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Insgesamt lässt die Betrachtung des Samples ein Bild entstehen, das im Goffman-schen Sinne eine sehr eingegrenzte Gruppierung zeigt. Gutsituierte, gut gebildete ältere Eltern des Mittelstandes, die bereits vor der Geburt ihrer Kinder aufgrund der familialen Konstellationen mit den Themen Religion, Glaube und Zugehörigkeit kon-frontiert waren und in irgendeiner Weise Stellung bezogen (hier ist sowohl eine Konfrontation aufgrund der familiären Sozialisation als auch hinsichtlich ihrer

Part-nerschaft denkbar - oder beides), meldeten sich eigeninitiativ zur Teilnahme an der Studie.

Es kann darüber hinaus vermutet werden, dass es sich bei den Interviewpartnern um hochgradig reflektierende Eltern handelt, die nicht nur den Kindergarten be-wusst wählten, sondern sich auch in der Frage der Elternschaft im Vorfeld eine Reihe von Gedanken gemacht haben. Sie sind vermutlich von der Relevanz ihrer Meinung überzeugt und sprechen sich selbst Kommunikationskompetenz zu.

Auch in anderen Lebenszusammenhängen waren diese Personen offensichtlich ge-zwungen, weitreichende Entscheidungen zu treffen und sich mit biographischen Veränderungen zu arrangieren – darauf verweisen die Wanderbewegungen. Sie sind aufgrund dessen vermutlich eher kontaktfreudig, initiativ und flexibel.

Bei den Narrationen kann demzufolge angenommen werden, dass es sich um reflek-tierte, eher argumentativ strukturierte, vorbereitete Formulierungen handelt. Im Vorfeld gab es vermutlich eine Reihe von Überlegungen, was zum Thema der Studie beigetragen werden soll, so dass wenig Eintauchen in Erinnerungen und Anekdo-ten zu erwarAnekdo-ten ist. Im Interview werden ‘Lösungen’ für den Umgang mit Religion und Glaube in der heutigen Gesellschaft bzw. in der eigenen Biographie angeboten, eventuell wird es Brüche in den Interviews geben oder "Vorher-Nachher-Texte", die den Umgang mit den Themen ‘Religion’, ‘Glaube’ und ‘Kirche’ verdeutlichen sollen.

Wir haben mit der Betrachtung der Gruppe der Gesprächspartner nun zunächst ers-te, nicht an der Narration überprüfte Thesen aufstellen können, ohne uns bereits auf der Ebene der Analyse zu bewegen. Noch geht es lediglich um die Stufe der Beo-bachtung und Mutmaßung, was sich für Texte hinter dieser Konstellation verbergen könnten. Trotzdem ist dieser Schritt außerordentlich bedeutsam, da die intensive Auseinandersetzung mit der Zusammensetzung des Samples davor bewahrt, bei der späteren Analyse dem Eindruck zu erliegen, hier handle es sich um generell ge-sellschaftlich typische Figuren des Handelns.

Exkurs III

Was ist ein Beleg?

Nachdem auf den letzten Seiten vom Erhebungsdesign so wie dem Sample die Rede war, und die sich hieraus ergebenden Interpretationen zur Diskussion gestellt wur-den, soll es in den nächsten Kapiteln darum gehen, Ergebnisse einzelner Analyseschritte zu präsentieren, die eine Rekonstruktion der Fälle als Basis für die angestrebte Fallkontrastierung ermöglichen. Es werden dann Interviewzitate und schriftlich festgehaltene Beobachtungen aus den Gesprächsprotokollen vorgestellt und damit Daten aus dem ‘wirklichen Leben’ mit Kontextwissen gemeinsam thema-tisiert.

Da stellt sich zwangsläufig die Frage, inwieweit das Anschauungsmaterial ein Be-leg für Analysen und daraus resultierende ‘Ergebnisse’ der Studie sein kann?

Natürlich ist der Grad der Abstraktion in den zur Anwendung gelangten Auswer-tungsstrategien unterschiedlich; bei der abschließenden Typenbildung bspw.

größer als bei der Fallrekonstruktion. Aber hier offenbaren sich meines Erachtens zwei Problembereiche, die durchaus gleich zu Beginn angesprochen werden sollten – noch bevor am Ende der Analyse ‘genetisch’ ‘heuristische’ Begriffe präsentiert werden – wie Weber es nennt (vgl. Weber 1904).

Der eine Grundgedanke betrifft die Ebenen der jeweils zur Darstellung kommenden

‘Daten’. Hier geht es mir vornehmlich um ihre Bewandtnis und ihr Zusammenspiel.

Der zweite Aspekt betrifft die Ergebnisdarstellung. Die „Ergebnisse qualitativer Forschung lassen sich häufig nicht ... prägnant präsentieren, ohne die ihnen eigene Komplexität zu vernachlässigen. Zentral geht es bei der Darstellung um das Prob-lem der Vermittlung von Interpretations- und Verallgemeinerungsprozessen“ (Flick 1995, 169). Ich werde hier in der gebotenen Kürze auf den Gegenstand der Ebenen der erhobenen Daten eingehen.

Da wäre vorab die Idee, eine vage Vorstellung darüber, wie die bewusste Wahl ei-nes konfessionellen Kindergartens in einer säkularen Gesellschaft begründet sein könnte, welche elterlichen Konzepte hinter dieser Entscheidung rekonstruierbar sind und welche Funktionen der gewählten Organisation zugeschrieben werden.

Nach der Planung und der sich daran anschließenden Durchführung des Projektes ergeben sich weitere Fragen und das erste Material liegt vor.

So gibt es zunächst ein zu beschreibendes Sample, das aufgrund von soziodemo-graphischen Angaben skizziert werden kann. Hier handelt es sich gewisser Weise um ‘Kontextwissen’, da die Angaben aufgrund verschiedener zur Verfügung ste-hender Informationen aus anderen Studien eingeordnet und interpretiert werden können. Es ist also hier von außen, durch den Forscher eingebrachtes Wissen not-wendig, um die Befragten gesamtgesellschaftlich zu verorten. Dieser Arbeitsschritt ist vor allem für die Rahmung der späteren Narrationsanalyse von Bedeutung. Deu-tungsrekonstruktionen lassen sich rekursiv in das Sample einbetten, womit es möglich wird, den ‘Fall’ dem historischen Milieu zuzugliedern und ihn zu ‘typisie-ren’. Darüber hinaus führt die sorgfältige Betrachtung des Samples zu weiteren Fragen, die dann gezielt am Textmaterial überprüft werden können oder zu Konse-quenzen hinsichtlich des weiteren Vorgehens führen. So lassen sich an dieser Stelle beispielsweise mögliche Anschlussuntersuchungen erkennen – wenn, wie in mei-nem Fall, das Untersuchungsfeld sehr homogen ist und schwerlich kontrastiv vorgegangen werden kann.

Auf entstehende Fragen können in der Folge vorläufige Antworten in Form von Hypothesen gesucht werden. Momentan bewegen wir uns also zum großen Teil auf der Ebene der, zunächst nicht überprüfbaren aber durch dokumentierte Angaben der Befragten und Kontextwissen des Forschers, begründeten Annahmen. Je nach Untersuchungsablauf können die erstellten Hypothesen durch weitere Beobachtun-gen überprüft werden – und damit den Status einer fundierten Annahme einnehmen – oder sie kommen über den Status der Hypothese nicht hinaus. Lässt sich der For-scher von theoretischen Überlegungen dieser Art leiten, kann das Sampling gegebenenfalls ausgedehnt werden. Eine Vorgehensweise die ich allerdings nicht angewendet habe.

Auch bei den bereits erwähnten Gesprächsnotizen befinden wir uns auf der Ebene der unüberprüfbaren Annahmen, noch mehr als zuvor. Denn war die Samplebe-schreibung zumindest durch demographische Angaben ‘abgesichert’, handelt es sich bei den Gesprächsnotizen um teilnehmende Beobachtungen, Beschreibungen eines subjektiven Eindrucks des Forschers.

Trotzdem sind diese Dokumente wichtig für das Gesamtkonzept der Auswertung, und dies hat zwei Gründe: Zum einen können in der Notiz räumliche Besonderhei-ten dokumentiert werden, die gerade im Fall meiner Untersuchung unter Umständen die spätere Analyse rahmt und auf sprachlich nicht fassbare Besonder-heiten zwischen den Befragten hinweist – etwa der Unterschied in der sichtbaren religiösen Symbolik in den jeweiligen Wohnungen. Zum anderen, das ist bereits er-wähnt worden, sind diese Gesprächsnotizen unerlässlich, um Vermutungen und Hypothesen nicht unkontrolliert in die Narrrationsanalyse mit hineinzutragen.

Einen völlig anders gearteter Sektor von Daten stellen die Interviewtranskripte dar.

Diese verschrifteten Narrationen sind für den Leser auf Wunsch zugänglich und in Gänze nachzulesen (vgl. Materialband I); sie gelten als Grundlage der Hypothesen-bildung und Analyse, da alle Interpretationen und präsentierten Ergebnisse am Text selbst überprüft werden können. Es geht nicht mehr um Beobachtungen und Eindrücke, sondern um vorliegendes Textmaterial, das von den Befragten im Inter-view produziert wurde. Aber sind diese Daten jetzt ‘mehr wert’ als die vorherigen?

Meines Erachtens trägt eine solche ‘Qualifizierung’ unterschiedlicher Datenebenen nicht dazu bei, dem Forschungsinteresse näher zu kommen. Vielmehr kann nur das Zusammenspiel der Fülle von gesammelten Informationen und deren sorgfältige Analyse am Ende ein facettenreiches Bild bieten, das über die Beweggründe der Befragten hinsichtlich der getroffenen Einrichtungswahl für ihre Kinder Auskunft gibt. Hierzu gehört auch, dass biographische Angaben aus den Narrationen mit in die Analyse einfließen, ein Umstand der den Beobachtungen anderer Studien ge-schuldet ist, der eigene Umgang mit Religion sei untrennbar mit der eigenen Biographie verknüpft aber auch daher rührt, dass viele Interviewpartner diese Kons-tellation sehr ausführlich im Interview thematisierten.

Bei der objektiven Hermeneutik wird häufig vom Einzelfall auf ‘die Allgemeinheit’

geschlossen aber obwohl ich mich ja vornehmlich an hermeneutischen Ansätzen orientierte, habe ich versucht, der Zusammenfassung typenbildende Zwischen-schritte in Anlehnung an Weber voran zu setzen (vgl. Weber 1904). Hier wären wir bereits bei der für den Leser notwendiger Weise nachvollziehbaren Darstellung der Analysen.

Die Aufgliederung der vorliegenden Narrationen kann niemals ‘real’ sein – das sollte immer mit in Betracht gezogen werden, wenn über Beobachtungen und Analysen

gesprochen wird. Die ‘Realität’, die mir der Gesprächspartner präsentiert, ist ja be-reits durch ihn vor-interpretiert und wird durch meine Analyse erneut auslegt (vgl.

Soeffner 1985). Doch auch wenn die rekonstruierten Fälle zunächst nur einen ‘be-schreibenden’ Status innerhalb des Forschungsgegenstandes einnehmen, stellen sie „sozialwissenschaftliche Auslegung [als] ... exemplarische Arbeit am Fall“ dar (Soeffner 1985, 118) und sind notwendig, um durch weitere Abstraktion eine gel-tende Typusstruktur zu rekonstruieren (vgl. Giegel et al. 1987, 408 ff.).

Die Darbietung erarbeiteten Materials kann sehr unterschiedlich aussehen. Aber für welche Form man sich auch entscheidet - Darstellung des ‘Notwendigsten’ oder ausführliche Präsentation von Datenmaterial – entscheidend ist, dass den Argumen-ten des Forschers Glaubwürdigkeit verliehen wird. Für ArbeiArgumen-ten, die im Sinne der objektiven Hermeneutik erstellt werden, ergibt sich spätestens hier das Problem, der Forderung nach Glaubwürdigkeit vor dem Hintergrund einer Fülle von unter-schiedlichen Analysemodi gerecht zu werden. ‘Rohes’ Datenmaterial wird dabei ohne analytischen Kommentar allerdings wenig beweiskräftig sein. "Im allgemeinen setzt man ... weitaus mehr Vertrauen in eine Verflechtung von diskursiven Aussa-gen ... und sorgfältig ausgewählten Datensegmenten. Diese bestehen vielleicht nur aus zitierten Sätzen in Verbindung mit den dazugehörigen theoretischen Bemer-kungen; es können auch sehr kurze Zitate oder Details aus dem Beobachtungsprotokoll sein, die auf einen systematisch aufgebauten theoretischen Punkt folgen" (Strauss 1994, 276).

Girtler erklärt diesbezüglich, dass er „die entsprechenden Abschnitte aus ... Beo-bachtungsprotokollen bzw. den Interviews“ zitiert, um auf diese Weise das

„Typische bzw. die typischen Regeln ... anschaulich und beweisbar zu machen“

(Girtler 1984, 146). Doch er betont selbst, dass es sich hier um eine ‘selektive Plau-sibilität’ handelt, da nur das zur Präsentation kommt, von dem er glaubt, es präsentiere „das Typische der entsprechenden Alltagswelt“ (Girtler 1984, 169).

Sobald analytische Abstraktionen entwickelt wurden, die auf der genauen Analyse der Daten gründen, bewegt man sich in gewisser Weise wieder von den Daten weg, um das Spezifische hervorzuheben. Hier besteht die Gefahr, dass paradigma-tische Elemente implizit bleiben oder in einem unsystemaparadigma-tischen Zusammenhang zu den untersuchten Phänomenen stehen. Um dem zu entgehen, wurden die Narra-tionen im letzten Analyseschritt Wort für Wort geprüft, Hypothesen erstellt,

Vergleiche angestellt, Ähnlichkeiten und Unterschiede exploriert. Trotzdem bleibt die Analyse vorläufig – bis zum Ende (Strauss ebd., 324).

Bei der endgültigen Darstellung ist dann nicht die Benennung von Kategorien und der dahinter liegenden Daten zentral, sondern die Bezugnahme zum gesamten

‘Bild’, das sich offenbart. Entscheidend für diese Arbeit ist auch, dass es sich bei dem Präsentierten nicht um Fallbeschreibungen handelt, sondern um Fallrekon-struktionen. Diese Unterscheidung ist relevant, da nicht versucht wird, eine Geschichte als solche zu erzählen; die Zeitlichkeit stellt also nicht das ordnende Prinzip dar.