F
ußballer Sebastian Deisler ist kein Einzelfall: Mehr als drei Millionen Deutsche leiden an Depressionen.Nach dem aktuellen Gesundheitssur- vey des Bundesgesundheitsministeri- ums bestehen bei 31 Prozent der Be- völkerung psychische Sörungen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung erlebt einmal im Leben eine psychische Kri- se. „Wir Psychiater sind diesem An- sturm gar nicht gewachsen“, sagt Dr.
med. Christa Roth-Sackenheim vom Aktionskreis Psychiatrie (AKP). „Un- ser Hilferuf geht deshalb an die Hausärzte.“
Der Hilferuf ist angekommen. Vor gut einem Jahr nahm der Aktionskreis – ein Zusammenschluss von 20 Psych- iatern aus ganz Deutschland – Kon- takt zum Deutschen Hausärztever- band (BDA) auf. Das Resultat ließ nicht lange auf sich warten. Der AKP und der BDA schlossen sich zu einer „strategischen Allianz“ zusam- men, um die Versorgung psychisch Kranker zu verbessern. Gemeinsam wollen sie für die Fortbildung der Hausärzte auf dem Gebiet der Psych- iatrie sorgen sowie Versorgungsleit- linien entwickeln. Erste Ergebnisse ih- rer Projekte stellten sie auf einer ge- meinsamen Pressekonferenz am 11.
Dezember in Berlin vor.
In der Tat können angesichts der ho- hen Prävalenz psychiatrischer Erkran- kungen nicht alle Patienten kontinu- ierlich von einem Facharzt für Psych- iatrie behandelt werden. Deutschland- weit stehen den 5 000 Psychiatern etwa 50 000 Hausärzte gegenüber. Sie sind es auch, die bereits jetzt etwa 80 Prozent der Patienten mit psychiatrischen Er- krankungen versorgen. Jeder vierte Pa-
tient in ihren Praxen ist ein „psychiatri- scher Fall“. Doch: „Nur bei der Hälfte aller an Depression Erkrankten wird bislang durch die Hausärzte die richtige Diagnose gestellt, lediglich zehn Pro- zent werden adäquat behandelt“, räumt Dr. Diethard Sturm, stellvertretender Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, ein. Aus Sicht der Psychiater eine katastrophale Situati- on. „Hier muss sich dringend etwas än- dern“, fordert Prof. Dr. med. Jürgen Fritze vom AKP.
Fortbildungsvariante:
Psychiater coachen Hausärzte
Im Mittelpunkt der Zusammenarbeit von Hausärzteverband und Aktions- kreis Psychiatrie steht deshalb das Ziel, die Diagnose- und Therapiekompetenz des Hausarztes bei psychischen Er- krankungen zu verbessern. Ab 2004 werden Psychiater Hausärzte in Semi- naren schulen und trainieren. „Grund- lage der Fortbildungskooperation ist ein vom Institut für Hausärztliche Fort- bildung erarbeitetes Konzept“, berich- tet Sturm. Geplant sind drei Komplexe zu psychischen Störungen mit insge- samt 40 bis 66 Stunden, die interak- tiv und anwendungsorientiert gestaltet werden sollen. Rollenspiele und Fallbe- sprechungen sollen den Anforderungen in der täglichen Praxis möglichst ge- recht werden, erklärt Sturm. Bei der in- haltlichen Ausgestaltung und der Ge- winnung der beteiligten Fachärzte für Psychiatrie hätten BDA und AKP eng zusammengearbeitet.
Ein weiteres gemeinsames Projekt von AKP und BDA ist das Erstellen ei-
ner Versorgungsleitlinie. „Klare Vorga- ben durch Versorgungsleitlinien wer- den von den Hausärzten dringend benötigt“, betont Prof. Dr. med. Wil- helm Niebling, Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin an der Universität Freiburg. Erarbeitet haben Hausärzte und Psychiater bereits eine Leitlinie zur Diagnose und Therapie depressiver Störungen. Probeweise wird sie derzeit in einem Modellprojekt in den Regio- nen München, Düsseldorf und Aachen angewandt. Die Ergebnisse seien viel- versprechend, berichtet Prof. Dr. med.
Mathias Berger, AKP. Während die Hausärzte in den evaluierten Gebieten zunächst nur 30 Prozent der Depressio- nen diagnostizierten, stellten sie nach einer Intervention in 84 Prozent der Fälle die richtige Diagnose. Zudem ver- schrieben sie häufiger wirksame Anti- depressiva. Abgeschlossen wird die Evaluation im Frühsommer 2004. Von 2005 an soll die Leitlinie in das Kom- petenznetz Depression des Bundesfor- schungsministeriums transferiert wer- den. Künftig könnte sie auch als Grund- lage für ein Disease-Management- Programm Depression dienen, ergänzte Berger.
Im Sinne der Krankenkassen wäre eine enge Zusammenarbeit von Psych- iatern und Hausärzten allemal. „Wir brauchen besser ausgebildete Hausärz- te, damit möglichst viele Patienten früh und gezielt behandelt werden“, meint Eckhard Schupeta. Der stellvertreten- de Vorsitzende der Deutschen Ange- stellten-Krankenkasse (DAK) beklag- te kürzlich bei der Vorstellung einer Krankenhaus-Studie in Düsseldorf die Odyssee psychisch Kranker von Arzt zu Arzt und die damit verbundenen Kosten. In einer gemeinsamen Unter- suchung mit der Allgemeinen Hospital- gesellschaft hat die DAK ein Einspar- potenzial von mehr als zwei Milliarden Euro bei den psychischen Erkrankun- gen errechnet. Nach ihren Stichproben verursachen Patienten mit psychischen Leiden durch häufige Arztbesuche, in- tensiven Medikamentenkonsum und Klinikaufenthalte Pro-Kopf-Kosten von jährlich 20 000 Euro. Diese ließen sich der Studie zufolge halbieren, wenn die Patienten in ein interdisziplinä- res Behandlungskonzept eingebunden wären. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann P O L I T I K
A
A14 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1–25. Januar 2004