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El Libro de las Cruzes und die mittelalterliche Wissenschaft

4 DIE MAUREN- UND WELTBILDER IM WERK ALFONS’

4.3 Der Libro de las Cruzes

1.4.15 El Libro de las Cruzes und die mittelalterliche Wissenschaft

Die Wissenschaft ist ein menschliches Werk und darf daher nicht nur als eine leidenschaftslose Suche nach Wissen betrachtet werden. Wie jedes menschliche Handeln zeigt sie sich als umstandsbedingtes Ergebnis eines langen und ständigen Prozesses, der sich aus Bruch, Kontinuität und Austausch zusammensetzt. So sollen wir das Wissen im Mittelalter – oder besser gesagt – die damalige Wissenschaft als eine Erscheinung der Suche, Konflikte und Überzeugungen innerhalb eines Prozesses der Denkkonstruktion verstehen. Deswegen müssen wir zur Untersuchung des Denkens im Mittelalter den Abbau unserer eigenen Kategorisierungen vornehmen und den Aufklärungsbegriff der Wissenschaft, wonach das Wissen frei von Leidenschaft und religiöser Frömmigkeit ist, beiseite lassen. Nach mittelalterlichem Verständnis war die Natur Gotteswerk. Demnach zeigen die Allegorien des 12. Jahrhunderts, in denen die Natur personifiziert wurde, die Natur als Dienerin Gottes.368 Die Philosophen des 12. Jahrhunderts sprachen von der Notwendigkeit des Studiums der Natur, da der Mensch, wenn er die Natur erkennt, sich selbst erkennt und sich mittels dieser Erkenntnis dem Verständnis der göttlichen Ordnung und Gott selbst nähert.369 Dieses Begreifen der Natur wird wörtlich im Libro de las Cruzes und den anderen wissenschaftlichen Werken am Hof Alfons’ ausgedrückt. Auf diese Weise war die Suche nach Wissen eine Äußerung der religiösen Andacht, selbst wenn die Suche dem religiösen Kanon widersprach.

Der mittelalterliche Wissenschaftler – oder besser gesagt der Naturphilosoph – versuchte, die Geheimnisse der Natur zu lüften, um das Mysterium von Gottes Willen zu erfahren. Aus diesem Kontext soll im folgenden Unterkapitel untersucht werden, wie sich das Werk Libro de las Cruzes in das damalige Wissen einordnete.

Ohne Zweifel war die Astrologie im Mittelalter in der christlichen wie auch der islamischen Welt eine häufig praktizierte Wissenschaft. Auch wenn die christliche Theologie fest auf der freien Entfaltung des Menschen fußte, war es für viele unumstritten, dass die Sterne einen großen Einfluss auf das Schicksal der Menschen besaßen. In der islamischen Welt wurde die Astrologie zwar von vielen als Widerspruch zur umfassenden Allmacht Gottes empfunden, doch bot sie dennoch einigen eine Erklärung für die Rolle des Menschen im Universum.370

368 Modersohn, Natur als Göttin. 2003.

369 Gurjewitsch, Das Weltbild, 1997, 59.

370 Edson,/ Savage-Smith/Brincken, Der mittelalterliche Kosmos, 2005, 12.

Auf der mittelalterlichen Iberischen Halbinsel wurden die Worte Astrologie und Astronomie oft ohne Unterschied verwendet, um dieselbe Disziplin zu bezeichnen, obwohl Isidor von Sevilla bereits in seinem Werk Etymologien die Unterscheidung zwischen Astronomie und Astrologie vorgegeben hatte. Isidor bezeichnete die Astronomie als die Studien der Gesetze der Gestirne und teilte die Astrologie in zwei Teile ein: einen natürlichen Teil, der Berechnungen anwendet, und einen abergläubigen Teil, der über die Zukunft spekuliert.371 Eine andere Definition der beiden Wissenschaften stellte Domenicus Gundissalinus372 auf, der spanische Übersetzer von Ibn Sina (Avicenna), Ibn Gabirol, Al Farabi und Al Guazzali.373 Dabei wurde der Terminus nomos von Astronomie als Sitte oder Gesetz und der Terminus logos von Astrologie als Vernunft und Berechnung erwähnt. Auf diese Weise definierte Domenicus Gundissalinus die beiden Wissenschaften im 12.

Jahrhundert und schrieb der Astrologie die Berechnung der Sterntabellen zu.374

Aufgrund der Einflüsse der Werke Ptolemäus’ verstanden viele Übersetzer der antiken astronomischen und astrologischen Texte beide Disziplinen als Teile einer einzigen Wissenschaft. Ptolemäus präsentiert die Astronomie in drei Teilbereichen, die er zu Titeln seiner Werke machte: Das Almagest375, das Tetrabiblos (oder Quadripartitum) und die Planetarischen Hypothesen.

Das Almagest ist der Beobachtungsteil, zu dem auch die Methoden des Berechnens der planetarischen Bewegungen gehören. Dieses wurde von Herman von Kärnten (Sizilien, 1050) aus dem Griechischen und von Gerald von Cremona (Toledo, 1075) aus dem Arabischen übersetzt.

Das Tetrabiblos umfasst die Astrologie mit ihren Prognosen und Gutachten, damit man – anhand der Konfigurationen der Himmelskörper – das Geschehen in der sublunaren Sphäre vorhersagen konnte.

371 Isidoro Hispalensis, Etimologias, Oroz, Reta, 1982, Buch. III, 27,457; De Libera, Denken im Mittelalter, 2003, 191.

372 Dominicus Gundissalinus Über die Einteilung der Philosophie, Fidora, 2007.

373 Ebd.; Fidora, Die Wissenschaftstheorie, 2003; vgl. auch Endress, Der arabische Aristoteles, 2004, 3.

374 Dominicus Gundissalinus, Über die Einteilung der Philosophie, Fidora, 2007, 221-232; vgl. Santos, Caminhos Cruzado, 2001, 627. Zum Thema und Quellen über Astrologie und Wissenschaft im Mittelalter siehe auch Burnett, Magic und Divination in the Middle Ages, 2001.

375 Almagest leitet sich von dem arabischen Wort al-mijisti ab, zusammengezogen aus der arabischen Übersetzung des griechischen Titels Megale syntaxis (Große Zusammenfassung).

Die Planetarischen Hypothesen ist ein Werk über Astrophysik und versucht, die physikalischen Gesetze aus den Bewegungen der Himmelskörper und dem Beispiel der planetarischen Sphären, zu erklären.376

In den verschiedenen Traktaten hatte die Astrologie den Status einer freien wie auch praktischen Kunst.377 Die Freie Astrologie war ein Zweig der Astronomie und gehörte neben der Arithmetik, der Geometrie und der Musik zu den mathematischen Wissenschaften. Sie war der Teil der Astronomie, der sich mit den Deutungen beschäftigte. Weiterhin gehörte die Astrologie als praktische Kunst zur leeren Mathematik – zur mathematica vana, die von Hugo von Sankt Viktor kritisiert wurde und die Roger Bacon aus seinem Pantheon der Wissenschaften ausschloss.378

Nach dem Verständnis Alfons’ gehörte die Astrologie allerdings zu den sieben Künsten. Diese waren für Alfons die Grammatik (inklusive der Logik und der Rhetorik), Arithmetik, Geometrie, Musik, Astrologie, die Physik (man verstand sie auch als Medizin) und die Metaphysik.379 Alfons schreibt: „Onde por estos ssiete ssaberes a que llaman artes ssopieron los omnes connosçer a Dios e a todas las cosas que él ffizo, quáles sson en ssí e cómmo obran. Et aun por ellas ssopieron los ssiete çielos en que están las sietes estrellas a que llaman planetas, e los nombres de cada vna dellas”380 (Durch diese sieben Wissenschaften, die

376 Santos, Caminhos Cruzado, 2001, 627.

377 Die sieben freien Künste (lat Septem artes liberales) sind die in Antike und Mittelalter gelehrten sieben Studienfächer, die nach römischer Vorstellung die „einem freien Mann“ ziemende Bildung umschreiben und im mittelalterlichen Lehrwesen als Vorbereitung auf die wissenschaftlichen Studienfächer Theologie, Jurisprudenz und Medizin gelten. Dem Mittelalter wurden die Sieben Freien Künste in enzyklopädischer Form vor allem durch Martinus Capella vermittelt, in dessen Lehrgedicht Von der Hochzeit Merkurs und der Philologie diese Künste als Brautjungfern auftreten und ihr Lehrwissen als Hochzeitsgaben ausbreiten, sowie durch Cassidor und durch Isidors Einarbeitung des Lehrstoffs in seine Etymologiae. Hinzu kamen in einzelnen Fächern als grundlegende Lehrwerke der Antike etwa für die Grammatik die Ars minor und Ars maior von Donatus, für die Rhetorik die (fälschlicherweise) Cicero zugeschriebene Rhetorica ad Herrenium, für die Arithmetik und Musik die beiden Institutiones von Boäthius und für die Dialektik dessen Übersetzungen und Kommentare zu Schriften aus dem aristotelischen Organon; als praktische Künste oder artes mechanicae wurden in Altertum, Mittelalter und Renaissance Fertigkeiten bezeichnet, die dem unmittelbaren Broterwerb dienten. Dazu zählten als armatura Berufe des Handwerks und ab dem Mittelalter auch die der Bildenden Künste und der Baukunst (Arbeiten in Stein, Holz, Metall, Waffenkunst, Bildhauerei, Malerei, Architektur), die agricultura (Landwirtschaft) und das lanificium (Bekleidungshandwerk). Zu den letztgenannten Künsten zählten u.a. die Schneider, Gerber und Schuster.

Im weiteren Sinne lassen sich die praktischen Künste als praktische Anwendung des Wissens insbesondere aus der Naturwissenschaft unter dem Sammelbegriff Technik (altgriechisch τεχνη [téchne] = „Fähigkeit, Kunstfertigkeit, Handwerk“) zusammenfassen. Die artes mechanicae wurden gegenüber den septem artes liberales (sieben freien Künsten) als niedrigerstehend angesehen. Während es für die Ausübung oder das Studium der freien Künste notwendig war, ein "freier Mann" zu sein, konnten auch Unfreie die praktischen Künste ausüben. Bernt, Artes Liberales, in: LexMA, Bd. I, 1058.

378 De Libera, Denken im Mittelalter, 2003, 191.

379 Die gebrächliche Reihe war Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie.

380 Alfono el Sabio, Setenário, Vanderford, 1945, 39.

Künste genannt werden, können die Menschen Gott erkennen und auch alle Dinge, die Er erschuf, was sie (die Dinge) sind und wie sie wirken. Durch sie erkannten die Menschen auch die sieben Himmel, an denen die sieben Sterne sind, die Planeten genannt werden, und auch deren Namen). Mit anderen Worten war die Astrologie zusammen mit den anderen Wissenschaften ein Weg, um Gott kennen zu lernen.

Ab dem 12. Jahrhundert gehörten in Europa aber neben den Texten des Ptolemäus auch die Werke Aristoteles’ zur Basis der mittelalterlichen Astronomie/Astrologie, insbesondere die Werke Metaphysik und Meteorologie, deren arabische Übersetzer ihnen eine Interpretation aus islamischer Sicht gegeben hatten. Solche Interpretationen wurden dann dank der spanischen und sizilianischen Übersetzungsarbeiten in Europa verbreitet. Dies bedeutet, dass der erste bedeutende Kontakt mit den Werk Aristoteles’ im christlichen Europa bereits von der arabischen Ansicht geprägt war.381 In Bezug darauf weist Alain De Libera auf eine wichtige Aussage des Werkes Meteorologie hin, die als Grundlage des mittelalterlichen astronomisch-astrologischen Wissens diente, wobei sie allerdings auf Grund der Prägung der Übersetzer einen anderen Sinn als der originale Text bekam. De Libera führt als Beispiel für eine „falsche“ Übersetzung der Werke Aristoteles’ die folgende Textpassage an: „Diese Welt hier ist auf eine gewisse und notwendige Weise verbunden mit den Ortbewegungen der höheren Welt, dergestalt, dass potentiell alles in unserer Welt von diesen Bewegungen beherrscht wird, dasjenige also, was für alle Himmelskörper das Prinzip ihrer Bewegung ist, muß als die Erstursache betrachtet werden“382 De Libera betont, dass Aristoteles statt an Verbindung an Kontinuität gedacht hätte, weil er sich Leere nicht vorstellen konnte. Nach De Libera sind Verbindung und Kontinuität zwei verschiedene Dinge, und die mittelalterliche Interpretation der Auswirkungen der Himmelskörper auf die irdischen Körper steht nicht in Übereinstimmung mit der reinen Theorie Aristoteles’, wonach es statt Beherrschung von oben nach unten eine Kontinuität der Impulse gebe. De Libera zufolge hätten die lateinische Fassung der Meteorologie und die Kommentare von Thomas von Aquin besser den Gedanken Aristoteles’ interpretiert.383 Meines Erachtens muss man dabei aber berücksichtigen, dass es die Übersetzungen aus dem Arabischen und die arabischen Interpretationen der Werke Aristoteles’ waren, die jahrhundertlang die Grundlagen des astronomisch-astrologischen Wissens bildeten.

381 Endress, Der arabische Aristoteles, 2004, 1-3.

382 De Libera, Denken im Mittelalter, 2003, 196.

383 De Libera, Denken im Mittelalter, 2003, 196.

In diesem Sinn zeigt die dem Aristoteles’ zugeschriebene Aussage im Libro de las Cruzes, dass die arabischen Interpretationen der Werke Aristoteles’ im mittelalterlichen Spanien im 13. Jahrhundert konsolidiert waren: „alle irdischen Körper, werden von den Himmelskörpern durch ihre Bewegung erhalten und regieren (von mir hervorgehoben).“384 Die astronomisch-astrologischen Übersetzungsarbeiten am Hof Alfons’ weisen jedoch nicht nur auf die Rezeption der arabischen Interpretationen der Werke Aristoteles’ in Spanien und der daraus hervorgehenden wissenschaftlichen arabischen Werke hin, sondern sie waren ein Schub für einen Prozess der Wissensvermittlung im mittelalterlichen Europa, dessen ergiebigste Jahre sich im 12. und 13. Jahrhundert befanden.385 Wer am Ende des 13.

Jahrhunderts Astronomie oder eine sonstige Naturphilosophie studieren wollte, musste nach Spanien gehen. Weiterhin waren die Übersetzungen ins Kastilische anscheinend kein Hindernis für die weitere Vermittlung des Wissens, da – wie auch Herbers hervorhebt – die kastilischen Fassungen oft nicht am Ende der Übersetzungsarbeit standen, sondern in weitere europäische Sprachen übersetzt wurden.386

Das Interesse Alfons’ an den „Himmelswissenschaften“ ist eng mit der zweiten Phase der Übersetzerschule von Toledo verbunden. Auf Befehl Alfons’ und unter seiner Patronage wurden vor allem astronomisch-astrologische Werke in Toledo und Sevilla übersetzt. Auf diese Weise hatte Alfons der Weise seine wissenschaftliche Werksammlung mit den Übersetzungen der wichtigsten astronomisch-astrologischen Texte aus der arabischen Welt vervollständigt. Diese Werke bestehen sowohl aus Berechnungstabellen wie Sterngutachten und Prognosen für die Zukunft:387

š Tetrabiblos (Ptolomäus),

š Cánones de Al –Battani(Al-Battanis System),

š Libro conplido de los iudizios de las estrellas (Vollständiges Buch von Prognosen der Sterne von Ibn ab i Riyal, 965-1040),

384 “que los cuerpos de yuso, que son los terrenales, se mantenen et se gouiernan por los mouimentos de los corpos de suso, que son los celestiales”, LC, 1.

385 In diesem Sinn spricht Klaus Herbers über die Sprachausbildung in Spanien: „Sprache und Sprachschulen brachten Bewegung in die bisher weitgehend auf das Lateinische fixierte Bildung, die erst im 13.

Jahrhundert deutlicher werden. Sowohl die missionarisch wie auch wissenschaftlich motivierte Sprachausbildung dürfte für spätere Austauschprozesse in materieller und geistig-geistlicher Hinsicht bestimmend gewesen sein“. Herbers, Wissenskontakt, 1999, 248.

386 Herbers, Wissenskontakt, 1999, 242.

387 Vernet, Alfonso X y la astronomía arabe, 1985, 17-31.

š Los quatro libros de la octava esfera y de sus cuarenta y ocho figuras con sus estrellas (Die vier Bücher der achten Sphäre und ihrer achtundvierzig Figuren mit ihren Sternen von Abd al Rahman al-Sufi),

š Libro de la alcora o sea el globo celeste (Buch der Sphäre oder Himmelskugel),

š Libros del saber de astronomía (Bücher des astronomischen Wissens),

š Tablas astronomicas oder die Tablas Alfonsís (Alfons’ Tabellen).

Alle diese Werke präsentieren Tabellen und ausgereifte trigonometrische Berechnungen von der Bewegung der Himmelskörper. Davon grenzt sich jedoch der Libro de las Cruzes ab, da er Schwächen bezüglich der Berechnungen (der Sternkonstellationen) aufweist. Dass Alfons sich dennoch intensiv mit diesem Werk auseinandersetzte, zeigt meines Erachtens, dass der Libro de las Cruzes mit seinen Prognosen (juízos)388 und Sterngutachten nach Meinung Alfons’ andere astronomische Werke ergänzte. Erst durch den Libro de las Cruzes wurden die übrigen theoretischen Werke in der Weise ergänzt, dass sie eine praktische Funktion erhielten und einen Nutz für den Alltag darstellten. Daran war Alfons als Herrscher sehr interessiert. In Bezug darauf betont Herbers, dass „die Astrologie dabei wie für den Staufer Friedrich II. durchaus praktische Bedeutung besaß, denn zutreffende Vorhersagen blieben nicht ohne politische Konsequenzen“.389 Im Gegensatz zu Isidor von Sevilla, Augustin und Roger Bacon sah also Alfons die Berechnung des Sternenstands und die Sterngutachten in einer Gesamtheit, wobei ein Teil keine Funktion hatte, wenn er von dem anderen Teil getrennt war.