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7. Der ethische Aspekt (Rath)

7.2 Wer ist behindert und wer wird behindert? (Rath)

„Menschen sind nicht behindert, sie werden behindert“. Dieser Satz kann beinahe als Kants „sapere aude!“ des Inklusionsprozesses verstanden werden. Ein Leitsatz, der der Gesellschaft signalisieren soll, dass ihre Rahmenbedingungen exkludierender Natur sind. Behindert werden Menschen in ihrer Mobilität, in ihrem Zugang zur Bildung sowie in ihrer gesellschaftlichen und sozialen Teilhabemöglichkeit. Die Inklusion, ihr Prozess, spaltet die Meinungen der Bevölkerung. Es gibt klare Befürworter und vehemente Gegner der Inklusionsthematik, vor allem die Beschulungsformen betreffend, wo beide Parteien versuchen ihren Standpunkt als den richtigen anzupreisen. Wenn der Weg für eine inklusive Schulbildung und damit die Verbesserung der Ausbildungssituation für Menschen mit Behinderung angestrebt wird, muss sich das Schulsystem, so wie es sich jetzt präsentiert, grundlegend ändern (Fischer et al., 2012). Bezugnehmend auf das Kapitel 5.3.3 Inklusive Schulbildung wird sichtbar, dass es vor allem an den geeigneten Lehrmethoden mangelt. Konzentrierte sich die Schule auf eine umfassende Bildung, würde sie auch weitere Aspekte, wie zum Beispiel die emotionale oder soziale Entwicklung, besser in den bereits bestehenden Unterricht miteinbinden. Die Theorie klingt bekanntlich einfacher als es praktisch

89 umsetzbar ist. Abgesehen von der Finanzierung, da eine inklusive Beschulung unweigerlich in einem multiprofessionellen Team agieren muss, bestehen noch immer Bedenken bei den Eltern von Kindern ohne Behinderung, dass diese in ihrem Lernerfolg eingeschränkt werden könnten. Zu hinterfragen ist auch, ob der Prozess der Inklusion vielmehr Unterschiede produziert, provoziert und hervorhebt. Wie bereits in 3.4 Integration vs. Inklusion erwähnt wurde, ist es vielen Menschen unangenehm, wenn ihnen viel Aufmerksamkeit zukommt. Manche wollen nicht als Problemfall thematisiert werden den es gilt in ein bereits funktionierendes Umfeld einzubinden. Viele sehen sich als funktionierender Teil in einer nicht-funktionierenden Gesellschaft und bekommen durch die Diskussionen einen Stempel aufgedrückt (Becker, 2015). Das Bild, bzw. die Vorstellung von Menschen mit Behinderung ist geprägt von den Zuschreibungen, die sie von Menschen ohne Behinderung erhalten. Menschen ohne Behinderung sehen sich selbst als die Norm und bewerten alles Abweichende von dieser Norm als „andersartig“, beinahe

„minderwertig“. In der Gesellschaft von heute wird primär die Homogenität von gesunden Organismen bevorzugt. Doch auch sich voneinander unterscheidende Menschen haben das Recht gemeinsame Bildungsangebote und Gesellschaftsangebote wahrzunehmen. Auffallend ist, dass es besonderer Schutzmaßnahmen bedarf, damit die Rechte von Menschen mit Behinderung nicht übergangen werden. Die auf alle Menschen zutreffende Menschenrechtskonvention reicht augenscheinlich nicht aus um diesen Menschen dieselbe Beachtung, Würde und Position innerhalb einer Gesellschaft zu verschaffen. Bezugnehmend auf das in Artikel 24, Abs. 1 UN-BRK vermerkte Gesetz, dass sich das Bildungssystem dazu verpflichtet, „(…) die menschlichen Möglichkeiten sowie das Bewusstsein der Würde und das Selbstwertgefühl des Menschen voll zur Entfaltung zu bringen und die Achtung vor den Menschenrechten, den Grundfreiheiten und der menschlichen Vielfalt zu stärken; (…)“ (Art.24, Abs. 1 a) ergeben sich gewisse Unklarheiten.

Wie Becker (2015) in seinem Buch erwähnt, wollen nicht alle Menschen in Schemata gepresst werden (Becker, 2015). Die UN-BRK besagt, dass das Selbstwertgefühl unterstützt und zur Entfaltung gebracht werden soll und dass die Achtung vor Diversität bewahrt werden soll. Dies würde bedeuten, dass nicht alle Kinder mit Behinderung zwingend in eine Integrationsklasse gehen müssen,

90 sondern dass diejenigen ohne Behinderung akzeptieren müssen, dass es auch Menschen gibt, die trotz einer psychischen und/oder physischen Beeinträchtigung und einer daraus resultierenden Schwäche im schulischen Bereich trotzdem vollwertige Mitglieder der Gesellschaft sind. Auch Ahrbeck (2014) vertritt die Meinung, dass Kinder und Eltern die freie Wahl haben sollten, welche Schulform bevorzugt wird. Denn fände eine Entwicklung zur Muss-Richtlinie zur inklusiven Schulbildung statt, würde dies Menschen mit Behinderung in ihrer Entscheidungsfreiheit behindern (science.orf.at, 2015). Somit sollen Menschen mit Behinderung dahingehend unterstützt werden Dinge zu tun wenn sie es wollen, aber nicht gezwungen werden sollten, Dinge tun zu müssen. Auch die Diskussion bezüglich des Erhalts der Sonderschule kann schlussendlich nur zu einem Fortschritt führen, da somit die Schwächen und Stärken des Schulsystems offengelegt werden können und eine Verbesserung erfolgen kann. Kindern sollte die bestmögliche Bildung zukommen, orientiert an ihren individuellen Möglichkeiten. In einer guten und auf die Kinder ausgerichteten Lernumgebung kann das Wissen der Kinder wachsen und die Entfaltung ihrer eigenen Persönlichkeit stattfinden. Das System Schule ist dazu angehalten, Rahmenbedingungen die es den Kindern ermöglichen sich uneingeschränkt aus- und weiterbilden können. Jedem Kind, jedem Elternteil, sollte die Wahl gelassen werden, und Kindern mit Behinderung sollte die Wahl gelassen werden, welche Schulform die beste für das Kind darstellt, jedoch sollten auch die Ergebnisse von wissenschaftlichen Studien nicht außer Acht gelassen werden. Hierbei ist verständlich, dass viele Eltern fürchten, ihr Kind könne ausgegrenzt oder ausgelacht werden. Aber es gibt auch zahlreiche positive Erfahrungen von Eltern mit Kindern mit Behinderung, welche in einer Regelschulklasse unterrichtet wurden und werden. Ausgrenzung erfolgt sowohl in der einen, wie auch in der anderen Schulform, und es werden bei Weitem nicht nur Kinder mit Behinderung ausgegrenzt. Tatsache jedoch bleibt, dass die Qualität der Sonderschule, falls sie bestehen bleibt, angehoben werden müsste, denn auch Menschen mit einer schweren Behinderung müssen trotz ihrer Beeinträchtigung das Recht auf eine aktive Mitgestaltung ihrer Umwelt, ihrer Bildung und ihres Lebens haben.

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