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2.1. R ELIGION

2.1.3. Kirchlichkeit und ihre möglichen Beweggründe

So eng Familienreligiosität theoretisch mit sichtbarer institutioneller Bindung ver-knüpft wird, so eindimensional wird auch Kirchlichkeit ausschließlich vor dem Hintergrund religiöser Beweggründe der Teilnehmenden diskutiert.

Umgangssprachlich der Ort des Gottesdienstbesuchs, umfasst der Begriff ‘Kirche’

theologisch gesehen weit mehr. Hier muss unterschieden werden, ob es sich um das römisch-katholische, reformatorische oder ökumenische Kirchenverständnis handelt (Schmid-Jenny 1995, 26ff).35 Interessanter Weise gibt es den Begriff ‘Kirche’

in der Bibel nicht. Statt dessen wird er mit dem der ‘Gemeinde’ gleichgesetzt. So spricht Jesus zu Simon Petrus "Und ich sage dir auch: Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen" (Bibel 1985: Matthäus 16, 18). So erklärt sich auch, dass Christen seit biblischen Zeiten ihre soziale Verbundenheit mit dem Begriff ‘Gemeinde’ bezeich-nen.

Folgt man diesen Überlegungen, hat Kirchlichkeit unter anderem etwas mit Ge-meinschaft (in der Gemeinde) zu tun; mit der hier sichtbaren ‘GeGe-meinschaft der Gläubigen’. Diese Sichtbarkeit hatte viele Jahrhunderte auch etwas mit Macht zu tun: Die Öffentlichkeit wusste, wer sich der Kirche zugehörig fühlt und ihre

35 Diese Unterscheidung möchte ich aber hier nicht ausführen, da es mir lediglich um eine sprach-lich genaue Differenzierung im Vergleich zu Religion geht.

sen vertritt bzw. für legitim erachtet. – auch wenn diese Wahrnehmbarkeit histo-risch gesehen nicht immer positive Effekte für die Beteiligten mit sich brachte.

Ist im heute vorherrschenden Sprachgebrauch Kirche vor allem der ‘Ort des Gottes-dienstes’, umfasst die Hinwendung zu ihr für viele auch die Orientierung am Gemeindeleben. So bedeutet die Bezeichnung, nicht kirchlich gebunden zu sein auch nicht nur, kein Mitglied einer Religionsgemeinschaft zu sein, sondern verweist darauf, dass es keine Teilhabe am Gemeindeleben gibt – was ja auch ohne Kir-chenmitgliedschaft möglich wäre.

Während Luther darauf beharrte, entscheidend sei der eigene Weg – nicht die Vor-gabe durch Papst und Kirche, auf den eigenen Glauben, die innere Überzeugung und die persönliche Gottesbeziehung komme es an – nicht auf das gehorsame Be-folgen kirchlicher Riten und Verpflichtungen, betonen heute (wieder) viele Kirchenvertreter: „Wer die biblische Tradition ernst nimmt, kommt an der Kirche nicht vorbei. Zwar offenbart sich Gott auch einzelnen Menschen, doch immer steht die Gemeinschaft im Mittelpunkt der Beziehung zwischen Mensch und Gott“

(Chrismon 2002, 26). Bereits in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts verwies Phil Bosmans darauf, es gäbe „auf Dauer ... Glauben nicht ohne Kirche... viele von uns, die sich als Christen bekennen, die Kirche, den Gottesdienst und die Zugehö-rigkeit zu einer Gemeinde aber nicht mehr wollen, leben noch davon, dass es diese Kirche einmal gegeben hat für sie ... Was aber wird aus unseren Kindern, wenn sie solche Stellen der Prägung gar nicht mehr kennen?“ (Fulbert 1998, 17-18). Bosmans Bedenken thematisieren den Aspekt der ‘Funktion’ der Kirche, statt sich lediglich mit ihrer gegenständlichen Bedeutung auseinander zu setzen. Für ihn steht die po-sitiv bewertete Orientierungsgewissheit durch die Institution im Vordergrund - eine Leistung der Institution für das Individuum.

Somit scheint Kirchlichkeit vor allem auf zwei Aspekte zu verweisen: Die Permanenz und sichtbare (für sich und andere) Hinwendung zu institutionellen Vorgaben aber auch die unter Umständen Sinn konstituierende Teilhabe an Gemeinschaft, der hier mögliche oder zumindest unterstellte mögliche Austausch mit anderen über Zweifel und Glaubensfragen; in jedem Fall das Kollektiverlebnis.36

36 Bezüglich eines offenbar gewünschten Austausches innerhalb einer Gemeinschaft möchte ich hier auf die aus Skandinavien kommenden ‘Thomasmessen’ verweisen, in deren Zentrum eine offene Phase der Gottesdienst-Form steht. Es geht darum, Zweifler und Ungläubige anzusprechen, die

Inwieweit es hierüber hinaus aber auch Zielrichtungen gibt, einen Gottesdienst zu besuchen bzw. an kirchlich organisierten Beschäftigungen oder Gemeindeaktivitä-ten teilzunehmen, die nicht religiös motiviert sind, darüber gibt es keine Untersuchungen. Es gibt, wie jetzt schon mehrfach erwähnt, Arbeiten zum Thema

‘Glaube ohne Kirche’ aber ob und wenn ja inwieweit es auch eine ‘Kirche ohne Glaube’ gibt, wird nicht diskutiert.

Meines Erachtens wäre es durchaus erhellend, in Anlehnung an Erving Goffman danach zu fragen, ob es neben der Ablehnung und dem sichtbaren Widerstand ei-ner Institution wie bspw. der Kirche gegenüber auch hier die Option eiei-ner

„sekundären Anpassung“ gibt (vgl. Goffman 1980), bei der zwar die Institution als solche ‘überlebt’, die ihr zugeschriebenen Funktionen aber völlig verschoben wer-den.

Auch die bereits erwähnten Überlegungen hinsichtlich einer beobachtbaren Säkula-risierung in Form einer Profanisierung (Fürstenberg 1999) könnten die noch vorhandene, wenn auch im historischen Vergleich reduzierte Kirchlichkeit in ein neues Licht rücken. Wenn schon der „empirische Befund einer differenzierten Kirch-lichkeit ... nicht, wie oft voreilig angenommen wird, in die Gleichung:

Säkularisierung = Entkirchlichung = Entchristlichung“ passt (ebd., 13), dann passt meines Erachtens auch die Gleichung ‘Kirchlichkeit = Gläubigkeit’ nicht. Stattdes-sen muss sehr genau untersucht werden, aus welchen Beweggründen heraus Kirchlichkeit entsteht.

Schließlich soll hier auf den Begriff der Institution und die sich hiermit beschäfti-genden Arbeiten eingegangen werden. Allerdings werde ich mich nicht mit der

‘Institution’ im Allgemeinen beschäftigen, sondern im Besonderen mit der Kirche und ihrer Unterorganisation Kindergarten. 37

unterschiedlichen Bedürfnisse der Teilnehmenden aufzugreifen und mit einzubeziehen. Die Predigt wird häufig nicht durch einen Pfarrer oder Priester gehalten, sondern von Menschen, die sich ohne theologische Ausbildung sehr persönlich Gedanken zu Glauben und Gott gemacht haben und die-se der anwedie-senden Gruppe näher bringen wollen. Im Anschluss gibt es fast immer eine Diskussion zur angebotenen ‘Predigt’.

37 Häufig werden organisierte Zusammenschlüsse auch als ‘Organisationen’ bezeichnet (Frey 1990).

Ich möchte hier aber unterscheiden, da meines Erachtens nur Institutionen den erforderlichen Ausgleich zwischen Akteuren einerseits und gesellschaftlichen Anforderungen und Erwartungen andererseits realisieren. Organisationen dagegen bilden eher ein Handlungsmuster aus, um die ihnen zugeschriebenen Aufgaben zu erfüllen (vgl. Rehberg 1994)