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Fuchs: Eine kerygmatische Lesart des Ereignisses – die theologische Bedeutung von Sprache im Sprachereignis

2. Weiterentwicklung: Die Rezeption des gemeinsamen Problemfeldes durch Ernst Fuchs und Gerhard Ebeling

2.1. Fuchs: Eine kerygmatische Lesart des Ereignisses – die theologische Bedeutung von Sprache im Sprachereignis

Zunächst soll kurz die Bedeutung BULTMANNs und HEIDEGGERs für FUCHS‘ Arbeit eingeordnet werden. Anhand seiner Rezeption HEIDEGGERs lässt sich auch FUCHS‘ Verhältnis zur Philosophie verdeutlichen. Anschließend wird gezeigt, welche Einflüsse von BULTMANNs Kerygma und HEIDEGGERs Ereignis in FUCHS‘ Arbeit zu beobachten sind. Dabei geht es zum einen um das Existenzverständnis und zum anderen um die Bedeutung von Sprache. Die Pointe aller Konzepte, auch von FUCHSSprachereignis, liegt nun gerade darin, dass beides ineinandergreift. Für FUCHS steht zunächst der christologische Charakter von Sprache im Vordergrund, den er gegenüber BULTMANN noch verstärkt. Mit diesem christologischen Sprachverständnis, das sich vom Wort Gottes herleitet, korrespondiert die existentialhermeneutische Komponente, die FUCHS vor allem von HEIDEGGER herleitet. In

32 seiner theologischen Ausrichtung setzt auch FUCHS‘ Sprachverständnis zunächst bei BULTMANN an, zeigt aber dann sehr deutliche Parallelen zu HEIDEGGERs Konzept. Es ist also genauer zu zeigen, wie FUCHS mit seinem Sprachereignis in weiten Teilen auf HEIDEGGERs Ereignis zurückgreift, diese Rezeption allerdings theologisch, genauer: kerygmatisch, erfolgt.

BULTMANN und HEIDEGGER99 sind nach FUCHS maßgeblich für die zentrale Stellung der Sprache in seiner Theologie: „Die Fraglichkeit der Existenz, von welcher Heidegger und Bultmann ausgingen, hat sich in das Phänomen der Sprachlichkeit der Existenz verwandelt.“100 Die konsequente Weiterführung einer existentialen Theologie, die die menschliche Existenz als Frage herausstellt, ist somit eine hermeneutische Theologie, die präzisiert, dass sich diese Fraglichkeit sprachlich artikuliert, und dann bearbeitet, inwiefern das Wort Gottes als Antwort auf diese Frage verstanden werden kann: „Die theologische Lehre vom Worte Gottes wäre die Frage nach dem Sein im Horizont der biblischen Sprache.“101

FUCHS hat sich daher vor allem in seinen beiden hermeneutischen Entwürfen102 zentral mit der Verhältnisbestimmung von Sprache und Existenz befasst. Diese dienen als Vorüberlegungen für die exegetische Arbeit, in der FUCHS‘ Auseinandersetzung mit BULTMANN großen Raum einnimmt, insofern er BULTMANNs Terminologie selbstverständlich benutzt, weite Passagen zitiert, bearbeitet und auch hinterfragt.

Aber auch HEIDEGGERs Einfluss spielt für FUCHS eine große Rolle.103 Die Verwendung bestimmter charakteristischer Schlagwörter (Dasein, In-der-Welt-sein, Existential, Sein und Seiendes usw.)104 weist auf diese Auseinandersetzung hin, die FUCHS „im stillen Gespräch“105 führen will. Da gerade diese Schlagwörter die entscheidenden Kategorien für FUCHS‘ wichtigstes Anliegen, die existentiale Interpretation, darstellen, ist HEIDEGGERs Einfluss von

99 Explizit beispielsweise: Fuchs ⁴1970, Prolegomena §4, 47ff (BULTMANN); §5, 62ff (HEIDEGGER). FUCHS schreibt, BULTMANN und HEIDEGGER (neben SCHLATTER und BARTH) „wirkten gemeinsam auf ihn [als jungen Studenten] ein.“ (Fuchs 1965d, 138). Beide lehrten in Marburg, als FUCHS dort ab 1924 studierte und haben ihn nachhaltig geprägt (vgl. Fuchs 1979a, dazu auch: Brantschen 1974, 121; Pilnei 2007, 61f und Pilnei 2017).

100 FUCHS 1968, 53, vgl. zur Einordnung: Pilnei 2007, 66f; Sass 2013b, 194f: gegenüber BULTMANN handele es sich bei den Ansätzen von FUCHS, EBELING und JÜNGEL um „eine sprachphilosophisch informierte relecture der lutherischen Wort-Gottes-Theologie.“ Die konkreten Kritikpunkte von FUCHS an BULTMANN behandelt SASS auf aaO., 196-203.

101 Fuchs ²1965t, 115.

102 Fuchs ⁴1970; Fuchs 1968, dazu kommen diverse Aufsätze zum Thema, die im Folgenden genannt werden.

103 Als Hinweis darauf sei nur erwähnt, dass bereits FUCHS‘ erste Veröffentlichung sich mit HEIDEGGER auseinandersetzt: „Besprechung von Heideggers ‚Sein und Zeit‘“ (Kirchlicher Anzeiger für Württemberg 36, (1927) 202, nach Jüngel und Schunack 2003, VIII, vermerkt auch bei Fuchs 1979a, 74).

104 Z.B.: Fuchs ⁴1970, 62 („Dasein“); Fuchs ²1965t, 111 („In-der-Welt-sein“); Fuchs ²1965s, 92 („Existential“

[sic!]), Fuchs 1968, 68 („Sein“, „Seiendes“ mit explizitem Verweis auf HEIDEGGER).

105 Fuchs ⁴1970, 62, da nämlich die Position des Philosophen im Ganzen nicht darstellbar sei.

33 umso größerer Bedeutung. FUCHS bestimmt HEIDEGGERs Existenzialphilosophie als die Frage nach der Existenz und nach der Sprache106 und greift für diese zentralen Aspekte seiner Theologie explizit oder implizit auf den Philosophen zurück.

Allerdings grenzt auch er beide Fächer entschieden voneinander ab, wobei er nicht nur inhaltliche, sondern auch sprachliche Grenzen zieht:

„Im Hinblick auf die Kraft der Arbeit Heideggers dürfen wir auch so sagen: wir können von dem Philosophen lernen – wir könnten uns freilich auch mit ihm verführen lassen!

–, aber das uns als Theologen Gegebene müssen wir sachlich auch ohne ihn sagen können.“107

Wenn FUCHS also HEIDEGGER auch in längeren, scheinbar philosophischen Passagen rezipiert, ordnet er dessen Gedanken stets seiner theologischen Fragestellung zu.108 Dies führt zu einer eigenwilligen Lesart des Philosophen, denn FUCHS ist kein texttreuer HEIDEGGERinterpret, sondern greift nur dann und in der Art auf ihn zurück, wenn und wie es der theologischen Aufgabe dient.109 Am Schnittpunkt der Problemfelder Existenz und Sprache steht für HEIDEGGER das Ereignis und daher nutzt und interpretiert FUCHS auch dieses Konzept für seine theologischen Überlegungen. Neben der auffälligen begrifflichen Parallele in FUCHS‘ charakteristischem Begriff Sprachereignis begegnet hier vor allem ein markantes Sprachverständnis, das sich durch einen Zugang zum Wesen des Seins und dem grundsätzlich passiven und empfangenden Verhältnis des Menschen zur Sprache auszeichnet. Wie HEIDEGGER widmet sich auch FUCHS in diesem Zusammenhang, das heißt auf der Suche nach dem eigentlichen Wesen der Sprache, dem Phänomen dichterischer Sprache und ihres Erkenntnispotentials.110 Allerdings ist auch dieses in weiten Teilen philosophische Sprachverständnis im Rahmen einer theologischen Offenbarungshermeneutik gedacht. Das Wort Gottes und seine Wirkung auf die menschliche Existenz bleiben maßgeblich für alle menschlichen Wörter und sind Ansatz- und Zielpunkt von FUCHS‘ hermeneutischen Überlegungen.

106 Fuchs ⁴1970, 65.

107 Fuchs 1967, 146.

108 Ein Beispiel ist seine Reflexion auf das Verhältnis von Gott und Sein nach einem längeren Abschnitt zu HEIDEGGERs Sprachauffassung, Fuchs ⁴1970, 71.

109 Fuchs ⁴1970, 64: „Der Philosoph ist ja nicht Theologe. Er wird die Irre länger aushalten müssen. Aber der Theologe kann deshalb mehr Unheil anrichten, als irgend ein Philosoph; er ist versucht, die Gewissen zu regieren.“

Zur Eigenständigkeit von FUCHSHEIDEGGERinterpretation: Franz 1969, 187-189. Dazu ist anzumerken, dass FUCHS‘ Texte nicht immer deutlich erkennen lassen, wann er sich überhaupt auf HEIDEGGER (oder auch einen anderen Autor) bezieht, weil er kaum direkt zitiert und selten konkrete Gedanken erkennbar zuordnet. Insofern besteht auch keine gekennzeichnete Grenze zwischen einer Positionswiedergabe und einer eigenen Weiterentwicklung.

110 Z.B. Fuchs 1968, 232ff.

34 Insofern FUCHS also nach einem theologischen, genauer christologischen, Sprachverständnis sucht, ist für ihn BULTMANNs Kerygma von besonderem Interesse. Zwar verwendetFUCHS den Begriff nur sehr eingeschränkt und dann vor allem in seiner Bedeutung als urchristliche Verkündigung.111 Das bei BULTMANN damit bezeichneten Konzept kann allerdings durchaus als zentraler Ausgangspunkt für FUCHS‘ Hermeneutik gesehen werden.112 FUCHS trennt also das Konzept des Kerygmas von diesem Begriff und bearbeitet es auf einer grundsätzlicheren Ebene.

Dabei steht BULTMANNs Sprachverständnis im Fokus von FUCHS‘ Auseinandersetzung, um das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit theologisch zu bestimmen.

FUCHS geht von BULTMANNs Wortverständnis aus, dessen Kern darin liegt, dass das Kerygma als heilvolle Anrede zu fassen ist.113 Für BULTMANN wird dadurch die Verkündigung zum

„eschatologische[n] Geschehen“114. Gerade der damit benannte Ereignischarakter des Wortes115 muss aber nach FUCHS noch theologisch und nicht wie bei BULTMANN – zugespitzt gesagt – anthropologisch interpretiert werden.116 Im Grunde liegt FUCHS damit weiterhin auf BULTMANNs Linie, der sich seinerseits um beide Aspekte des Wortes bemüht hat,117 wenn er auch im Zuge seines Entwurfs den existentialen Bezug, also den anthropologischen Aspekt besonders betont und die theologische, zumal christologische, Bedeutung vernachlässigt. War BULTMANNs eschatologisches Geschehen noch auf den Sinn des Glaubens beschränkt, kommt mit FUCHS‘ Sprachbegriff auch die Frage nach dem Grund des Glaubens in den Blick, weil es ihm nicht nur um die Frage der menschlichen Existenz geht, sondern auch und vor allem um

111 Z.B.: Fuchs 1965h, 54; Fuchs 1965d, 141; Fuchs 1965m, 275. Mit der Ausnahme Fuchs 1979b, wo die Mündlichkeit des Kerygmas im Rahmen hermeneutischer Überlegungen interpretiert wird, die sich für einen Existenzbezug und einen Sakramentcharakter des neutestamentlichen Textes aussprechen.

112 Fuchs 1960b ist beispielsweise eine Darstellung des Sprachereignisses in Auseinandersetzung mit BULTMANN. Vgl. zu diesem Einsatzpunkt von FUCHS‘ Sprachverständnis Jüngel und Schunack 2003, XXIII.

113 Fuchs 1965k, 4f, Anm. 5; Fuchs 1965d, 149: „Sie [die Verkündigung Jesu] ist nicht ein Konglomerat von mehr oder weniger disparaten Vorstellungen, sondern sie ist zuerst Wort, Sprache, Anrede, wie Bultmann mit Recht sagt.“

114 Bultmann 1965d, 137.

115 Zum Begriff vgl. nochmals: Bultmann ⁹1993a, 292, Anm. 53.

116 Gut zu sehen an FUCHS‘ Abwandlung des berühmten Zitats BULTMANNs: „Damit sie von Gott reden, müssen sie von Jesus reden und nicht von sich selbst.“ (Fuchs 1965a, 227). Vgl. Fuchs 1965o, 44f, das Ereignis liegt nach BULTMANN im Hören des Wortes (aaO., 39). FUCHS vermisst nun „den dem Wort an sich zukommenden Ereignischarakter“ (aaO., 44), den BULTMANN nicht erkenne, weil sein Ansatz „zunächst“ (aaO., 45) anthropologisch ausgerichtet sei. Zu diesem Aufsatz s.a.: Pilnei 2007, 67ff, der FUCHS‘ sachliches Interesse an dessen BULTMANN-Kritik näher bestimmt: „Um einen leeren Existenzformalismus zur Interpretation des Kerygmas zu vermeiden, [...] ist die Grundlegung eines neuen ontologischen Fundaments notwendig.“ (aaO., 69) Dieses findet FUCHS im Phänomen der Sprache, das er gegenüber BULTMANN wesentlich vertieft.

117 Dies ist entgegen FUCHS‘ Darstellung festzuhalten, zumal BULTMANN gerade in FUCHS‘ Sinne schreibt: „Nun ist aber zweifellos der ursprüngliche und echte Sinn des Wortes ‚Wort‘ der, daß es auf einen außerhalb des Redenden liegenden Sachverhalt hinweisen, diesen dem Hörer erschließen und damit dem Hörer zum Ereignis werden will.“ (Bultmann 1963, 53). Vgl. Dalferth 1993, 142.

35 die hermeneutische Struktur der Offenbarung.118 Für diese Frage wird die Erfahrbarkeit des Kerygmas als existenzbezogene Rede und Anrede entscheidend: „das Kerygma selber ist nicht Formel, sondern mündliches Wort, für welches der Verkündiger […] mit seiner Existenz einstehen muß“ 119.

Diese hermeneutische Struktur nennt FUCHS Sprachereignis und entwickelt von dort aus weitergehende Überlegungen, weil ihm in BULTMANNs Konzept die Kontinuität des Kerygmas, sowie entsprechend die aktuelle Relevanz des Christusgeschehens noch nicht ausreichend erfasst scheinen.120 Insofern zielt seine Kritik aber darauf, das Konzept gemäß dessen Intention zu vertiefen.

Die markante Umformulierung: „Auf die Frage, wohin Jesus auferstanden sei, ist also zunächst zu antworten: in unsern Glauben.“,121 verdeutlicht FUCHS‘ Interesse, das Kerygma vor allem in seinem aktuellen und sich immer wieder aktualisierenden Erfahrungsbezug zu fassen. Auch wenn er als Exeget die Bedeutung historischer Fragestellungen anerkennt, geht es ihm dennoch schwerpunktmäßig darum, das Wort Gottes in seiner erfahrbaren Wirkung zu verdeutlichen.122 Es ist nach FUCHS nicht auf eine objektive Information zu beschränken, sondern stellt Gottes Anwesenheit im Menschen dar, nämlich den Glauben, in dem die Existenz des Menschen zu Wahrheit gebracht wird.123 Die christologische Begründung diesen Zusammenhang auch

„inhaltlich“ zu qualifizieren ist FUCHS gegenüber BULTMANN wichtig. Zwar betont auch FUCHS

BULTMANNs Deutung von Jesus Christus als einmaliges historisches „Daß“, aber darüber hinaus gibt das Christusgeschehen Auskunft über „Wie“ und „Wo“ der wahren menschlichen Existenz.124

Dazu betrachtetFUCHS das Christusgeschehen konsequent als sprachliches Geschehen, das als solches eine zentrale Interpretation des Wortes erfordert, weil sich in ihm die Gottesbegegnung immer wieder neu ereignen kann. Ausgehend vom christologisch begründeten Wort Gottes erschließt sich erst die konstitutive Abhängigkeit des Glaubens von der Sprache.125

118 Fuchs 1968, 156.

119 Fuchs 1979b, Zitat S.25.

120 Fuchs 1965k, 14f.

121 Fuchs 1965k, 27.

122 Fuchs 1965d, 141, hier beginnt eine Auseinandersetzung mit BULTMANNs Entmythologisierung, s.a. aaO., 146f:

der „entscheidende[] Punkt“ für die Theologie ist die Frage: „Welche Erfahrungen macht der Glaube?“ Vgl. Fuchs

⁴1970, 275-281.

123 Fuchs 1965k, 28-31. Vgl. aufgeführte Kritikpunkte FUCHS‘ an BULTMANN: Brantschen 1974, 171f.

124 Vgl. auch zum Folgenden Fuchs ⁴1970, 61.

125 Dazu Huxel 2004, 304: „Dem Glauben geht nach Fuchs kein Vorverständnis voran, das Ereignis seiner Konstitution ist vielmehr creatio ex nihilo.“

36 Entscheidend für FUCHS ist also BULTMANNs Charakterisierung des Wortes Gottes als

„Anrede“, wobei sich FUCHS in erster Linie für die Rolle des Wortes im Verstehensprozess interessiert und weniger für die menschliche „Antwort“.126 Insofern spielt auch für FUCHS die Predigt eine zentrale Rolle und zwar mit der Aufgabe, das Offenbarungszeugnis der Texte wieder zu lebensbezogener Sprache werden zu lassen. Dabei verdeutlicht er immer wieder die theologische Dimension dieses Ereignisses, weil es von Gott ausgeht und bestimmt wird.

Insofern kann FUCHS auch von „Adventstext“127 sprechen, um Gottes Bewegung im Wort auf den Menschen hin auszudrücken. FUCHS setzt dabei wie in BULTMANNs Kerygmakonzept ein Vorverständnis auf Seiten des Menschen voraus, der auf der Suche nach der Wahrheit seiner Existenz nach Gott fragt.128 Doch auch schon diese vermeintliche Tat des Menschen wird durch die Gabe der Sprache erst ermöglicht. Das Wort ist damit der Ort, an dem der Mensch zugleich die Möglichkeit zur Aktivität hat, nach der Wahrheit seiner Existenz zu suchen und dennoch in grundlegender Weise passiv ist, weil er gerade in dieser Frage durch das Wort bestimmt wird.129 FUCHS versucht mit dieser hermeneutischen Struktur die Unverfügbarkeit des Glaubens und die Souveränität des Wortes zu wahren. Gerade der hermeneutische Ansatz der existentialen Interpretation verdeutlicht, dass die göttliche Auslegung jeder menschlichen Auslegung voraus ist.130 Insofern ist das Vorverständnis aus Sicht des Glaubens nicht mehr von der Fraglichkeit der menschlichen Existenz, sondern von ihrer Sprachlichkeit her zu verstehen.131

Bei der Ausarbeitung dieses Existenzverständnisses greift FUCHS nicht nur auf BULTMANN, sondern vor allem auf HEIDEGGER zurück. FUCHS sieht hier eine philosophische Existenzbestimmung mit theologischem Potential, weil sie ihm die Möglichkeit gibt, über BULTMANNs Ansatz hinaus gerade die Verbindung von Sprache und Existenz verstärkt zu reflektieren. Auch der Philosoph sieht die Existenz sprachlich bestimmt.132 Diesem

126 Sass 2013b, 204.

127 Fuchs ⁴1970, 61. Diese Denkrichtung verbindet FUCHS mit BARTH, vgl. Dalferth 2010, 79: „Bei Barth dagegen geht es darum, wie Gott uns und sich versteht. Das heißt, vom göttlichen Selbstverstehen her ist das Verstehen Gottes und das dadurch bestimmte menschliche Selbst- und Weltverstehen zu entfalten.“

128 Fuchs ²1965f, 119-121. Dass FUCHS BULTMANNs Vorverständnis grundsätzlich verteidigt, ist gegen Sass 2013b, 200-202, festzuhalten, auch wenn für FUCHS die Frage nach dem Sein des Menschen dann in dessen Sprachlichkeit führt.

129 Fuchs ⁴1970, 48f; 56f: „Die existentiale Interpretation deckt auf, daß gerade der schuldige Mensch ein angeredeter und anzuredender Mensch ist, daß also unsre Existenz primär nicht auf das Sehen, sondern auf das Hören bezogen ist.“ (aaO., 57).

130 Fuchs 1965k, 30: „Wir sind immer schon von Gott ausgelegt und werden deshalb um Jesu willen dazu vorgerufen, unsererseits nun Jesus auszulegen. [...] Der Ausleger muß wissen, daß er selber in den Vorgang der Auslegung hineingehört, weil er als je schon Ausgelegter in der Auslegung erscheint.“ Vgl. Sass 2013b, 202: „Eine am Vor-verständnis orientierte Theologie weicht somit einer hermeneutischen Nach-Denklichkeit.“

131 Der hermeneutische Zirkel ist ein Einstieg in das Wirken der Sprache (Fuchs 1968, 90f). Vgl. Fuchs 1971, 142f.

132 Heidegger 1985c, 247.

37 Grundgedanken folgend führt FUCHS weitere Aspekte aus HEIDEGGERs Denken für seine Theologie an. FUCHS hebt auch mit HEIDEGGER eine Spannung zwischen dem Menschen und seinem eigentlichen Dasein hervor, die er aus eigenem Vermögen nicht lösen kann.133 Denn der Mensch ist sich nicht unmittelbar zugänglich, sodass HEIDEGGER seinerseits mit dem Ereignis eine unverfügbare Struktur annimmt, die den Zugang zu einem Selbstverständnis erst ermöglicht. Nimmt der Mensch die passive Haltung ein, sich auf das Ereignis einzulassen,134 eröffnet es ihm seine Existenz als raum-zeitliches (in Geschichte und Welt gegebenes) Dasein, das mit dem Sein verbunden ist.135 Diesem Verständnis von Ereignis stimmt FUCHS insofern zu, als dass er diese passive Haltung als Glauben identifiziert, die nicht versucht, sich seine Existenz selbst anzueignen.136 Die menschliche Existenz findet sich dagegen nur in der Sprache in ihrer ursprünglichen Nähe zur Welt und wird auf ihr geschichtliches Dasein ansprechbar.137 Der Mensch kann sich also seinem Dasein nur nähern, wenn er seinem eigentlichen Verhältnis zur Sprache entsprechend auf die Sprache hört, durch die ihm sein Dasein zugesprochen wird.

Mit HEIDEGGER kann FUCHS also eine unmittelbare Verbindung von menschlicher Existenz und Sprache beschreiben, weil Sprache als Wesen des Menschen verstanden wird. Damit hat FUCHS

zum einen anthropologische Voraussetzungen für einen Verstehensprozess gelegt, den das Wort Gottes anstößt. Zum anderen bietet dieses Sprachverständnis ihm die gesuchte hermeneutische Struktur, in der Sprache zum Ereignis wird, also unverfügbaren Zugang zur Wahrheit der menschlichen Existenz eröffnet.

Dies läuft für FUCHS auf die theologische Interpretation zu, dass der Mensch die Wahrheit über sein Dasein im Hören auf das Wort Gottes empfängt.138 FUCHS betont neben diesen Überlegungen zum Wo der Gottesbegegnung aber auch die Bedeutung der Person Jesu, in der nämlich deutlich wird, wie Gottes Zuwendung zu den Menschen zu verstehen ist. Im Zentrum stehen dabei die Liebe und die Freude Gottes, an denen der Mensch durch Jesus Anteil erhält:

„Dieser Gott spricht mit seinen Geschöpfen, indem er sie zu seiner Freude, zur Freude schlechthin, beruft. Dieses offenbare Reden Gottes führt in die Liebe. Aber nur dann, wenn wir wie Jesus an die ‚Allmacht‘ der Liebe glauben und unsererseits auf sie

133 Fuchs ⁴1970, 65.

134 Heidegger 2006, 45; Fuchs ⁴1970, 63.

135 Fuchs ⁴1970, 68: „Das Dasein ist also je die als Welt begegnende, bedeutsam vernommene geschichtliche Möglichkeit des Menschen, ein Mensch zu werden.“

136 Biblisch kann FUCHS dabei von „Verlorenheit“ sprechen (Fuchs ⁴1970, 63).

137 Fuchs ⁴1970, 66-69.

138 Und dieser Zusammenhang ist auch der Ausgangspunkt, sich überhaupt auf HEIDEGGER zu beziehen: Fuchs

⁴1970, 62.

38 vertrauen. Dann lernen wir auch, Jesu Freude als Gottes Wort in Jesu Person zu verstehen.“139

FUCHS versteht diese theologische Dimension als Erweiterung der existentialen Interpretation, weil sie reflektiert, welche Wirkung Sprache hat.140 Insofern diese Wirkung eben in der Liebe Gottes zu den Menschen besteht, erschließt seine Kategorie des Sprachereignisses einen rechtfertigungstheologischen Zusammenhang. In dieser Richtung findet FUCHS verschiedene Formulierungen, um das Heilsgeschehen zu umschreiben, das dem Menschen in der Begegnung mit dem Wort zuteil wird.141 Dieser Aspekt stellt einen weiteren Schnittpunkt zu BULTMANNs Kerygma dar, denn auch FUCHS‘ Sprachereignis trägt sakramentale Züge, weil es eben nicht

„nur“ Heilszusage, sondern zugleich Heilsvermittlung ist.142

Als vertiefende Begründung stellt FUCHS den Zusammenhang von Sein und Sprache heraus, der nach BULTMANN ein hermeneutisches Problem darstellt und zwar für Theologie und Philosophie gleichermaßen.143 Mit dem Sprachereignis fasst FUCHS diesen Zusammenhang theologisch, nämlich als Gottes Wirken im Wort der Schöpfung, der Inkarnation und Rechtfertigung, sodass die Wahrheit des Seins sich in der Sprache ereignet.144 FUCHS sieht seine umfassende theologische Deutung der Sprache, die christologisch begründet ist, als Weiterentwicklung von BULTMANNs Ansatz, Sprache auf die Existenz zu beziehen. Die Umkehrung dieser Beziehung zeigt für FUCHS die Beziehung des Menschen auf Gott.145 Insofern kommt dem Wort Gottes, in Form des biblischen Textes, die hermeneutische Schlüsselrolle zu, Gott für den Menschen existential zu vermitteln.146

139 Fuchs 1965k, 24f.

140 Fuchs ²1965t, 113.

141 Z.B.: „Sie [die Sprache] rechtfertigt das Sein“ (Fuchs 1960b, 425); „Erlaubnis zur Freiheit“ (Fuchs ²1965g, 290); „Wort, das in Gottes Anwesenheit Einlaß gewährt“ (Fuchs 1965q, 427).

142 Bultmann 1967, 132: „Dieses [das Kerygma] präsentiert weder Fakten der Vergangenheit in ihrer bloßen Vorfindlichkeit, noch führt es zur Begegnung mit menschlicher Existenz und ihrer Auslegung, sondern – als sakramentales Geschehen – es vergegenwärtigt das Geschehen der Vergangenheit so, daß es dasselbe erneuert und mir so selbst zum Begegnis wird.“ (dazu Schmithals ²1967, 187); Fuchs 1960a, 278: „Denn im Sakrament will sich genau die Freiheit ereignen, in welcher der Mensch am Wort teilhat, in welcher aber zugleich klar wird, daß Gott selbst für das Wort der Freiheit einsteht.“ Vgl. Fuchs 1971, 142; vgl. auch Fuchs 1979b, 39, „Alle neutestamentlichen Texte sind Texte eines sakramentalen Geschehens.“ Dazu auch BRANTSCHEN 1974,219:

„Wenn man […] bei Bultmann von existentialer Interpretation sprechen kann, so müßte man Fuchs‘ Interpretation des Wortes Gottes sakramental nennen.“ Beide Attribute schließen sich allerdings nicht aus, wie am Kerygma bei BULTMANN zu sehen ist, ebenso trägt FUCHS‘ Interpretationsbegriff sehr wohl existentiale Züge.

143 Fuchs ²1965t, 114.

144 Fuchs 1960b, 425.

145 Fuchs 1960b, 427.

146 Fuchs 1960b, 429: „Der Grund [für die Unverfügbarkeit des Glaubens] liegt [...] in der Abhängigkeit des Glaubens vom Wort, von Gottes Wort. [...] Deshalb ging ich dazu über, die Geschichtlichkeit der Existenz als Sprachlichkeit der Existenz aufzuweisen. [...] Der Text ist [...] ein Herr, der uns in den Sprachzusammenhang unsrer Existenz einweist, in welchem wir ‚vor Gott‘ existieren.“

39 Für diese Vertiefung des Sprachverständnisses kommt FUCHS mehrfach auf HEIDEGGER als philosophischen Bezugspunkt zurück, dessen Formulierungen er teilweise wörtlich übernimmt.

39 Für diese Vertiefung des Sprachverständnisses kommt FUCHS mehrfach auf HEIDEGGER als philosophischen Bezugspunkt zurück, dessen Formulierungen er teilweise wörtlich übernimmt.

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