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2.2.2. Der Kindergarten

2.2.2.1. Delegation von Erziehungszielen?

Werden Kinder außerhalb der Familie sozialisiert (bspw. in einer Betreuungseinrich-tung wie dem Kindergarten), ist das Grundgedanke der ‘Delegation’ immer auch latent gegenwärtig. Zuständigkeiten, Leistungen, Befugnisse oder einzelne Aufga-ben und Zielvorstellungen auf andere zu übertragen – und zwar im Bewusstsein oder zumindest in der Annahme, die eigenen Einstellungen fänden Berücksichti-gung.

Es soll im Folgenden nicht darum gehen, warum Eltern überhaupt eine Einrichtung zur Unterstützung bei der Sozialisation ihrer Kinder in Anspruch nehmen; dies er-gibt sich meines Erachtens vornehmlich aus wirtschaftlichen, beruflichen und lebenspraktischen Gegebenheiten. Dass bspw. für die Ausübung eines Berufes ein Kindergartenplatz notwenig ist und auch im Hinblick auf das Sozialverhalten von

Kindern durchaus Vorteile bringt, ist unbestritten.42 Klärungswürdig ist hier theore-tisch vielmehr, warum für die Betreuung der eigen Kinder explizit eine konfessionell gebundene Administration in Betracht gezogen wird, was hier aus Sicht der Eltern delegiert werden kann und soll. Geht es bspw. um die Delegation von Wert- und Normerziehung an eine Einrichtung, die öffentlich eine spezielle Weltanschauung vertritt, die in der institutionalisierten Form für die Eltern nicht (mehr) unbedingt relevant ist?

In diesem Zusammenhang ist auch der im Titel der Arbeit verwendete Term des

‘Mediums von Erziehung’ zu sehen. Diese Formulierung wurde sehr bewusst ge-wählt, da es zu klären gilt, ob Religion im Rahmen der Delegation von Erziehungsaufgaben und –zielen eventuell eine Substitutenrolle einnimmt bzw. zu-geschrieben wird.

Der Begriff, der lateinischen Ursprungs ist und begriffsgeschichtlich unter anderem eine Person bezeichnet, die durch bestimmte Ereignisse mit einer außerweltlichen Sphäre in Kontakt treten kann, bedeutet übersetzt „Mitte“ (Duden Fremdwörter-buch 1990, 488 ff.). Die philosophische Betrachtung des Terms ist verbunden mit der Assoziation, das Medium sei ein Überträger, ein Mittel (vgl. Mc Luhan 1969). In der sich daraus erklärenden Tradition hat das Medium die Rolle einer ‘Zwischenursa-che’ , das heißt die Rolle dessen, was der Grund dafür ist, dass eine Absicht Wirklichkeit erreicht (vgl. Khurana 2002). Heider war der erste, der im Rahmen einer Wahrnehmungstheorie zwischen ‘Ding’ und ‘Medium’ unterschied (vgl. Heider 1926), worauf Luhmann sich explizit bezieht, wenn er einen distinktiven Medien-begriff formuliert (vgl. Luhmann 1986a). Für Luhmann – und das scheint mir evident in der hier gebrauchten Verwendung des Begriffs – ist ein Medium nie etwas ‘an sich selbst’, sondern immer nur im Bezug auf etwas anderes. Ein Medium ist somit nur Medium in Bezugnahme auf bestimmte Formen – wie auch diese rückbezüglich nur als Form in Beziehung auf ihr Medium gesehen werden kann.

Hinsichtlich der hier gebrauchten Semantik könnte somit zur Diskussion gestellt werden, inwieweit Religion als ‘Medium’ nie an sich selbst zu erkennen und singu-lär präsent ist, sondern nur an der je aktuellen Form – hier zu rekonstruierende

42 Die Relevanz von Kindergärten ist ja bspw. anhand der andauernden öffentlichen Diskussion und dem gesetzlich geregeltem Anspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab dem dritten Le-bensjahr abzulesen.

Erziehungsziele der Eltern – identifizierbar wird. Dies deutet an, dass die Studie hinterfragt, inwieweit Religion in der Erziehung durch die Eltern den Status eines Substituts erhält. So könnten Erziehungsaspekte von Seiten der Eltern aus der eige-nen Verantwortlichkeit herausgelöst und an eine andere ‘Stelle’ oder ‘Sphäre’

delegiert werden. Es gäbe dann zu klären, wofür Religion als Stellvertreterin fun-giert; ob es sich bspw. um religiöse (wie der Begriff annehmen lässt) oder areligiöse Erziehungsbelange handelt.

Doch wendet man sich erneut dem Aspekt der ‘Delegation’ zu, kommt man „nicht an der Frage vorbei, wozu denn der Mensch erzogen werden soll“ (Lassahn 2000, 20). Dies bedeutet unter anderem, dass sich im Erziehungshandeln Ziele und Vor-stellungen der Agierenden43 widerspiegeln, die historisch spezifische Formen des Verhältnisses zu den eigenen Nachkommen sichtbar machen (vgl. Honig 1999, 29ff.). Menschen versuchen „die objektivierte Sinnhaftigkeit institutionalen Han-delns“ (Berger, Luckmann 1992, 75) ihren Vorstellungen gemäß weiterzureichen.

Hier sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass sich die am Erziehungsprozess beteiligten Generationen nicht ‘pur’ gegenüberstehen. Immer ist das Erziehungs-verhältnis gesellschaftlich organisiert und instrumentiert (etwa durch Betreuungseinrichtungen, Schule, Ausbildung etc.). Gerade diesbezüglich beschäf-tigen sich viele Erziehungswissenschaftler und –soziologen mit der Frage, wie stark Erziehungsziele, -inhalte und –methoden von gesellschaftlichen Gruppen und Ent-wicklungen determiniert werden (vgl. Bourdieu, Passeron 1971; Hurrelmann, Ulich 1975; Preuß-Lausitz et al. 1983; Honig 1999).

Die Frage bleibt, was im vorliegenden Exempel delegiert werden kann bzw. soll. Im Verlauf der Erziehung geht es auch um die Vermittlung gesellschaftlich anerkannter Werte, Normen und Handlungsmuster, um den ‘Zöglingen’ soziale Handlungsfähig-keit mit auf den Weg zu geben, die immer in AbhängigHandlungsfähig-keit zur Umwelt steht. Doch verbleibt man bei der elterlichen Erziehung, der „als Pflicht anerkannte[n] Sorge um einen anderen“ (Kaufmann 1992, 391), geht es bei der Wahlentscheidung hinsicht-lich des Kindergartens um eine gewollte Einbeziehung; eine bewusste zeitweise

43 Eine allgemeingültige theoretische Abgrenzung zwischen Familien- und Verwandtenkreis gibt es bis heute nicht. Daher – und da es in der vorliegenden Studie um Entscheidungen der Eltern geht – werde ich den Begriff der Familie wenn möglich vermeiden und stattdessen über Eltern resp. Müt-ter und VäMüt-ter sprechen.

Übertragung von Aufgaben an eine konfessionelle Organisation und nicht um die unabwendbaren Bezüge zum gesellschaftlichen Lebensraum.

Wenn Lernen tatsächlich auf „vorrationalen weltanschaulichen Voraussetzungen“

basiert (Fraas 2000, 19) und Sozialisation beinhaltet, dass Normen und Werte ver-mittelt werden, die einen sozial verbindlichen Rahmen schaffen, der gesellschaftliches Miteinander ermöglichen soll (vgl. Goffman 1980), bleibt offen, warum Eltern die Vermittlung weltanschaulicher Einstellungen einer konfessionel-len Einrichtung übertragen. Wenn davon ausgegangen wird, dass sie von der gewählten Einrichtung annehmen, sie agiere in ihrem Sinne, bedeutete das bei sä-kularisierten Eltern unter Umständen, dass ihre Lebenseinstellung auch ohne eigene Kirchenbindung entweder religiöse Züge trägt oder aber, dass sie dem kon-fessionellen Kindergarten keine religiösen Ansichten zuschreiben. Was also verbinden Eltern mit ‘religiöser Erziehung’, die ja nachweislich in den von ihnen gewählten Kindergärten stattfindet bzw. von den Einrichtungen so benannt wird?

Diese „heuristischen Fiktionen“ (Berger, Luckmann 1992, 85) tragen eventuell zur Erhellung des Sachverhaltes bei, skizzieren sie doch zwei Extreme, die so nicht re-konstruierbar sein werden. Aber eventuell kann ‘zwischenliegend’ der Beweggrund von Eltern gefunden werden, eine konfessionelle Einrichtung zur Betreuung und Erziehung ihrer Kinder zu wählen. Eine Möglichkeit besteht meines Erachtens dar-in, dass sich die Qualität des Religiösen aufgrund der Verlagerung ins Persönlich-Subjektive stark verändert hat und damit die Tradierung großer Transzendenzen fast unmöglich erscheint. Aus diesem Grund könnte diese Aufgabe bzw. diese In-tention ‘ausgelagert’ und an eine hierfür zugeschriebener Maßen prädestinierte Einrichtung übertragen werden.

Fassen wir zusammen, was bisher über religiöse Sozialisation, Kirchlichkeit, familia-le Bezüge zur Religion und ihre beobachtbare Funktionsverschiebung zusammengetragen wurde, bleibt die Frage, welche Aufgaben Religion bzw. einer kirchlich gebundenen Einrichtung zugeschrieben werden – allerdings mit der Nu-ance, dass es sich hier um eine oder mehrere Funktionen handelt, die aus dem eigenen Handlungsfeld heraus verlagert werden. Wenn Weltanschauungen, wie Luckmann betont, innere subjektiv erfassbare Sinnkonfigurationen sind (vgl. Luck-mann 1988), könnte hier der ‘Schlüssel’ zu finden sein. Eltern übertragen dem konfessionellen Kindergarten die Aufgabe, ihren Kindern Erfahrungen von

Sinnfor-men zu vermitteln – also im Grunde eine sehr intime Erziehungsaufgabe. Geht es am Ende doch darum, dass Eltern in kirchlich gebundenen Einrichtungen eine Ver-mittlung von Moral vermuten und diese auch in Anspruch nehmen? Dies würde den Beobachtungen von Fürstenberg widersprechen, wäre aber denkbar (vgl. Fürsten-berg 1999). Oder aber, sind religiöse Bezüge im Rahmen von Erziehungsaufgaben bereits durch die Eltern in eine profane Richtung verschoben worden, indem der gewählten Einrichtung areligiöse Funktionen zugeschrieben werden und die erhoff-te Vermittlung von Weltansicherhoff-ten nicht mehr religiös begründet werden?

Wenn zu Beginn die Rede davon war, es ginge um die spezifische, paradox anmu-tende Wahlentscheidung kirchlich nicht gebundener Eltern im Hinblick auf ihre Kinder und vor dem Hintergrund der (zugeschriebenen) Funktion von Religion im Erziehungsprozess, muss dieses Erkenntnisinteresse nach Sondierung des For-schungsstandes und den vorliegenden Theorien meines Erachtens ausgeweitet bzw. reformuliert werden:

Es soll eruiert werden, wie christliche Religion als Konzept von Elterlichkeit im El-tern-Kind-Verhältnis repräsentiert ist bzw. von den Eltern verortet wird. Welche Vorstellungen, Wünsche oder Ziele verbinden sie mit der Erziehungsdimension Re-ligion bzw. versuchen sie mit ihrer Hilfe zu übermitteln? Welche Motivstrukturen führen zu der (partnerschaftlichen) Entscheidung für oder gegen einen konfessionel-len Kindergarten?

Dass es hier ausschließlich um christliche Religion in Deutschland geht, ergibt sich als logische Konsequenz daraus, dass ich a) ausschließlich Eltern in Deutschland befragt habe, b) die Entwicklung der Religion in Europa nicht vergleichbar ist mit anderen modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften anderer Staaten (Casanova 1996, 184) und c) konfessionelle Kindergärten praktisch ausschließlich von christli-chen Kirchristli-chen angeboten werden.

Mich interessiert, wie das säkulare Konzept von Religiosität in der elterlichen Erzie-hung aussieht, wobei ich drei Ebenen berücksichtigen werde:

(a) Mit Blick auf die Eltern-Kind-Beziehung frage ich danach, ob ein säkularer Um-gang mit institutioneller Religion biographisch rekonstruierbar ist und, wenn ja, wie er sich in elterlichen Handlungs- und Orientierungsmustern offenbart. Kann ausschließlich die Biographie der Eltern eine Erklärung für die getroffene

Ent-scheidung hinsichtlich der institutionellen Anbindung der nächsten Generation liefern oder sind hier auch andere Aspekte bspw. lebensweltliche relevant?

(b) Mit Blick auf den Erziehungsgedanken, interessiert mich vor allem, wie elterli-che Erziehungsziele am Beispiel der konfessionellen Sozialisation motiviert sind. Wie definieren Eltern Religion resp. kirchlich gebundene Religion im Hin-blick auf ihre Kinder? Was verstehen sie unter "religiösen Inhalten" bezüglich deren Sozialisation? Wie sieht der Umgang mit religiösen Themen im Eltern-haus selbst aus? Ist kirchlich gebundene Religion für Eltern Überbringerin ethischer Maßstäbe, gesellschaftlich anerkannter Werte und Normen oder ver-bergen sich hinter dem Wunsch, die eigenen Kinder mit dem Christentum in dieser Form vertraut zu machen, andere Intentionen? Welche Rolle übernimmt demnach heute Religion im Rahmen elterlicher Erziehung?44

(c) Die letzte Ebene soll der Bezug zur gewählten Institution (Kirche) bzw. deren Organisation (Kindergarten) darstellen. Was erwarten Eltern von einer frühkind-lichen konfessionellen Bildungs- und Betreuungseinrichtung im Hinblick auf eine Vermittlung? Welche Funktion schreiben sie dem Kindergarten als kirchli-cher Institution zu? Wie ist die Abgabe der Obliegenheit religiöser Sozialisation motiviert; das heißt, wie ist die Skepsis – vorausgesetzt es gibt sie – in die ei-genen Fähigkeiten mit Blick auf konfessionelle Aspekte der Erziehung zu deuten?

Die Forschungsfrage kann meines Erachtens demnach wie folgt reformuliert wer-den:

In der vorliegenden Studie geht es um die Wahlentscheidung von Eltern im Hinblick auf ihre Kinder am Beispiel des konfessionellen Kindergartens und die sich daran anschließende Frage, ob die bewusste Wahl einer konfessionellen Einrichtung vor dem Hintergrund der Funktionszuschreibung von Religion mit Blick auf den Erziehungsprozess bei säkularen Eltern tatsächlich profan bzw.

bei kirchlich gebundenen Eltern religiös begründet wird.

44 Inspiriert wurde ich hier auch von Überlegungen und Forschungsergebnissen der Projektarbeit der Bertelsmann Stiftung zur „Geistigen Orientierung“, in denen Keppler-Seel und Knoblauch betonen, Familien würden „nur noch in den wenigsten Fällen über einen Satz ethischer oder moralischer Regeln verfügen“ (Keppler-Seel, Knoblauch 1998, 93).

Zentral ist hierbei der Gedanke, dass es in den vorhandenen Religionstheorien ge-nerell um die erwachsene Person und ihren jeweils spezifischen Ertrag bei der Hinwendung zu Religion geht, während ich mich mit der Frage beschäftige, welche Begründungen bei der Einführung in Religion von Kindern – also Dritten – mit Hilfe einer öffentlich konfessionellen Einrichtung rekonstruiert werden können und was dieses Konstrukt für den Stellenwert von Religion in der unsrigen Gesellschaft be-deuten kann.

Die theoretische Unterscheidung der religionssoziologischen Ansätze Webers und Durkheims soll dabei nicht Ausgangspunkt der theoretischen Ableitung sein, son-dern vielmehr als weitere These fungieren. Es kann meines Erachtens nicht darum gehen, inwieweit subjektive Religiosität im dargestellten Rahmen geschwächt oder gestärkt wird – dies würde ja implizieren, ich ginge von ihrem Vorhandensein un-hinterfragt aus. Stattdessen soll rekonstruiert werden, welche Motivstrukturen in der Wahlentscheidung von Eltern zu finden sind, die ausdrücklich eine konfessionel-le Einrichtung mit Blick auf den Nachwuchs wähkonfessionel-len. Diese Herangehensweise ermöglicht es, die Existenz religiöser Bezüge überhaupt erst in Frage zu stellen.

Exkurs I

Theoriegeleitete Hypothesen hinsichtlich der hier diskutierten elterlichen Wahlentscheidung

Eltern wollen, so scheint es auf den ersten Blick, ihren Kindern religiöse Erziehung zukommen lassen, auch wenn sie selbst eventuell keiner Kirche angehören. Das al-lein ist bereits klärungswürdig; doch in der vorliegenden Studie kommt noch hinzu, dass diese Erziehung ausgelagert aus der Familie einer kirchlichen Organisation überantwortet werden soll – institutionalisiert wird.

Ich werde im Folgenden drei theoretisch begründete Sinndeutungen bisher nicht rekonstruierter individueller Deutungs- und Handlungsmuster zur Diskussion stel-len. Folgen wir den Überlegungen Luckmanns, ist ‘unsichtbare’ Religion, wie wir sie heute in unserer Gesellschaft finden, kaum kommunizierbar, da die Menschen in den seltensten Fällen über identische außeralltägliche Sinnerfahrungen verfügen, die lediglich alltagssprachlich vermittelt werden könnten. Es steht demnach die Frage im Raum, wie eine Institution bzw. deren gewählte Organisation unter diesen Voraussetzungen Religiosität vermitteln soll und kann bzw. ob mit der ‘Chiffre’ ‘Re-ligiosität’ tatsächlich die Intention der Eltern inhaltlich verbunden werden kann.

Das Prinzip der ‘sekundären Anpassung’

Folgt man zunächst den Überlegungen Goffmans (vgl. exempl. Goffman 1971; 1980), wäre eine mögliche Schlussfolgerung, dass der konfessionelle Kindergarten ganz bewusst gewählt wurde aber gar nichts Religiöses vermitteln soll; ganz andere In-tentionen wären dann hier maßgebend. Unter der scheinbaren (erneuten) Hinwendung zu religiösen Bezügen läuft im ‘Unterleben’ der Organisation von Sei-ten der Eltern etwas ab, das nichts mit den InSei-tentionen des KindergarSei-tens bzw. der übergeordneten Institution Kirche zu tun hat.

Goffman spricht von einer ‘sekundären Anpassung’ und meint damit die Beobach-tung, dass sich Menschen nicht nur den institutionellen Regeln gegenüber adäquat verhalten können, sondern diese auch durch regelnonkonformes Verhalten umge-hen, indem sie mit ihrem Verhalten nicht sichtbar andere Intentionen verfolgen (vgl.

Goffman 1971).

Es geht hier nicht darum, was von den Beteiligten erwartet wird oder was sie tat-sächlich tun; es geht Goffman vielmehr um die Tatsache, dass zwar die Handlungserwartungen der Organisation vordergründig erfüllt werden, die Betrof-fenen sich aber der damit verbundenen erwarteten Haltung entziehen und somit eine besondere Form des Absentismus betreiben. Für einen Teil hier relevanten El-tern könnte das bedeuteten, sie hätten keine religiös motivierte Herangehensweise an den konfessionellen Kindergarten, definierten ihre Ziele aber retrospektiv als sol-che, um die offizielle Rahmung zu erhalten.

Wichtig ist meines Erachtens darauf hinzuweisen, dass sekundäre Anpassung nicht dazu dienen soll, eine Schranke zwischen dem Individuum und der Einrichtung zu errichten, ohne einen Nutzen zu erzielen; dies ist bei Nörgeln oder Meckern beob-achtbar (vgl. Goffman 1971, 169 ff.). Nein, hier steht der Begriff vielmehr als Erklärung der Gegebenheit, dass Menschen die vorgegebenen Richtlinien befolgen, die damit verbundene institutionell vorgesehene Identität jedoch zurückweisen und andere als die intendierten Ziele verfolgen.

Ich werde hier nicht auf den Begriff der Identität eingehen und auch nicht auf die Reichweite und mögliche Ausmaße von Normen45. Doch es erscheint förderlich, ei-nen Moment bei der erhofften Sozialisationsleistung der gewählten Einrichtung zu verweilen. Wenn ich zuvor davon sprach, dass Sozialisation die Vermittlung von Werten und Normen ist, die nicht selbstverständlich sind, sondern in Interaktion mit anderen erworben werden müssen, kann hier spekuliert werden, was das für die befragten Eltern bedeuten könnte.

Werte und Normen regulieren menschliches Verhalten, auch wenn sie nicht immer die tatsächliche Struktur einer Sozialisationsinstanz widerspiegeln (vgl. Goffman 1971, 185 ff.). Dies könnte für die Befragten vor dem Hintergrund des bisher Ausge-führten bedeuten, sie hätten nur auf den ersten Blick die gleichen Wert- und Normvorstellungen wie die gewählte Institution bzw. deren Organisation, definier-ten diese allerdings selbst nicht als religiös. Bezüglich der in den Interviews vorfindbaren Sprache hieße das, die Sprache wäre von der Institution übernommen

45 Eine Norm ist eine Vorstellung davon, „was andere Menschen tun sollten und tun müssten, was man unter gewissen Umständen von ihnen erwartet“ (Homans 1972, 136). Dies unterscheidet sie von Werten, also von allgemeinen Vorstellungen darüber, was Menschen für wünschenswert hal-ten (Goffman 1971, 185 ff.). Der Unterschied liegt auch darin begründet, dass Werte situationsbedingte Standards bilden, während Normen das „in spezifischen Situationen zur Ver-folgung bestimmter Werte zugelassene Verhalten“ (Conrad 1976, 73) definieren.

und es würde so getan, als werde über religiöse Belange gesprochen, um den äuße-ren und selbst gewählten Rahmen nicht zu verlassen46. Hier würden demnach weltliche Ziele (bewusst) konfessionalisiert.

Wäre allerdings zu beobachten, dass kirchlich übernommene Vorstellungen auch öffentlich aus ihren Bezügen gelöst worden sind und nicht als solche definiert wer-den, handelte es sich nicht mehr um eine ‘sekundäre Anpassung’, sondern um eine

‘Profanisierung’, wie Fürstenberg sie beschreibt.

Einen Ansatz für diese Unterscheidung können möglicherweise die geführten Inter-views dieser Studie bieten, da die Analyse explizit danach fragt, welche Überlegungen zur bewussten Wahl des konfessionellen Kindergartens und damit zur Hinwendung zu einer konfessionellen Einrichtung führten. Es wird darum ge-hen, ob eine ‘sekundäre Anpassung’ rekonstruierbar ist, oder inwieweit hier von einer Profanisierung die Rede sein kann, da es weniger um das ‘Unterleben’ der In-stitution Kirche geht, sondern eventuell sehr offensichtlich um eine vollzogene Bedeutungsverlagerung ohne Rückbindung an den religiösen Ursprung in Anspruch genommener Angebote.

Das Prinzip der ‘Profanisierung’

Anders als bei Goffman handelt es sich bei einer ‘Profanisierung’ um die Herauslö-sung bestimmter Bereiche aus ihrem religiösen Bezug. Auch hier lässt sich im Hinblick auf die befragten Eltern erwägen, dass sie im Falle einer Profanisierung keine religiös motivierte Herangehensweise an den konfessionellen Kindergarten hätten, sich aber entgegen den eben Beschriebenen ganz bewusst vom gewählten Rahmen distanzierten und ihre Ziele auch als weltliche definierten – ihre Handlun-gen demnach von den Intentionen der Institution bzw. der gewählten Organisation lösten.

Fürstenberg geht davon aus, dass vor allem Sprache und Kunst für eine profane Darstellung ursprünglich religiöser Bereiche prädestiniert seien (vgl. Fürstenberg 1999, 11ff.). Doch gehen wir davon aus, dass dies auch für Einstellungen und Wert-haltungen gelten kann, ist durchaus vorstellbar, dass bspw. religiös beheimatete

46 Sehr anschaulich ist dieser Prozess bei einem Blick auf die ehemalige DDR. Auch hier veränderte Religion das Sinngebungspotential. Der Sozialismus sollte eine Befreiung für die Menschen von der Religion sein aber Religion selbst wurde zur Nische, sich vom Sozialismus zu befreien. Vor dem Argument, gläubig zu sein, konnte viele Jahrzehnte Widerstand gegen das politische System geleistet werden.

Werte und Normen eine umfassende Bedeutungsverlagerung erführen und als rein säkular aufgefasste Kulturphänomene dargestellt werden könnten. Es käme zu einer Freisetzung aus dem Einflussbereich religiös bestimmter, häufig theologisch fixier-ter Vorstellungen (vgl. Fürstenberg 1999, 10ff.) und Elfixier-tern hätten die Option, keine inhaltlich festgelegte Moral mehr weitergeben zu müssen, sondern sich an christli-chen Tugenden orientieren zu können, ohne diese als solche anzuerkennen.

Religiöse Ziele in der Erziehung würden damit (bewusst) profanisiert, das Christen-tum bliebe aber trotzdem die, unseren Kulturraum beherrschende, Autorität und die

Religiöse Ziele in der Erziehung würden damit (bewusst) profanisiert, das Christen-tum bliebe aber trotzdem die, unseren Kulturraum beherrschende, Autorität und die