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2.1. R ELIGION

2.1.2. Säkulare Familienreligiosität?

So differenziert versucht wird, Religiosität in der Gesellschaft zu verorten, eventuell von kirchlichen Bezügen zu lösen und ihr sehr individuelle Funktionen zuzuschrei-ben, so mäßig sind die Bemühungen, sich mit Familienreligiosität wirklichkeitsnah auseinander zu setzen. Zwar wird in Betracht gezogen, dass die Rolle der Familie im Hinblick auf die religiöse Erziehung geschichtlich gesehen Veränderungen un-terworfen war und ist, doch die Trennung von Religion und Kirchlichkeit hat für diesen Teilbereich der Gesellschaft offenbar nicht stattgefunden.26 Geht es um reli-giöse Erziehung, ihren ‘Wert’ oder gesellschaftliche Auswirkungen, handelt es sich sehr traditionell um theologische Überlegungen und nicht um eine wirkliche Ausei-nandersetzung mit realen Bezügen.

So lange das Christentum Gemeindereligion war – bis zur beginnenden Aufklärung – musste die Familie kaum einen individuellen Beitrag zur Unterrichtung in

26 Interessanterweise werden Erziehung und Religiosität in den meisten Arbeiten über Erziehung nicht behandelt. Statt dessen ist das Thema ‘Werte’ häufig anzutreffen (Beile 2000, 48).

bensfragen leisten. Erst durch die Reformation rückte die Familie dann in vielerlei Hinsicht ins Zentrum der christlichen Lebensführung. Doch auch in den familialen Beziehungen nahm der Prozess der Subjektivierung seinen Lauf – Elternschaft wur-de zu einer Frage wur-der Qualität, Erziehung zum Instrument wur-der sozialen Platzierung.

Der Funktionswandel der Familie entfaltet sich parallel zum Funktionswandel des Christentums; Religion wird zur (häuslichen) Privatsache. Für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung (unabhängig vom Alter) gilt die Familie heute als zentraler Daseinswert - wenn nicht sogar als Selbstwert. Der primär tragende Lebenssinn wird für viele nicht mehr durch Kirche und Christentum geschöpft, sondern aus dem familialen Zusammenleben.27 Die Sinnstiftung durch familienbezogene Wünsche scheint sich selbst zu tragen. Sie wird von gesellschaftlichen Normen abgestützt, von den Medien als Leitbild verbreitet und durch die Kirchen und den Staat geför-dert. Auf einen spezifisch religiösen Sinnzusammenhang greift man erst dann zurück, wenn alltägliche Lebenszusammenhänge an ihre Grenzen stoßen, brüchig werden oder bedroht sind. „Ansonsten ist die Familie selbst ein autonomer, sinn-produzierender Lebenszusammenhang geworden, der keine anderen Sinnspender benötigt“ ( Ebertz 1988, 406). Trotzdem wird die Unterrichtung in christlicher Reli-gion von vielen Eltern als Aufgabe der Kirchen begrüßt28. Eltern orientieren sich heute eher an der Vermittlung von Fähigkeiten, als an der Weitergabe von Werten;

diese werden bspw. an die Kirche als vertrauenswürdige Trägerin delegiert.

Es gibt eine Reihe soziologischer, religionspädagogischer und erziehungswissen-schaftlicher Arbeiten, die sich mit der religiösen Erziehung im Elternhaus auseinandersetzen.29 Es ist aber auffallend, wie einhellig alle Autoren betonen, dass vor allem die Vorbildfunktion der Eltern entscheidend sei, ob Erziehungsziele – in diesem Fall christlich-religiöse – Frucht tragen könnten. „Familie beeinflusst das Individuum als Vermittler sozialer, kultureller und epochaler Entwicklungen. Gehört eine Familie bspw. zur protestantischen Mittelklasse, so erhält ein Kind spezielle

27 So erhält der Begriff der „heiligen Familie“ noch einmal eine ganz neue Wendung, ist er doch jetzt auch Ausdruck spezifischen Sinnzusammenhangs. Neue Studien bestätigen, daß die eigene Fami-lie in der subjektiven Hierarchie der Daseinsbereiche als der absolut wichtigste Lebensbereich in Deutschland eingeschätzt wird. Religion wird dagegen auf einen der untersten Ränge verwiesen (Wohlfahrtssurvey 1998).

28 Dies hängt historisch gesehen sicher auch mit der Einführung des Religionsunterrichts zusammen.

29 Hier möchte ich vor allem auf Hofsümmer 1999, Zinnecker 1996, Allensbach 1989, und Ebertz 1988 verweisen, die auch häufig im Text zitiert werden.

Sozialisationseinflüsse bereits dadurch, dass eben die Familie dieses Kindes zu je-ner Konfession und zu jeje-ner sozialen Klasse gehört“ (Stapf et al. 1972, 15).

Überwiegend wird gleichgesetzt, eine konfessionelle Erziehung im Elternhaus müs-se erstens sichtbar und an Institutionen gebunden müs-sein und habe zweitens auch religiöse Intentionen.

Es wird in keiner Weise zur Diskussion gestellt, welche Optionen sich in unserer Gesellschaft für Familien bieten, sich von religiösen Inhalten zu verabschieden, die Kirche aber weiterhin als Instanz in Anspruch zu nehmen. Etwa, da sie bspw. rein pragmatisch andere als wirtschaftliche Interessen vertritt. „Die Deutung des religi-ösen Wandels als Entkirchlichung verweist [lediglich] darauf, dass das auf die institutionalisierte Religion konzentrierte Modell religiöser Erfahrung an Integrati-onskraft einbüßt“ (Gabriel 2003, 118).30

Die häufig zum Ausdruck gebrachte Kritik an der elterlichen Handhabe religiöser Erziehungsaspekte verweist auch auf die vorherrschende Unsicherheit vieler Eltern (vgl. Abeln 1979). Zahlreiche Rituale werden eher aus der eigenen Familienge-schichte übernommen – unhinterfragt und weitgehend areligiös.31 Sie befürworten damit zwar religiös-christliche Erziehung, die, aus Sicht der Kirchen, dafür notwen-digen religiösen Handlungen aber praktizieren sie nicht.32

Doch diese Beobachtungen werden nicht wertfrei dargestellt; religiöse Erziehung wird als ein, an ein bestimmtes Erziehungsklima gebundener Aspekt dargestellt:

Harmonie, Empathie, familienzentriertes Sozialmilieu (Zinnecker, Silbereisen 1996, 342 ff.; Allensbach 1989). Die Ergebnisse, worin sich nun ein religiöses von einem säkularen Elternhaus unterscheidet, sind vielschichtig. So definieren religiöse Eltern den Sinn des Lebens lt. Allensbach bspw. stärker als Aufgabe, während in anderen

30 Allein Hofrichter versucht am Beispiel der Taufe zu rekonstruieren, welche Motive für Eltern unter Umständen außer religiösen Vorstellungen bei der Entscheidung zur Kindstaufe relevant sind (Hof-richter, Ball 1995). Er verweist hier darauf, dass Taufe ein Ritual ist, das viele Ängste und Sorgen der Eltern aufgreift. Es könne sich aber seiner Meinung nach auch um eine (familien)tradierte Selbstverständlichkeit handeln, die Möglichkeit, Reste der eigenen religiösen Sozialisation einzu-bringen oder aber dem Wunsch, dem Kind nichts vorzuenthalten. Seiner Ansicht nach ist der Wunsch der Eltern häufig sozial motiviert und nicht gleichzeitig verbunden mit theologischen Ge-danken oder einer erwünschten verbindlichen Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Kirche (Hofrichter 1995).

31 Auch in den 90er Jahren galt: Ist wenigstens ein Elternteil Kirchenmitglied, werden mehr als 9 von 10 Kindern getauft – evangelisch wie katholisch (Ebertz, 2000, 36).

32 „Hier sehe ich die Schizophrenie vieler junger Eltern: 70% in den alten Bundesländern befürworten eine religiös-christliche Erziehung, aber nur 20% beten mit ihren Kindern“ (Hofsümmer 1999, 35,36)

Familien der Lebensgenuss im Vordergrund stehe.33 Auch würden religiös erzogene Kinder scheinbar stärker als andere mit der Ethik der Verantwortung konfrontiert (Allensbach 1989). Die pflichtorientierte Grundhaltung religiöser Menschen fördere eher die Fürsorge und Verantwortung zwischen den Generationen; in den Familien herrsche ein anderes Binnenklima als in säkularen Familien. Gerade bei der Vermitt-lung religiöser Inhalte würden von den Eltern kindliche Erklärungskonzepte häufig nicht kritisiert oder abgelehnt, sondern statt dessen diskutiert oder ignoriert. Dies, so resümieren Josephs und Wolgast in ihrer Studie, scheine ein äußerst effektiver Vermittlungsmechanismus zu sein (Josephs, Wolgast 1996, 65).

Die Lebensziele und Inhalte ‘Unabhängigkeitsstreben’, ‘Freizeitorientierung’, ‘Le-bensgenuss’ und ‘materielle Ziele erreichen’ würden dagegen nicht sonderlich in den Vordergrund der Erziehung gerückt; statt dessen seien religiöse Eltern über-durchschnittlich bereit, der Phantasie ihrer Kinder Rechnung zu tragen (Allensbach 1989, Ebertz 1988, Zinnecker 1996).

So kann zusammengefasst werden, dass religiöse Erziehung, glaubt man den dies-bezüglichen Untersuchungen, verantwortungsbewusste, fürsorgliche und auf andere achtende Menschen zum Vorschein bringen kann, während säkulare Erzie-hung eher zu Ichbezogenheit und Bedenkenlosigkeit führt; geht es bei religiöser Sozialisation doch anscheinend „nicht um rationales Verstehen im Piagetschen Sin-ne, sondern um die Implantierung einer affektiven Basis, eines emotionalen Ankers, an den dann bestimmte Inhalte angeknüpft werden können“ (Josephs, Wolgast 1996, 66).34

So ganz nebenbei drängt sich hier die Frage auf, was diese Ergebnisse im Endeffekt wohl für die Menschen der ehemaligen DDR, die nicht religiös sondern säkular er-zogen wurden, und ihr beobachtbares Zusammenleben bedeuten – funktioniert doch hier nachweislich der Gemeinschaftssinn nicht besser oder schlechter als in der restlichen Republik. Hofsümmer zieht (diesbezüglich) das Fazit: „Wer über sich

33 Ich vermeide im Folgenden den Begriff der Indifferenz, da er ebenso mehrdeutig ist, wie jener der Säkularisierung. „Dem Wortsinn nach sind wir im Bereich des „Gleich-Gültigen“ genau dort, wo es um Indifferenz geht. ... Indifferenz bedeutet, daß das, in Bezug worauf man indifferent ist, für einen eine geringe Bedeutung, eine geringe Wertigkeit im Vergleich zu anderem hat“ (Kaufmann 1989, 157). Dies klingt zunächst eindeutig doch Kaufmann und später Bettinger in Anlehnung an ihn, un-terscheiden später vier verschiedene Stufen religiöser Indifferenz (Bettinger 1994, 96 ff.).

34 An dieser Stelle sei explizit auf die Ende April erscheinende Nationalfondstudie von Sandro Catta-cin verwiesen, in der er versucht nachzuweisen, inwieweit Atheisten sehr viel toleranter sind als religiöse Menschen (Nydegger 2006)

nichts Heiliges anerkennt, tritt um so hemmungsloser nach unten“ (Hofsümmer 1999, 11).

Der „Markt“ hat sich auf diese, sogar wissenschaftlich gestützte, Polarisierung der Erziehungsstile längst, wenn auch einseitig, eingestellt. Es gibt eine ganze Reihe von „Handbüchern“ für Eltern, wie religiöse Erziehung in der Familie aussehen kann – zum Teil mit fragwürdigen Titeln, wie etwa: Wenn Du mir sagen kannst, wo Gott ist. Ein Handbuch zur religiösen Erziehung (Quadflieg 1992), Warum bleibt der Gott im Himmel? Mit Kindern über das Leben nachdenken (Glage 1992) oder etwa : Kinder nicht um Gott betrügen. Anstiftungen für Mütter und Väter (Biesinger 2001).

Diese Aufzählung ließe sich beliebig verlängern; sie zeigt aber bereits in dieser Kür-ze, welcher Tenor hier bestimmend ist: Religiöse Erziehung als ein lebensnotwendiger und Kinder beglückender Aspekt der Sozialisation.

Auf der anderen Seite gibt es im Hinblick auf konfessionelle Erziehung zu den An-geboten der etablierten Kirchen keine Alternative im Elementarbereich. Das ist in anderen Bereichen anders, bspw. beim Angebot für Erwachsene: „In der ‘religiösen Ökonomie’ stellen die einzelnen religiösen Organisationen demnach ‘Firmen’ dar, die Angebote für ihre ‘Kunden’ offerieren“ (Knoblauch 1997, 198).

Insgesamt ist nachweisbar, dass nur in wenigen bundesdeutschen Familien heute noch konfessionelle (christliche) Erziehung im kirchlichen Sinne stattfindet. „Das Familienleben folgt seiner Eigenlogik bzw. eigenlogisch gebrochenen Mustern des Religiösen, das sich Normen wie Postulaten der christlichen Kirchen selektiv ent-zieht...“ (Ebertz 2000, 39). Doch eventuell hat auch der ihr von ‘offizieller Seite’ her zugeschriebene gesellschaftsrelevante positive Effekt dazu beigetragen, dass Eltern diese Angelegenheit aus eigener Transzendenzunsicherheit und selbst abgespro-chener Kompetenz heraus außerhalb der Familie zu verorten und an „offizielle Stellen“ zu delegieren versuchen.

Glaubensvermittlung hat sich vom Lebens- zum Lerninhalt innerhalb der Familie gewandelt und man wird auch „in Zukunft [immer weniger] davon ausgehen kön-nen, dass im Kleinkindalter in den Familien die Grundlagen des Glaubens gelegt werden“ (Ebertz 2000, 40) – zumindest was die kirchliche Begriffsbestimmung von Glaubensvermittlung betrifft. Allerdings sind konfessionelle Einrichtungen noch immer gesellschaftlich bezüglich ihrer Inhaltsvermittlung eindeutig zuordenbar und

besitzen den Ruf, bereits über eine funktionierende inhaltliche ‘Ausrüstung’ im Hin-blick auf religiöse Sozialisation zu verfügen.

Die Familie zieht sich zunehmend aus bestimmten, ihr zugeschriebenen oder selbst angenommenen, Erziehungsaufgaben zurück und delegiert sie an andere Stellen.

Die Frage ist aber, aus welcher Überlegung heraus hierbei auch Kirche als vertrau-enswürdige ‘Partnerin’ in Betracht gezogen wird. Folgt man der Beobachtung und Annahme einiger Studien, Eltern hätten nach wie vor entscheidenden Einfluss auf die Religiosität bzw. die ‘Idee von Glauben’ ihrer Kinder (Zinnecker, Silbereisen 1996; Schwab 1995; zusammenfassend Beile 2000), müsste sich der gewandelte Umgang mit Religion, der für die Gesellschaft ja bereits Beachtung findet, spätes-tens bei den nächsten Generationen auch mit Blick auf Familien niederschlagen und theoretisch zur Kenntnis genommen werden.