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Nach dem Erfolg von Éric-Emmanuel Schmitts ersten Titeln auf dem deutschen Markt299 erschien sein Romanerstling Die Schule der Egoisten 2004 erstmals in deutscher Sprache. Der Ro-man, in dem Schmitt die Egoismus-Philosophie von Gaspard Languenhaert vorführt, einem fik-tiven französischen Philosophen und Salon-Liebling des 18. Jahrhunderts, ist seiner Promotion in der Philosophie über Diderot und die Metaphysik geschuldet. Allerdings werde einer Rezension zufolge die Philosophie darin „auf die Größe einer neckischen Anekdote zurechtgestutzt“300. Im Roman ist das Buch wichtig als Medium und Hilfsmittel für Hinweise, die daraus für die For-schung gezogen werden können, zunächst für wissenschaftliche Recherchen, dann für die Suche nach dem Autor. Das Thema des Romans ist somit die wissenschaftliche Forschung um der For-schung willen, und das mittels Monographien und Verweisen in einem engen Netzwerk von Buch zu B

uch.

Der forschungswütige, namenlose Doktorand, der zugleich seine Geschichte erzählt, erkennt in den Episoden über den Philosophen seine eigene Situation wieder und eignet sich die

Maxi-299 Vgl. Éric-Emmanuel Schmitt: Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran & Oskar und die Dame in Rosa, beide Ammann: Zürich, 2003.

300 Matthias Altenburg: „Schmitts Galanteriewaren“. In: Die Zeit, 14.10.2004, S. 53. Online [http://www.zeit.de/2004/43/Schmitts_Galanteriewaren], eingesehen am 13.11.2010.

men soweit an, dass er sich sogar mit dem Philosophen identifiziert. Zudem kann der Roman als Einführung in den Solipsismus in belletristischer Form angesehen werden. Aus diesem Grund rückt auch vornehmlich der fiktive Autor − der Philosoph Languenhaert − und sein Leben und seine Ansichten, die in verschiedenen Fragmenten dargestellt werden, in den Vordergrund der Han

enossen, und ebensowenig auf die Nach

nehme ich etwas anderes wahr als meinen , sondern in mir. Also ist das Leben nur mein

chule der Egoisten“, denn jedes Mitglied beansprucht die Rol

dlung, während der Protagonist und seine Forschung beinahe zur Rahmenhandlung geraten.

Nachdem dem Ich-Erzähler der Forscher-Alltag öde geworden ist, sucht er nach Ablenkung und einem Anstoß für eine neue Lust am Forschen. Zur Zerstreuung möchte er in der Bibliothèque Nationale, in der er forscht, ein Buch nur zum Vergnügen lesen, und stößt durch Zufall im Kata-log auf ein Nachschlagewerk, das er wahllos aufschlägt und dort einen Hinweis auf die Lehre des Philosophen Gaspard Languenhaert vorfindet, von dem er zuvor noch nie gehört oder gelesen hatte, denn dieser „hatte keinerlei Einfluß auf seine Zeitg

welt.“301 Die Überzeugung dieses Philosophen lautete:

Ob ich mich nun bis zum Himmel emporschwinge oder in die allerunterirdischsten Gegenden hinab-steige, so gehe ich doch nie aus mir selbst heraus, und nie

eigenen Gedanken. Also existiert die Welt nicht an sich Traum. Also bin allein ich mir die ganze Wirklichkeit…302

Wie im Radikalen Konstruktivismus liefert nach Languenhaerts Überzeugung die Wahrnehmung kein Abbild der Realität, sondern ist vielmehr eine Konstruktion des Betrachters. Jegliche Wahr-nehmung sei subjektiv und werde mit Eindrücken, Empfindungen und Erinnerungen kombiniert und assoziiert. So schaffe sich jeder seine eigene Welt, schlechthin, weil jeder Mensch die Welt auf seine Weise wahrnimmt. Daher sei Objektivität als Konsens der Wahrnehmungen mehrerer Individuen und einer für alle gleich aussehende Realität nicht möglich. Alle Menschen und Dinge seien Schöpfungen des Ichs, die Welt sei also die Summe der Wahrnehmungen von Einzelindivi-duen und daher nicht objektiv erfahrbar. Es existiere keine Materie, da die Welt nur im Geiste entsteht, ist sie eine Traum- und Scheinwelt. An Languenhaerts Credo „Ich bin mir und nur mir selbst die Welt, die gesamte Wirklichkeit und ihr Ursprung“303 scheitert letztlich die in der dop-pelten Fiktion von ihm gegründete „S

le des Schöpfers der Welt für sich.

Auf den Protagonisten wirkt das neue Interesse an Languenhaert belebend, das Geheimnis regt Fantasie und Tatendrang an. Der Fall des Philosophen, der in keinem Nachschlagewerk er-wähnt wird und über den nur schwer Sekundärliteratur aufzutreiben ist, von den Primärwerken ganz zu schweigen, erscheint dem Erzähler mysteriös, aber auch fesselnd, da der Autor ihm

6), S. 12.

301 Schmitt (200 302 Ebd., S. 10.

303 Ebd., S. 59.

mer wieder entschlüpft: „Languenhaert, der große Unbekannte, hatte mich bereits fest im Griff.“304 Der Protagonist fügt in beinahe kriminalistischer Kleinarbeit das Leben und die Lehre Languen-haerts wie ein Puzzle zusammen, wobei ihm LanguenLanguen-haerts Reaktion auf Kritik an seiner Lehre als Vorbild für konstruktives Forschen dient: Man müsse Kritik berücksichtigen, Gegenargu-mente nicht ablehnen, sondern annehmen, durchdenken und diskutieren. Der Protagonist wirkt verbissen und beinahe manisch bei seinen extensiven Recherchen, er wird zum „Sklaven seiner Nachforschungen“305. Bei diesen Nachforschungen stößt er auf ein Netzwerk aus Titeln306, die auf den nächsten und einander verweisen: Das ist, wie Forschung funktioniert. Sie verläuft nicht ger

ich fragt, ob er selbst zu Languenhaert und somit zum Ob-jekt

h ansieht, sein

adlinig, sondern nimmt auch Umwege oder führt in Sackgassen.

Nicht nur Languenhaerts Philosophie geht von der Welt als traumhafter Scheinexistenz aus.

Auch dem Protagonisten erscheint die Welt angesichts seiner sinnlos erscheinenden wissenschaft-lichen Forschungen und der rätselhaften Existenz Languenhaerts, die sich in einem Nebel von Zeit und Geschichtsschreibung in den Katalogen der Bibliothek verliert, als Schein und im Geist geboren. Der Protagonist ist seiner Forschung überdrüssig und empfindet genauso wie es ihm Languenhaerts Lehre vorführt: „Ich träume … ich lebe nicht mehr … Ich bin gefangen in einer Scheinwelt.“307 Hier klingt eine beinahe subversive Kritik an wissenschaftlicher Forschung und ihren Traditionen an. Die Welt wird ihm tatsächlich zur Fantasiewelt, wenn er den Gegenstand seiner Forschung verinnerlicht und s

seiner Forschung geworden ist.

Für den Protagonisten beweist ein Porträt noch mehr als die Schriften Languenhaerts Exis-tenz, er übersieht aber, dass ein Egoist, der nur in der eigenen Vorstellung existiert, körperlos ist, und nur eine geistige Existenz aufweisen kann, die sich auch im Geist des Betrachters und Mit-denkers manifestiert. Jemand, der nur „in sich, durch sich und für sich“308 existiert, kann der Nachwelt kein Bild von sich hinterlassen, da es ohne ihn die Welt gar nicht gibt. Die liturgische Anspielung weist darauf hin, dass sich Languenhaert als Weltenschöpfer und Gott gleic

e „Metaphysik Gottes“ würde also in erster Linie wiederum ihn selbst beschreiben.

Genau wie Languenhaert der Welt keine Existenz zubilligte, hatte die Welt sämtliche Hin-weise auf seine Existenz getilgt, was zu seiner Mystifikation beiträgt, oder ist er nur eine Erfin-dung? Hat es den Philosophen wirklich gegeben oder ist er nicht nur, wie es seiner Doktrin nach

304 Ebd., S. 17.

305 Hans-Heinrich Obuch: Rezension zu Die Schule der Egoisten, RadioBremen.de [http://www.radiobremen.de/

magazin/kultur/literatur/buchtipps/schule_der_egoisten.html], eingesehen am 21.07.2008, inzwischen nicht mehr abrufbar.

306 Vgl. Schmitt (2006), S. 166f.

307 Ebd., S. 7.

308 Ebd., S. 10.

folgerichtig erscheint, ein Produkt der eigenen Imagination? Für den Protagonisten ist er mehr und mehr ein Produkt der Bücher, die ihn zufällig auf seine Spur gebracht haben. Er ist versessen darauf, alles über Languenhaert zu erfahren und dadurch dessen frühere Existenz zu beweisen, damit dieser nicht in der Scheinwelt der eigenen Philosophie versinkt. Es ist jedoch der Protago-nist selbst, der sich in einer fantastisch anmutenden Scheinwelt verliert, wenn er in Betracht zieht, ob er selbst vielleicht Languenhaert ist. Auf diese Weise wird das Thema von dessen Philosophie auch zum Thema des vorliegenden Romans: Die Wahrnehmung wird über extensiver Forschung derart eingeschränkt subjektiv, egoistisch, dass sich der Forscher im Zentrum der Welt wähnt

nen Wahrnehmung bzw. Imagination ansieht.

n, dass sie deren Leb

n gerä

und diese als Konstrukt der eige