• Keine Ergebnisse gefunden

Zusammenfassung: Philosophisch-hermeneutische Vertiefung des Wortgeschehens als Aufgabe

II. Das Wortgeschehen in der philosophischen Rezeption Paul Ricœurs

1. Was heißt Wortgeschehen? − Ricœurs Rezeption der theologischen Ansätze

1.4. Zusammenfassung: Philosophisch-hermeneutische Vertiefung des Wortgeschehens als Aufgabe

RICŒURs Kritik betrifft sowohl den theologischen Begriff, als auch das damit bezeichnete Konzept: Zum einen beschränken sich die theologischen Entwürfe zu sehr auf ein theologisches Sprachverständnis und vernachlässigen dadurch den geschichtlichen Bezug des Wortes Gottes;

dann unterziehen sie den Begriff nicht der Kritik anderer Wissenschaften und reduzieren damit das gemeinte Phänomen auf eine theologische Deutung; schließlich fassen sie den Begriff zu weit, um ein genaues Verständnis zu ermöglichen. Nicht nur der Begriff des Wortgeschehens muss also als sprachliches Phänomen hermeneutisch durchdacht werden, sondern auch seine Funktion muss in der Auseinandersetzung mit sprachphilosophischen Theorien interpretiert werden. Dadurch wird das gemeinte Phänomen besser verständlich und somit das theologische Anliegen unterstützt. Die Ansätze, die die Hermeneutische Theologie an den kritisierten Punkten bereits bietet, das heißt sowohl in der Arbeit an der geschichtlichen Dimension des Wortes Gottes, als auch in der sprachphilosphischen Reflexion durch ihre HEIDEGGERrezeption, führen die hermeneutische Konzeption des Wortes Gottes nicht weit genug.

Eine derartige präzisere Ausarbeitung des Konzepts, das mit „Wortgeschehen“ nach RICŒURs Kritik eher unzureichend beschrieben ist, hat weitreichende Folgen, gerade weil ihm eine zentrale Stellung in theologischen Entwürfen zukommt. Systematisch ist es nämlich maßgeblich dafür, wie die Offenbarung und die damit verbundenen Topoi (Glaube, Soteriologie, Christologie usw.) verstanden werden. Exegetisch stellt sich die Frage nach hermeneutischem Vorgehen und konkreten Auslegungsmethoden biblischer Texte.

Da diese fachspezifischen Aspekte von dem gleichen Problem abhängen und außerdem theologisch unbestreitbar verbunden sind, finden sich auch in RICŒURs Arbeiten

„systematische“ und „exegetische“ Ansätze. Allerdings steht für ihn die Exegese als Arbeit am Textverständnis im Vordergrund. Die Hermeneutik der Bibel ist zentraler Gegenstand von RICŒURs theologischen Arbeiten. Dies kann zum einen aus seiner persönlichen

117 Glaubensüberzeugung erklärt werden,497 ist aber vor allem durch sein philosophisches Interesse begründet. RICŒUR geht es im Grunde um die Frage nach dem Selbstverständnis des Menschen, das immer durch Zeichen, Symbole und Texte vermittelt ist.498 RICŒURs philosophischer Ansatz ist daher in einem umfassenden Sinne hermeneutisch, weil dieser seinen Ausgangspunkt bei einer „Verstehenslehre“ von Symbolen nimmt und schließlich über sprachliche Zeichen und Texte auf menschliche Handlungen übertragen wird. Daher bilden seine Überlegungen zum Textbegriff, zur Sprachtheorie und zur Hermeneutik in seiner Philosophie einen Kristallisationspunkt, der als rationaler Diskurs499 in das Gespräch mit der biblischen Exegese tritt. Dies ist mit der These begründet, dass es sich bei der Bibel kurz gesagt um eine Textsammlung handelt, die ein Selbstverständnis vermittelt, das spezifisch auf das Reich Gottes ausgerichtet ist.500

Insofern ist RICŒURs Philosophie nicht nur in ihrer bibelhermeneutischen Entfaltung vergleichbar mit den theologischen Ansätzen, die er kritisiert. Alle Positionen sehen – mehr oder weniger direkt auf HEIDEGGER bezogen – die Sprache als Zugang zum Wesen des Menschen, weil der Mensch grundsätzlich durch Sprache bestimmt wird. So nennt RICŒUR

HEIDEGGERs Sprachverständnis, das das Wesen des Menschen auf das Sein als übergeordnete Struktur öffnet, den entscheidenden Ansatz, die ontologische Begründung von Sprache gegenüber einem strukturalistischen Verständnis zu verteidigen.501 Auch für FUCHS und EBELING sind Wirklichkeitsverständnis und Selbstverhältnis nur durch Sprache vermittelt.502 Dabei differenzieren sie nicht, wie für RICŒUR gleich noch zu zeigen ist, die hermeneutischen Besonderheiten verschiedener „Spracharten“ und allgemeine Zeichen von Symbolen, sowie von Worten. RICŒUR reflektiert auf unterschiedliche Arten der Worte und entwickelt eine Hermeneutik des Textes, der Metapher und dabei auch religiöser Rede. Für die Theologen ist

497 RICŒUR war engagierter Protestant und beschreibt auch sein Denken in der Spannung zwischen Philosophie und Glauben: Ricœur 1995a, 16-18, dort die charakterisierenden Stichworte: „dualité“ („Dualität“), „bipolarité“

(„Bipolarität“), „double allégance“ („doppelter Treueeid“) .

498 Im Hintergrund steht hier eine Auseinandersetzung mit DESCARTES,HUSSERL und HEIDEGGER: Das Selbst ist sich nicht unmittelbar zugänglich und transparent, vielmehr findet sich das „Cogito“ immer schon in einer Welt vor. Von dieser ontologischen Voraussetzung muss sich das Subjekt erst distanzieren, um zu erkennen. Dass Sprache der Zugang zum Selbstverständnis ist, entspricht dem Ansatz FREUDs. Vgl.: Ricoeur 1991a, 12-15;

Mattern 1996,135.

499 RICŒUR spricht auch von „approximation philosophique“ (Ricœur 1969d, 403, „philosophische Annäherung“).

500 Vgl. Ricœur 1995b, 26 (exegetische Arbeiten als Subjektsreflexion); RICŒUR 1977, 42 („la Bible est un des grands poèmes de l'existence “, „die Bibel ist eine der großen Dichtungen der Existenz“).

501 Ricœur 1968a, 344f; Ricoeur 1975, 87 (mit Bezug auf poetische Sprache).

502 Fuchs ⁴1970, 135f; genauer s.o., S. 66-70; Ebeling 1971, 118; genauer I.5.1.2. Hier wie im Folgenden werden die Verweise auf die theologischen Entwürfe bewusst knapp gehalten. Für die ausführliche Darstellung verweise ich auf das Kapitel I. dieser Arbeit.

118 es im Gegenteil eher wichtig, die Gleichartigkeit jeder Art von Sprache zu betonen, um eine Trennung von göttlicher und menschlicher Sprache zu vermeiden. Dahinter stehen also theologische Sprachkonzepte, bei FUCHS trinitarisch begründet, bei EBELING fokussiert auf die Ambivalenz menschlicher Wirklichkeit gegenüber der Wahrheit des Wortes Gottes.503 Dennoch lassen sie in ihrer Abwertung der beschreibenden gegenüber der eigentlichen Sprache der Wahrheit – bei FUCHS vor allem die Dichtung504 – durchaus Unterscheidungen erkennen.

Bei EBELING ist Sprache aus theologischen Gründen in unheilvolles und erlösendes Wortgeschehen zu unterteilen, wobei er festhält, dass sich die Unterteilung an der Wirkung festmacht.505 Entscheidend ist aber, dass derartige Unterscheidungen nicht hermeneutisch bearbeitet werden, weil sich der existentiale Bezug einer Äußerung der „eigentlichen“ Sprache gewissermaßen selbst evident macht. Wo sich der Mensch in das wahre Wortgeschehen begibt, erschließt sich ihm sein Sein, unabhängig von der Wortart, der Textgattung oder ähnlichen hermeneutischen Problemen. Diese These wird − wie bereits gezeigt − christologisch begründet.506 Weil das Wort Gottes aus dieser Perspektive das wahre Wesen der Sprache ist, werden auch die weiten Begriffe „Sprache“, „Wort“ und „Wort Gottes“ nicht genauer unterschieden. Methodisch räumen beide Theologen der historisch-kritischen Texterklärung einen gewissen Raum ein, weil sie als Hintergrundwissen die biblischen Texte für den existentialen Bezug zugänglich macht. Allerdings beziehen sich alle hermeneutischen Überlegungen unterschiedslos auf das „Wort“ oder die „Sprache“. So kann EBELING sogar menschliche Handlungen als „Wort“ auffassen und sie daher zum Interpretationsgegenstand machen.507 Worin genau dann allerdings diese Interpretation besteht, wird nicht deutlich.

Vielmehr wird die Frage nach der Interpretation mit der Forderung beantwortet, den Lebensbezug des Textes zu erfassen und ihn zu aktualisieren. Das Anliegen der Theologen ist offenbar, die vergleichbare, wenn nicht sogar gleiche hermeneutische Struktur zwischen unterschiedlichen Arten des Wortes, menschlichen Handlungen und nicht zuletzt der Person Jesus Christus aufzuzeigen, indem sie sie mit dem gleichen Begriff bezeichnen.508

Auch RICŒUR argumentiert mit vergleichbaren hermeneutischen Strukturen, sieht diese aber weniger als Axiom, sondern macht es sich zur Aufgabe, zu begründen, worin die

503 Diese Grundlinien sind das Ergebnis der Abschnitte I.4. und I.5.

504 Fuchs ⁴1970, 146; Fuchs 1968, 232ff.

505 Ebeling 1959, 253f.

506 Dalferth 2010, 85-87.

507 Ebeling ³1975i, 410; vgl. aaO., 418f: zum Zusammenhang von Teilhabe am Wort und Verantwortung.

508 Genau auf dieses Problem zielt RICŒURs Idealismusvorwurf.

119 Vergleichbarkeit besteht.509 Das Ziel seiner Hermeneutik ist ähnlich wie das theologische Anliegen, sich den Text anzueignen und ihn erneut zur Sprache zu bringen. Der Weg zu diesem Ergebnis führt allerdings über eine philosophische Hermeneutik. Insofern sind vergleichbare Ansätze erkennbar, die sich bei den Theologen unter einem gedehnten Sprachbegriff subsummieren, bei dem Philosophen aber begrifflich und konzeptuell differenziert werden, was im Folgenden genauer zu zeigen ist.

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE