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Hier nehmen neben der Leiterin des gastgebenden Kinderhauses noch fünf Vertre-terinnen einer anderen Einrichtung sowie die übergeordnete Leiterin der Standorte teil.

Es hatten vor allem die Leiterinnen das Wort; die Erzieherinnen sprachen oft erst nach Aufforderung, dann aber sehr involviert und am Thema interessiert. Es ent-stand mitunter der Eindruck, dass die Anwesenheit der Leiterinnen das Gespräch bei manchen Aspekten hemmte. Wenn die Gesamtleitung sprach, gab es mitunter süffisantes Schmunzeln von Seiten der jüngeren Erzieherinnen, vor allem, wenn es um Pläne und Verbesserungskonzepte durch die Geschäftsleitung ging. Es wird in den Narrationen immer wieder deutlich, dass die Erzieherinnen nicht frei in ihren Äußerungen sind (im Hinblick auf die Gesamtleitung).

Insgesamt zieht sich durch das gesamte Gespräch eine sehr eklatante Trennung zwischen „Heile Welt“ (gastgebende Einrichtung) und „Brennpunkt“ (Gasteinrich-tung). Dabei wird immer wieder deutlich, wie sehr die Anwesenheit von ausländischen Kindern die Arbeit in der Einrichtung verändert und wie sehr die Qualität der Angebote im Kindergarten davon abhängt, wie viel Zeit die Eltern Zu-hause mit den Kindern verbringen und sie fördern.

Im ersten Teil des Gespräches geht es erneut um die Trägerreform (längster Teil, fast 80 Minuten); im zweiten Teil geht es auch in diesem Interview um religiöse Erziehung. Es wird sehr ausführlich von Seiten der Leiterinnen erklärt, was sie unter katholischer Erziehung verstehen und was das spezifisch Katholische in ihrer Arbeit ist. Es wird darüber hinaus eindeutig definiert, was katholische Erziehung von an-deren Religionen unterscheidet: Marienverehrung, Namenstage, Feste wie St.

Martin oder Nikolaus.

In der anwesenden Gasteinrichtung, so wird uns berichtet, habe man sich bewusst dafür entschieden, Feste anderer Religionen nicht aktiv zu gestalten. Zwar könnten die Kinder bspw. zum Zuckerfest Süßigkeiten mitbringen und es wird auch erklärt, worum es bei dem Fest geht, aber ansonsten beschränkt man sich auf katholische

Aktivitäten (gemäß des Auftrages). Die Erzieherinnen halten ihre Einstellung zum Teil auch beeinflusst durch ihre eigene katholische Sozialisation.

Insgesamt kann im gesamten Transkript aber rekonstruiert werden, dass sich die Beteiligten ihrer Position in mehreren Bereichen unsicher sind.

"wir leben die Religion. Also bei uns ist das halt, ähm, schwierig jetzt, weil es gibt nicht so viele Gebete. wie wir beten. Wir leben die Religion nach Je-sus, hoffe ich jetzt jedenfalls, dass es so ist, dass wir alle Menschen annehmen so wie sie sind. Und dass zu uns jeder kommen kann, egal wel-cher Herkunft, und dass wir wie das der Herr B2 ausgedrückt, dass wir JEDEM versuchen ein grundlegendes Wohlwollen entgegen zu bringen. Al-so quasi versuchen, die christliche Nächstenliebe zu leben, und das auch den Kindern zu vermitteln, diese soziale Kompetenz und Toleranz, ja. Rück-sichtnahme auch der Umgang mit der Natur, und das spiegelt sich im gesamten Alltag wieder, weil, wir halt versuchen vorzuleben. Wohl gemerkt wir versuchen das“

(573-581) Diese Unsicherheit erstreckt sich von der eigenen Glaubenseinstellung, über die in der Einrichtung vermittelten, dem Einvernehmen mit Kollegen und Vorgesetzten, hin zur konkreten Arbeitsauffassung und der eigenen Funktion hinsichtlich der an-vertrauten Kinder. Es geht um den gelebten Glaubensalltag und die Erwartungen, die an die Sprecherinnen angenommener bzw. erlebter Maßen von Eltern und Um-welt gestellt werden:

„Die auch zu uns kommen mit Themen Kinder und Tod, wenn jemand ge-storben ist, wie man da ein Kind begleiten kann, oder, wenn Hochzeit, Namenstag oder wie auch immer, sagen sie "Haben Sie nicht so ein Gebet-chen, oder irgendwas, GedichtGebet-chen," was aber auch so ein bissel passt.

Oder wenn äh, Hochzeit hatten wir unlängst, wollten also junge Leute auch eine Hochzeit mitgestalten, ob wir da was hätten“

(671-676) Die Kindergärtnerinnen thematisieren hier explizit den Bereich „Dienstleistung“

ihrer Arbeit. Der Kindergarten wird von den Eltern – so etikettieren sie es jedenfalls – zur Seelsorgeeinheit. Da Gottesdienste von der überwiegenden Mehrheit der Fa-milien nicht (mehr) besucht werden, ist nicht mehr die Pfarrei, sondern der Kindergarten Anlaufstelle.

Den Eltern geht es, so die Fremdeinschätzung der Sprecherinnen, um konkrete er-zieherische Handhabungen und eine konfessionelle Begleitung der Kinder, nicht um eine wie auch immer geartete Einführung in Glaubensbezüge. Hier zeigt sich sehr deutlich die gesellschaftlich etablierte „Passagereligiosität“. Die Kindergärtnerin-nen werden von den Familien als DienstleisterinKindergärtnerin-nen in Anspruch genommen, um

„Religion“ ohne inhaltlichen Bezug als schmückendes Beiwerk für familiale Ereig-nisse zu liefern. Die Arbeit soll demnach eine konkrete Aufgabe erfüllen: Der Kindergarten erhält die Funktion, für bestimmte Anlässe zugeschnittene Aktivitäten der Kinder zu fördern bzw. anzuleiten, eine Feier „schön“ machen, auch wenn die Passung aufgrund der fehlenden Verankerung von Religion im Alltag nur „so ein bissel“ ist.

Ein weiterer Aspekt verstärkt die thematisierte Unsicherheit noch. Die Situation mit ausländischen Kindern in der Einrichtung und die hierdurch entstehenden und er-lebten berufspraktischen Konsequenzen zeigen sich in der Befürchtung einer

„Überfremdung“. Hier lassen sich Parallelen zur Narration von Herrn F. identifizie-ren, wobei das Thema aus einer anderen Perspektive heraus in den Blickwinkel rückt:

„es wurde lange diskutiert, ob wir die anderen religiösen Feste auch feiern, (Husten) um zu vermitteln, dass wir diese Religion annehmen. Aber das ha-ben wir dann fallen lassen, weil wir ja doch eine katholische Einrichtung sind, haben wir uns gesagt, weil wir alle katholischen Glaubens sind und den Kindern eigentlich auch nur UNSEREN Glauben, unsere Wertvorstel-lungen vermitteln können. Wir können NICHT hingehen und können Wertvorstellungen vermitteln, die wir einfach nicht kennen, die wir nicht leben können“

(593-598) Zunächst wird von der Sprecherin klargestellt, dass über religiöse Unterweisung nicht ad hoc entschieden wird, sondern es hier um eine programmatische, konsens-geprüfte Entscheidung geht. Das Feiern anderer konfessioneller Feste wird hier gleichgesetzt mit dem Ausdruck einer zuvor proklamierten christlichen Haltung:

„dass wir alle Menschen annehmen so wie sie sind. Und dass zu uns jeder kommen kann, egal welcher Herkunft, und dass wir wie das der (Herr B2 ) ausgedrückt, dass wir JEDEM versuchen ein grundlegendes Wohlwollen entgegen zu bringen“

(575-578) - aber trotzdem verworfen. Der Begriff des „Annehmens“ erhält hier eine doppelte Bedeutung. Während „annehmen“ im Sinne von „akzeptieren“ kein rituelles Bege-hen von Festen voraussetzen würde, scheint hier die semantische Zuschreibung von „übernehmen“ implizit zu sein. Die Sprecherinnen befürchten offenbar, das Fei-ern nicht-christlicher Feste könnte katholische Zusammenhänge verwischen.

Interessant ist hier auch die Polarisierung von „wir“ mit „unserem Glauben“ auf der einen Seite und „andere religiöse Feste“ auf der anderen Seite. Die Konfession gibt einen äußeren Rahmen vor, der den Arbeitsalltag strukturiert. Es schwingt in der

Narration zwar ein Bedauern über die selbstauferlegte Begrenzung mit („eigentlich auch nur“), da sie offensichtlich nicht mit den eigenen Glaubensvorstellungen im Einklang steht, doch letztlich wird Glaube mit Wertvorstellungen gleichgesetzt und die Polarisierung damit noch einmal verstärkt. Es herrscht explizit die Vorstellung, aus dem katholischen Glauben würden Wertvorstellungen abgeleitet, die sich von anderen Konfessionen unterscheiden. Diese Annahme dient als Begründung, diese Glaubensrichtung anhand ihrer Festlichkeiten nicht problemlos vermitteln zu kön-nen. Es steht hier offenbar nicht zur Debatte, die zugeschriebener Maßen differenten Wertvorstellungen kennen zu lernen; eine etwaige Verknüpfung scheint für die Sprecherinnen ebenfalls ausgeschlossen. Bestehende Schwierigkeiten durch kulturelle Vermischung werden darüber hinaus nicht als Herausforderung angese-hen, sondern als Problem thematisiert. Katholische resp. christliche Religion befindet sich aus Sicht der Befragten viel mehr im Zustand der nötigen Bestands-bewahrung als der Ausbreitung. Auch hier ist eine Problematisierung von Ausländern im Sinne von Nicht-Christen und Sprache rekonstruierbar; es geht aber, anders als bei Herrn F., vordergründig weniger um ein kulturelles, sondern um ein arbeitstechnisches Argument:

„Gut, äh, mal zu Anfang ist mal die Einrichtung natürlich in Ordenshand.

Das ist klar, dass da Religion, oder der Inhalt da der Arbeit ist klar, ne? Wir haben also von Grund an den Kindern Religions- (nachdenklich) unterricht will ich fast sagen, gemacht, von der Bibel vom Anfang, von der Erschaffung der Welt, bis (: Jesus) von Anfang an. In dem Umfang können wir das nun wirklich nicht mehr. Wir können das auch aus dem Grund nicht, weil wir ja auch viele ausländische Kinder haben, die uns gar nicht VERSTEHEN, was wir sagen, was wir erzählen. DAS ist natürlich die zweite Schwierigkeit, die sprachliche Verständigung in der Richtung. Wir feiern die Feste, wie Frau B schon erzählt hat, wir singen mit den Kindern auch Lieder zu diesen Festen, was bei den Kindern gut ankommt, das machen sie halt gleich gerne nach.

Wir versuchen über Bilder, Bücher, Inhalte zu vermitteln, auch Bibelgeschichten von Jesus,“

(612-622) Auch deutsche Kinder, wie später noch thematisiert wird, wissen kaum oder nichts mehr über religiöse Bezüge, doch bei den ausländischen Kindern kommt zu der

‘fremden’ Konfessionalität noch die Sprachbarriere erschwerend hinzu, die das Ar-beiten aus Sicht der Sprecherin zu einer fast unlösbaren Aufgabe macht, will sie sich an Vorgaben des ihr vorstehenden Ordens halten.

Diese Konstellation wird aufgrund eines weiteren Aspekts außerordentlich relevant:

Die Kindergärtnerinnen thematisieren eigene Ansprüche und Vorstellungen, die mit

der täglich zu beobachtenden Realität nicht im Einklang stehen. In einer multikultu-rellen Gesellschaft ist es problematisch, ausschließlich katholische Vorstellungen gelten lassen zu wollen. Vor allem, wenn man sich ihrer, wie oben erwähnt, gar nicht sicher ist. Darüber hinaus wird Religion in einer konfessionellen Einrichtung wie dem Kindergarten zur öffentlichen Angelegenheit und tritt aus der eigenen Pri-vatheit heraus. Gleichzeitig findet sie im Privaten der anderen (Eltern, Umwelt) keine Unterstützung, die von den Befragten nicht nur vermisst sondern regelrecht gefordert wird:

„wir bemühen uns halt, aber Sie dürfen das nicht vergleichen mit einer Ein-richtung, die dann überwiegend deutsche Kinder haben und die natürlich auch ein ganz anderes Verständnis dafür haben, oder wo vielleicht von zu Hause noch ein bisschen was getan wird in der Richtung..."

I: "Den Eindruck haben Sie bei Ihren wenigen deutschen Kindern eher nicht.

G.: Nee, eher, nicht, ganz ganz wenig, dass von zu Hause nun noch jemand sagt, wir gehen sonntags in den Gottesdienst oder (Husten) oder ich kenne das, wenn wir fragen, was für ein Fest ist oder so, kommt ganz ganz wenig rüber. "

(623-630) Erneut wird die eigene Arbeit zunächst relativiert und implizit ein Vergleich abge-lehnt, der aber selbst thematisiert wird. Leistungsanforderungen können aufgrund des sozialen und ethnischen Umfeldes nach Ansicht der Sprecherin nicht an ihre Arbeit gestellt werden Auch hier latent eine Polarisierung bzw. die Zuspitzung dessen, was zuvor thematisiert wurde: Ausländische Kinder erzeugen eine Aus-nahmesituation – und dies hat auch oder besonders mit den desinteressierten und uninformierten Elternhäusern zu tun. Erneut die Konstruktion des Eigenen: Kinder haben zugeschriebener Maßen ein „ganz anderes Verständnis“ für christliche Be-züge, wenn Deutsche (Christen) unter sich sind.

Zentral aber hier der Hinweis, religiöse Erziehung im Kindergarten sei auf Unter-stützung durch die Familien angewiesen. Geäußerte Hoffnungen sind zwar vorhanden aber selbst dort, wo die ‘Verhältnisse’ angenommener Maßen günstiger für konfessionelle Erziehung sind, nicht allzu hoch; darauf verweisen Formulierun-gen wie „vielleicht“ oder „ein bisschen was“. Allerdings wird auf die Frage der Interviewerin klargestellt, dass die familialen Verhältnisse bezüglich konfessionel-len Wissens nicht ausschließlich auf die Nationalität zurückzuführen sind. Im Hinblick auf die erhoffte Unterstützung tritt die Nationalität in den Hintergrund – was nicht unbedingt intendiert ist: „nee, nee eher nicht, ganz ganz wenig“ ist re-konstruierbar als Abwehr der Frage, die vom Status der eindeutigen Verneinung

über eine Relativierung zur Aussage ohne Verneinung wird. Sprachlich wird damit das, was von deutschen Familien hinsichtlich einer konfessionellen Sozialisation getan wird, mehr: Erst nichts („nee, nee“), dann „eher nicht“ und schließlich „ein ganz wenig“. Hier scheint sich ein Herbeireden von gewünschter Unterstützung durch die Eltern rekonstruieren zu lassen.

5 Idealtypusorientierte Darstellung

Bei der Typisierung, die aufgrund der zuvor beschriebenen Arbeitsschritte erfolgte, ging es nicht darum, „textförmig vorliegendes Material zu ad hoc gebildeten Typen [zu] ordnen und diese dazu [zu] benutzen, Aussagen über die verschiedenen Ausprägungen ... zu machen“ (Gerhadt 1995, 436). Vielmehr entschied ich mich, auf Gemeinsamkeiten im Hinblick auf die Erwartungen der Eltern hinsichtlich des ge-wählten Kindergartens zu achten und in Betracht zu ziehen, welche Zuschreibungen hier rekonstruiert werden können. Es ging darum, welche Erzie-hungsziele Eltern mit einer konfessionellen Anbindung ihrer Kinder verbinden (können), wie die Begriffe Religion, Glaube und Kirche definiert werden (für sich und die Kinder), was sie unter ‘religiösen Inhalten’ in der Erziehung verstehen, welche Funktion sie Religion zuschreiben und schließlich, inwieweit institutionelle und subjektive Religion differenziert wird. Bei der Typisierung wurden auch Analyseer-gebnisse miteinbezogen, die im Rahmen der Interpretation des Samples, der thematischen Feldanalyse oder als Beobachtungen aus den Gesprächsnotizen erar-beitet wurden.

Betonen möchte ich hier noch einmal, dass die Rekonstruktionen im Rahmen eines homogenen sozialen Umfeldes zu sehen sind. Daher können die Typisierungen am Ende keine Aussage darüber treffen, inwieweit die Wahl des Kindergartens generell gesellschaftlich von Eltern in der hier vorliegenden Form thematisch eingebettet wird.74

74 Interessanter Weise werden aber eine Reihe von Aspekten meiner Analyse von sogenannten ‘re-präsentativen’ Studien der letzten Monate bestätigt (siehe hierzu bspw. Bauer 2005).