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2.1. R ELIGION

2.1.1. Subjektivierung von Religion

Die theoretisch angenommene Entwicklung hin zur Subjektivierung erscheint mir im forschungsrelevanten Rahmen eine exponierte Stellung einzunehmen. Subjekti-vierung meint im Hinblick auf Religion zweierlei. Zum einen wird mit dieser Bezeichnung darauf verwiesen, dass nicht mehr der religiöse Experte, sondern jeder

22 Knoblauch versteht unter einer zunehmenden Subjektivierung die Bildung sozialer Strukturen und Gemeinschaften, die durchaus kein neues Phänomen darstellen, sondern den religiösen Typ von Vergemeinschaftung kennzeichnen, den Troeltsch mit dem Begriff der ‘Mystik’ beschrieb. Doch im Unterschied zu Troeltsch betont Knoblauch die Häufikeit zu beobachtender Subjektivierung (vgl.

Knoblauch 1997).

Einzelne tendenziell zum Spezialisten religiöser Erfahrung geworden ist (Soeffner 2000). Zum anderen beschreibt der Begriff den Umstand, dass sich Religion heute in der subjektiven Erfahrung bewähren muss, in ihr verortet ist und nicht mehr unbe-dingt als Sinngefüge der Gesellschaftsordnung generell gelten kann (Luckmann 1963).

Dem Einwand, Religion und Modernität seien zwei sich ausschließende Größen, „da eine Zentralinstanz, die die Welt im Innersten zusammenzuhalten imstande wäre, der Gesellschaftsstruktur der Moderne diametral widerspricht“ (Nassehi 1993, 3), begegnet Luckmann mit dem Argument, die moderne Gesellschaft erlaube zwar auf Grund ihres dezentralen und pluralistischen Aufbaus kein solches auf eine Spitze oder ein Zentrum hin ausgerichtetes Religionsverständnis mehr23, doch Religion fin-de sich nichtsfin-destotrotz „überall da, wo aus fin-dem Verhalten ... moralisch beurteilbare Handlungen werden“ (Luckmann 1991, 165). Für ihn wird subjektiver Glaube überall dort möglich – und nur dort – wo es zu Spannungen zwischen profa-nen und sakralen Daseinserfahrungen kommt (vgl. Luckmann 1963).

„Der starken Individualisierung und dem erheblichen Rollenpluralismus moderner Vergesellschaftung Rechnung tragend, siedelt Luckmann die Religion nun in der je individuellen Wirklichkeitsstruktur von Personen an, bei denen diejenigen psychi-schen Relevanzen religiöse Funktionen erfüllen, die als letzte Bedeutung erfahren werden. Das können nach Luckmann sowohl traditionale kirchlich-religiöse Inhalte sein, aber auch andere Wirklichkeitsbereiche, die durch sekundäre Institutionen vor allem massenmedial vermittelt werden“ (Nassehi 1993, 4).

Grundgedanke ist hier, dass der entstandene Interessenpluralismus auf der einen Seite dazu geführt hat, dass der Einzelne an Autonomie gewann – was auf der an-deren Seite bedeutet, dass er nun auch mehr Eigenverantwortung für sein Handeln entwickeln muss. 24 So werden Menschen nach Ansicht von Luckmann zu ‘Bastlern’

ihrer persönlichen Identität, was auch ihre Religiosität beinhaltet (vgl. Luckmann 1988).

Im Hinblick auf kirchliche Bindung betont er, Kirchen und ihre Sinndeutungen hät-ten zwar zunehmend an gesellschaftlicher Relevanz verloren und seien inzwischen

23 Siehe hierzu ausführlich Luckmann 1980, 161-172.

24 Siehe hierzu ausführlich auch Oevermann 1984.

lediglich ein ‘besonderer Ort’ für das System religiöser Denk- und Verhaltensformen (Luckmann 1963, 41), doch das Fehlen einer Unterstützung von ‘offizieller Seite’ ma-che die privaten Systeme auch fragil. Luckmann spricht hier die zunehmende Bedeutung der Privatsphäre an und den Umstand, dass neben dem offiziellen Mo-dell von Religion ein ganzes „Warenlager letzter Bedeutung für den einzelnen bereitsteht“ (Luckmann 1991, 145).

Er vertritt ein Konzept von Glauben, das mit ‘Sinngefüge’ ein menschliches Selbst-verständnis in der jeweiligen Daseinswelt meint (vgl. Luckmann 1963). Der Mensch, so ist sich Luckmann sicher, glaubt oder besser benötigt Glauben, um mit der kom-plexen Umwelt zurechtzukommen, um die Grundprobleme der Komplexitäts-reduktion menschlicher Erfahrung und Handlungsmöglichkeit zu bewerkstelligen.

Für ihn ist Religion dabei eine Möglichkeit, Umweltbeziehungen für den Einzelnen zu strukturieren und zu objektivieren; ‘Nicht-Alltäglichkeit’ in die Wirklichkeit mit einzubeziehen. Aus diesem Grund ist für Luckmann auch das Individuum nicht ‘sä-kularisierbar’, denn die Erfahrung des „Nicht-Ich“ bleibt immer bestehen, auch wenn institutionelle Religion gesellschaftlich an Einfluss verliert. Er lehnt vielmehr eine Betrachtung von Religion ab, die auf eine institutionalisierte Gestalt fixiert ist (Kreiner 1986, 164ff.) und somit sind seines Erachtens bspw. Entscheidungen wie Gut und Böse, Richtig oder Falsch keine einzeln zu verstehenden Alternativen, son-dern nur im Rahmen eines sozialen Gefüges fassbar (Luckmann 1963, 36).

Religion bietet für Luckmann eine Wirklichkeitskonstruktion an, die auftretende Grenzerfahrungen thematisiert und es dem Einzelnen ermöglicht, die eigene Natur sozial zu transzendieren, also persönliche Erfahrungen durch intersubjektiv soziale Erlebnisse zu überschreiten. Das menschliche Leben erfährt seines Erachtens Sinn-bezug durch das gesellschaftliche Dasein – ein isoliertes Individuum ist für Luckmann bloße Fiktion (vgl. Luckmann 1963).

Zentral für ihn ist auch der Aspekt der Kommunikation. Luckmann geht davon aus, dass Religiosität trotz ihrer ‘Unsichtbarkeit’ begrifflich fassbar ist, da sie eine be-sondere Form der symbolischen Kommunikation darstellt. Gerade in Face-To-Face-Situationen vollzieht sich Transzendenz – also das Ablösen von der eigenen Erfah-rung. Indem ein äußerer Blickwinkel mit in die eigene Betrachtung einbezogen wird, können subjektive Denkwege verlassen werden (vgl. Knoblauch 1997).

Doch die Kommunikation mit anderen birgt auch Gefahren – gerade im Bereich der religiösen Verständigung. Sprache, also ein Gefüge sinnvoller Lautungen, das in bestimmten Anordnungen Bedeutung hat (vgl. Luckmann 1984), ist im Alltagsleben verwurzelt. Doch lt. Luckmann ist Religion eine besondere konventionalisierte Form, die sich gegen den Alltag ausdifferenziert. Erfahrungen außerhalb der Alltagswelt werden damit kaum sprachlich vermittelbar, da erzählte Erfahrungen, die nicht selbst gemacht wurden, kaum nachvollziehbar sind. Der Sinnhorizont des außerall-täglichen Erlebnisses bleibt anderen damit unter Umständen verschlossen.

Luckmann thematisiert hier bereits einen Bereich ‘moderner’ Religiosität, die mei-nes Erachtens für die vorliegende Studie bedeutsam ist: Subjektive Religiosität ist zwar da und wird es aufgrund der vorangegangenen Überlegungen wohl auch im-mer sein, doch deren Vermittlung an Dritte wird zunehmend schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Zugehörigkeit bedeutet plötzlich nicht mehr Verbundenheit mit ei-ner sozialen Gruppe und Teilhabe an deren Überzeugungen, sondern Partizipation an Schemata des ‘Ich-Seins’ (vgl. Schulze 2001, 579 ff.).

Auch im Hinblick auf die hier relevante Gruppe der Eltern wird unter diesem Ge-sichtspunkt relevant, inwieweit Religion überhaupt (noch) Medium25 elterlicher Erziehung sein kann. Wenn die eigene, subjektive und institutionell ungebundene Religiosität kaum mehr vermittelbar erscheint, stellt sich nicht nur die Frage, wie eine konfessionelle Institution diese Aufgabe erfüllen soll sondern auch, welchen Stellenwert Religion hier erhält und was genau als Religion institutionalisiert wer-den kann (vgl. Luckmann 1963, 33 ff.). Entscheiwer-dend scheint zu sein, ob das, was als Religion im vorliegenden Beispiel institutionalisiert wird, eine gesellschaftliche oder lediglich personale Wirklichkeit besitzt, die von der religiösen Institution analytisch getrennt werden kann.

Weltansichten sind innere, subjektiv erfassbare Sinnkonfigurationen, die den Pro-zess der Wirklichkeitskonstruktion im Alltag ermöglichen (vgl. Luckmann 1988).

Doch was, wenn der Einzelne im Gebet keine Antwort mehr erhält? Wenn das Jen-seits ins DiesJen-seits verlegt wurde und sich organisierte Religion immer weiter von der Sachlogik anderer gesellschaftlicher Institutionen entfernt (vgl. Soeffner 2000)?

Christlicher Glaube versprach einst Erlösung aber der diesseitige Glaube an die

25 Zur medientheoretischen Entfaltung des bereits im Titel der Sudie gewählten Begriffs des ‘Medi-um’ siehe ausführlich Kap. 2.2.2.1 (Delegation von Erziehungszielen?).

planende Vernunft entwickelte eine Abwandlung von Moral. Früher hatten Religion, Moral und Recht einen gemeinsamen Standort in der Gesellschaft – die moralische Ordnung bezog Autorität aus dem Verweis auf ihren Ursprung in einer religiösen Wirklichkeit, das ist heute nicht mehr so (vgl. Luckmann 1998).

Wenn Transzendenz etwas ist, das kommuniziert wird und außerhalb des Wirklich-keitsbereichs liegt und gleichzeitig, laut Luckmann, immer schwerer sprachlich fassbar ist, stellt sich natürlich die Frage, was sich Eltern generell von der gewähl-ten Institution bzw. deren Organisation versprechen. Offensichtlich ist es zu Beginn der Studie eher kontraproduktiv, die nicht beobachtbare Kirchlichkeit der Eltern mit einer Abwendung institutioneller Religion gleichzusetzen. Bezogen auf die präsen-tierten religionstheoretischen Überlegungen ist Religiosität ohnehin nur noch selten gesellschaftlich sichtbar; somit ist vor der Rekonstruktion des zu erhebenden empi-rischen Materials auch nicht klar, ob beobachtbare Kirchenferne bedeutet, der Glaube ist subjektiviert oder aber die Befragten sind säkular orientiert.

Ich möchte den theoretischen Rahmen mit Blick auf das Forschungsinteresse an dieser Stelle noch über den Begriff der Religion hinaus auf gesellschaftlich beob-achtbaren Familienreligiosität und die abnehmende Kirchlichkeit ausweiten.