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Anknüpfung an literarische Traditionen .1 Mittelalterliche Traditionen .1 Mittelalterliche Traditionen

6 „Leser durch und durch“ 365 , von einer „fast krankhaften Sucht nach Bücherbesitz“ 366 Befallene und „Mörder aus Bücherwut“ 367

7 Von Buchlingen und LiteraturAgenten − Fantastische Buchwelten Fantastische Buchwelten

7.1 Walter Moers: Die Stadt der träumenden Bücher

7.1.5 Anknüpfung an literarische Traditionen .1 Mittelalterliche Traditionen .1 Mittelalterliche Traditionen

Moers bezieht sich auf eine Art der Texteinleitung, die im Mittelalter üblich war. Mit dem durch-aus banal oder naiv wirkenden Einleitungssatz „Hier fängt die Geschichte an.“480 knüpft er an das Incipit (lat. „Es beginnt“) an, eine formelhafte Wendung, die in mittelalterlichen Kodizes und

479 Vgl. Fesler (2007), S. 27. − Zum Motiv der Suche und Bewährung im märchenhaften Roman vgl. auch 480 Daemmrich & Daemmrich (21995), S. 338f.

Moers (2006), S. 9.

noch in Inkunabeln den Beginn des Textes markierte und den ganzen Einleitungssatz meint.481 Das Incipit ist der mittelalterlichen Textgestaltung geschuldet und dient der optimalen Ausnut-zung von Papierressourcen: Vor der Einführung eines Titelblatts und der Normierung von

ipit als „Initium“ grundlegend für die Identifizierung des Text-beginns auf einer Pergamentseite, die durchaus mehrere Texte, auch auf den Seitenrändern,

bein-ssen auf. Moers bestätigt r- und Schauerliteratur, in der der Roman laut eigener Einordnung stehen soll. Mit der Warnung hoffe der Erzähler, den Leserkreis auf geeignete Leser dezimiert zu Autor- oder Sachtitel war das Inc

halten konnte. In heutigen Büchern wird die Texteröffnung von Titel, Überschrift, Inhaltsver-zeichnis übernommen. Im Textabschluss geht Moers über die Tradition hinaus und rundet die Texteröffnung ab: „Und mehr gibt es nicht zu erzählen. Denn hier hört die Geschichte auf.“482 7.1.5.2 Captatio benevolentiae

Anstelle einer captatio benevolentiae (lat: „Erheischen von Wohlwollen“) warnt Moers vor der weite-ren Lektüre des Romans. Mit einer solchen Devotionsformel wendet sich der Autor mit der Bitte um wohlwollende Aufnahme des Textes oder des Stückes mittels des Erzählers bzw. eines Red-ners an das Publikum483. Moers dagegen stellt gleich zu Beginn klar, dass sein Text nur für aben-teuerlustige Leser geeignet sei, denn dieser warte mit einigen Schreckni

damit die Tradition der Horro

haben. Im Verlauf des Romans tritt der Erzähler daran anschließend immer wieder in Dialog mit dem Leser, der Leser nimmt direkt an den Erlebnissen des autodiegetischen Erzählers teil, folgt ihm bei seinen Abenteuern und weiß zu keinem Zeitpunkt mehr als er.

7.1.5.3 18./19. Jahrhundert

Eine Herausgeberfiktion wie in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, z. B. in Robinson Crusoe oder den Novellen E.T.A. Hoffmanns, wendet auch Moers an. Mario Fesler macht als Vorbild für Die Stadt der träumenden Bücher William Goldmans persiflierenden Fantasy-Roman Die Brautprin-zessin (1973) aus484. Darin gibt der Erzähler vor, nicht selbst Verfasser des Romans zu sein, son-dern eine ihm vorliegende Erzählung bearbeitet zu haben. Im Laufe der Handlung bringt der Er-zähler immer wieder Hinweise ein, welche Passagen aus der angeblichen Vorlage er aus welchen Gründen gestrichen oder gekürzt habe. Eine ähnliche Herausgeberfiktion benutzt auch Moers.

Im „Nachwort der Übersetzers“ behauptet er, nur einen Text des fiktiven Schriftstellers

481 Vgl. zu diesem Abschnitt Hiller & Füssel (72006), S. 165 sowie Ursula Rautenberg: Reclams Sachlexikon des Buches.

Stuttgart: Reclam, 2003, S. 271 u. 277.

482 Moers (2006), S. 476.

483 Metzler Literatur-Lexikon. Begriffe und Definitionen. Hg. v. Günther und Irmgard Schweikle. 2., überarb. A. Stuttgart:

Metzler, 1990, S. 75.

484 Fesler (2007), S. 26 u. 86ff, legt seiner Annahme ein Interview zwischen Walter Moers und dem Falter zugrunde, in dem Moers William Goldman als Schriftsteller nennt, der ihn inspiriert habe.

Vgl. Klaus Nüchtern: „‚Mein Zielpublikum bin ich’“. Interview mit Walter Moers. In: Falter 17 (2003).

Online [http://www.falter.at/print/F2003_17_2.php], eingesehen am 28.10.2010.

gunst von Mythenmetz, der in Die Stadt der träumenden Bücher als autodiegetischer Erzähler auftritt, aus dem Zamonischen zu übersetzen und mit der Veröffentlichung diesen Text einem neuen Pu-blikum zu erschließen. Der Roman, vermittelt von Moers, bestehe aus den ersten zwei Kapiteln

ines sentimentalen Dinosauriers“. Moers erschafft dieser Konstruktion gemäß also den Roman nicht selbst, sondern überträgt lediglich ein Original-Manuskript aus

em Schattenkönig, erfolgreich war. In der labyrinthischen Un-winnt Hildegunst den Schattenkönig, ein Kunstwesen aus Papier und Lite-ratur, als Lehrmeister und lernt von ihm alles Nötige, um ein begnadeter Dichter zu werden, so

leicht Hildegunst seine Erlebnisse in Schloss Schattenhall mit denen eines Helden der zamonischen Literatur. Der zamonische Leser auf der fiktiven Ebene fiebere mit, was dem Helden in der (doppelten) Fiktion Abenteuerliches widerfährt, so wie der reale Leser gerade mit Hildegunst mitfiebert. In seiner Eigenschaft als der „Reiseerinnerungen e

Zamonien. Außerdem bezieht sich Moers mit dem Titel dieses zamonischen Manuskripts offen-bar auf A Sentimental Journey Through France and Italy (1768), den bei Zeitgenossen sehr populären episodenhaften Roman von Laurence Sterne, der eine ganze Gattung von empfindsamen Reise-beschreibungen, geprägt von persönlichen Erfahrungen und Eindrücken, begründete.

7.1.5.4 Bildungsroman

Hildegunst von Mythenmetz erfährt aufgrund seiner Reise durch Buchhaim und die Katakomben Initation und Reifung, die mit einem Wissensgewinn und Erkenntnis verbunden sind. Daher kann der Roman auch als Spielart des Bildungsromans betrachtet werden. Bei Moers geschieht die Initiation, hier jene in die Perfektion der Dichtkunst, nachdem Hildegunsts Suche nach dem Autor des genialen Manuskripts, d

terwelt Buchhaims ge

wie seine Herkunft von der Lindwurmfeste es verlangt. Ein Teil seiner vollzogenen Reifung wird gezeigt, indem er sich in der Konfrontation mit den Gefährlichen Büchern als unerschrocken er-weist. Der Wissens- und Erkenntnisgewinn durch seine Lehrzeit beim Schattenkönig wird durch das Erlangen des Orm bestätigt.

7.1.5.5 Metafiktion

Im Roman wird auch mit Elementen der Metafiktionalität gespielt. Auf dem Sterbebett berichtet der Dichtpate von dem vollkommenen Manuskript und lässt es sich nicht nehmen, Hildegunst auf seine Art, ihm dies mitzuteilen, und die Situation, in der dies geschieht, aufmerksam zu machen:

„Die letzten Worte eines Sterbenden − und er will dir etwas Sensationelles mitteilen! Merk dir diesen Kunstgriff! Da kann keiner aufhören zu lesen! Keiner!“485 Diesen Kniff soll Hildegunst als Vorbild für sein eigenes Schreiben verwenden, doch er bewertet dieses Stilmittel als „trivialen Trick für Jahrmarktschriftsteller“486. An anderer Stelle verg

(2006), S. 18.

485 Moers 486 Ebd.

E öchte Hildegunst dieses Muster jedoch durchbrechen und

öse Kritik als auch das Publikum überzeugt hat, wie der Verkaufserfolg von HardCover, Taschenbuch und Hörbuch sowie begeisterte Leser-rez

-ratur, birgt aber auch einen literarischen Anspruch durch Zitate der Hochkultur, besonders der Lite

an-deren des Genres selbst, wertet so das Genre auf und enthebt es dem Vorwurf, bloße und

wo-mögli oers

z. T. inen

Roma

rzähler der vorliegenden Geschichte m

sich als Figur gar nicht erst in Gefahr begeben: „[I]ch war kein stupider Held, der zur Befriedigung niedriger Unterhaltungsbedürfnisse sein Leben riskierte!“487