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Zusammenfassung: Das Wortgeschehen als Struktur und Lösung der Ambivalenzen

5. Gerhard Ebeling: Wortgeschehen

5.2. Zusammenfassung: Das Wortgeschehen als Struktur und Lösung der Ambivalenzen

Mit dem Begriff Wortgeschehen versucht EBELING die grundlegende Verbindung von Sprache und Wirklichkeit anzuzeigen, die er existential bestimmt. Sprache wirkt auf den Menschen, weil er selbst in seinem Wesen sprachlich verfasst ist: Er wird von sich selbst und anderen in erster Linie sprachlich beurteilt, sein Gewissen spricht und hört gleichermaßen Entscheidungen über seine Existenz. Gleiches gilt für die Wirklichkeit, die zwar raum-zeitliche Gestalt hat, aber letztlich nur sprachlich erfasst und gedeutet werden kann. EBELINGs Anliegen ist es nun aber zu zeigen, dass alle Elemente in dieser grundlegenden Verbindung in sich ambivalent sind.

416 Ebeling ³1975e, 239; 417 (trinitätstheologische Überlegungen treten demgegenüber in den Hintergrund); vgl.

auch Ebeling 1965, 227; 293 (hier abgeleitet von LUTHERs Reden von Gott). Das Wortgeschehen bewirkt quasi eine communicatio idiomatum, weil es im Medium des Wortes zum Austausch der göttlichen und menschlichen Eigenschaften kommt. Diese strukturelle Parallele weist nochmals auf die christologische Verankerung des Konzeptes hin.

417 Ebeling ³1975h, 97f.

418 Grundlegender Aufsatz zum Gewissen: Ebeling ³1967e, hier besonders 431: „Das Erstaunlichste am christlichen Heilsverständnis in reformatorischer Interpretation ist diese Identifizierung von Wortgeschehen und Heilsgeschehen.“. Vgl. auch Ebeling 1962, 16 (Bezug auf LUTHER) und Ebeling 1979b, 293f.

91 Damit versucht er, die allgemeine Erfahrung des Menschen mit der Sprache, der Welt und sich selbst einzuholen, in der sich die positiven und negativen Alternativen vermischen. Von sich aus kann der Mensch zwischen Wahrheit und Lüge, Sinn und Fragmentarischem, Fraglichkeit und Identität nicht eindeutig unterscheiden. Vielmehr muss er Kriterien für diese Unterscheidung außerhalb seiner selbst suchen. Da nun das Wort die entscheidende Instanz ist, Mensch und Wirklichkeit zu bestimmen, zielt die Frage nach den Unterscheidungskriterien darauf, wie wahres von falschem Wort unterschieden werden kann. Diese fundamentale Frage kann nur aus der Perspektive des Glaubens beantwortet werden, in der sich Jesus Christus, das Wort Gottes, als Wahrheit erweist und von dort aus alle fraglichen Ambivalenzen zugeordnet werden können. Insofern bedeutet Evangelium die Antwort auf die Fraglichkeit des Menschen und das Geheimnis der Wirklichkeit, auch wenn sie sich in der Welt noch nicht endgültig verwirklicht, sondern die Ambivalenzen bestehen bleiben.

Anhand dieses kurzen Überblicks wird deutlich, dass EBELINGs Kategorie Wortgeschehen die Funktion hat, die Ebenen der Soteriologie miteinander zu verknüpfen und von ihrem christologischen Zentrum her zu bestimmen. Trotz der theologischen Zielrichtung hat sein Entwurf zumindest den Anspruch, auch außerhalb der theologischen Deutungskategorien plausibel zu sein. Mit seiner Konzentration auf die Sprache und die damit zusammenhängende menschliche Identitätsproblematik versucht EBELING, spekulative metaphysische Konstruktionen zu vermeiden und an die menschliche Lebenswirklichkeit anzuschließen. Dabei wurde deutlich, dass sich die theologische Interpretation auf traditionelle, vor allem lutherische, dogmatische Begriffe zurückführen lässt.

Im Kern geht es um die Interpretation der biblischen Aussage, dass Jesus das Wort Gottes ist.

Diese Identifikation wird zum leitenden Kriterium, von dem her im Glauben Mensch, Welt und Gott bestimmt werden. Dabei arbeitet EBELING auf allen Ebenen mit der lutherischen Polarität von Gesetz und Evangelium, Welt und Gott, Sünde und Gerechtigkeit, in deren Spannungsfeld der Mensch sich befindet. Die Rechtfertigung bedeutet folglich ein Auflösen dieser Spannung und geschieht ebenso traditionell durch das Wort, das der Menschen nicht aus sich selbst heraus erzeugt, sondern das er lediglich passiv annehmen kann. Hinter EBELINGs Formulierung, das Wesen des Wortgeschehens sei der Zuspruch, steht der Gedanke einer Instanz extra nos, die im Glauben rechtfertigt.

92 Daraus folgt aber auch, dass Wirklichkeitsdeutungen außerhalb des Glaubens eigentlich keine Erschließungskraft haben können.419 Das Wort Gottes wirkt als Wortgeschehen auf das Ganze des Menschen und der Wirklichkeit.

Folglich kommt es aber auch zu einem undifferenzierten Begriffsgebrauch. Dies gilt hinsichtlich der anthropologischen Kategorien, deren Präzisierung gegenüber dem Wortgeschehen in den Hintergrund treten. EBELING entwirft über den Gewissensbegriff ein relationales Personenkonzept, bei dem es vor allem auf die Sprachlichkeit des Menschen ankommt, denn damit ist der Anknüpfungspunkt für das Wortgeschehen gegeben. Gerade weil nun aber verschiedene anthropologische Kategorien und der Existenzbezug des Wortes so relevant sind, ist es umso problematischer, dass kaum begriffliche Abgrenzungen getroffen werden.420 Hervorzuheben ist allerdings, dass sich EBELING überhaupt damit beschäftigt, welche anthropologischen Voraussetzungen für ein sprachlich interpretiertes Heilsgeschchen geben sind, oder vielmehr: dass das Heilsgeschehen als Wortgeschehen gerade wegen der sprachlichen Verfasstheit des Menschen besonders plausibel ist.

Es geht ihm grundsätzlich darum, die Bedeutung der menschlichen Wirklichkeit für das Heilshandeln Gottes zu erschließen.421 So verankert EBELING das Evangelium im Raum des Gesetzes, die Rechtfertigung in der Sphäre der Sünde und damit Gottes Anwesenheit in der menschlichen Wirklichkeit. Gottes Handeln lässt sich nicht von der Welt trennen, sondern er bezieht sie in sein Handeln ein, indem er sie zum Teil seines Wortgeschehens macht. Somit lassen sich auch alle Eigenschaften Gottes nur in Bezug auf sein Wirken in der Welt bestimmen.

Damit begibt sich das Wort Gottes allerdings nicht in eine Abhängigkeit von der menschlichen Wirklichkeit, sondern erweist sich aus der Perspektive des Glaubens vielmehr als deren grundlegende Struktur, die auch ihre negative Entsprechung integriert und schließlich zur Wahrheit bringen wird.422

419 Es ist daher als problematisch empfunden worden, ob diese theologische Deutung ihren Anspruch erfüllt, oder nicht vielmehr die Lebenswirklichkeit verfehlt. GOLTZ urteilt richtig, dass es sich bei dieser Anfrage im Sinne des Konzeptes tatsächlich um ein hermeneutisches, weniger um ein theologisches Problem handelt (Goltz 2008, 197-199).

420 Dies gilt auch für den Erfahrungsbegriff (Goltz 2008, 517ff).

421 Fischer 1992, 176.

422 Mit dem Vorwurf, das Evangelium somit von dem Gesetz abhängig zu machen, oder anders formuliert: Gott von der menschlichen Wirklichkeit (so bereits Moltmann 1964, 31f), setzt sich Goltz 2008, 202-205 und 215f, auseinander. Das Kernargument ist: „So ist bei ihm [Ebeling] die Rede von Gott […] nicht abgeleitet aus der Erfahrung, sondern vielmehr versucht Ebeling lediglich, die Rede von Gott an der Erfahrung auszuweisen, sie auf die Wirklichkeitserfahrung des Menschen zu beziehen und an diesen Erfahrungen zu verifizieren.“

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