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Zusammenfassung: Der hermeneutische Prozess als Ausarbeitung des Konzepts Wortgeschehen

II. Das Wortgeschehen in der philosophischen Rezeption Paul Ricœurs

3. Philosophische Vertiefung: Der hermeneutische Prozess

3.4. Zusammenfassung: Der hermeneutische Prozess als Ausarbeitung des Konzepts Wortgeschehen

3.4. Zusammenfassung: Der hermeneutische Prozess als Ausarbeitung des Konzepts Wortgeschehen

Bei einem überblicksartigen Gang durch RICŒURs Philosophie sind jene Aspekte hervorzuheben, die das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit beschreiben. Drei sprachliche Phänomene bilden dabei in RICŒURs hermeneutischer Entwicklung über mehrere Jahrzehnte besondere Kristallisationspunkte: das Symbol, die Metapher und der Text. Charakteristisch stellt RICŒUR anhand des Symbols die ontologische Dimension symbolischer Sprache heraus,

780 Ricœur 2000, 201-208. Diese v.a. semantische Bedeutung wird auch ausführlich reflektiert in Ricœur ³1994b, 110-117.

781 Ricœur 2000, 26 („Das Zeugnis konstituiert die Grundstruktur des Übergangs zwischen Gedächtnis und Geschichte.“ Übersetzung: Ricœur 2004, 48).

782 Ricœur 2000, 26; 205f.

783 Dies zeigt sich am Aufbau von Ricœur 1990 (vgl. aaO., 28-30): RICŒUR beginnt mit einer Reflexion des Identitätsproblems aus sprachphilosophischer Sicht, schließt dann aber ausführliche Studien aus der Perspektive einer Handlungsphilosophie an und führt schließlich beide Perspektiven auf die personale Identität zusammen.

Das Werk hat dabei eine ethische Zielrichtung. Auch in Ricœur 2000 treten nun neben sprachphilosophische Zugänge zum Problem diverse andere anthropologische Kategorien (z.B. „la mémoire corporelle“, aaO., 48

„Körpergedächtnis“, kollektives Gedächtnis, Schuld usw.).

177 in der er die ursprüngliche Beziehung des Menschen zur Sprache überhaupt sieht. Menschliche Existenz drückt sich sprachlich aus, daher können umgekehrt ihre Strukturen über sprachliche Ausdrücke zugänglich werden. Das Symbol umfasst durch seinen Bezug zum Heiligen sogar diejenigen Wirklichkeitsstrukturen, die das menschliche Verstehen übersteigen. Die Metapher dagegen lebt davon, im Rahmen der Sprache und der Welt eine Aussage zu treffen, die gerade diesen Rahmen irritiert. Zwar erscheint solch eine Aussage auf wörtlicher Ebene sinnlos, legt aber auf einer zweiten, übertragenen Ebene neue Sinn- und Bedeutungsstrukturen frei. Es kann durch diese metaphorische Wahrheit, die eben keine deskriptive, sondern eine subtile ist, eine neue Perspektive auf die Wirklichkeit entstehen. Wie schon mit der Metapher bewegt sich RICŒUR mit dem Text auf dem Feld der linguistischen Fragen, besonders nach semantischer Referenz und syntaktischer Kohärenz. Der Text wird zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu einem spezifischen hermeneutischen Problem, das einerseits die Strukturen eines Schriftwerkes aufweist und andererseits mit der Intention auftritt, etwas über die Wirklichkeit kommunizieren zu wollen. Nimmt die Interpretation diese Eigenschaften ernst, führt sie in letzter Konsequenz zu einer existentialen Aneignung des Textes in dem Sinne, dass sich ein neues Selbstverständnis ausgehend vom Text entwickelt.

Wenn auch besondere Akzente für die einzelnen Phänomene betont werden können, lassen sich Gemeinsamkeiten gerade in Bezug auf die ontologische Dimension, also auf das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit, aufzeigen. Dies soll aufbauend auf die vorangegangenen Darstellungen an drei Strukturen verdeutlicht werden.

Bei allen drei Phänomenen identifiziert RICŒUR Strukturen, die den hermeneutischen Prozess provozieren, weil sie ein unmittelbares Verständnis nicht zulassen: Das Symbol erscheint als Rätsel, die Metapher erzeugt in ihrer Aussage eine provozierende Spannung und der Text wird durch seine Autonomie in allen außertextlichen Bezügen problematisch. Diese Strukturen machen es hermeneutisch jeweils erforderlich, durch das sprachliche Phänomen selbst zu einem Verständnis zu gelangen, sich also in das Symbol zu begeben, die Identifikation der Metapher als wahr anzunehmen oder der Sinnbewegung des Textes zu folgen. Damit tritt die Interpretation in den hermeneutischen Zirkel zwischen Sprache und Wirklichkeit ein.

In diesem hermeneutischen Zirkel offenbaren nun Symbol, Metapher und Text als zweite gemeinsame Struktur eine schöpferische Fähigkeit, die die Interpretation über die Sprache zur Wirklichkeit führt. In keinem Fall ist das Ziel der Interpretation damit erreicht, das sprachliche Zeichen an sich zu erklären, vielmehr „gibt das Symbol zu denken“, ebenso wie die Metapher

178 ihre heuristische und der Text seine poetische Kraft entfalten. „Geschaffen“ wird ein neuer Bezug auf die Wirklichkeit, alle sprachlichen Zeichen bewirken also etwas außerhalb der Sprache. Im Symbol kann der Mensch die ontologische Verankerung der Sprache erkennen, in der Metapher erhält er eine kreative Perspektive auf die Wirklichkeit und der Text erzählt ihm eine fiktive Welt, die er selbst bewohnen kann. Diese zweite gemeinsame Struktur des hermeneutischen Prozesses führt also dahin, dass der Wirklichkeitsentwurf des sprachlichen Zeichens angeeignet werden muss, um verstanden zu werden. Neben der hohen Eigenständigkeit aller sprachlichen Zeichen gesteht RICŒUR auch dem Interpreten stets ein aktives Moment im Interpretationsprozess zu, ob er diesen Wirklichkeitsentwurf tatsächlich in seinen eigenen integriert, oder ihn nach der Lektüre wieder verwirft. So wird die Aneignung des Symbols zur Wette, ob sich der Glaube an das Symbol als Gewinn erweist; im Falle der Metapher steht der lebendige oder tote Sprachgebrauch auf dem Spiel und schließlich ist der Leser eines Textes gefordert, das dort angebotene Selbstverständnis zu prüfen und gegebenenfalls zu verwerfen.

Die Strukturen des hermeneutischen Prozesses und der schöpferischen Fähigkeit gründen in einer dritten parallelen Struktur, die die Verbindung von Sprache und Wirklichkeit auf der grundlegenden Ebene einträgt. Dort erschließt sich die wechselseitige Bezogenheit von Sprache und Wirklichkeit, weil eine sprachliche Äußerung immer etwas über die Wirklichkeit ausdrückt, die Wirklichkeit aber nur in einer sprachlichen Äußerung verständlich wird. Das Symbol hat in diesem Sinne eine Tiefendimension, in der noch erkennbar ist, dass das Symbol ursprünglich die Begegnung des Heiligen mit der Wirklichkeit ausdrückt. In der Metapher liegt die „metaphorische Wahrheit“, die ihrerseits eine tiefere Einsicht in die Wirklichkeit gibt, als auf der wörtlichen, rein beschreibenden Ebene zu erkennen war. Damit erschließt sich auch ein erweitertes Verhältnis zur Wahrheit, die nicht einfach mit Wirklichkeit gleichzusetzen ist, sondern Teil des schöpferischen Sprachprozesses ist. Die entsprechende Struktur findet sich in Form der Tiefensemantik auch beim Text wieder, weil hier im innersten Aufbau des sprachlichen Phänomens ein existentialer Bezug freigelegt wird. Für die Textgattung

„Erzählung“ bestimmt RICŒUR diesen Zusammenhang konkret in der Zeitlichkeit, die als gemeinsame Struktur dem Text und dem menschlichen Leben zugrunde liegt. Wo die kritische Erklärung also an die innerste Sprachstruktur gelangt ist, erweist diese sich als Entsprechung der Existenzstrukturen selbst.

179 RICŒURs grundlegender Ansatz ist es also, die innere Verbindung von Sprache und Wirklichkeit an verschiedenen sprachlichen Phänomenen aufzuzeigen. Dazu versucht er, linguistische Strukturen zu bestimmen, die auf diese Verbindung hinweisen. Diese Strukturen verlaufen parallel in den verschiedenen sprachlichen Phänomenen, können dann aber bis in konkrete linguistische Mechanismen, wie etwa semantische Innovation oder Verfremdung, jeweils charakteristisch ausgeformt werden. Diese Suche dient allerdings der dahinterliegenden Frage nach existentialen Phänomenen. So kann man in RICŒURs Gesamtwerk einen großen Rahmen sehen, weil es bei der Frage nach einer „Philosophie des Willens“ beginnt, zumindest einen großen und vielschichtig reflektierten Umweg über die hermeneutische Sprachphilosophie macht und am Ende bei einer „Phänomenologie der Vergebung“

ankommt.784

Insofern bietet RICŒUR eine umfassende und detaillierte Interpretation des Zusammenhangs von Mensch und Sprache, genauer: von Existenzverständnis und der Hermeneutik sprachlicher Zeichen. Ihn interessiert dabei besonders der hermeneutische Prozess, in dem sich diese beiden Pole miteinander verbinden. Damit wird gleichzeitig ihre wechselseitige Bezogenheit erkennbar. Mit dem hermeneutischen Prozess versucht RICŒUR zu beschreiben, wie Verstehen von Texten abläuft und zwar ausgehend von den sprachlichen Strukturen, über die Prozesse zwischen Sprache und Verstehendem bis hin zur Wirkung der Sprache im verstehenden Subjekt.

Für meine Fragestellung liegt damit ein vielschichtiger Entwurf dessen vor, was für das Phänomen des Wortgeschehens auf sprachphilosophischer und hermeneutischer Ebene bearbeitet werden muss. So antwortet RICŒURs Entwurf auf die Fragen: Was ist das Wort? Was ist das Geschehen im Wort?

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