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6 „Leser durch und durch“ 365 , von einer „fast krankhaften Sucht nach Bücherbesitz“ 366 Befallene und „Mörder aus Bücherwut“ 367

6.2 Büchernarren in den untersuchten Romanen .1 Klaas Huizing: Der Buchtrinker.1 Klaas Huizing: Der Buchtrinker

6.2.2 Carlos María Domínguez: Das Papierhaus

Jede einzelne Persönlichkeit in Das Papierhaus steht im Bann der Bücher und hat sie zum Mittel-punkt des Lebens gemacht: Bluma hat dem Lesen ihr Leben geopfert, als sie durch die Lektüre abgelenkt von einem Auto überfahren wurde, der Ich-Erzähler sammelt, aber nicht exzessiv, der elegante Bibliophile Delgado vereint seine Bücher stilvoll in Vitrinenschränken, liest aber auch viel, wenn auch im geordneten Rahmen eines Stundenplans, der Bibliomane Brauer schließlich ist ein fanatischer Büchernarr, des

g seiner Bibliothek erhält.

Nachdem zwar nicht die Bücher selbst, doch der Katalog zu seiner kostbaren Privatbiblio-thek in Flammen aufgegangen und er so eines zuverlässigen Ordnungssystems beraubt ist, gerät Brauer in Verzweiflung, da er nicht mehr imstande ist, einen Überblick über seine Bibliothek zu finden. Als Bibliomane, aber auch exzessiver Leser, geht ihm die Ordnung seiner unzähligen Bü-cher über alles. In der Konsequenz gibt er seine Bibliothek auf und baut sich auf einer Düne in einer Lagune vor Montevideos Strand ein Papierhaus: Ein Haus, statt aus Ziegeln errichtet aus seinen Büchern. Mit dem Bau des Papierhauses sind alle bisherigen Ordnungsprinzipien für Bü-cher außer Kraft gesetzt. Keine exzentrischen Kriterien wie Dichterfeindschaften für die Anord-nung der Bücher zählen mehr, für den Bau eines möglichst stabilen Hauses sind nur noch Äußer-lichkeiten wie Größe oder Umfang der Bücher entscheidend. Der passive Leser wird vom theo-retisch-analytisch Ordnenden zum praktisch vorgehenden Handwerker, ind

das Papierhaus einer rein äußerlichen, praktischen Bestimmung zuführt.

Für Brauer haben die Bücher nun keinen geistigen Wert mehr und werden zu profanen Gegenständen, zu Bausteinen seines Hauses umfunktioniert. Inhalt und ideeller Wert der Bücher werden völlig ignoriert, was nun noch zählt, sind ihre äußeren Eigenschaften. Dies ist eine Sicht-weise, die jedem Bücherfreund, der häufig nicht einmal ein Eselsohr in seinem Buch duldet, widerstreben muss. Auch der Ich-Erzähler wird auf das ‚Buch im Buch’, dass die Geschichte erst voranbringt, nur dank seines Äußeren aufmerksam, da er es mit Zement verkrustet im Nachlass seiner Kollegin Bluma findet und seinem Besitzer zurückgeben möchte. Bücher werden aus ih-rem ästhetischen Kontext gelöst und als Gegenstand nutzbar gemacht. Als der Erzähler an

425 Ebd., S. 78.

tem

elöst von der Fiktion n Bedeutung verliert, denn Inhalte können

rfreunde in zwei Gruppen eingeteilt. Es ist in der Fiktion von

„zw

utzen würde“428 − die Bücher erse

d

wortung für die erworbenen Bücher übernimmt und sie verwaltet. Er zeigt eine Manie für die Strand eintrifft, ist Brauer fort und das Haus von den Wellen zerstört. Mit dem Auffinden des Papierhauses ist die Suche beendet, der Kreis hat sich geschlossen.

Die Geschichte des Bibliomanen Brauer ist ein Abgesang auf den Büchersammler des alten Typs, wie er heute beinahe ausschließlich noch in der Fiktion vorkommt, und die ‚alte’ Art, Bü-cher zu sammeln und mit ihnen umzugehen. BüBü-cher werden in der Fiktion zu Objekten degra-diert und zweckentfremdet, doch diesen neuen Zweck, Obdach zu bieten, können sie nicht er-füllen, da das Papierhaus von den Wellen aufgeweicht und zerstört wird. G

bedeutet dies, dass die Privatbibliothek weitgehend a

auch auf andere Weise, nämlich digital, verbreitet und konsumiert werden.

6.2.2.1 „Sammler“ und „Leser durch und durch“

In Das Papierhaus werden Büche

ei Sorten von Menschen“426 die Rede, als gelte diese Charakterisierung für alle Menschen, dabei sind doch nicht alle Leser.

Sammler betrachteten Bücher als kostbare Stücke, die sie in großem Stil ansammeln, wobei sie nach seltenen Publikationen und erlesenen Ausstattungen suchen. Auch der Wert spielt eine Rolle.

Delgado, der Ästhet und „Sybarit des Buches“427, legt bei der Auswahl der Bücher Wert auf Ex-klusivität und besten Erhaltungszustand. Er lebt nicht wie Brauer inmitten seiner Bücher, son-dern hortet die Bücher in einer Wohnung, die er eigens für die Bibliothek angemietet hat, in der er sich zu festen Zeiten aufhält und nach einem Stundenplan liest. Familie und Bücher sieht er als gesonderte Territorien, die unterschiedliche Bereiche seines Lebens ausmachen und hält sie daher strikt getrennt, da das Familienleben die Bücher sonst „beschm

tzen ihm nicht die Familie, er schätzt sie aber höher. Die Bibliothek ist seine „Höhle“429, in die er sich zurückzieht und die ihm Abschottung und Schutz bietet.

„Leser durch und durch“430 ist Brauer, der beinahe zwanghaft liest, studiert, verstehen will und sich die Texte durch ausgiebige Notizen erarbeitet. Lesen betrachtet er nicht nur als Genuss, son-dern auch als Arbeit, denn er strebt zum tief liegenden Sinn der Bücher. Auf der an eren Seite ist er ein gieriger Raffer, der unkontrolliert sammelt und so eine beachtliche Bibliothek zusammen-trägt, ohne auf den finanziellen Aufwand zu achten. So wird er zum „Eroberer“431, der

(2006), S. 26.

426 Domínguez 427 Ebd., S. 76.

428 Ebd., S. 36.

429 Ebd., S. 38.

430 Ebd., S. 26.

431 Ebd., S. 45.

Katalogisierung und lässt seinen Büchern eine „Ordnung der Emotionen“432 angedeihen, bis ihm die Kontrolle entgleitet, so dass nun die Bücher die Kontrolle über sein Leben übernehmen. Für ihn

ernarr lebt nicht mehr in der Realität, son

rnarren, sein Herz nicht nur an das Objekt .

rotokollant. Mit dem Erzähler der Sch

die

ist nicht der Erhalt des Bestehenden wichtig, sondern die Anhäufung von Neuem.

Beide Büchernarren verbinden mit dem Lesen eine übersteigerte Ästhetik als Lustgewinn. Bei der Lektüre sollen möglichst alle Sinne angesprochen werden, und so werden die Romane des 19. Jahrhunderts bei Kerzenschein genossen, wird als Ergänzung der genussvollen Lektüre eine zeitgenössische Oper gehört und ein zweites Glas Wein für den Protagonisten bereitgestellt. Die-ses Szenario wirkt übertrieben und überspannt, der Büch

dern ausschließlich in der Lebenswelt seiner Romane.

Wo Bücher derart in den Mittelpunkt des Lebens rücken, geraten sie zum Fetisch, der nichts anderes mehr zählen lässt, der Fanatismus ist zum Greifen nahe. Letztlich führt die übergroße Liebe zu den Büchern zu Realitätsverlust, schlimmstenfalls zur Zerstörung eines Menschen, so-bald er sich in ihren Bann begibt und sich verschlingen lässt. Dafür steht auch die letztliche Zer-störung des Papierhauses: Eine Warnung an die Büche

zu hängen, sondern sich mehr am Inhalt zu erfreuen 6.2.2.2 Das ‚Buch im Buch’ − Die Schattenlinie

Das ‚Buch im Buch’ in Das Papierhaus stellt der Roman Die Schattenlinie. Eine Beichte (1917) von Joseph Conrad dar. Dies ist einer der seltenen Fälle, in dem ein real existenter Roman in einem Buch-Roman des Korpus erwähnt wird. Das Buch gehört Brauer, der es an Bluma verschenkt, ihr Kollege, der Ich-Erzähler, findet es wiederum in deren Nachlass und bringt es nach Argenti-nien zurück. Dort erzählt ein bibliophiler Freund Brauers über dessen Erlebnisse. Das Buch löst die Handlung aus, da sich der Ich-Erzähler nach dem Fund auf den Weg nach Südamerika macht, wo er der Geschichte des Bibliomanen begegnet. Das Buch hat auch auf den Ich-Erzähler selbst Einfluss, da er mit dem Geschehen um Brauer konfrontiert wird, von dem ihm allerdings nur berichtet wird, dabei bleibt er ausschließlich Beobachter und P

attenlinie teilt er die Erzählstimme und die Namenlosigkeit.

Der Inhalt der Schattenlinie wird fiktionsintern nicht erwähnt oder reflektiert, in manchen Pas-sagen scheint er aber als Subtext durch. Die Überschreitung einer Schattenlinie bedeutet die Über-tretung einer ideellen Grenze, die ein Mensch um sich gezogen hat, aber ständig neu definiert. Ist diese Grenze überschritten, ändert sich alles. Das Leben wird dann mitunter als sinnfrei und un-bedeutend empfunden. Daraus resultieren unbedachte Entschlüsse, bevor eine Wende eintritt,

Tatkraft mit sich bringt, ähnlich wie die Initiation ins Erwachsenendasein, Wachstum und Reife.

432 Ebd., S. 51.

Die Figuren in Das Papierhaus sind mit einer Überschreitung ihrer Schattenlinie konfrontiert.

Der Ich-Erzähler überquert nicht nur den Äquator, es findet auch ein Wechsel von seinem be-schaulichen Leben in Cambridge nach Südamerika statt, wo er in das Leben eines völlig Fremden eintaucht. Blumas Schattenlinie wird von Brauer übertreten „mit seiner Brutalität, mit seiner Ver-zweiflung, und seiner Gewißheit“433. Blumas Widmung im Buch lautete: „Du wirst mich nie überraschen können“434 − war dies Anlass für ihn, Neues zu wagen? Ihre Gewissheit, dass er immer der Alte bleiben würde, wurde Lügen gestraft: Es hätte sie wohl überrascht, dass er seine Einstellung zu seinen Büchern völlig ändert. Brauers eigene Schattenlinie ist überschritten, als der Katalog und damit die Ordnung seiner Büchersammlung zerstört wird, und die Bücher aufgrund ihrer Menge zur unkontrollierbaren Last werden. Ein Leben wie bisher ist nun unmöglich, vom Träumer wird er zum Handelnden, vom Leser zum Tatkräftigen. Er muss, wie die Sch

Objekt und seine Eigenschaft als Medium. Die Schattenlinie des Buchs ist „eine unbekannte Dimension, die Inhalt und Medium des gedruckten

W t.“435

lio-iffsmannschaft im zugrunde liegenden Roman, den ‚Fluch’ der Schattenlinie brechen, indem er das Haus baut und seine Bücher einer Bestimmung zuführt.

Auch ein Buch selbst besitzt mit seinen zwei Seiten eine Schattenlinie: Auf der einen Seite sein ideeller Inhalt, auf der anderen sein Wesen als

ortes in einem merkwürdigen Spiel verein 6.2.3 Alfons Schweiggert: Das Buch

Der Protagonist Bibli, ein „unverbesserlicher Büchernarr“ und „Sonderling“436, ist stolz darauf, ein Bibliophiler und kein Bibliomane zu sein, „der nur auf den Besitz des Außergewöhnlichen aus war“437. Er liebt Bücher „mit schönen Einbänden und von handwerklich einwandfreier Machart […]. Im Gegensatz zum Bibliomanen, der nie das Innenleben seiner Schätze kennenlernen will, las er jedes seiner Sammelstücke.“438 Ermordet wird von Bibli in Buchgestalt daher der Biblio-taph, der Bücher nur als kostbare Wertgegenstände schätzt, sie nicht liest und sich nicht mit ih-nen auseinandersetzt. Der Erzähler stellt aber durchaus „Bibliomanie“439 bei Bibli fest, denn er kauft verschwenderisch, entscheidend ist das Erscheinungsbild der Bücher, wobei er äußerliche, ästhetische, künstlerische, aber durchaus auch inhaltliche Auswahlkriterien ansetzt. Als Bib

(2006), S. 96.

(1989), S. 50.

. 19.

433 Domínguez 434 Ebd., S. 12.

435 Ebd., S. 74.

436 Schweiggert 437 Ebd., S 438 Ebd.

439 Ebd., S. 48.

m um in den Besitz eines Buchs zu gelangen,

nien erzählt man sich doch die Legende von dem mörderischen Buchhändler aus Barcelona − nun, ich wäre wie er in der Lage, für ein

445 gezeigt, die dem Bibliomanen und

seinen Lebensumständen selbst zum Nachteil gereicht.

rden und sollen hier nicht von Belang sein. Auch die ‚brennende Bibliothek’ ist ein in dieser Arbeit nicht diskutierter Top

ane kann sich Bibli durchaus vorstellen zu morden,

wie Don Vincente, der von einer „fast krankhaften Sucht nach Bücherbesitz“440 befallen war.