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Archiv "Ärztliche Psychotherapie: Die meisten psychisch Kranken werden von Ärzten behandelt" (21.07.2014)

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A 1284 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 29–30

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21. Juli 2014

ÄRZTLICHE PSYCHOTHERAPIE

Die meisten psychisch Kranken werden von Ärzten behandelt

Mit der spezifischen Rolle der ärztlichen Psychotherapie befasste sich ein Symposium in Hannover. Gefordert wurde, psychosomatische und psychothe- rapeutische Kompetenzen in allen somatischen Fächern stärker zu etablieren.

D

ie spezifisch ärztliche Form der Behandlung psychisch Kranker liegt in ihrer Kompetenz, ein individuelles Gesamtkonzept für den Patienten anbieten zu können“, sagte Dr. med. Cornelia Goesmann, Beauftragte des Vorstands der Bun- desärztekammer (BÄK) für Fragen der ärztlichen Psychotherapie, bei dem Symposium „Die spezifische Rolle der ärztlichen Psychothera- pie“ Ende Juni in Hannover. Ohne Ärzte sei eine gute psychotherapeu- tische Versorgung nicht denkbar:

Patienten könnten auf ein sehr breit gestuftes ärztliches Angebot zurück- greifen, das von der psychosomati- schen Grundversorgung durch den Hausarzt bis hin zur fachärztlichen psychiatrischen, psychosomatischen und psychotherapeutischen Versor- gung reiche, betonte die Hausärztin auf der gemeinsamen Veranstaltung der BÄK und der Ärztekammer Nie- dersachsen (ÄKN).

Zahlenmäßige Übermacht der Psychologen problematisch

„Mit diesem Symposium wollen wir eine Standortbestimmung der ärztli- chen Psychotherapie vornehmen und Alleinstellungsmerkmale aufzeigen“, erklärte Dr. med. Martina Wenker, Vizepräsidentin der BÄK und Präsi- dentin der ÄKN. Warum dies unter anderem notwendig scheint, verdeut- lichte Dr. med. Iris Hauth, Berlin:

„Wir finden die zahlenmäßige Über- macht der Psychologischen Psycho- therapeuten (PP) problematisch.“

Dabei seien die ärztlichen Psycho- therapeuten (ÄP) im Hinblick auf Differenzialdiagnostik und leitlini- engerechte Behandlung im Vorteil, betonte die Psychiaterin.

Zahlreiche renommierte Experten waren zu dem Symposium eingela-

den, um unter anderem anhand von drei Expertisen aus der Förderinitia- tive zur Versorgungsforschung zu diskutieren. Die erste Expertise prä- sentierte Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel, Düsseldorf: Die Studie „In- anspruchnahme des Versorgungs- systems bei psychischen Erkrankun- gen“ anhand der Routinedaten von drei Ersatzkassen1 und Daten der Deutschen Rentenversicherung Bund zeigte eine sehr hohe Inanspruch- nahme-Prävalenz: Von zehn Millio- nen Versicherten nahm ein Drittel (3,3 Millionen) das Versorgungssys- tem mit einer psychischen Diagnose (F0–F5) in Anspruch (siehe auch DÄ, Heft 47/2013). Mehr als 84 Prozent dieser Patienten wurden ausschließlich ambulant sowie über- wiegend von Hausärzten und so - matisch tätigen Fachärzten behan- delt, gefolgt von Nervenärzten und

Psychiatern. Knapp zwei Drittel der auch stationär behandelten Patien- ten wurden auf somatischen Statio- nen versorgt. Greift man einzelne Diagnosen heraus, wurden drei Viertel der von Depressionen Be- troffenen von Hausärzten und so- matischen Fachärzten behandelt.

Diese Arztgruppen rechnen bei psy- chischen Diagnosen am häufigsten verbale Interventionen ab, Psychia- ter überwiegend psychiatrische Ge- spräche. Richtlinien-Psychotherapie wird vor allem von Psychologi- schen Psychotherapeuten und Fach- ärzten für Psychosomatische Medi- zin abgerechnet.

„Über alle Diagnosegruppen hin- weg kommen psychotherapeutische Maßnahmen nicht ausreichend zur Anwendung“, erklärte Gaebel. Au- ßerdem bestehe insgesamt zu we- nig Kooperation zwischen den Fachgruppen sowie zu wenig sek - torenübergreifende und zu wenig interdisziplinäre Versorgung.

Foto: Ärztekammer Niedersachsen

„Ohne Ärzte ist eine gute psycho-

therapeutische Versorgung nicht denkbar.“ – Cornelia Goesmann, Beauftragte des Vor- stands der BÄK für Fragen der ärztli- chen Psychotherapie

1DAK-Gesundheit, Kaufmännische Krankenkasse (KKH) und Handelskrankenkasse (hkk)

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21. Juli 2014 A 1285 Mit der Aufgabe herauszufinden,

welche Unterschiede in der Versor- gungspraxis zwischen ärztlichen und Psychologischen Psychothera- peuten bestehen, war Prof. Dr. med.

Peter Joraschky, Dresden, beauf- tragt worden. „Wir kommen ohne Psychologische Psychotherapeuten nicht zurecht“, schickte Joraschky vorweg. In Sachsen, wie in allen östlichen Bundesländern, erfolge die Versorgung zu zwei Dritteln durch PP und zu einem Drittel durch ärztliche Psychotherapeuten. Dies sei größtenteils historisch bedingt.

Denn in Ostdeutschland habe es nach der Wende weniger ärzt liche Psychotherapeuten gegeben, weil weniger psychosomatische Klini- ken vorhanden waren, in denen die Facharztweiterbildung stattfindet.

Die in der Bedarfsplanung vakanten ärztlichen Psychotherapieplätze sei- en dann durch PP besetzt worden, erläuterte Joraschky.

Für die repräsentative Fragebo- generhebung wurden alle bei der Kassenärztlichen Vereinigung Sach- sen gemeldeten Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichen- psychotherapeuten (KJP) ange- schrieben (912). Die Rücklaufquote lag bei 41 Prozent. In Bezug auf die Therapieverfahren waren demzufol- ge die Fachärzte für Psychosomati- sche Medizin überwiegend psycho- dynamisch orientiert (90 Prozent) und PP eher verhaltenstherapeutisch (73 Prozent). Entsprechend unter- schiedlich war die Anzahl der Pa- tienten: ÄP behandelten im Durch- schnitt 75 Patienten im Jahr in län- geren Therapien; PP und KJP be- handelten durchschnittlich 123 Pa- tienten pro Jahr überwiegend in Kurzzeittherapien. Die Störungsbil- der der Patienten waren in der Ver- teilung zwischen ÄP und PP relativ ausgeglichen, bis auf Psychosen, Schizophrenie, Borderline-Störun- gen und Sexualstörungen, die mehr- heitlich von Ärzten behandelt wur- den. Obwohl PP und KJP nicht di- rekt stationär einweisen dürfen, weisen sie doch über die Koopera - tion mit Hausärzten oder Psychia- tern genauso häufig ein wie ÄP.

Die dritte Expertise stellte Prof.

Dr. med. Gereon Heuft, Münster, vor. Die Autoren2 fanden in ei-

ner repräsentativen Befragung von 2 555 Erwachsenen heraus, dass sich 70 bis 80 Prozent bei psy- chischen Störungen zunächst an ih- ren Hausarzt wenden würden. „Aus diesem eindeutigen Vertrauen ha- ben wir das ,Vier-Ebenen-Modell‘

für eine zukunftsfähige Versorgung abgeleitet“, sagte Heuft. Es sieht folgende Ebenen vor:

erste Ebene: Psychotherapeuti- sche Kenntnisse sollten bereits im Medizinstudium erworben werden

zweite Ebene: Alle ärztlichen Fachgebiete sollten Kompeten- zen in der psychosomatischen Grundversorgung erwerben (zur- zeit obligat für Hausärzte und Gynäkologen)

dritte Ebene: klarere Positionie- rung der fachgebundenen Psy- chotherapie und Angebot von Kurzzeit-Psychotherapie

vierte Ebene: differenzielle Be- handlung durch ärztliche Psy- chotherapeuten und Psychiater.

Für mehr Kooperation und Vernetzung

Um das „Vier-Ebenen-Modell“ um- zusetzen, sei es notwendig, ein ein- heitliches Curriculum „Psychosoma- tische Grundversorgung“ besser in der Weiterbildung zu verankern, for- derte Heuft. „Eine weitere Aufgabe der Bundesärztekammer ist es, die Organ- und Tumorzentren verstärkt auf die Kenntnisse der Fachärzte für Psychosomatische Medizin hin- zuweisen.“ Dieser Forderung schloss sich Dr. med. Christa Roth-Sacken- heim, Berufsverband Deutscher Psychiater, für den ambulanten Be- reich an: „Viele Ärzte wissen nicht, was Psychosomatiker und Psychiater machen und schicken ihre Patienten deshalb zum Psychologen.“ Grund- sätzlich plädierte die Psychiaterin für mehr Kooperation und Vernet- zung mit PP, auch weil es zu wenig Psychiater und ÄP gebe. „Jeder soll- te das machen, was er am besten kann“, sagte Roth-Sackenheim.

Für eine bessere Versorgung psy- chisch kranker Kinder und Jugendli- cher sollte die psychosomatische Grundversorgung natürlich auch in der Weiterbildung der Kinderärzte verankert werden, forderte Prof. Dr.

med. Renate Schepker, Ravensburg.

In der Versorgung müsse sich eini- ges ändern, damit ebenfalls Kinder aus prekären Verhältnissen, Migran- ten und Flüchtlinge erreicht würden.

Sozialpsychiatrie ist das Modell der Zukunft

Ärztliche Psychotherapie für Kinder und Jugendliche müsse „von der Couch weg“ angeboten werden, in Form von aufsuchender Psychothe- rapie in Heimen, in Institutionen der Jugendhilfe, in Justizvollzugsanstal- ten und an Schulen. Angeboten wer- den müssen zudem mehr nieder- schwellige und Psychotherapie in Krisensituationen sowie mehr Kurz- zeitinterventionen. „In Einzelpraxen können zu wenige Kinder behandelt werden, deshalb ist das Modell der Zukunft die Sozialpsychiatrie-Ver- einbarung (SPV)“, erklärte Schep- ker. Die SPV ermöglicht es Kinder- und Jugendpsychiatern, in ihrer Pra- xis Psychologen, Ergotherapeuten oder Sozialpädagogen anzustellen.

Auch in der Versorgung psy- chisch kranker Erwachsener sind neue Konzepte nötig. Die Experten waren sich einig, dass Sprechstun- den beim Psychotherapeuten, mehr niedrigschwellige Angebote und Kriseninterventionen wichtig seien.

Auch müssten die Wartezeiten auf einen Therapieplatz verringert wer- den. „Die meisten Abbrüche gibt es zwischen dem ersten Anruf beim Therapeuten und dem Erstgespräch sowie zwischen Erstgespräch und Therapiebeginn“, sagte Joraschky.

Heuft sieht die Bundesärztekam- mer schließlich in der Pflicht, „auf allen Ebenen Parität mit der Bun- despsychotherapeutenkammer her- zustellen“. Dieser Punkt fand auch in der abschließenden Diskussion Nachhall: Die Befassung mit psycho- therapeutischen Themen in einzelnen Referaten der Bundesärztekammer reiche nicht immer aus, um mit den vielen Aktivitäten der Bundes - psychotherapeutenkammer gleichzu-

ziehen.

Petra Bühring

2Heuft G, Freyberger HJ, Schepker R: Vier-Ebenen- Modell einer personalisierten Medizin: Epidemio- logische Bedeutung, historische Perspektive und zukunftsfähige Modelle aus Sicht von Patienten und Ärzten. Stuttgart: Schattauer, 2014.

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