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3.5. A USWERTUNGSDESIGN

3.5.1. Die Gesprächsnotizen

Wie bereits erwähnt, wurden im Anschluss an die Interviews Notizen erstellt, um Vermutungen und Hypothesen nicht unkontrolliert in die hermeneutische Auswer-tung hineinzutragen aber auch, um spezifische, nicht unbedingt verbale Besonderheiten zu dokumentieren. Ziel der Gesprächsprotokolle ist es, Fragen auf-zuwerfen, von denen einige im Hinblick auf die spätere Textanalyse und den weiteren Verlauf der Studie generativ sind oder zumindest sein könnten. Viele Hypothesen sind in dieser Phase eher Andeutungen von Erwartbarem aber das Nachdenken über beobachtete ‘Entdeckungen’ lenkt die Aufmerksamkeit auf ein möglicherweise relevantes Phänomen – im Verhältnis zu bestimmten Daten aus an-deren Interviewsituationen.

Hat bereits die Betrachtung des Samples zu der Vermutung geführt, es wird sich textuell eher um rationale, argumentativ strukturierte Narrationen handeln, ver-stärkt ein Blick auf die erstellten Vermerke diesen Eindruck. Bei den Notizen gehörten zur Beschreibung der jeweiligen Interviewsituation und der häuslichen Umgebung auch eine erste Einschätzung der erwartbaren thematischen Felder und möglicherweise überwiegenden Textsorten.

Es fällt auf, dass einige Aspekte unabhängig voneinander immer wieder erwähnt werden und sich so ein Bild von offenbar analogen Gesprächen abzeichnet. Einige

Narrationen orientieren sich in ihrer Argumentation eindeutig an Dritten. Bei diesen Sprechern werden Erzählsequenzen voraussichtlich vor allem dann zu identifizieren sein, wenn es um die ‘Suche nach dem Sinn des Lebens’ geht – das lassen zumin-dest die Randbemerkungen vermuten. Gemeinsam scheint diesen Narrationen auch, dass Argumentationen offensichtlich dazu dienen sollen, sich zu positionieren bzw. dem Gesprächsgegenüber das eigene thematisierte Verhalten plausibel zu machen. Die Institution Kirche wird hier auf den ersten Blick vor allem in ihrer Funk-tion der Gemeinschaft angesprochen und mit der Gemeinde gleichgesetzt. Es wurde in den Notizen immer wieder vermerkt, dass das Thema Religion in der Bio-graphie des Sprechers eine exponierte Stellung einnahm und bereits vor der Geburt der forschungsrelevanten Kinder wesentlich war.63 Es kann vermutet werden, dass die Sprecher zum Zeitpunkt des Interviews eine Lösung im Umgang mit dem Thema für sich gefunden haben und diese auch präsentieren.

Im Hinblick auf die Hypothesen zu Sample und Interviewführung verdichtet sich hier der Eindruck, dass es sich in dieser Gruppe von Interviews um überlegte, re-flektierte Texte handeln wird. Darüber hinaus sind hier offenbar Narrationen zu finden, deren Text am ehesten mit einem biographischen Interview vergleichbar zu sein scheint; statt um die eigenen Kinder und die Entscheidung hinsichtlich des Kindergartens geht es lt. Notizen sehr viel stärker um die eigene Person.

Ein Blick auf die häusliche Umgebung zeigt hier ein hohes Maß an Symbolik (Kreu-ze, Engel, Türsprüche). Dies lässt vermuten, dass der Außenwelt auch auf diese Weise vermittelt werden soll, man sei ‘auf dem rechten Weg’.

Eine weitere Gruppe von Narrationen scheint aufgrund der Gesprächsnotizen ihren christlichen Glauben als etwas Unzweifelhaftes zu präsentieren, über das nicht vie-le Worte gemacht werden muss bzw. kann. Es ist nicht zu erwarten, dass diese Gesprächspartner in Erzählungen eintauchen – genau aus der Vermutung heraus, dass sie ihrem Glauben keine exponierte Stellung im Leben zuschreiben. Wenn es doch Erzählsequenzen gibt, könnte erwartet werden, dass sich diese um die eigene Kindheit und die religiöse Sozialisation drehen. Interessant ist hier der Aspekt, dass bereits in den Gesprächsnotizen darauf hingewiesen wird, dass das Thema Glaube hinsichtlich der Partnerschaft ständig reflektiert und bearbeitet wird. Bezüglich der

63 Hier scheinen sich auf den ersten Blick die Beobachtungen von Krech und Schlegel abzuzeichnen (vgl. Krech, Schlegel 1998 und Krech 1993).

zu erwartenden Textstruktur verdichten sich hier die Annahmen, dass es sich um Formulierungen ohne Erzählfluss handeln wird, wobei der Grund sicher nicht in der Eingangsfrage zu suchen sein dürfte. Die Räumlichkeiten sind hinsichtlich religiöser Zeichen eher schlicht gehalten. In einigen Wohnungen gab es Kreuze aber die Wahrnehmbarkeit des Glaubens war verhalten. Dies, so kann vermutet werden, hängt nicht zuletzt mit der Partnerschaft zusammen.

Die dritte hier unterscheidbare Schar von Narrationen scheint vor allem die in ihren Augen erfolgreich verlaufende Suche nach Lebenssinn in das Zentrum des Inter-views zu stellen und ausführlich zu schildern. Hier lassen die Aufzeichnungen vermuten, dass regelrechte Konversionserzählungen präsentiert werden, bei denen biographiestrukturierende Zäsuren thematisiert werden (vgl. Gärtner 1998). Die Texte werden eventuell durch große Detailkenntnis im Hinblick auf religionsspezifi-sche Riten und historireligionsspezifi-sches Wissen auffallen und dem Interviewer zu vermitteln versuchen, der Sprecher sei ‘endlich angekommen’. Aufgrund einiger Notizen kann hier auch konstruiert werden, dass die Gesprächspartner versuchen werden, die Interviewerin zu überzeugen und ‘auf den rechten Weg’ zu bringen. Räumlich gibt es hier Überschneidungen mit der ersten Gruppe; eine Reihe deutlich sichtbarer Symbole und offenliegender Literatur wurden vermerkt.

Einige Gesprächsnotizen lassen vermuten, die Sprecher verstünden die Interviewsi-tuation als quasi öffentliche Plattform zur Vermittlung eigener Ansichten. Sie scheinen von der Relevanz ihrer Meinung überzeugt, argumentieren anscheinend reflektiert und treten bewusst intellektuell auf, da es ihnen offenbar nicht darum geht, eigene Erfahrungen weiterzugeben, sondern um die Erläuterung eines, ihrer Meinung nach, gesellschaftlich zwingenden Umgangs mit christlicher Religion. Es ist zu vermuten, dass auch der Text diese Intention widerspiegelt und sich vor al-lem durch Rationalität und Vorbereitung auszeichnet. Der zu erwartende Text wird kein Eintauchen in Erzählungen ermöglichen, sondern strukturiert und stringent sein. In den Notizen fällt auf, dass bereits hier vermerkt wurde, inwieweit sich die Interviewpartner über den Umgang mit ihren Kindern im Vorfeld Gedanken ge-macht haben. Die Räumlichkeiten zeigen keinerlei christliche Symbolik, was nicht weiter verwundert.

Eine letzte Gruppe vereint einen Großteil der Interviewpartner und unterscheidet sich zum jetzigen Zeitpunkt von den anderen vor allem durch die Unsicherheit bei

Detail- und Wissensfragen hinsichtlich religiöser Praktiken und Festivitäten. Häufig wurde vermerkt, Glaube sei thematisiert als Möglichkeit, Verantwortung ab-zugeben. Der Text wird eventuell vor allem Argumentationssequenzen beinhalten, um die eigene Position zu stärken. Der Prozess der Auseinandersetzung mit Religi-on und Glaube scheint noch anzudauern oder hat gerade erst begReligi-onnen. Auffällig hier auch der Vergleich zum eigenen Elternhaus mit der Betonung der Differenz zur Erziehung der eigenen Kinder. Symbole sind hier in den Wohnungen ebenfalls nicht zu finden; allerdings ist hier auch die überwiegende Zahl derjenigen Gesprächs-partner, die keine ‘Hausführung’ veranstalteten.

Diese Betrachtung macht bei aller inhärenten Vermutung und nicht abgesichertern Gliederungen eines ganz deutlich: Bei der Sequenzanalyse muss ein besonderes Augenmerk auf die Passagen gerichtet werden, in denen die Sprecher explizit über Religion und Glaube sprechen. Hier wird zu analysieren sein, wie diese Begriffe in-haltlich gefüllt und definiert werden bzw. in welchem thematischen Feld sie in Erscheinung treten.

Bereits die Gesprächsnotizen deuten an, inwieweit das empirische Material eine Fülle von Repliken enthält, die unter Umständen weit über das Erkenntnisinteresse der Studie hinausweisen

Die Transkription

Um überhaupt mit der Analyse der Narrationen im hermeneutischen Sinne begin-nen zu könbegin-nen, wird das auf Tonband aufgenommene Gespräch transkribiert. Es wird darauf geachtet, dass die gesamte Aufzeichnung wortwörtlich und ohne Aus-lassungen transkribiert wird. Hier gelten die Regeln der Schriftsprache nicht, da Satzzeichen phonologische Phänomene kennzeichnen sollen. Der so entstehende Text gibt darüber hinaus auch Auskunft über nonverbale Phänomene (etwa Weinen, Lachen, tiefes Atmen etc.), hält Sprechpausen oder Unterbrechungen fest und zeigt unterschiedliche Betonungen, die später für die Sequenzanalyse von Bedeutung sind.64

64 Im Materialband I befinden sich sowohl die Transkripte aller analysierten Interviews als auch eine kurze Legende der wichtigsten verwendeten Transkriptionsregeln.