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„Gott der in uns ist und der mir die Möglichkeit gibt, Gutes zu tun“

Frau Z., geboren 1968 in Westdeutschland, lebt heute mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Sohn in einem kleinen Vorort von Berlin (ehemalige DDR). Sowohl sie als auch ihr Mann kommen aus Pfarrfamilien und stehen beruflich mit der christli-chen Kirche in engem Kontakt.

Auch wenn der Grundtenor der Selbständigkeit religiöser Bezüge im eigenen Leben erneut rekonstruierbar ist, unterscheidet sich die Narration doch in mehreren As-pekten erheblich von der vorherigen. Frau Z. steht beispielhaft für diejenigen Interviewpartner, die in der selbstpraktizierten Religion vor allem den Aspekt der Verantwortlichkeit betonen und damit in erster Linie die Außenwirkung thematisie-ren:

„ich glaube es ist einfach eine tiefe Religiosität und der Glaube daran, dass man nicht allein ist auf der Welt, dass es ähm, dieses, ähm, dieser der dar-aus resultierende Umgang mit mit sich selbst und mit den Menschen, denen man begegnet, dass das eigentlich etwas ist, was grundsätzlich in jedem Menschen stecken sollte“

(17/23-27) Der Glaube daran (oder die angenommene Gewissheit), nicht allein auf der Welt zu sein, bestimmt hier für die Interviewpartnerin den Umgang mit anderen. Dies wird mit einer ‘tiefen Religiosität’ in Verbindung gebracht. Auch hier, wie bereits bei an-deren Narrationen, wird Glaube bzw. Religiosität nicht spezifiziert, sondern verharrt im unpersönlichen „es“. Frau Z. hat offenbar Schwierigkeiten, klar zu formulieren, was sie ausdrücken will. Ich vermute, dass dies ein Hinweis darauf ist, inwieweit eigene Transzendenzerfahrungen nur bruchstückhaft vermittelbar sind, müssen sie doch mit Mitteln der Alltagssprache nahegebracht werden.

Gleichzeitig soll das Prinzip der Selbstverständlichkeit von Religion generalisiert werden, den Anspruch auf das einzig Richtige erhalten. Diese Einstellung zeigt sich auch bei der Frage nach der Intention für die Kindergartenwahl:

„das Aufwachsen in dem Bewusstsein, dass es nicht ich bin mir selbst der Nächste sondern es ist jemand anders da, der //((Husten)) // und ich muss nicht immer nur vor mir selbst Rechenschaft ablegen, sondern ich muss auch vor anderen, und vielleicht sogar auch vor Gott Rechenschaft ablegen was ich tue, einfach nur ein ganz anderes Bewusstsein lernen zu entwi-ckeln, die Begegnung mir meinetwegen (in mein? und Menschen ?) und was mir auch natürlich wichtig ist zu wissen, dass die Gemeinde also was für mich auch noch mal entscheidend war, immer ein Ort auch ist wo man

hingehen kann, //mhm// Menschen findet wo man aufgenommen wird, wo man Menschen findet, die ähm gleichgesinnt sind sag ich mal so“

(16/30-17/4)

„deswegen suche ich mir einen einen konfessionellen Kindergarten, dass das dort noch bewusster vermittelt wird den Kindern, //mhm// //mhm// und ähm, aber ich denke, dass das einfach grundsätzlich Dinge sind die ähm, die in jedem Kindergarten wichtig sind, egal ob er jetzt konfessionell ist o-der nicht, dass ich nur, ähm ,dass für mich eben dieser konkrete religiöse Zusammenhang wichtig ist, dass diese, ähm, dass eben aus diesem Glau-ben an den Gott, heraus, eine ähm, ein anderer Umgang entsteht, //mhm//

der Gott wirklich wichtig ist, für alle, egal ob sie nun das machen weil sie an Gott glauben oder weil sie an –“

(17/28-18/2) Frau Z. macht hier keinen Unterschied zwischen evangelisch und katholisch, wie sie überhaupt bemüht ist, Konfessionalität als etwas darzustellen, was sich nicht auf einige Menschen beschränkt, sondern genereller Bestandteil unserer Gesell-schaft ist. Das Gebot der christlichen Nächstenliebe wird hier von außen beschrieben; es geht um den Aspekt der Gemeinschaft, um das Wissen, nicht allein zu sein. Die institutionalisierten Glaubenseinrichtungen nehmen somit den Quasi-status des Elternhauses ein, den Fixpunkt, der die verbindende Atmosphäre erzeugt.

Ein weiterer Punkt scheint hier erwähnenswert, da er sich in eklatantem Maße von der Narration von Frau U. unterscheidet. Im Gegensatz zu ihr thematisiert Frau Z.

die Aufgabe der Eltern nicht in der Funktion der Wegbereitung. Hier gibt es eine höhere Instanz, die, wenn erforderlich, entscheidet, was ‘richtig’ oder ‘falsch’ ist, vor der Rechenschaft abgelegt wird. Dies entlastet die Beteiligten zwar ungemein, er-zeugt aber auch direkten Handlungsdruck und minimiert die Entscheidungsfreiheit der eigenen Kinder.

Insgesamt scheint mir aber zentral, dass nicht der Inhalt von Religion ins Zentrum gerückt wird, sondern ihre Wirkung und der Aspekt der Gemeinschaft. Genau diese Gesichtspunkte können nach Ermessen von Frau Z. aber zuhause nicht bewusst genug vermittelt werden (auch hier der Rückzug auf das unpersönliche ‘das’) – auch wenn die Wirkung von Religion semantisch alsbald von der konfessionellen auf die allgemeine Ebene transportiert wird. Frau Z. erhebt damit einen allgemeingültigen Anspruch auf gesellschaftliche Werte, die ihren Ursprung ihrer Meinung nach in der Religion haben. Somit ist für sie zwar das Vorhandensein von Religion überhaupt relevant, nicht aber deren ausdifferenzierte Richtung.

Insgesamt könnte grob verallgemeinert werden, dass Religion für ein Kollektivge-fühl steht, welches Zugehörigkeit erzeugt und das soziale Miteinander aufgrund einer angenommenen außerweltlichen Autorität strukturiert. Der einzelne ist ‘Teil des Ganzen’, womit individueller Glaube und Kirche/Gemeinde untrennbar mitein-ander verwoben sind. Diese durchaus funktionalistische Sichtweise zeigt sich auch bei der Frage nach der eigenen Gottesvorstellung:

„also ich hab aus meinem Elternhaus eine, sehr, ähm, lebensnahe Gottes-vorstellung mitbekommen, Gott der in uns ist und also der mir die Möglichkeit gibt Gutes zu tun, und mir dabei- also ein christliches Leben zu führen mit den Menschen denen man begegnet und lerne jetzt in der in anthroposophischen Zusammenhängen noch einmal eine ganz andere ähm, eine ganz andere Vorstellung von der Wesen- Gotteswesenheit die schon auch außerhalb existierte und entscheidenden Einfluss auf das was und wie sich der Mensch entwickelt hat, und was mit den Menschen passiert, und:

und das ist jetzt noch mal da was womit ich mich jetzt noch mal auseinan-dersetze“

(15/15-23) Frau Z. thematisiert im Kern einen Gegensatz von ‘Gott’ und ‘uns’ und benennt da-mit eine gewisse Konkurrenz. Semantisch ist dieser Absatz dem Sprachgebrauch im Protestantismus zuzuordnen, wobei es in erster Linie nicht um Glaubensvorstellun-gen, sondern um eine praktische Orientierung an möglichen bzw. vorgegebenen Handlungsoptionen eines Christen geht. Durch die thematisierte Ausbildung erhält die gelebte und durch das Elternhaus tradierte Praxis einen theoretischen Überbau, wird ‘offiziell vertretbar’.

Ging es bei der Narration von Frau U. noch darum, den Kindern mit Hilfe religiöser Sozialisation die eigenen (elterlichen) Vorstellungen nahe zu bringen und ihnen die Voraussetzungen für eine Entscheidung hinsichtlich der eigenen Orientierung zu bieten, liegt der Tenor hier bei der Vermittlung angenommener Maßen allgemein-gültiger und somit notwendiger Orientierungen, die mit Hilfe einer Gemeinschaft unterstützt und getragen werden. Offen bleibt, ob dies, einmal von der außerweltli-chen Autorität abgesehen, nicht auch ein anderes Kollektiv bieten könnte, das mit bindenden Statuten und theoretischen Bezügen seine Mitglieder zusammenhält und organisiert.