• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Gesundheitsreform: Augen zu und durch" (13.10.2006)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Gesundheitsreform: Augen zu und durch" (13.10.2006)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Deutsches ÄrzteblattJg. 103Heft 4113. Oktober 2006 A2667

P O L I T I K

G

ut drei Monate ist es her, dass die Koalitionsspitzen nach zähen Verhandlungen über die Gesundheitsreform einen Durch- bruch verkündeten und gemeinsame Eckpunkte präsentierten. Vergange- ne Woche war es wieder so weit.

Mehr als sieben Stunden saßen die Vorsitzenden der Regierungspartei- en im Berliner Kanzleramt zusam- men, um strittige Punkte der geplan- ten Reform aus dem Weg zu räu- men. Am Ende war abermals von ei- nem Durchbruch die Rede; und wie- der wurden Eckpunkte vorgelegt.

Doch gilt es als wahrscheinlich, dass die Beschlüsse diesmal tat- sächlich Gesetz werden. Alles ande- re hätte womöglich das vorzeitige Ende der Koalition zur Folge. „Au- gen zu und durch“, lautet deshalb die unausgesprochene Devise. Denn beide Regierungspartner vereint, dass sie das leidige Thema Gesund- heit so schnell wie möglich vom Ka- binettstisch haben wollen.

Bei den drei Hauptstreitpunkten der Beratungen einigten sich die Unterhändler auf den kleinsten ge- meinsamen Nenner. So soll in die Geschäftsfelder der privaten Kran- kenversicherung (PKV) weniger stark eingegriffen werden als zunächst vorgesehen. Auch bei der Neuorga- nisation des Kassenfinanzausgleichs traf man sich auf halbem Wege.

Schließlich verständigten sich Uni- on und SPD auch auf die Ein- führung des umstrittenen Gesund- heitsfonds. Er kommt jedoch erst im Januar 2009.

Damit können beide Koalitions- partner leben – zumal mit der Ver- schiebung des Fonds auf das Wahl- jahr 2009 die Folgen dieser Neure- gelung erst in der nächsten Legisla- turperiode spürbar werden. „Insge- samt halte ich es für ein vertretbares und gutes Ergebnis“, sagte Bundes-

kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Alle Seiten hätten sich bewegt, auch wenn dies nicht leichtgefallen sei.

SPD-Chef Kurt Beck betonte, die Gesundheitsreform sei nun „end- gültig in politische Entscheidungen gegossen“ und falle deutlich besser aus als vielfach dargestellt. Es gelte weiterhin das Solidarprinzip.

Zugeständnis an Stoiber Tatsächlich kann die SPD mit dem Verhandlungsergebnis zufrieden sein.

Insbesondere bei der umstrittenen 1-Prozent-Regelung konnten sich die Sozialdemokraten durchsetzen.

So bleibt es dabei, dass etwaige Zu- satzbeiträge der Kassen auf ein Pro- zent des Einkommens der Versi- cherten begrenzt werden. Bis zu ei- ner Höhe von acht Euro monatlich soll es jedoch keine Einkommens- prüfung geben.

CSU-Chef Edmund Stoiber ka- men die Unterhändler mit der Ein- führung einer sogenannten Länder- klausel entgegen. Mit ihr sollen die erwarteten Mehrbelastungen reicher Bundesländer gemildert werden. Zu- satzkosten durch die Reform sollen demnach nicht auf einen Schlag, son-

dern in Schritten von je 100 Millio- nen Euro jährlich wirksam werden.

Das Bundesversicherungsamt geht jedoch davon aus, dass in keinem Land Versicherte und Arbeitgeber mit mehr als 56 Millionen Euro zusätz- lich belastet werden. Für niedergelas- sene Ärztinnen und Ärzte in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen ist dies nur ein schwacher Trost. Weil die Mehrausgaben an anderer Stelle ein- gespart werden müssen, werden ihre Honorare wohl sinken.

Ebenfalls 2009 soll ein Kassenfi- nanzausgleich in Kraft treten, bei dem für 50 bis 80 schwerwiegende und kostenintensive chronische Krank- heiten Morbiditätszuschläge ermit- telt werden. Flankiert werden die Re- gelungen von einer neuen Vergü- tungsordnung für Vertragsärzte, die ebenfalls zum 1. Januar 2009 einge- führt werden soll. Ob der angekün- digte Referentenentwurf in diesem Punkt von den bisher bekannt gewor- denen Vorarbeiten im Bundesgesund- heitsministerium abweichen wird, ist offen. Immerhin heißt es in dem gemeinsamen Beschlusspapier, dass künftig die gesetzliche Krankenver- sicherung (GKV) das Risiko zuneh- GESUNDHEITSREFORM

Augen zu und durch

Union und SPD haben ihren Gesundheitsstreit beendet.

Es geht weniger um das Wohl des Gesundheitswesens als um den Fortbestand der Koalition. Die Ärzte werden es spüren.

Einigung nach mehr als sieben Stunden Verhand- lung. Es ging nicht nur ums Gesund- heitswesen, son- dern auch um den Fortbestand der Großen Koalition.

Foto:dpa

(2)

A2668 Deutsches ÄrzteblattJg. 103Heft 4113. Oktober 2006

P O L I T I K

mender Behandlungsbedürftigkeit der Patienten tragen werde. Hierfür soll die „schematische Budgetie- rung“ der ärztlichen Vergütung been- det werden. Union und SPD sehen damit sichergestellt, dass die Kran- kenkassen den Ärzten für medizi- nisch erforderliche, zusätzliche Lei- stungen „zusätzliches Honorar in an- gemessener Höhe zahlen können“.

Ähnlich klang schon die Formu- lierung in den ursprünglichen Eck- punkten. Später sorgten dann die Ar- beitsentwürfe aus dem Bundesge- sundheitsministerium bei Ärzten für eine böse Überraschung. Die Mini- sterialen koppelten die Abschaffung der Budgetierung an die Maßgabe, dass diese „kostenneutral“ erfolgen soll. Die Folge davon wäre jedoch, dass das heute schon fehlende Drittel in der Vergütung ärztlicher Leistun- gen nicht ausgeglichen, sondern viel- mehr die chronische Unterfinanzie- rung zementiert würde. Dass in dem Beschlusspapier nicht mehr von Kos- tenneutralität die Rede ist, könnte als hoffnungsvolles Signal interpretiert werden, wenn nicht in der Vergan- genheit immer wieder Zusagen ge- brochen worden wären, heißt es bei der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung (KBV).

KBV: Weg mit der Budgets Solange kein Referentenentwurf vor- liegt, der hier Klarheit schafft, blei- ben die Vertragsärzte deshalb bei ihren Forderungen, dass die Hono- rarbudgets faktisch abgeschafft und ihnen im Wettbewerb mit anderen Leistungserbringern gleich lange Spieße zugestanden werden müssen.

Kurz vor Bekanntgabe des Gesund- heitskompromisses warnte der Vor- standsvorsitzende der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung, Dr. med.

Andreas Köhler, dass andernfalls Wettbewerb verhindert werde. „Der dritte Arbeitsentwurf verbietet es den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), mit den Kassen Verträge zur hausarztzentrierten und integrierten Versorgung abzuschließen. Auch von KVen gegründete Dienstleis- tungsgesellschaften dürfen hier nicht aktiv werden. Damit wird ein ganz wesentlicher Anbieter mit entspre- chender Erfahrung bewusst vom Markt gedrängt“, so Köhler.

In ihrem Beschlusspapier bleiben Union und SPD auch in diesem Punkt schwammig: „Krankenkassen und Leistungserbringer müssen beim Übergang zwischen den verschiede- nen Versorgungsbereichen wirkungs- volle Maßnahmen zur Lösung von Schnittstellenproblemen organisie- ren“, heißt es lediglich. Dass die Ko- alitionäre die Rolle der KVen in der integrierten Versorgung nicht präzi- sieren, lasse vermuten, dass dem Kollektivvertragssystem künftig die Rolle eines „Resteverwerters“ zu- kommen solle, befürchtet die KBV.

„Die Einigung der Großen Koali- tion ist eine Mogelpackung“, befin- det auch der Präsident der Bundes- ärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg- Dietrich Hoppe. Die Scheindiskus- sionen über die 1-Prozent-Regel bei der Zusatzprämie und den Finanz- ausgleich der Kassen verdeckten, dass die Finanzierungsprobleme un- gelöst bleiben. „Wir Ärzte sind aber nicht länger bereit, die Unterfinan- zierung in der gesetzlichen Kran- kenversicherung durch unbezahlte Mehrarbeit von mehr als zehn Milli- arden Euro pro Jahr zu kompensie- ren“, kritisierte der Bundesärzte- kammer-Präsident.

Der Frust der Ärzte rührt auch da- her, dass ihnen mit der Umgestal- tung der privaten Krankenversiche- rung weitere Honorareinbußen ins Haus stehen. So soll die PKV ihren Kunden sowie freiwillig gesetzlich Versicherten einen sogenannten Ba- sistarif zu GKV-Konditionen anbie- ten müssen. Bei diesem Basistarif sollen sich die Prämien nur aufgrund des Alters und des Geschlechts un- terscheiden dürfen. Risikozuschläge sind demnach nicht möglich. Darü- ber hinaus sollen Versicherte in Zu- kunft leichter zwischen den Ver- sicherungsunternehmen wechseln können. Das Beschlusspapier der Regierung sieht vor, Alterungsrück- stellungen bei einem Versicherungs- wechsel innerhalb der PKV im Um- fang des Basistarifs anrechnungs- fähig zu gestalten.

Damit bleiben die Koalitionäre hinter den ursprünglichen Plänen der SPD zurück, die die PKV als Vollversicherung quasi abschaffen wollte. Nach dem Willen der Sozial- demokraten sollten Versicherungs-

wechsler ihre angesparten Alte- rungsrückstellungen sogar in die GKV mitnehmen dürfen. Dies hätte nach Expertenmeinung jedoch zu schwerwiegenden rechtlichen Pro- blemen geführt (DÄ, Heft 40/2006).

Die privaten Krankenversicherer drohen dennoch mit einer Verfas- sungsklage. Der Direktor des PKV- Verbandes, Volker Leienbach, hält den neuen Basistarif für einen „Ein- griff in bestehende Verträge“. Das sei verfassungswidrig. Der Beitrag wer- de oftmals nicht kostendeckend sein und vom Versichertenkollektiv sub- ventioniert werden müssen. Als Ver- stoß gegen den Gleichheitsgrundsatz wertete er zudem, dass zwar in der GKV die Beiträge für die Kinderver- sicherung aus Steuern finanziert wer- den sollten, in der Privatversiche- rung dagegen nicht.

Kritik aus den eigenen Reihen Nach anfänglicher Zurückhaltung stimmen nun auch Vertreter von Uni- on und SPD in die allgemeine Kritik ein. Die Wortführerin der SPD-Lin- ken, Andrea Nahles, kritisierte, das Ergebnis der jüngsten Koalitionsrun- de sei schlechter als die Eckpunkte vom Juli. Die Union habe eine kleine Kopfpauschale durchgesetzt, die be- sonders Geringverdiener treffe. Die gesetzlich Versicherten müssten deutlich höhere Beiträge und viele noch einen Zusatzbeitrag zahlen.

Auch der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, macht gegen den Gesundheitskom- promiss mobil. Er kündigte an, dieser Regelung weder in den Spitzengre- mien der CDU noch im Bundestag zuzustimmen.

Dennoch: Unter Beobachtern ist unumstritten, dass die Reform mit großer Mehrheit verabschiedet wer- den wird. Bereits am 25. Oktober soll der Gesetzentwurf das Bundeskabi- nett passieren. Einen Tag vorher kön- nen sich die Fraktionsspitzen bei ei- nem außerordentlichen Deutschen Ärztetag über die möglichen Folgen der Reform informieren. Dass die Ärzte bei Union und SPD Gehör fin- den, ist allerdings unwahrscheinlich.

Denn Sachargumente scheinen we- nig zu zählen, wenn der Fortbestand der Koalition auf dem Spiel steht. n Samir Rabbata

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Um langfristig den Nutzen sowohl für die Flüchtlinge als auch für die ansässige Bevölkerung zu erhöhen, müs- sen wir die Herausforderungen und Folgen für die Städte stärker

Auch wenn die befragten jungen Frauen annehmen, dass sich ihr Wunsch nach Berufstätigkeit und damit auch nach persönlicher Unabhängigkeit und Entfaltung nach der Geburt

der Fälle kamen die Patienten auf Überwei- sung vom Facharzt zur Abklärung, dann gab es üblicherweise eine klare Fragestellung, wie beispielsweise die

Aussagen über die künftige Größe und Aufgabenstellung der Vertreterversammlung macht das Vorstandskonzept nicht, da die Vertreterversammlung eigene Vor- schläge erarbeiten wird.

> einer kontaktunabhängigen Pauschale von 16,25 Euro pro Quartal für einen eingeschriebenen Patienten plus Vorhaltezuschlägen für Sonografie (2 Euro), kleine Chirurgie (1,25

Dann ließen sich manche Angebo- te ganz aus dem GKV-Leis- tungskatalog herausnehmen, darunter versicherungsfrem- de Leistungen wie beispiels- weise häusliche Krankenpfle- ge,

 Zusammenarbeit und verstärkter Dialog mit Industrieunternehmen, aber auch Verbänden, Verbraucherorganisationen und sonstigen interessierten Kreisen.  Viele der

Das Gerster-Pa- pier plädiert für die Beibehaltung der Arzneimittelfestbeträge und eine rasche Umsetzung des Entwurfs für die Ein- führung einer