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Der Begriff „Exklusion“ kommt aus dem Lateinischen („exclusio“) und bedeutet

„Ausschluss“. Exklusion wurde in den verschiedenen Epochen unterschiedlich ausgestaltet und ausgelebt. So wurden in Zeiten der frühen Hochkulturen Kinder, die mit erkennbarer Behinderung geboren wurden, sich selbst überlassen oder gezielt getötet (Stöppler, 2014). Bis zum 15. Jahrhundert wurden Menschen mit Behinderung als übernatürliche böse Wesen angesehen, die nicht nur gemieden, sondern wie auch bei den Hochkulturen vernichtet werden mussten. Während der Epochen der Hochkulturen und des Mittelalters waren die Ermordung und Meidung von Menschen mit Behinderung gesellschaftlich anerkannte Umgangsweisen.

Exkludiert, ausgeschlossen, wurden in dieser Zeit auch Vagabunden. Sie wurden

18 nicht nur gesellschaftlich ausgegrenzt, sondern erfuhren auch räumliche Verdrängung (Becker, 2015). Im Laufe der Jahrzehnte wandelten sich die Ansichten und anstelle der Ermordung von Menschen mit Behinderung wurden sie zu anderen Zwecken gebraucht: Belustigung. Menschen mit Behinderung wurden nicht selten in Wanderzirkussen als „Monster“ dargestellt, welche dem zahlenden Publikum einen Schauer über den Rücken laufen lassen sollten (Stöppler, 2014).

Bereits zu Zeiten Wilhelm von Humboldts (1763-1835) gab es für Kinder mit einer Sinnesbehinderung aus höheren Gesellschaftsschichten Unterrichtsmaßnahmen, die ein annähernd normales Lernen ermöglichen sollten. Die Klassengesellschaft damals bestand jedoch in extremen Formen und so war dieser Unterricht ausschließlich Kindern aus privilegiertem Hause vorbehalten, denen die (Aus-)Bildung zu Teil wurde (Ellger-Rüttgardt, 2016). Im Rahmen einer

„Verallgemeinerung“, Schulen für alle Kinder, das heißt ebenso für Kinder mit Sinnesbehinderung zu öffnen, scheiterte diese Öffnung jedoch kläglich, sodass aus dieser Erfahrung heraus die Idee der besonderen Schule geboren wurde. Diese sollte es in ihrer Ausgestaltung und Organisation ermöglichen, Kinder mit Sinnesbehinderung zu unterrichten (Ellger-Rüttgardt, 2016). Kindern mit Geistesbehinderung wurde jedoch weiterhin jeglicher Anspruch auf Bildbarkeit abgesprochen. Durch die medizinische Sichtweise auf die „Krankheit“ wurden diese Kinder ausschließlich in Sonderanstalten, abgeschieden von ihrer Umwelt und der Gesellschaft, betreut. Eine Weiterentwicklung, aus damaliger Sicht, waren die sogenannten Hilfsschulen, in denen Kinder mit geistiger Behinderung unterrichtet werden sollten (ebd., 2016). Während der Zeit des NS belief sich die Vorgehensweise der Exklusion nicht in der milden Schulverweigerung für Kinder mit Behinderung. Tatsächlich existierten zu Beginn dieser Zeitspanne Sonderschulen für Kinder mit Behinderung. Mit den fortschreitenden Auswüchsen dieser Zeit stagnierte das gesamte Sonderschulwesen. Zwei Gründe sind hierfür verantwortlich: die Euthanasie und die Sterilisation. Menschen mit Behinderung, Juden, sowie „Arbeitsfaule“ wurden systematisch ermordet. Die Befürworter des NS-Regimes stützten sich auf Erkenntnisse der Erbbiologie und versuchten durch die Vernichtung „schlechten Erbmaterials“ die Volksgesundheit zu erhalten. Die sogenannte Euthanasie behinderter Menschen, der „Gnadentod“, wurde meist in

19 speziellen „Heimen“ durchgeführt (ebd., 2016). Als Rechtfertigungsgrund wurde angegeben, Menschen mit Behinderung einen „Gnadentod“ zu ermöglichen um eine Ausbreitung von schwachem Erbmaterial in der deutschen Bevölkerung zu verhindern Durch weitere Maßnahmen wie Zwangssterilisation sollte die Verbreitung der „unreinen“ Gene verhindert werden. (Stöppler, 2014).

3.1.1 Von Exklusion zu Separation

Nach dem zweiten Weltkrieg galt es auf die menschenverachtende Form der

„Exklusion“ der Nationalsozialisten zu reagieren. Die im NS-Regime errichteten Anstalten wurden zwar fortgeführt, jedoch ohne zu intendieren die dort lebenden Menschen zu ermorden. Daher wurden Menschen mit Behinderung in Anstalten für Menschen mit abweichendem menschlichen Verhalten untergebracht, eine gezielte Förderung dieser Personen blieb vorerst aus (Schwalb & Theunissen, 2012). Mit Hilfe eines sich langsam entwickelnden Verständnisses, dass Menschen mit Behinderungen „bildbare“ Wesen wären, wie alle anderen Menschen auch, und obwohl Menschen mit Behinderung weiterhin als „abnormale“ Personen gesehen wurden, wurden sie im Sinne der Segregation in Anstalten untergebracht, mit dem Ziel sie „gesellschaftstauglich“ zu machen. Mit der Zeit wurde jedoch deutlich, dass es Formen von Behinderung gab, die sich auch mit Förderung nicht „verbessern“

ließen bzw. geheilt werden konnten. Demnach wurden Menschen mit Behinderung in zwei Kategorien eingeteilt: jene, die von der Förderung profitieren konnten und jene, die nicht davon profitieren konnten. Daraus resultierten zwei unterschiedliche Unterbringungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung: Heimunterbringung oder Pflegeunterbringung (ebd., 2012). Nach dem Lautwerden kritischer Stimmen von Angehörigen und selbst von Behinderung betroffenen Personen, dass diese Form der Betreuung wiederum nur eine Ausgrenzung von Personengruppen war, setzte sich ein neuer Ansatz im Umgang mit Menschen mit Behinderung durch.

Gefordert wurde ein Umgang, der dem der übrigen Bevölkerung untereinander gleichen sollte. Menschen mit Behinderung sollten somit nicht mehr als Sondergruppe in der Gesellschaft in Heimen verwahrt werden, mit oder ohne Aussicht auf Besserung ihres geistigen und/oder körperlichen Zustands. Der

20 behinderte Mensch als Lebewesen rückte stärker in den Fokus und es wurde begonnen das Gesamtbild des/der Einzelnen zu sehen. Der Grundstein für das Normalisierungsprinzip wurde gelegt.

3.1.2 Das Normalisierungsprinzip

Das Normalisierungsprinzip besagt, dass es jedem Individuum, ungeachtet der ethnischen Zugehörigkeit oder der geistigen Konstitution, ermöglicht werden soll das eigene Leben „so normal wie möglich“ zu führen (Franz & Beck, 2016). Dieses Prinzip markierte mit seiner Entwicklung und seiner Aufnahme in die Gesetzeslage ein absolutes Umdenken sowohl im Umgang mit Menschen mit Behinderung, als auch im Umgang mit anderen sozialen Minderheiten (Franz & Beck, 2016).

Menschen mit Behinderungen kam somit nicht nur eine Rechtsgleichheit mit der übrigen Bevölkerung zu, sondern es sollte ihnen auch dieselbe Akzeptanz und gesellschaftliche Anerkennung entgegengebracht werden und sie sollten annähernd dieselben Chancen auf Ausbildung wie die „Normalbevölkerung“ erhalten (Pitsch, 2006). Somit umfasste das Normalisierungsprinzip nicht nur den Bildungssektor, sondern auch die Bereiche von Freizeit und Wohnbedingungen (ebd., 2006). Dieses Prinzip von Bank-Mikkelsen aufgreifend, erläuterte Bengt Nirje es genauer und kristallisierte acht Bereiche heraus, worauf sich das Normalisierungsprinzip beziehen sollte. Der erste Bereich umfasste den normalen Tagesrhythmus, wonach geregelte Tag-Nacht-Phasen und geregelte Essenszeiten zwar eingehalten werden sollen, diese von den Betroffenen jedoch individuell gestaltet werden können.

Demnach sollen Menschen mit Behinderung dann essen können, wann sie wollen und dann zu Bett gehen, wenn sie müde sind, ohne sich hierbei an vorgegebene Schlafenszeiten halten zu müssen. Der zweite Bereich forderte eine Trennung der unterschiedlichen Lebensbereiche Arbeit-Wohnen-Freizeit in emotionaler wie auch räumlicher Hinsicht, da Menschen ohne Behinderung ebenso emotionale und räumliche Abwechslung in ihrem Leben haben. Der dritte Bereich forderte einen dem Jahr angepassten Lebensrhythmus und der vierte Bereich konzentrierte sich auf die dem Alter angepasste Ausgestaltung der jeweiligen Umwelt, wonach Kinder

21 andere Umgebungsbedingungen bräuchten als Erwachsene. Der fünfte Bereich bezog die persönliche Meinung von Menschen mit Behinderungen in Entscheidungen ihre Person betreffend mit ein. Der Kontakt zu Altersgenossen wie auch zwischen Männern und Frauen mit Behinderung, sowie deren Lebenssituation bildete der sechste und der siebente Bereich ab. Der letzte und somit achte Bereich bezog sich auf die Unterkünfte von Menschen mit Behinderungen. Ausgestaltung, Einrichtung und Größe dieser Wohneinrichtungen sollten von Menschen mit und ohne Behinderung als angenehm empfunden werden (Pitsch, 2006). Da das Normalisierungsprinzip auch in der Ausgestaltung des Bildungssektors Einfluss hatte, (siehe oben: zweiter Bereich des Normalisierungsprinzips), wurden Sonderkindergärten und Sonderschulen für Kinder mit Behinderung errichtet, in denen sie gefördert werden sollten. Kindern mit Behinderung wurde zwar jetzt ermöglicht die Schule zu besuchen, jedoch fand diese Art der Beschulung wiederum nur in einer bestimmten Konstellation statt. Kinder mit Behinderung waren wieder nur unter sich. Daraus erwuchs der Gedanke an eine Schule für alle, eines gemeinsamen Unterrichts für Kinder mit und ohne Behinderung in einem Klassenzimmer (Pitsch, 2006). Durch den Einfluss des Normalisierungsprinzips, vor allem die Wohnsituation betreffend, wurde es möglich dass Menschen mit Behinderung nicht mehr in Großanstalten, sondern in kleinen Wohneinheiten untergebracht werden konnten. Durch die Auflösung der Großanstalten wurde es möglich kleinere Wohneinheiten zu konzipieren, was dem alltäglichen Zusammenleben von Menschen glich (ebd., 2006).Das Normalisierungsprinzip bezog sich eher auf die Entwicklung und Verbesserung der Lebensqualität und Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung, was blieb war nach wie vor die Form der Separation. Dem Gedanken der Förderung eines „Miteinander“ folgte rasch die Vorstellung und Umsetzung des Leitprinzips der Integration.