heit nicht überall der Fall, wodurch Verzerrungen auftreten müssen. Die TU München hat z. B. den vorklini- schen Unterricht bereits vor mehreren Jahren vollständig abgegeben, trotz- dem erscheint sie in dieser Statistik wie alle anderen Fakultäten.
Die Korrekturfaktoren mögen zwar interessante statistische Ergebnisse widerspiegeln, die aber sicherlich sehr diskussionsbedürftig sind. Hier geht es ja um ein Ranking, d. h., die Auto- ren wollen einen „fairen“ Vergleich zwischen den Fakultäten vornehmen.
Die angeführten Korrekturvariablen klingen allesamt wie die Ausrede des Schülers, der seinen Eltern erzählt,
„eigentlich wäre ich ja der Klassen- beste, aber wegen der und der un- glücklichen Umstände bin ich leider durchgefallen“. Warum sollte einer Fakultät bei einem Ranking, das ja die Güte der Ausbildung widerspiegeln soll, die Einwohnerzahl der Stadt als Malus angerechnet werden? Soll die Konsequenz daraus sein, dass zukünf- tig Universitäten nur noch auf dem Lande gegründet werden dürfen? Oder soll man lieber den Schluss ziehen, dass die armen Studierenden in Ham- burg einen Bonus gegenüber denen in Greifswald brauchen, weil sie leider, leider nicht so gut studieren können?
International gesehen, liegen einige der erfolgreichsten Universitäten in Millionenstädten. – Die anderen Kor- rekturvariablen sind kaum weniger absurd. Besonders delikat ist der Kor- rekturfaktor „Frauenanteil“. Sollen die Ergebnisse der Fakultäten schlecht ge- rechnet werden, die einen höheren Frauenanteil haben? – Dass Ausländer in vielen Fällen nicht ausreichend auf ihre Fähigkeit selektiert werden, dem Unterricht an einer deutschen Medizi- nischen Fakultät zu folgen, sollte zwar zu Reformen Anlass geben, aber kann kaum als Korrekturfaktor dienen. Was sollen landesspezifische NC-Werte als Surrogatparameter für die Güte des Abiturs in den betreffenden Bundes- ländern? Soll die Leistung derjenigen heruntergerechnet werden, die ihre Schüler besser ausbilden? – Ein edler Beitrag zur Elitebildung, fürwahr.
Schließlich die Personalausstattung.
Es mag sein, dass dieser Parameter ei- nen statistischen Einfluss hat, er ist aber der fragwürdigste von allen, und der Einfluss kann nur sehr indirekt sein (Korrelation ist bekanntlich nicht immer kausale Verknüpfung). Nach dem Zulassungsrecht ist die Zahl der an einer Fakultät zugelassenen Medi- zinstudenten über den curricularen Normwert strikt an die Deputate des wissenschaftlichen Personals in der Lehreinheit „Vorklinik“ gebunden.
Das gilt bundesweit. Wenn eine Uni- versität nach der Tabelle des Wissen- schaftsrates eine „bessere“ wissen- schaftliche Personalausstattung hat, dann kann das nur zwei Gründe ha- ben: Entweder hat diese Fakultät ei- nen besonders hohen Unterrichtsex- port (z. B. in den Studiengang Zahn- medizin, der ja in den ZVS-Statistiken nicht erscheint, oder auch in die Phar- mazie und viele andere Fächer), oder diese Fakultät hat mehr wissenschaft- liches Personal in Instituten, die nicht der Lehreinheit „Vorklinik“ zugeord- net sind. In diesem Fall stehen diese Wissenschaftler auch nicht für den vorklinischen Unterricht zur Verfü- gung. Fakultäten, die sie dennoch ein- setzen, werden möglicherweise in Verwaltungsgerichtsprozessen durch höhere Zulassungszahlen bestraft, wo- mit sich der Vorteil „mehr wissen- schaftliches Personal“ automatisch wieder ausgleicht.
Es lassen sich sicher weitere Einwän- de gegen diese Statistik finden . . . Wichtiger als Detailkritik scheint mir aber die allgemeine Schlussfolge- rung: Es sollte nun nicht jede Fakultät hergehen und ihre eigene Ranking- tabelle erstellen, in der sie möglicher- weise durch den Einsatz geeigneter Korrekturfaktoren besser wegkommt.
Zu einem „fairen Vergleich“ wird die- ser Kampf der „Rankingparameter“
mit Sicherheit nicht führen. Wenn denn schon Rankings in unserer Ge- sellschaft unvermeidlich sind, dann bleiben wir doch lieber bei der unkor- rigierten und ungeschminkten „Bun- desligatabelle“ des IMPP. Allerdings haben sich vor diesem Vergleich schon etliche Fakultäten in „Reform- studiengänge“ geflüchtet.
Prof. Dr. med. Dr. h. c. H. O. Handwerker, Studiendekan der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Krankenhausstraße 2–4, 91054 Erlangen
GESUNDHEITSREFORM
Die Große Koalition hat sich Anfang Juli auf ein Eckpunkte- papier geeinigt (DÄ 27/2006: „Gesund- heitsreform 2006:
Das Eckige muss noch rund werden“ von Sabine Rieser).
Augenwischerei
Nachdem wir nun endlich wissen, dass in Deutschland jeder eine Kran- kenversicherung haben wird – dies ist nach Ulla Schmidt „von herausra- gender Bedeutung“ – grenzt Beck Leis- tungspflicht gegenüber „selbst ver- schuldeten“ Risiken ein (Piercings).
Aha, stimmt ja, wir befinden uns im Laberland, einfach mal was in den Raum werfen, wird schon ein paar Schulterklopfer geben. Vielleicht kommen wir ja dazu, endlich alle Ri- sikosportarten, am besten gleich je- den Sport, das Rauchen und Trinken sowieso und natürlich auch Ohrringe als vermeidbare persönliche Risiken hinzustellen. Alles Nebenkriegs- schauplätze, ablenken will man von den traurigen Ergebnissen der wo- chenlangen Verhandlungen. Ergeb- nis: weitere Bürokratiesteigerungen.
Die ärztliche Gebührenordnung soll von Punkten auf Euro umgestellt werden; dem folgt also jedes Jahr ei- ne Anpassung aller Vergütungen? Ein neues Institut muss her. Dieses kann (muss) dann auch gleich die Einnah- men und Verteilung der Gelder des neuen „Gesundheitsfonds“ betreiben.
Dass aber ausgerechnet Wirtschaft- lichkeitsprüfungen dem Bürokra- tieabbau zum Opfer fallen sollen, konterkariert die sonst im Vorder- grund stehende Merkantilisierung und Ökonomisierung des Kranken- versorgungswesens schon ein wenig.
Ein weiterer realitätsferner Vorschlag der Koalition ist der Vorbehalt der Zweitmeinung bei der Verordnung teurer Medikamente. Was sind teure Medikamente? Verursacht nicht ein vermeintlich billiges, jedoch täglich eingenommenes Arzneimittel mehr Kosten als die einmalige Anwendung einer erforderlichen Hightechtherapie auf bestem Stand der Wissenschaft?
Auch hier: Augenwischerei. Es wird abgelenkt von der wahren Misere des
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Krankenversorgungssystems, näm- lich dem Wegbrechen der Einnahme- basis durch hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne (gefordert von Wirt- schaftsvertretern), die Zunahme von freiberuflichen Nebeneinkommen, die nicht automatisch von der Bei- tragspflicht erfasst werden, beson- ders im akademischen Bereich, ganz allgemein durch das Absinken des realen Einkommens unterer und mitt- lerer Schichten . . .
Dr. med. Michael Stiel, Herpenstraße 22, 53117 Bonn
Gesundheitsbewusstes Verhalten fördern
Die steigenden Kosten im Gesund- heitswesen werden unentwegt allein der zunehmenden Überalterung und dem medizinischen Fortschritt an- gelastet. Völlig ausgeblendet wird dabei, dass die Solidaritätsgemein- schaft der Krankenversicherten durch das bewusst gesundheits- schädliche Verhalten eines großen Teils ihrer Mitglieder in hohem Maße belastet wird. Während in kei- ner anderen Versicherung leichtfer- tig provozierte Schäden übernom- men werden, besteht in der Kran- kenversicherung keinerlei Ver- pflichtung, das versicherte Gut, d. h.
die eigene Gesundheit, vor vermeid- baren Schäden zu bewahren. Die da- durch anfallenden Kosten insbeson- dere durch Übergewicht, Alkohol- und Nikotinmissbrauch gehen dabei in die Zigmilliarden mit steigender Tendenz. Diese müssten daher durch gestaffelte Beiträge bzw.
Gesundheitszuschläge auf Alkohol- und Tabakwaren ausgeglichen wer- den. Das populistische Ansinnen, Unfälle bei Freizeitsportlern künftig auszugrenzen, kann man dagegen nur als absurd bezeichnen. Dadurch würden gerade ein gesundheits- bewusstes Verhalten bestraft und zudem ein aufwendiges Kontroll- system in Gang gesetzt werden.
Damit unser Gesundheitssystem nicht weiter ruiniert wird, helfen keine finanziell „sozialverträgli- chen“ Tricksereien (Prämien, Pau- schalen, Fonds, Soli-Zuschläge, Pools . . .), sondern mehr Eigenvor- sorge, d. h. mehr Verantwortung für die eigene Gesundheit, und zwar in
erster Linie durch ein gesundheits- bewusstes Verhalten und dann erst in zweiter Linie durch eine finanzi- elle Absicherung . . .
Dr. Bonifaz Ullrich,Schillerstraße 32, 66440 Blieskastel
EINKOMMEN
Die Selbstverwal- tung kritisiert Ge- sundheitsfonds und kleine Kopfprämie (DÄ 27/2006: „Dro- hende Staatsmedi- zin“).
Nicht mehr als A 12
. . . Dass unser Gesundheitssystem zunehmend durch kapitalistische Machenschaften und Lohndumping imponiert, sollten Ihre Autoren eben- so wachsam verfolgen wie die „dro- hende Staatsmedizin“ an die Wand
zu malen. Es ist grotesk: Dass zuneh- mend ärztliche Kollegen im staatli- chen Gesundheitssystem in Großbri- tannien arbeiten und dort deutlich mehr Geld verdienen als hier, wird unzureichend „wahrgenommen“.
Wenn ich als nunmehr 60-Jähriger mein Einkommen mit Freunden in Justiz, Verwaltung und Bundeswehr vergleiche, so bin ich nicht über A 12 hinausgekommen (weniger als das damalige Einstiegsgehalt). Ich will hier nicht jammern, A 12 ist ein ganz ordentliches Gehalt, doch dass ich durch ISO-Zertifizierung, Datenver- arbeitung und Weiterbildung aus die- sem Gehalt noch zu den Praxiskosten dazuschießen muss, ist ein Skandal, der im DÄ zu wenig thematisiert wird. Wenn für mich mein Beruf nicht gleichzeitig mein Hobby wäre, wäre meine Situation unerträglich und der Burn-out unausweichlich.
Dr. med. Michael A. Ullmann,Karlstraße 6, 86150 Augsburg
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 37⏐⏐15. September 2006 A2377