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Fazit: Symbol als Verbindung von Sprache und Sein 668

II. Das Wortgeschehen in der philosophischen Rezeption Paul Ricœurs

3. Philosophische Vertiefung: Der hermeneutische Prozess

3.1. Ein Symbol- und Sprachverständnis mit ontologischer Dimension

3.1.2. Fazit: Symbol als Verbindung von Sprache und Sein 668

RICŒURs Arbeit an der Symbolhermeneutik kreist bereits um den Zusammenhang von Sprache und menschlicher Existenz, der für die spätere Frage nach dem Wortgeschehen zentral ist. Es zeigt sich schon in RICŒURs methodischem Ansatz, dass er die Sprache als geeigneten Zugang zum Sein des Menschen ansieht, wenn er aus sprachlichen Äußerungen die Strukturen menschlicher Existenz erschließen will.669 Dieser Aspekt ist damit verbunden, dass dem Menschen die Sprache als Ausdrucksmedium für seine Erfahrungen bereits vorgegeben ist, weil sie vor ihm und unabhängig von ihm existiert. Daraus folgt, dass eine Sprecherin die Sprache lediglich gebraucht, das heißt, sich im Rahmen der vorgegebenen Regeln bewegen muss, um verstanden zu werden. Im Falle der Symbole verstärkt sich diese Unverfügbarkeit noch, weil sie neben den „Gebrauchsspuren“ noch Bedeutung aus ihrer Entstehung mitführen, also den Kontakt von Wirklichkeit und Transzendenz. Diese ontologische Verankerung des Symbols

665 Ricœur 1988b, 487: „C’est donc finalement comme index de la situation de l’homme au cœur de l’être dans lequel il se meut, existe et veut, que le symbole nous parle.“ („Also spricht das Symbol letztendlich zu uns als Index der Situation des Menschen im Sein, darin er sich bewegt, darin er existierend und wollend ist.“ Übersetzung:

Ricœur 1971d, 405), vermutlich in Anlehnung an HEIDEGGER (vgl. Heidegger 1977, 56f). Die große Bedeutung HEIDEGGERs für RICŒURs These der ontologischen Dimension von Sprache hebt auch Helenius 2012, 161, hervor.

666 Ricœur 1988b, 487f, zu dem damit verbundenen Ausdruck „le Cogito brisé“ („das gebrochene Cogito“), s.

Ricœur 1990, 22-27; Greisch 1993, 206-208.

667 „à partir des symboles“ (Ricœur 1988b, 486), im Gegensatz zum Denken „dans les symboles“ (ebd., „in den Symbolen“).

668 Waldenfels 1983 fasst RICŒURs Bemühungen wertend so zusammen: „Von der Fülle des sprachlich artikulierten Seins ausgehen – Glauben durch Wetten, Wetten durch Verstehen ablösen – auf die symbolische Gabe mit einer autonomen Setzung antworten […] – das autonome Selbst ins Sein zurücknehmen – all das ist etwas viel auf einmal.“ (aaO., 299).

669 Diesen Ansatz verfolgt er weiter, wenn er die Verbindung von Sein und Sprache als vorrangiges Kennzeichen der Hermeneutik auffasst (Ricœur 1969f, 67). Aufgabe der Philosophie ist es, diese Beziehung der Sprache auf das Sein aufzuzeigen (vgl. aaO., 79).

156 begründet die Tiefe, die seine Bedeutungen für die menschliche Existenz haben. Der Gebrauch eines Symbols bedeutet daher immer, dass das vorgängige und bedeutungsreiche Symbol in einer bestimmten Situation interpretiert und damit aktualisiert wird. Damit ist eine Interpretationskette angedacht, die die Wirkungsgeschichte des Symbols bestimmt und die für den weiteren Gebrauch entscheidend ist. Wie das Symbol sich in einen größeren Entstehungs- und Entwicklungszusammenhang seiner Bedeutungen einordnen lässt, so muss auch der Interpret anerkennen, dass er in einem geschichtlich bedingten Zusammenhang steht und muss diesen als Grundlage seines Verstehens fruchtbar machen. Dieser Traditionszusammenhang des Symbols ist ein Beispiel für die allgemeine sprachphilosophische These, dass es weder voraussetzungslosen Sprachgebrauch noch voraussetzungsloses Denken gibt.

RICŒURs Sprachauffassung zeichnet sich daher schon hier durch ein positives Verhältnis zu vorgegebenen, überlieferten und gewachsenen Strukturen aus, denn sie sind maßgeblich für das Sinnpotential eines Wortes, sowie die eigene Interpretation der aktuellen Leserin. Dazu zählt vor allem das religiöse Bekenntnis, das Zugang zu grundlegenden Existenzstrukturen des Menschen bewahrt hat. Religiöse Sprache wird durch dieses Sinnpotential gegenüber funktionalisierter Sprache hervorgehoben. Daher gewinnt auch die Bibel für den Philosophen besondere Bedeutung.670 Möglicherweise ist mit der „Tiefe des Symbols“ schon die Struktur der „Tiefensemantik“, beziehungsweise des „Grenzausdrucks“ angedacht, die für RICŒURs spätere bibelhermeneutische Arbeit zentral wird.671

Die Interpretation selbst ist schließlich beschrieben als ein hermeneutischer Prozess, in dem sich Glauben und Kritik gegenseitig bedingen und wechselseitig ergänzen. Während ein kritischer Zugang ein tieferes Verstehen des Sinnes ermöglicht, erinnert der existential ausgerichtete Zugriff des Glaubens daran, dass die rationale Reflexion allein der ontologischen Dimension der Sprache nicht gerecht werden kann. Der hermeneutische Zirkel zwischen Glauben und Verstehen findet bei RICŒUR also schon in diesem Zusammenhang eine positive und konstruktive Bewertung. Die Interpretation des Symbols stellt so keine einfache Wiederholung des Verstehensgegenstandes dar, sondern öffnet über die Aneignung des Sinnes den Weg zu einem kreativen Umgang mit ihm.

RICŒUR setzt seine Symbolhermeneutik einem strukturalistischen Sprachbegriff entgegen, der sprachliche Zeichen als eine in sich geschlossene Struktur ansieht. Die Auseinandersetzung ist

670 In Ricœur 1988b finden sich zahlreiche Verweise auf und Analysen von biblischen Texten.

671 Über die Texthermeneutik in die Bibelhermeneutik, vgl. II.2.2.4, S.150, Anm.584 (in Bezug auf Ricoeur 1975);

II.3.3.1., S.187.

157 differenziert und wird von RICŒUR immer wieder aufgegriffen.672 Es ist bemerkenswert, dass RICŒUR eine strukturale Textanalyse zwar durchaus als nützlich ansieht, weil sie zu präzisen Einsichten in sprachliche Strukturen führt, und diesem Zugriff zugleich seine Grenzen aufzeigt.673 Einen Text zu verstehen heißt nach diesem Ansatz kurz gesagt seinen inneren Zusammenhang aufzuzeigen, ohne dazu außertextliche Bezüge anzunehmen. Weil also das sprachliche Zeichen ausschließlich in seiner Beziehung zu den anderen Zeichen des Textes verstanden werden kann, liegt in der letzten Konsequenz dieses Ansatzes ein absoluter Textbegriff vor. Gegen eine derartige Ablösung der sprachlichen Zeichen von der außersprachlichen Wirklichkeit stellt RICŒUR anhand des Symbols heraus, dass Sprache in Entstehung und Bedeutung vielmehr immer auf die außersprachliche Wirklichkeit verweist.

Diesen Standpunkt verstärkt er deutlich durch die ontologische Ebene des Symbols und den Existenzbezug im hermeneutischen Prozess. Das Symbol als absolut gesetztes sprachliches Zeichen bliebe unverständlich, denn es ist ein Phänomen, das immer im Zusammenhang mit der Existenz steht. In diesem Sinne interpretiert er den sprachlichen Vorgang des

„Symbolisierens“:

„Ainsi, le symbolisme, pris à son niveau de manifestation dans des textes, marque l'éclatement du langage vers l'autre que lui-même : ce que j'appelle son ouverture; cet éclatement, c'est dire; et dire, c'est montrer.“674

Diese Interpretation erkennt die strukturale Analyse an, weil es sich bei Symbolen um gewöhnliche Wörter handelt, deren erste Bedeutungsebene mit linguistischen Mitteln erschlossen werden kann. Weil es sich aber bei Symbolen um Wörter handelt, die symbolisieren, also auf etwas Nicht-Sprachliches verweisen und darüber etwas sagen, erfordert es eine hermeneutische Interpretation, um diese zweite Bedeutungsebene zu erschließen.675 Dadurch kann der philosophischen Aufgabe nachgegangen werden, die Öffnung der Sprache für das Sein aufzuzeigen.676 Den genauen sprachlichen Prozess dieser „Öffnung“ hat RICŒUR

in Bezug auf Metapher und Text weiterverfolgt.

672 Dazu Waldenfels 1983, 315f, der in RICŒURs Diskursbegriff den Vermittlungsversuch zwischen linguistischem Zeichensystem und subjektivem Sprechakt sieht. In diese Richtung verweist RICŒUR selbst mehrfach, im Kontext Metapher: Ricœur 1975, 378 (Vermittlung zwischen BENVENISTE und AUSTIN/SEARLE/STRAWSONS), bes. auch aaO., 129-171.

673 Vgl. auch zum Folgenden Ricœur 1969f. In diesem Aufsatz bringt RICŒUR seine Symbolhermeneutik mit strukturalen Analyseansätzen ins Gespräch, dabei konzentriert er sich auf das Problem des Doppelsinnes.

674 Ricœur 1969f, 68 („So markiert der Symbolismus auf der Manifestationsebene von Texten genommen den Ausbruch der Sprache in Richtung des anderen ihrer selbst: Das nenne ich ihre Öffnung; diese Öffnung ist sprechen und sprechen heißt zeigen.“).

675 Ricœur 1969f, 78f: zu den zwei Ebenen des Symbolverständnisses.

676 Ricœur 1969f, 79.

158 Angefangen bei seiner Symbolhermeneutik, in der vielfach der Text, oder auch der Diskurs, als Kontext des Symbols in den Blick kommen, weiten sich RICŒURs Überlegungen von den Symbolen über Metaphern auf Texte als Interpretationsgegenstände.677 Die Trennung zwischen Metapher und Text ist hinsichtlich der unterschiedlichen Sprachformen sinnvoll, hermeneutisch betrachtet RICŒUR aber beide Phänomene im engen Zusammenhang, weil sie tieferliegende Gemeinsamkeiten haben.678 Grundlegende hermeneutische Strukturen bleiben insofern erhalten, werden aber präzisiert und weiterentwickelt.679 Darüber hinaus zeigt jedes Phänomen auch einen eigenen hermeneutischen Akzent, der erst im Vergleich mit dem jeweils anderen Phänomen hervortritt.

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