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Archiv "Zwangsbehandlungen: Psychiater fordern ein neues Gesetz" (02.11.2012)

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A 2170 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 44

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2. November 2012

ZWANGSBEHANDLUNGEN

Psychiater fordern ein neues Gesetz

Psychisch Kranke dürfen einem Urteil des Bundesgerichtshofs zufolge auch in einer akuten Krise nicht gegen ihren Willen behandelt werden. Für Ärzte bedeutet dies eine Erschwernis ihrer Tätigkeit. Eine gesetzliche Regelung soll nun Abhilfe schaffen.

P

ostpartale Depressionen sind zwar meist medikamentös gut zu behandeln. Doch eine 28-jährige Frau lehnt jegliche Be- handlung ab. Sie hat die wahnhafte Vorstellung entwickelt, alles sei sinnlos und sie trage die Schuld an den Nöten in der Welt. Sie kündigt an, sich durch einen Sprung von der Brücke das Leben zu nehmen und ihr Neugeborenes mitzunehmen.

Nach gegenwärtiger Rechtslage sei eine gerichtliche Unterbringung in einer Klinik möglich, nicht je- doch die Behandlung der Erkran- kung, erklärte Prof. Dr. med. Peter Falkai, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psy- chotherapie und Nervenheilkunde, an diesem Beispiel. „Wir befinden uns im Dilemma zwischen einer als Körperverletzung gewerte ten Zwangs behandlung und unterlasse- ner Hilfeleistung“, sagte er am 18.

Oktober in Berlin.

Rechtsunsicherheit bei Ärzten

Die Fachgesellschaft fordert des- halb in einem Memorandum neue gesetzliche Regelungen für die Be- handlung von nichteinwilligungs - fähigen Menschen mit akuten psychischen Erkrankungen. Not- wendig ist diese Forderung aus Sicht der Psychiater aufgrund der geänderten Rechtslage* infolge der UN-Behindertenkonvention sowie aufgrund von Urteilen des Bundes- verfassungsgerichts sowie des Bun- desgerichtshofs. Dieser stellte am 20. Juni klar, dass eine medizinisch indizierte Behandlung gegen den Willen eines Patienten nicht mehr zulässig ist – auch nicht, wenn die- ser einen Betreuer hat. „Das Urteil hat zu einer erheblichen Rechtsun-

sicherheit bei der Klinikunterbrin- gung und Zwangsbehandlung akut Erkrankter geführt“, erläuterte Fal- kai und verwies auf die Größenord- nung des Problems: Erhebungen hätten ergeben, dass es sich bei et- wa zehn Prozent der circa 1,2 Mil- lionen Menschen, die in der Psych - iatrie jährlich stationär behandelt werden, um sogenannte Unterbrin- gungen handele – also um gerichtli- che Klinikeinweisungen in akuten Krisensituationen gegen den Willen des Betroffenen. Das Gros dieser Menschen hätte in der Vergangen- heit dann in eine medizinische Be- handlung eingewilligt, aber etwa zehn Prozent wären auch gegen ihren Willen therapiert worden.

„Das ist seit dem Sommer nicht mehr möglich. Betroffene müssten akute Psychosen oder Wahnphasen seitdem allein durch Isolation und Fixierung durchstehen“, berichtete der Präsident.

Die Psychiater und Psychiate - rinnen wollten nicht die Selbst -

bestimmungsrechte psychisch kran- ker Menschen beschneiden, betonte Falkai. Doch für Krisenfälle solle via Gesetz eine mehrstufige Be- handlungsstrategie möglich sein, die als letzte Option auch eine Zwangsbehandlung erlaube. Falkai schlug einen Maßnahmenkatalog vor, der Gespräche, die Gabe eines Schlafmittels oder – in einem drit- ten Schritt – die Verabreichung von Neuroleptika beinhalten könne.

Betroffene gegen Zwang

Der Patientenverband lehnt indes jegliche Zwangsbehandlungen ab.

Auch Zwangsunterbringungen dürf- ten nur in wenigen, gut geprüften Fällen zulässig sein, fordert Jurand Daszkowski, Vorstandsmitglied des Betroffenenverbandes Psychiatrie- Erfahrener. „Aber Zwangsbehand- lung ist für uns immer inak - zeptabel“, betonte er. Allein eine Patientenverfügung, mit der ein Be- troffener vorab schon einer medi - kamentösen Behandlung in einer psychischen Krise zugestimmt habe, dürfe eine solche Therapie erlauben.

Hubert Hüppe, Behindertenbe- auftragter der Bundesregierung, kann die Sorgen der Betroffenen verstehen: „Selbstbestimmung ist das höchste Gut. Eine Ablehnung der Therapie muss akzeptiert wer- den, auch wenn sie für andere nicht nachvollziehbar ist“, sagte er. An- dererseits müsse für die Ärzte Rechtssicherheit geschaffen wer- den. „Wir brauchen eine gesetzliche Regelung“, sagte er. Es könne nicht sein, dass es große Unterschiede bei der Unterbringung von psychisch Kranken in den einzelnen Bundes- ländern gebe. Hüppe geht davon aus, dass das Bundesjustizministe- rium bald einen Vorschlag vorlegt, der im Bundestag diskutiert wird.

Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann Die Isolierung ist

momentan die ein - zige Handlungsopti- on, wenn akut psy- chisch Kranke sich selbst oder Dritte gefährden.

Foto: Laif

*Hintergründe dazu in DÄ, Heft 5/2012:

Zwangsbehandlungen bei psychisch Kranken:

Fixieren statt behandeln?

P O L I T I K

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