• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Psychische Störungen: Hausärzte prädestiniert für die Behandlung" (26.05.2006)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Psychische Störungen: Hausärzte prädestiniert für die Behandlung" (26.05.2006)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A

A1450 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 21⏐⏐26. Mai 2006

B R I E F E

Psychische Störungen

Zu dem Beitrag „Psychische und Ver- haltensstörungen: Die Epidemie des 21. Jahrhunderts?“ von Prof. Dr. med.

habil. Andreas Weber et al. in Heft 13/2006:

Gesundheit braucht soziale Gerechtigkeit

Das Beste in der inhaltsschwe- ren Arbeit „Psychische und Verhaltensstörungen: Die Epi- demie des 21. Jahrhunderts?“

steht am Schluss: „Umdenken geboten“ – die klare und leider so selten zu lesende medizini- sche Feststellung, dass die pa- thogenetischen Faktoren in un- serer gesellschaftlichen Wirk- lichkeit eine wachsende Morbi- dität erzeugen, die auch durch umfangreiche medizinische In- terventionen immer weniger aufgehalten werden kann . . . Durch die einseitige Orientie- rung auf Wirtschaft und Er- werbstätigkeit (und die Abhän- gigkeit unseres Lebensalltags von dieser) wird Gesundheit, werden Biografien zerstört und außer psychischen und Verhal- tensstörungen viele weitere Krankheiten erzeugt: Alkohol- krankheit, Suizidversuche, metabolische Syndrome, Hy- pertonien und viele andere.

Die Medizin aber fokussiert weiter auf deren späte und auf- wendige symptomatische Lin- derung – statt kundzutun, dass das wachsende Heer chronisch Kranker ein mit DRGs und EBM betriebswirtschaftlich orientiertes Gesundheitssy- stem zwar scheinbar „effekti- ver“ macht, diese Entwicklung jedoch volkswirtschaftlich, kul- turell und menschlich perspek- tivlos ist. Das gilt auch und be-

sonders für die Generationen- frage. Immer mehr liest man auch im DÄ über Rentenfor- meln, Anlagen, Sparpläne etc. – statt der einfachen Erkenntnis uralten Lebenswissens: Men- schen können nicht durch an- gespartes Geld ersetzt werden, der Systemerhalt ist nur durch ausreichend und sozial positiv geprägte Kinder möglich. Kin- der aber sind ein Armutsrisiko, und die wachsenden Defizite an Zuwendung, an Kommuni- kation etc. sind in der genann- ten Arbeit sehr deutlich be- nannt worden. Gesundheit ent- steht im Lebensalltag der Men- schen und kann nur dort erhal- ten werden. In den Privathaus- halten, in den Familien wird so- zial höchst produktive Arbeit geleistet – Bildung, kulturelle Prägung, Pflege, Erziehung etc.

–, diese hat jedoch langfristige Sicherung des Lebensunter- halts zur Voraussetzung. Ge- sundheit braucht soziale Ge- rechtigkeit. Schon jetzt gibt es zwischen Arm und Reich in Deutschland einen Unter- schied in der Lebenserwartung von mehreren Jahren, der da- mit weitaus größer ist als zahl- reiche Überlebensvorteile, die durch teure Therapien erzielt werden . . . Gesundheit ist ein zu hohes Gut, als das sie in par- teipolitischem Finanzstreit sinnvoll „reformiert“ werden könnte. Es ist traurig, dass die Ärzteschaft weitgehend abseits davon steht – statt klare kausa- le Analysen (wie in o. g. Ar- beit) und wirkliche, inhaltliche Reformen der gesellschaftli- chen Rahmenbedingungen mit sozialpolitischer Perspektive einschließlich der „Wiederent- deckung der Humanität“ auf- zuzeigen.

Dr. med. Heinrich Günther, Lönsstraße 12, 01259 Dresden

Hausärzte prädestiniert für die Behandlung

In dem sehr guten Artikel wird die „Verbesserung der hausärztlichen Kompetenz“

bei der Versorgung psychisch Kranker gefordert, völlig zu Recht. Durch seine Lebensun- mittelbarkeit zum Patienten und die langfristige fruchtbare Interaktion kann der Hausarzt enorm gesundheitsbildend wirken, dadurch langfristig Chronifizierung verhindern, welches wiederum enorme Kosten einsparte . . . Leider wird das vom System verhin- dert. Im neuen EBM 2000plus wurde die Erörterung (früher 10, 11, 17) von 300 auf 150 Punkte (03120) gekürzt, ohne gute Kommunikation ist Hei- len aber unmöglich. Sinnlose Bürokratisierung in Form der DMP, der vor allem dem Risi- kostrukturausgleich der Kas- sen dient, behindert die ärztli- che Arbeit. Ein rigides Zulas- sungsrecht verhindert das Ent- stehen funktioneller Einhei- ten. Der weitere bürokratische Wahnsinn, z. B. 5-seitige DIN- A-4-Kuranträge (A 60 und 61) . . . führt endgültig zu fru- strierten Einzelkämpfern . . . Nur zufriedene und fröhliche Ärztinnen und Ärzte können aber gute Primärversorgung leisten . . .

Dr. med. Udo Saueressig, Hauptstraße 129,

74931 Lobbach-Waldwimmersbach

Suchterkrankungen frühzeitig erkennen

Der Argumentation in dem Artikel stimme ich grundsätz- lich zu. Aus meiner Perspekti- ve der Suchtkrankenversor- gung hätte ich mir die Einbe- ziehung der substanzbezoge- nen (ICD-10: F1-)Störungen – als nach den affektiven, den Angst- und den somatoformen Störungen am weitesten ver- breitete psychische Störungen – in Ihre Überlegungen ge- wünscht. Die F1-Störungen fordern allein in Deutschland mehr als 150 000 Todesfälle (allein Tabak- und Alkoholab- hängigkeit) jährlich und sind für eine hohe Zahl von ge-

sundheitlichen Folgeerkran- kungen und sozialen Proble- men sowie für Frühberentun- gen und verminderter Teilha- be am gesellschaftlichen Leben verantwortlich. Trotz differen- zierten Ausbaus eines eigen- ständigen Suchthilfesystems in Deutschland (Suchtberatungs- stellen, Suchtfachkliniken, Fach- abteilungen an Psychiatrischen Krankenhäusern, Selbsthilfe- gruppen) haben substanzbezo- gene Störungen in Deutsch- land mit 29,0 Prozent die nied- rigste Behandlungsquote von allen verbreiteten psychischen Störungen (Wittchen, H.-U., Jacobi, F. [2002]. Die Versor- gungssituation psychischer Störungen in Deutschland).

Die Suchtkrankenversorgung krankt u. a. an der unzurei- chenden Vernetzung mit dem übrigen medizinischen Versor- gungssystem, was auch unter dem Gesichtspunkt der hohen Komorbiditätsrate der F1- Störungen mit anderen psychi- schen Störungen (am häufig- sten mit affektiven und Angst- störungen) und somatischen Folgeerkrankungen als ungün- stig erscheint. Dabei können Suchterkrankungen erfolg- reich behandelt werden; wün- schenswert wäre auch bei die- sen Störungen, sie könnten zu einem früheren Erkrankungs- zeitpunkt erkannt und (dann meist weniger aufwendig) be- handelt werden . . .

Dipl.-Psych. Michael Müller- Mohnssen,Versorgungsbereich Sucht der Zentren für Psychiatrie Südwürttem- berg, Zentrum für Psychiatrie Weissenau, Weingartshofer Straße 2,

88214 Ravensburg

Depressive bleiben häufig auf der Strecke

Weber/Hörmann/Köllner be- nennen psychische Störungen als Epidemie des 21. Jahrhun- derts und fragen nach der Qualität, Effektivität und Effi- zienz der Behandlung, die of- fenbar unzureichend ist. Zu Recht. Während sich die Ge- sellschaft und auch die somati- sche Medizin in einem atem- beraubenden Tempo fortent- wickeln, so beharrt die psycho- logische Medizin überwiegend Leserzuschriften werden von der Redaktion sehr beachtet. Sie

geben in erster Linie die Meinung des Briefschreibers wieder und nicht die der Redaktion. Die Veröffentlichungsmöglichkeiten sind leider beschränkt; der Redaktion bleibt oft keine andere Wahl, als unter der Vielzahl der Zuschriften eine Auswahl zu treffen. Die Chance, ins Heft zu kommen, ist umso größer, je kürzer der Brief ist. Die Redaktion muss sich zudem eine – selbst- verständlich sinnwahrende – Kürzung vorbehalten.

LESERZUSCHRIFTEN

(2)

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 21⏐⏐26. Mai 2006 AA1451

B R I E F E

in alten Riten. Dabei sind die Denk- und Erfahrungsansätze der Klassiker wie Freud, Janet u. a. keinesfalls zu verwerfen.

Sie müssten nur voll ausge- schöpft und konsequent ange- wendet sowie durch zeit- gemäße Anpassungen ergänzt und wirtschaftlicher gemacht werden. Ein erster Schritt wä- re, den Entschluss des Betrof- fenen, sich mit der Störung auseinander setzen zu wollen, zu begrüßen und zu befördern.

Die unbedingt notwendige Empathie reicht in praxi noch nicht einmal dafür aus. De- pressive vermögen den Kampf um eine wirksame Therapie nicht gut zu führen und blei- ben häufig auf der Strecke. Ich kenne schwere Fälle, die u. a.

mehrfach dem Psychiater vor- gestellt worden sind und auch nach fünf Jahren weder eine medikamentöse noch eine the- rapeutische Behandlung er- halten haben. Auch berichten Patienten immer wieder, dass sie sich von Ärzten und Thera- peuten nicht angenommen fühlten, vielmehr in ihnen ob ihrer Schmerzen und ihres Leids Versagens- und Schuld- gefühle erzeugt worden sind, ohne dass ihnen ein Ausweg aufgezeigt worden wäre. Der Vorwurf trifft . . .

Brigitte Gibtner,Hanns-Eisler-Straße 2, 10409 Berlin

Längst überfälliger Artikel

Vielen Dank für diesen über- fälligen Artikel. Die genannten sozialepidemiologischen Da- ten sickern ja seit langem in unser fachärztliches und auch das öffentliche Bewusstsein, aber es ist immer wieder not- wendig, sie zu bestätigen und breit zu diskutieren. Hierbei ist

der ausdrückliche Verweis auf wesentliche gesellschaftsdyna- mische Faktoren („Primat der Ökonomie“ und „Instabi- lität“), die zu dieser Entwick- lung zunehmender psychischer Erkrankungen und dadurch bedingter sozialer Kosten bei- tragen, von grundsätzlicher und entscheidender Bedeu- tung. Ich war sehr froh, dies im DÄ einmal so klar und unge- schminkt lesen zu kön- nen . . . Es reicht aber nicht mehr, hier allgemein „die Poli- tik“ und „die Gesellschaft“ als Verantwortungsfaktoren zu benennen. Längst ist ja jeder Einzelne als Arzt, als Thera- peut und als Patient selbst zum Kleinunternehmer in Sachen Lebensentwicklung geworden, die diesem Ökonomiegebot nicht nur unterworfen sind, sondern es selbst vertreten – sich und anderen gegenüber.

Insbesondere im psychothera- peutischen und psychosomati- schen Alltag der ambulanten Praxis finde ich deutlich zu- nehmend, wie Menschen an sich selbst und den Therapeu- ten den impliziten Anspruch einer Art „Psycho-Optimie- rung“ stellen, um den An- sprüchen des „Marktes“ an Ef- fizienz und Flexibilität bis in alltäglichste Interaktionen hin- ein gerecht zu werden. Ange- sichts der im Artikel genann- ten sozialmedizinischen Daten führt dies nur zu einer weite- ren Schleife im Teufelskreis der (Selbst-)Ausbeutungsver- hältnisse in allen Lebensberei- chen mit entsprechenden – epi- demischen – gesundheitlichen Folgen. Insofern würde ich die provokative These wagen, dass das Gesundheitssystem allge- mein und die psychotherapeu- tische Versorgung im Speziel- len paradoxerweise an der strukturellen Verstärkung an-

E-Mail

Briefe, die die Redaktion per E-Mail erreichen, werden aufmerksam gelesen. Sie können jedoch nur veröffentlicht werden, wenn sie ausdrücklich als „Leserbrief“ bezeichnet sind. Voraussetzung ist ferner die vollständige Anschrift des Verfassers (nicht die bloße E-Mail-Adresse). Die Re- daktion behält sich ohne weitere Mitteilung vor, E-Mail- Nachrichten, die als Leserbrief erscheinen sollen, zu

kürzen.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE