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Weltauffassungen im Wandel des 12. Jahrhunderts

4 DIE MAUREN- UND WELTBILDER IM WERK ALFONS’

4.3 Der Libro de las Cruzes

1.4.18 Weltauffassungen im Wandel des 12. Jahrhunderts

Die gedankliche Verbindung zwischen Alfons X. (13. Jahrhundert) und Obeydalla (11. Jahrhundert) weist deutlich auf die Einflüsse der arabischen Denker auf den westlichen Wandel des 12. Jahrhunderts hin. Hinsichtlich dessen soll hier der Prolog Obeydallas wiedergegeben werden, um dieser Frage besser nachzugehen:

“Digo que la razon por que dizen de los pueblos et de las yentes que fulana yente es mas nobla que fulana otra son dos cosas: La una es que ayan decrietos et leyes et que se guien por sennorio et per regnado, et la otra es que ayan sciencia et saberes. E aquellos en que se cumplen estas dos cosas que se guien por senorio et por rey, et que se entrametan de estudar en las sciencias et en los saberes, et ouieren sciencia et sennorio, por derecho ellos seran llamados nobles.

Et quando pararemos mientes en este departimento, fallamos que las yentes noblas que son en el poblado son quatro yentes de antiguedat.

La una es los de la tierra dAçin.

Et la segunda es los de tierra de Yndia..

Et la tercera es los de Babilonia con los persios.

La quarta es los romanos.

Pues estos quatro regnados, que son el regnado de Açyn, et el regno de Yndia, et el regno de Babilonia et el regno de Roma, estos son los nobles regnados del poblado, que las otras yentes

que son dentro en la parte septemtrional, que son los turchos et los que se aiuntan a ellos, non an regnado ordenado, nin se entremeten de sciencia nin de saberes.

Et otrosi las yentes que son dentro en la parte meridional, que son los ethiopes et los que se aiuntan a ellos, otrosi no an regnado, nin decrieto, nin ley, nin sciencia nin saberes. Pues estos tales son por demas en el mundo, que non an departimiento de las otras animalias”

Ich sage, dass es zwei Gründe gibt, warum man über Völker und Menschen sagt, dass bestimmte Menschen edler als andere sind: Der eine ist, dass sie Dekrete und Gesetze haben, wenn sie von dem Herrscher und dem Königreich geführt werden; der andere Grund ist, dass sie Wissenschaft und Wissens haben. Diejenigen, die beides aufweisen, nämlich die sich vom Herrscher und vom Königreich führen lassen und sich mit Wissenschaft und Wissen beschäftigen, werden zu Recht nobles genannt.

Wenn wir die Menschen nach diesen Kriterien unterscheiden, sagen wir, dass die edlen Menschen die vier Völker des Altertums sind.

Das erste Volk ist vom Land China.

Das zweite Volk ist vom Land Indien.

Das dritte Volk ist das von Babylonien mit den Persern.

Das vierte Volk sind die Römer.

Also sind diese vier Königreiche, nämlich das Königreich China, das Königreich Indien, das Königreich Babylonien und das Königreich Rom, die edlen Völker der organisierten Gesellschaften414 (poblado). Aber die anderen Menschen, die im nördlichen (septemtrional) Teil der Erde leben, nämlich die Türken und diejenigen, die sich mit ihnen vereinigen, haben keine ordentliche Regierung, kein Dekret oder Gesetz und beschäftigen sich nicht mit Wissenschaften oder Wissen.

Die anderen Menschen, die im südlichen (meridional) Teil der Erde leben, die Äthiopier und diejenigen, die sich mit ihnen vereinigen, haben weder Regierung, noch Dekret, Gesetz, Wissenschaft oder Wissen. Sie sind zu viel auf der Welt und es gibt keinem Unterschied zwischen ihnen und den anderen Tieren.

In Hinsicht auf das Verhältnis zwischen Wissen und Edelstand weisen der Prolog des 13. Jahrhunderts und der Prolog des 11. Jahrhunderts Parallelen auf. Der Unterschied ist, dass der Prolog Obeydallas von dem kollektiven Edelstand spricht, während Alfons’ Prolog vom individuellen Edelstand spricht: „So wie der Engel wegen seines von Gott gegebenen Verstandes und seiner Kenntnis größer und edler als der Mensch ist, ist auch der Mensch,

414 poblado bedeutet meistens Bevölkerung. Allerdings bezieht sich im Buch der Begriff poblado spezifischer auf nur bestimmte Völker, die sich niedergelassen hatten und in einer organisierten Gesellschaftsstruktur lebten. Daher werde ich das Wort poblado hier als organisierte Gesellschaften übersetzen.

dem Gott Verstand und Empfinden schenken wollte, größer und edler als die Anderen“.

Jedoch sprechen beide von einem Edelstand, der durch Weisheit erreicht wird.

Im Libro de las Cruzes wird der Glaube als Kriterium für die Kategorisierung der Völker nicht genannt. Es wird weder missioniert, noch gesagt, welche Religion die richtige oder wahre ist. Der wichtigste Wert für beide – den christlichen und den muslimischen Verfasser – war das Wissen als göttliche Gabe an sich. Deswegen wurde die arabische Version von Alfons nicht wegen ihrer heidnischen Herkunft disqualifiziert, sondern nach ihrem Inhalt bewertet. Das weist einen bedeutenden Unterschied im Vergleich zu jener mittelalterlichen Weltauffassung auf, in der die Welt zwischen Christen und Nicht-Christen gespalten war. Aaron J. Gurjewitsch präsentiert ein interessantes Bild dieser Anschauung:

„Die kulturvolle, wohlgeordnete Welt, über der sich Gottes Segen ausbreitet, war nur die Welt, die vom christlichen Glauben geschmückt und der Kirche untergeordnet war. Über ihre Grenzen hinaus verlor der Raum seine positiven Eigenschaften; dort begannen die Wälder und die Ödländer der Barbaren, auf welche sich die göttliche Welt und die menschlichen Satzungen nicht ausdehnten. Eine solche Gliederung nach religiösen Kennzeichen bestimmte das Verhalten der Teilnehmer der Kreuzzüge in den Gebieten der Nichtgläubigen. Methoden, die in christlichen Länder nicht gestattet waren, waren im Kriege gegen die „Heiden“ erlaubt. Da jedoch Christus für alle starb, darunter auch für die Schlechten, machte es sich die Kirche zu ihrer wichtigsten Mission, die Nichtchristen auf den Weg der Wahrheit zu bringen, sogar, wenn diese das selbst nicht wünschten. Daher war die Grenze zwischen der christlichen Welt und der Welt der Nichtchristen beweglich. Das mittelalterliche Christentum ist eine „offene“, eine missionierende Religion. Dank den Bemühungen der Kirche und der von ihr gesegneten christlichen Heere erweiterte sich der christliche Raum durch die moralisch-religiöse Transformation jenes Raumes, der den „Kräften des Bösen“ entrissen worden war“415

Die Weltdarstellung im Libro de las Cruzes ist eine Ausnahme gegenüber dieser von Gurjewitsch vorgestellten religiösen Konzeption des mittelalterlichen Raumes. Dort bewegt sich die Welt in einer Dimension außerhalb der Einteilung des Glaubens in Christentum und Islam, aber nicht außerhalb des Glaubens an sich. Alfons sagt in seinem Prolog, dass es ihn schmerzt, dass die Christen das wichtige Wissen über die Himmelssphären und die Sterne verloren hätten. Gemäß der Logik dieses Textes löst dieser Verlust eine Distanzierung von Gott aus, da man sich Gott durch Wissen und Verstand nähert. Ein Fehlen von Wissen und Verstand bedeutet damit auch einen Nachteil gegenüber anderen Kulturen, die dieses Wissen und den Verstand haben. Der Prolog Obeydallas enthält einen bedeutenden Gedanken, der ein Jahrhundert später einem großen Sinneswandel im christlichen Europa entsprach, und zwar

415 Gurjewitsch, Das Weltbild, 1997, 75-76.

den, dass man den Glauben mit der Kenntnis der Naturwissenschaft vereinigen musste. Diese

„Renaissance“ des 12. Jahrhunderts ergab sich aus dem wissenschaftlichen Austausch, den beispielweise die Übersetzungsarbeiten verschafften.