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Eine überwiegend funktionalistische Sichtweise trägt dazu bei, dass Religion kon-kret weltliche Aufgaben zugeschrieben werden. Nachweislich wird sie mit anderen als konfessionellen Inhalten verknüpft, wobei gesellschaftlich geführte Debatten bspw. zum Religionenpluralismus oder zu Bildungschancen der Kinder hiermit in Zusammenhang gebracht werden können. Auffallend ist die erneute Funktionsver-schiebung von Religion hin zu eindeutig bildungswissenschaftlichen Deutungsmustern im Hinblick auf die Kinder.80 Die rekonstruierten Handlungsmus-ter und Entscheidungsbegründungen lassen erkennen, mit welcher Dynamik christlich bestimmte Strukturen als rein säkular präsentiert werden, ohne sie na-mentlich an ihren Ursprung zurückzubinden.

80 Ich spreche hier von einer erneuten Funktionsverschiebung, da bereits das Konzept der ‘unsicht-baren Religion’ von Luckmann davon spricht, es sei hinsichtlich des Umgangs und der Bedeutungszuschreibung von Religion zu einer Funktionsverschiebung gekommen.

Häufig wird von ‘christlicher Kultur’ gesprochen, die als entscheidende Wurzel der eigenen Gesellschaft dargestellt wird, womit konfessionelle Sozialisation nicht in den Bereich der Erfahrung, sondern des Lernens rückt. Aber neben der zugeschrie-benen Funktion, dem Nachwuchs eine vorteilhafte Teilhabe an der westlichen Gesellschaft zu ermöglichen, wird ein weiterer, nicht zu unterschätzender Aspekt thematisiert: Religion wird zum schützenden Rahmen, der teilweise die emotionale Ebene der Eltern-Kind-Beziehung übernimmt und die elterliche Unsicherheit in Er-ziehungsfragen auffangen soll.

Während ich diese Konstellation nicht als ausschließlich säkularen Umgang mit in-stitutionalisierter Religion bezeichnen möchte, sondern eher als Versuch, sich selbst im Eltern-Kind-Verhältnis zu positionieren, ist eine rein säkulare Vorgehensweise in anderen Narrationen durchaus rekonstruierbar. Im ersten Fall spielt sehr viel mehr die eigene Biographie bei dem Umgang mit Religion eine Rolle, als bei der Frage nach elterlichen Erziehungszielen. Vor allem bei einer konflikthaft verlaufenden Auseinandersetzung mit dem Glauben in der eigenen Biographie ist rekonstruier-bar, inwieweit eine erlebte ‘Entzauberung’ der Lebenswelt dazu beitragen kann, einen transzendenten Schutz für die eigene Person nicht mehr wahrzunehmen, die-sen aber für die Kinder zu suchen. Die eigene Unsicherheit im Rahmen der Erziehung führt zu einer Hinwendung zu Religion mit Blick auf die Nachkommen.

Verantwortung für die Kinder wird von der eigenen Person hin zum ‘Konzept’ der Religion verlagert; die Sinnzuschreibung fällt nachweislich anders aus, als wenn es um die eigene Person ginge. Im zweiten Fall, der säkularen Vorgehensweise, dient institutionelle Religion dem Wunsch, Familienerlebnisse zu installieren und die Vermittlung kulturspezifischer Elemente der westlichen Gesellschaft in Abgren-zung zu anderen aufgrund eines, der gewählten Institution zugeschriebenen ,Expertentums’ zu sichern. Auch hier wird die Eltern-Kind-Beziehung durch institu-tionelle Religion unterstützt bzw. entlastet; doch es geht nicht um die emotionale Ebene sondern darum, sich aus dem diskursiven Erziehungsbereich zu befreien.

Gerade bei der Motivaufschichtung zur Wahl einer konfessionellen Sozialisations-einrichtung lassen sich Profanisierungen rekonstruieren, die verschiedene christliche Vorstellungen auf eine ‘weltliche’ Ebene übertragen und auch mit ihr begründen – womit der Teilbereich des Säkularisierungsbegriffes „zur Klärung der

Rolle der Religion im Modernisierungsprozeß“ vor allem mit Blick auf die Eltern-Kind-Beziehung brauchbar erscheint (Fürstenberg 1999, 10).

Die Erwartungen an den gewählten Kindergarten sind dementsprechend hoch. Soll er für einige als Verbündeter in Erziehungsfragen auftreten und das elterliche, ge-spaltene Verhältnis zur christlichen Religion klären, geht es anderen um die Übernahme verschiedener ‘weltlicher’ Funktionen. Der konfessionelle Kindergarten wurde demnach nicht nur gewählt, um eine konkrete Erziehungshilfe im Sinne einer gesellschaftlichen Integration des Kindes darzustellen sondern auch, um die ‘Aus-rüstung’ für erhoffte Familienerlebnisse inhaltlich einzuführen, so dass Eltern selbst lediglich die Aktivität liefern müssen, nicht aber deren Sinndeutung.81

Ein weiterer Punkt sollte hier nicht vernachlässigt werden: Die Analysen ergaben auch, dass der konfessionelle Kindergarten als adäquater Ansprechpartner fungie-ren und als ‘Fachberater’ in Wert- und Normfragen die kindliche Vorstellung beeinflussen und lenken soll – allerdings ohne den konfessionellen Hintergrund, sondern vor allem im Hinblick auf das westliche Lebensumfeld.

Bewusst gewählte konfessionelle Fremdsozialisation kann bei den kirchlich nicht gebundenen Eltern daher insgesamt durchaus als areligiös motiviert beschrieben werden und die, dem konfessionellen Kindergarten zugeschriebenen Aufgaben sind in vielerlei Hinsicht profanisiert. Darauf verweisen auch Gruppengespräche mit den Akteuren der Einrichtungen, da eine Funktionsverschiebung – wenn auch nicht un-bedingt mit der von einigen Eltern intendierten Zielvorstellung – nicht im Verborgenen stattfindet (wie bspw. bei einer sekundären Anpassung), sondern of-fensichtlich ist und von den Eltern unverhohlen thematisiert wird. Konfessionelle Sozialisation wird von einigen durchaus als Optionsoptimierung verstanden, wobei nicht das Religiöse per se, sondern die ungeprüft zugeschriebenen Effekte aus Sicht der Eltern zu einer Optimierung der gesellschaftlichen Integration ihrer Kinder füh-ren (wie bspw. die Annahme, es gäbe in konfessionellen Kindergärten keine Sprachbarrieren).

81 Ich sehe hier konkrete Anknüpfungspunkte zu Reinhardt, der in der Familie als Fiktion einen regel-rechten Religionsersatz erkennt und die „Ausbreitung des Kults der Familie“ in Zusammenhang mit „dem Verlust aller Ideologien sowie zumindest im Westen mit der Krise der Nationalstaaten“

bringt (Reinhardt 2006, 26).

Eine erneute Annäherung der Eltern an religiöse Bezüge mit Hilfe ihrer Kinder kann dagegen nicht rekonstruiert werden.

Am Beispiel des konfessionellen Kindergartens werden meines Erachtens einige Folgen der Privatisierung von Religion exemplarisch signifikant.

Religionsspezifische Komponenten in der täglichen Arbeit rücken zunehmend in den Hintergrund. Zum einen, da wirtschaftliche Gegebenheiten eine Veränderung der Arbeitsauffassung der ErzieherInnen mit sich bringen können, zum anderen, da sich die Akteure vor die Aufgabe gestellt sehen, mit Kindern unterschiedlichster kultureller Herkunft zu agieren und schließlich, da sich die Funktionszuschreibung von Seiten der Eltern stark verändert hat.82

Eine weitere Beobachtung ist ebenfalls beachtenswert: Aus Sicht einiger Eltern fungiert der konfessionelle Kindergarten als ‘Erziehungsverbündeter’, um eigene Unsicherheiten aufzufangen. Doch diese Intention trifft nun auf ihrerseits irritierte Akteure, die hinsichtlich des fremd- und selbstzugeschriebenen Auftrages ihrer Tä-tigkeit keine Kongruenz ausmachen können. Dies hängt zwar nicht zuletzt mit der beklagten fehlenden elterlichen Beteiligung bzw. nicht vorhandenen Kommunikati-on miteinander zusammen, wird in den NarratiKommunikati-onen der Erzieherinnen aber ganz eindeutig der verstärkten Multikulturalität in der Einrichtung zugeschrieben. Somit wird auch hier – von den Akteuren selbst - die ‘eigene’ konfessionelle Komponente gezwungener Maßen zugunsten alltäglicher Belange der Arbeitswelt zurückge-drängt. Die ‘Außenwelt’ beeinflusst demnach nicht nur das Erziehungsverhalten von Eltern, sondern auch konkret die Auseinandersetzung mit inhaltlicher Arbeit an der ‘Basis’. Was aber bedeutet das für die Institution Kirche im Hinblick auf ihr Selbstverständnis? Zunächst entfernt sich die Funktionszuschreibung der Gesell-schaft offensichtlich immer mehr von ausschließlich religiösen Bezügen.

Nichtsdestotrotz wird die Kirche von vielen (religiös wie areligiös orientiert) als er-forderliche Institution innerhalb der Allgemeinheit angesehen. Sie erhoffen sich durch sie unter anderem Abgrenzung zu anderen Kulturen, Bereicherung des Fami-lienlebens oder konfessionelle Begleitung (allerdings nicht unbedingt im klassischen Sinne) – unter anderem, um subjektive Religiosität lebbar zu machen,

82 Dies zeigt sich auch sehr deutlich bei erhobenen Daten zu Erziehungszielen konfessioneller Erzie-herInnen, bei denen der konfessionellen Erziehung kaum noch Bedeutung beigemessen wird (vgl.

Dippelhofer-Stiem 2002)

was im Folgenden ausführlich dargestellt wird. Sie sehen in ihr den Ort des Exper-tentums für Kultur- und Wertfragen oder die Institution, die erfolgreiche Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht. Kirche bietet demnach noch immer verbindliche Lö-sungen für Probleme des gesellschaftlichen Lebens an – wenn auch nicht in Form einer Sphäre außerweltlicher Erlösung (vgl. Weber 1972; 1978). Diese Lösungen sind mit Blick auf die institutionelle Selbstverortung meist stark modifiziert und auch nicht vorab durch die Empfänger überprüft.