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Archiv "Die zukünftige Rolle der Psychotherapie in der medizinischen Versorgung" (31.08.1978)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Schweden: Umkehr aus der Sozialisierung ist schwer

„Systems" eine wertvolle Aufgabe zu finden, von der er leben kann. Die sozialistische Strategie meines Lan- des scheint bis jetzt darauf hinzuzie- len, diese letzte Reserve zu vernich- ten. Sie kann das durchaus errei- chen, da die neue Generation schwedischer Ärzte niemals die Er- fahrung einer liberalen Gesellschaft gemacht hat — die Freiheit, sein Ar- beitsgebiet auszusuchen und die Existenz der Medizin als eine Kunst, von Leuten gepflegt, die nicht an- ders konnten, als zu tun was sie lieb- ten und zu lieben, was sie taten.

Nachschrift: So sieht es nach den Wahlen aus

Persönliche Mitteilung des Autors Nach dem hiesigen Regierungs- wechsel im Oktober 1976 wurde dem Prozeß der völligen Sozialisie- rung auf medizinischem Gebiet Ein- halt geboten. Die Arbeitsbedingun- gen der Privatpraxis wurden um einiges verbessert. Pläne zur Sozia- lisierung der pharmazeutischen In- dustrie sind vorerst in die Schublade geschoben worden. Es wurden eine Anzahl von Komitees ins Leben ge- rufen, um verschiedene Aspekte auf gesundheitlichem Gebiet zu bear- beiten; dabei sind Themen wie die Kontinuität der ärztlichen Versor- gung, Organisation der Kranken- hauspflege, die Kampagne gegen Rauchen, der Kampf gegen Narkoti- ka, medizinische Pflege für ältere Menschen, Unfälle bei Kindern, In- formation über Drogen, Kontrolle von Drogen und die Fluorisierung von Leitungswasser enthalten. Es ist eine beträchtliche Reorganisation des Wohlfahrts -und Gesundheits- ministeriums im Gange. Diese wird wahrscheinlich eine weitere Dezen- tralisierung der Verantwortung für ärztliche Versorgung auf Städte und Provinzen mit sich bringen und da- mit eine konsequente Abnahme des Einflusses der Regierung. Die ge- nauen Auswirkungen einer solchen Entwicklung in Hinsicht auf den

ärztlichen Beruf sind schwer voraus- zusagen. Wahrscheinlich werden beträchtliche Unterschiede zwi- schen den Provinzen auftreten, die von ihrer Bevölkerungsstruktur und politischen Einstellung abhängen.

Die jetzige Regierung ist eine Koali- tion zwischen der Zentrumspartei (früher die Bauernpartei), den Ge- mäßigten („Konservativen") und den Liberalen. Zwischen den verschie- denen Vertretern dieser drei Partei- en gibt es natürlich Meinungsver- schiedenheiten. Das Ministerium für soziale Angelegenheiten, zu denen die Medizin gehört, hat zwei Mini- ster: Herrn Gustavsson (Zentrum), verantwortlich hauptsächlich für so- ziale Probleme und Sozialversiche- rungen, und Frau Troedsson (Gemä- ßigte), die für das Gesundheitswe- sen verantwortlich ist. Dr. Rexed ist als Direktor der Wohlfahrts- und Ge- sundheitsbehörde zurückgetreten.

Veränderungen innerhalb der orga- nisatorischen Struktur auf einem so komplizierten Gebiet wie dem Ge- sundheitswesen können sicherlich nicht über Nacht auftreten und sind in Zeiten ökonomischer Schwierig- keiten, so wie Schweden sie zur Zeit durchlebt, besonders schwer zu er- reichen. Die Aussicht auf ein Über- angebot von Medizinern, das in den nächsten Jahren auftreten wird, macht die Verhandlungsposition der medizinischen Berufe nicht gerade leichter. Auch das geringe Interesse an aktiver Beteiligung am politi- schen Leben von seiten der schwe- dischen Ärzte ist nicht besonders hilfreich, um unsere Erfahrungen und Meinungen an jene Kreise zu vermitteln, die die Entscheidungen fällen. Trotzdem, die jetzige Zeit könnte man am besten als eine Atempause ansehen, in der zumin- dest ein lauwarmes Lüftchen einer langen Zeit bitterer Kälte folgt.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr.. med. Gunnar Biörck Serafimerlasarettet

Box 12 700

S 11 283 Stockholm

Übersetzung: Bettina Burkart

FORUM

Die zukünftige Rolle der

Psychotherapie in der

medizinischen Versorgung

Zu dem Beitrag

von Dr. med. Werner Stucke in Heft 3/1978,

Seiten 129 ff.

I. Zusammenarbeit mit anderen sozialen Berufen

Der Anspruch der Ärzteschaft, wei- terhin allein für die psychische Ge- sundheit der Bevölkerung verant- wortlich zu sein, bedeutet, daß eine sehr große Zahl von psychisch Kran- ken weiterhin entweder gar keine Behandlung erfahren oder aber eine unzureichende (beides zu ersehen aus der Psychiatrie-Enquete der Bundesregierung, 1975).

Eine Beschränkung der Psychothe- rapie auf Psychopharmaka, autoge- nes Training und in wenigen Fällen Psychoanalyse übersieht die For- schungsergebnisse der Klinischen Psychologie, wo wirksame, ökono- mische und wissenschaftlich er- probte Interventionstechniken ge- funden wurden (zum Beispiel Ge- sprächspsychotherapie, Verhaltens- therapie u. a.).

Eine Verbesserung der psychothera- peutischen Versorgung der Bevöl- kerung ist nur zu erwarten, wenn die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und anderen sozialen Fachberufen (zum Beispiel Klinische Psycholo- gen) neu geordnet wird.

G. Förster (stud. psych.) Markt 36, 5300 Bonn G. Wörsdörfer (Arzt) Gartenstraße 16 5466 Neustadt/Wied

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 35 vom 31. August 1978 1951

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Psychotherapie

II. Was ist

psychosomatisch?

Herr Kollege Stucke schreibt, daß es bewundernswert sei, daß es immer mehr Ärzte gebe, die es auf sich nehmen an der Versorgung der Pa- tienten in Psychotherapie und Psy- chosomatik teilzunehmen, auch wenn dadurch der Lebensstandard dieser Ärzte sich vermindere. Stucke meint, daß das zunehmende Interes- se der Ärzte an der Psychotherapie auch damit zusammenhinge, daß die Effizienz psychotherapeutischer Verfahren in den letzten Jahren mehr und mehr Überzeugendes ge- leistet habe. Ich meine aber, daß dies nur für Einzelfälle gilt. Denn die Tatsache darf nicht übersehen wer- den, daß die Rezidivquote psycho- therapeutisch und psychoanalytisch behandelter Kollektive die Chronizi- tät des Leidens nicht wesentlich ein- geschränkt hat. Sicher ist, daß un- ausgewählte Kollektive psychoso- matischer Erkrankungen, die mit Psychopharmaka behandelt worden sind, besser abschneiden, als allei- nige Gesprächstherapie. Dies so- wohl hinsichtlich des Zeitaufwandes als auch der Effektivität, als auch der Rezidivquote. Aus diesem Grunde werden in praktisch allen Kliniken Psychotherapie und Psychopharma- kabehandlungen kombiniert. Unbe- stritten bleibt allerdings, daß man durch analytische Verfahren Hinter- gründe aufdecken kann, die einen gezielten Einsatz von Psychothera- pie ermöglichen. Aber es geht hier nicht um Einzelfälle, sondern um die Rolle der Psychotherapie der medi- zinischen Versorgung durch nieder- gelassene Ärzte.

Über die Häufigkeit psychosomati- scher Erkrankungen in der Allge- meinpraxis gibt es recht unter- schiedliche Aussagen. So fand Uex- küll von 7825 poliklinischen Patien- ten in 25,5 Prozent eine psychoso- matische Erkrankung, während Kaufmann und Bernstein vom Mount-Sinai-Hospital 81,5 Prozent nichtorganische Erkrankungen regi- strierten. Diese Autoren meinen, daß die Unterschiede in den Prozentsät- zen daher stammen, daß unter- schiedliche diagnostische Kriterien

an die Beurteilung der Untersu- chungsergebnisse gelegt werden.

Sie betonen, daß die nichtorgani- schen funktionellen Störungen um so häufiger seien, je gründlicher die Patienten untersucht werden, d. h.

je exakter die Organausschlußdia- gnose ist. Aus diesem Grunde müs- sen besonders bemühte Kollegen, die sich intensiv um den Einzelfall kümmern, in der Praxis einen höhe- ren Anteil nichtorganischer Erkran- kungen haben. Ein hoher Anteil nichtorganischer Erkrankungen ist daher ein Ausdruck guter Untersu- chung. Da aber andererseits die Be- schwerdeintensität und der Leidens- druck somatisierter Psychosyndro- me ein intensives persönliches En- gagement provoziert, das somati- sierte Organ, zum Beispiel das Herz, aber nicht behandelt werden darf, wird als therapeutischer Ansatz- punkt die Psyche und bei weiterem Eindringen in diesen Vorgang im Sinne linear kausaler Forschung, Psychoanalyse als Ursachenfor- schung betrieben. Dennoch betont Stucke zu Recht, daß jeder Kranke bei dem die üblichen Untersu- chungsmethoden keinen organi- schen Befund ergeben, nicht als psychosomatisch anzusehen ist. Da- für gibt es zwei plausible Gründe:

1. Die psychische Alteration ist ein Symptom und keine Ursache. Auch dann bleibt sie ein Symptom, wenn man psychoanalytisch fündig wird, weil ja auch diese Fündigkeit nichts anderes ist als ein Symptom zahlrei- cher Bedingtheiten, die nur besten- falls als Leitsymptom bezeichnet werden können, nicht aber als Ursa- che im strengsten Sinne. Diese Tat- sache war auch schon Freud be- wußt. 2. Befunde, die klinisch uner- heblich sind, können durchaus durch Einwirkungen über längere Zeit krankheitserheblich werden.

Nach dem Modell des ständig trop- fenden Tropfens auf eine Stelle. Der erste Wassertropfen tut nicht weh, der tausendste kann unerträgliche Schmerzen bereiten.

Es kommt also im wesentlichen auf die Beurteilungskriterien an, was man als Organerkrankung oder als Nichtorganerkrankung bezeichnet.

Krankheiten mit klinischen Leitsym-

ptomen, die wir fälschlicherweise auch Diagnose nennen, Ulkus, Pneumonie, Diabetes usw. machen etwa 10 Prozent aller in der Praxis auftretenden Erkrankungen aus, wie in großen Statistiken (Häussler) er- wiesen ist. Auch bei diesen Erkran- kungen spielt die Psyche als Mitfak- tor sicher auch eine Rolle (Ulkus, Asthma, Kolitis usw.). Aber der Stel- lenwert ist für den Einzelfall unter- schiedlich. Es hat also gar keinen Sinn, sich darüber zu streiten, wie häufig psychosomatische Erkran- kungen in der Allgemeinpraxis sind.

Ich würde sagen, es gibt überhaupt keine Erkrankung, an der die Psyche nicht beteiligt ist, eben weil der Kopf auf dem Hals sitzt, der Hals auf dem Rumpf, an dem die Glieder hängen.

Es kommt nur darauf an, welchen Stellenwert im Einzelfall die Psyche hat und ob hier ein therapeutischer Zugriff möglich ist, um das gesamte Krankheitsgeschehen günstig zu be- einflussen. Ebensowenig wie man schließen kann, daß bei der Trias Husten, Schnupfen, Fieber die Ef- fektivität der Behandlung des Schnupfens sich auf die beiden an- deren Symptome Husten und Fieber auswirkt, genausowenig muß sich die Behandlung einer vorwiegend psychischen Alteration auf das So- matisieren auswirken, beispielswei- se auf den Herzschmerz. Es sei denn, es entwickelt sich ein Circulus vitiosus zwischen Herzschmerz, Be- obachtung des Herzschmerzes und stärkere Empfindung des Schmer- zes oder zwischen Erröten und Be- merken dieses Errötens und stärke- rem Schamgefühl. Als Psychothera- pie genügen hier aber auch einfache Verfahren, die aus der Routine der täglichen Praxis gewachsen sind, und diese haben sicher eine Funk- tion und sind wesentlich kostengün- stiger, auch dann, wenn Balint meint, daß diese einfachen Verfah- ren aus dem Glauben an die aposto- lische Funktion des Arztes herrüh- ren. Dieser Glaube des Patienten an die Funktion des Arztes ist sicher zur Intensivierung der Verhaltensthera- pie durchaus geeignet. Übernehmen wir einmal unkritisch die Zahl von Vogler, der bei 42 Prozent seiner Pa- tienten in der Praxis eine psychoso- matische Erkrankung diagnostizier-

1952 Heft 35 vom 31. August 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Psychotherapie

te. So wäre auch dann, wenn die Psychotherapie für alle diese Er- krankungen in der Praxis eingeführt und bezahlt würde, das zu einer Massenabfertigung führen, die sehr schnell die indizierte Therapie in Verruf bringen würde, gerade weil sie bezahlt würde. Unabhängig da- von, daß sie wegen ihrer mangeln- den Effizienz von keinem Sozialver- sicherungssystem bezahlt werden könnte.

Was kann man tun? Die Behandlung mit Psychopharmaka ist sicher auch keine ideale Lösung, da hier mehr zugedeckt wird, als für den Kranken gut und dem Arzt recht sein kann, da seine Beobachtungen gestört wer- den. Kausal wirkt eine Psychothera- pie oder eine Psychopharmakologie nur dort, wo ein Circulus vitiosus beseitigt wird. Dieser spielt sich aber in der äußersten Oberfläche des Krankheitsgeschehens ab und kann auf die Dauer nicht befriedigen. Viel- leicht hilft hier folgende Beobach- tung weiter: Zur Zeit der grippalen Infekte nehmen die psychosomati- schen Erkrankungen zu. Die grippa- len Infekte laufen bei diesen Kran- ken afebril ab. Diese Patienten ha- ben eine über Jahre gehende negati- ve Infektionsanamnese, die Trias Husten, Schnupfen, Fieber fehlt. Zur Zeit der grippalen Infekte nimmt die Zahl der pathologischen Transami- nasen im Kollektiv aller in meine Praxis kommenden Patienten zu. In graphischen Aufzeichnungen erge- ben sich deutliche Spitzen bei der wöchentlichen Summation solcher Werte. Im Einzelfall finden sich diese pathologischen Transaminasen bei denen, die afebrile Virusinfekte ha- ben. Die Virusinfekte verlaufen chro- nisch und machen Lebermitbeteili- gungen, die in Schüben ablaufen.

Auf den chronischen Virusinfekt pfropft sich eine Nahrungsmittel- empfindlichkeit auf. Es handelt sich hier um Typ-III- und -IV-Allergien. So kommt es z. B. nach Erdbeeren nicht zum Quinckeödem, wie bei der Typ-l-Allergie, sondern in einem Zeitabstand von 10-24 Stunden zu Angstzuständen, Herzklopfen, Herz- stichen, Einschlafen der Glieder, Zucken der Glieder, Durchatmungs- störungen, Kloßgefühl im Hals mit

Erstickungsgefühl und Schmerzen in der Muskulatur des Nackens und des Rückens und anderen algeti- schen und funktionelle Störungen.

Ich konnte an Einzelbeispielen nachweisen, daß auch chronische Organerkrankungen durch Nah- rungsmittelempfindlichkeiten und Virusinfekte ungünstig beeinflußt werden. Bei einem Patienten mit Leberzirrhose und Aszites konnten die im Krankenhaus verordneten Saluretika abgesetzt werden, nach- dem, ich den Quark bei diesem Pa- tienten verboten hatte, den dieser bis jetzt als hellen, quarkweißen Stuhl ausgeschieden hatte. In sechs Wochen nahm der Patient von 52,5 kg auf 47,6 kg ab. Charakteri- stisch war, daß dieser Patient sehr gerne Quark aß. Es ist eine regelmä- ßige Feststellung, daß die allergenen Nahrungsmittel mit einer Lustem- pfindung gekoppelt sind, die an Sucht erinnert. Entzieht man Allergi- kern das Nahrungsmittel, so werden Einwände gebracht, wie „Mein Kör- per braucht unbedingt Vitamine", wenn sie auf rohes Obst, Tomaten u. ä. empfindlich sind, oder „In der Zeitung habe ich gelesen, daß Käse und Quark bei Leberzirrhose gesund ist", wenn sie auf Milch und Milch- produkte empfindlich sind, oder

„Ich trinke immer viel Milch, damit ich einen guten Stuhlgang habe", und so weiter. Da die allergenen Ef- fekte bei den funktionellen und alge- tischen Störungen erst 10-24 Stun- den später auftreten und bei Orga- nerkrankungen lediglich die Progre- dienz beschleunigen, ist dem einzel- nen Kranken die Unverträglichkeit des Nahrungsmittels gar nicht be- wußt. Es ist möglich, daß die Nah- rungsmittelempfindlichkeit eine Vor- stufe der Drogenabhängigkeit ist.

Zusammenfassend ist also zu sagen, daß die psychovegetativen Syndro- me (Delius) ein komplexes Gesche- hen darstellen, die durch Psycho- therapie allein nicht adäquat behan- delt werden können. Für die prakti- sche Medizin ist die Psychotherapie für die Behandlung der zahlreichen funktionellen und algetischen Stö- rungen nur indiziert, wenn ein Cir- culus vitiosus vorliegt. Der Stellen- wert der Psyche bei der Entstehung

der Erkrankung muß herausgearbei- tet werden. Nur in Einzelfällen, die unter 1 Prozent aller Patienten lie- gen, die eine Praxis aufsuchen, ist Psychoanalyse und Psychotherapie die Methode der Wahl. Im allgemei- nen genügen einfache Verfahren zur Therapie auch dann, wenn Balint gemeint hat, daß diese einfachen Verfahren aus dem Glauben an die apostolische Funktion des Arztes herrühren. Es ist unbedingt notwen- dig, daß gerade den bemühten Kol- legen, die sich um den einzelnen Kranken kümmern, therapeutische Hinweise gegeben werden, die auch außerhalb der Psychotherapie thera- peutische Effekte versprechen. Als Beispiel Wird die Diätetik angeführt, die sich aus einer Nahrungsmittel- empfindlichkeit ergibt. Prophylak- tisch ist darum Sorge zu tragen, daß nicht alle fieberhaften Infekte mit Antipyretika-Zäpfchen behandelt werden. Nur hohe Temperaturen sind viruzid. Hohes Fieber ist eine Alarmreaktion des Organismus ge- gen bereits eingedrungene Erreger (Inkubationszeit). Fieber ist kein Krankheitszeichen, sondern ein Ab- wehrmechanismus. Fieber unter- drücken heißt, die Chronizität eines Virusinfektes mitbedingen, ermögli- chen, ja sogar fördern.

Dr. med.

Otto Meyer zu Schwabedissen Facharzt für innere Medizin Hauptstraße 45

7590 Achern

III. Schlußwort

Die beiden Zuschriften gehen von einem völlig unterschiedlichen Standpunkt aus. Förster/Wörsdörfer meinen, daß eine sehr große Zahl von psychisch Kranken entweder keine Behandlung erfahren oder aber eine Behandlung, die nicht dem jetzigen Erkenntnisstand auf dem Gebiet der Psychotherapie ent- spricht, und Meyer zu Schwabedis- sen geht davon aus, daß die Zahl der Patienten in einer Praxis, die der Psychoanalyse und Psychotherapie bedürfen, unter einem Prozent liegt.

Die letztere Prozentangabe muß überraschen, denn die aufgezählten

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 35 vom 31. August 1978 1953

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen

Psychotherapie

psychosomatischen Erkrankungen bzw. die Mitbeteiligung psychischer Faktoren spricht der Schlußfolge- rung entgegen, und die verschie- densten Veröffentlichungen über den Anteil von psychosomatischen Erkrankungen in der täglichen Sprechstunde des Allgemeinarztes oder des Internisten gehen von völ- lig anderen Zahlenwerten aus.

Wichtig ist zweifellos, daß in allen Kliniken Psychotherapie mit Psy- chopharmakabehandlung kombi- niert wird, zumal die Patienten, die einer klinischen Behandlung bedür- fen, natürlich ein besonders proble- matisches Krankengut darstellen. Es kommt hier aber auf die vernünftige Auswahl der Medikamente an, wobei zu bedenken ist, daß Psychophar- maka Konfliktsituationen nicht lö- sen, bestenfalls überbrücken kön- nen. Eine solche Überbrückung kann sinnvoll sein und den Einstieg in eine Psychotherapie ermöglichen, aber die ursächliche Behandlung von Neurosen kann unbestrittener- weise nun einmal nur psychothera- peutisch sein. Dabei wird die Psy- choanalyse immer dann indiziert sein, wenn es sich um die sogenann- ten Kernneurosen handelt, die jeder anderen Behandlung nicht zugäng- lich sind. Die Zahl dieser Kranken ist nicht groß, aber im Hinblick auf die Gefahr der Chronifizierung ist gera- de hier eine frühzeitige Behandlung notwendig, auch dann, wenn sie zeitlich aufwendig ist.

Die Behauptung, daß die Rezidiv- quote psychotherapeutisch und psy- choanalytisch behandelter Kollekti- ve die Chronizität des Leidens nicht wesentlich einschränkt, halte ich für falsch, vorausgesetzt, daß die Thera- pie zu einem Zeitpunkt einsetzt, in dem die Behandlungsfähigkeit noch gegeben ist. Nur eine gute Weiterbil- dung garantiert, daß die verschiede- nen psychotherapeutischen Metho- den zielgerecht eingesetzt werden.

Geschieht dies, dann ist die Psycho- therapie nicht nur zweckmäßig, son- dern auch wirtschaftlich.

Wenn wir Ärzte von Psychotherapie sprechen, dann meinen wir Kran- kenbehandlung. Die Behauptung

von Förster/Wörsdörfer, daß eine sehr große Zahl von psychisch Kran- ken keine Behandlung erfahren oder aber eine Behandlung, die nicht dem jetzigen Erkenntnisstand auf dem Gebiet der Psychotherapie ent- spricht, ist eine unbewiesene Be- hauptung. Nicht jede Schwierigkeit im Leben bzw. Verhaltensstörung bedeutet Krankheit und bedarf der Therapie. Man sollte aufhören mit den Schlagwörtern im Hinblick auf unrealistische Zahlen von psychi- schen Erkrankungen. Tatsächlich ist die Psychotherapie nicht auf eine Methode beschränkt. Die analyti- sche Psychotherapie hat hier ebenso ihren Stellenwert wie diverse andere analytische und nichtanalyti- sche Verfahren in Einzel- und Gruppentherapie. Die vornehmlich aus der klinischen Psychologie ent- wickelten Verfahren, wie etwa die Verhaltenstherapie oder die Ge- sprächstherapie nach Rogers, sind sowohl in ihrer Wirksamkeit wie auch Wirtschaftlichkeit durchaus umstritten. Der Anspruch, Psycho- therapie im Sinne einer Krankenbe- handlung zu sein, wurde von der Ge- sprächstherapie primär auch nicht aufgestellt, sondern sogar eindeutig zu rückgewiesen.

Die Zusammenarbeit zwischen Ärz- ten und Psychologen muß tatsäch- lich neu geordnet werden. Hierzu gehört, daß der Psychologe nach seinem Diplom eine mehrjährige Weiterbildung in klinischer Psycho- logie benötigt, um eigenverantwort- lich einen kranken Menschen zu be- handeln, wobei zumindestens die Konsultationspflicht des Arztes zwingend sein muß, denn nur der Arzt kann die Differentialdiagnose zwischen organischer und psychi- scher Krankheit stellen. Die gleiche Weiterbildung ist auch für den Arzt nach seinem Examen erforderlich, denn die Ausbildung in Psychothe- rapie ist sowohl beim Psychologen wie auch beim Mediziner während seines Studiums ungenügend.

Der Deutsche Ärztetag in Mannheim hat soeben mit der neuen Zusatzbe- zeichnung „Psychoanalyse" und den Weiterbildungszeiten für beide Zusatzbezeichnungen (Psychoana-

lyse bzw. Psychotherapie) Maßstäbe

gesetzt, die sich hoffentlich auch für die Weiterbildung der klinischen Psychologen auswirken. So gese- hen, wird die Zusammenarbeit zwi- schen Ärzten und Psychologen sich für den Patienten vorteilhaft entwik- keln können, eine Zusammenarbeit, wie sie im Rahmen der psychiatri- schen und psychotherapeutischen Kliniken längst eine Selbstverständ- lichkeit geworden ist.

Dr. med. Werner Stucke Nervenklinik Langenhagen Walsroder Straße 121 3012 Langenhagen 1

ZITAT

KVKG: Die Schuldfrage .. .

Um so mehr bedauern wir es, daß wir ausgerechnet vom eigenen Lager im Stich gelassen worden sind. Ich meine hiermit die Spitzenor- ganisation der Wirtschaft, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberver- bände. Sie ist der Gralshü- ter liberaler ordnungspoliti- scher Grundsätze. Diese hehre Maxime hat die BDA aus Sorge vor Beitragserhö- hungen in der sozialen Kran- kenversicherung — übrigens einer unberechtigten Sorge

— an den Nagel gehängt. Sie hat den politischen Kräften in unserem Lande Schützen- hilfe gegeben und eine Re- form des Arzneimittelmark- tes mitgetragen, die eine zentralistische Lenkung des Marktgeschehens und damit eine Einengung des Aktions- spielraumes unserer Indu- strie zum Inhalt hat."

Max P. Tiefenbacher, Vorsit- zender des Bundesverban- des der Pharmazeutischen Industrie e. V., bei der Hauptversammlung 1978 seines Verbandes in Düssel- dorf.

1954 Heft 35 vom 31. August 1978

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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