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Die andere Schwester: Die Magie

4 DIE MAUREN- UND WELTBILDER IM WERK ALFONS’

4.3 Der Libro de las Cruzes

1.4.16 Die andere Schwester: Die Magie

In den Augen der mittelalterlichen Christen waren die Araber Meister in allen Arten okkulter Wissenschaften. Dabei war Toledo, die Erbin des Guten und des Bösen der arabischen Wissenschaften, die westliche Hauptstadt der Magie, und sein Ruf reichte bereits weit in die christlichen Königreiche hinein.390 Seine beeindruckenden und vielfältigen Bibliotheken waren für diesen Ruf verantwortlich, und aufgrund der berühmtesten Übersetzungsschule der Christenheit wurde die Stadt ebenfalls als der beste Ort im Westen

388 Aus dem Latein ‚iudicium’ kommt das spanische Vokabel ‚juicio’, das heißt, Urteil, Meinung oder Gutachten. Da das Begriff von Urteil einen deterministischen Sinn enthält nehme ich hier für das Wort juízos die Bedeutung von Prognosen.

389 Herbers, Wissenskontakt, 1999, 237.

390 Vernet, A cultura hispanoarabe, 1978, 178.

angesehen, um die geheimen Wissenschaften zu studieren – eine Tatsache, die auch skeptische Reaktionen im übrigen Europa hervorrief.391 Einer dieser skeptischen Zeugen, der Zisterzienser Caesarius von Heisterbach (gest.1240), schrieb zum Beispiel in seinem Dialogus miraculorum von einer Schule der Schwarzen Kunst in Toledo und beschrieb sie als ein internationales magisches Zentrum. Nach Caesarius gab es in Toledo viele Studenten der Schwarzen Kunst, vor allem junge Männer aus Schwaben und Bayern.392

Die Studenten der Naturphilosophie (bzw. der Alchimie und Astrologie) bezeichneten sich selbst aber nicht als Magier oder Zauberer, sondern als Naturphilosophen. Und obwohl Isidor von Sevilla sowohl die Astrologie als auch die Alchimie als Aberglauben ansah, wurden diese „Geheimwissenschaften“ vor allem am Hof ausgeübt. Richard Kieckhefer behaupt in seinem Werk Magie im Mittelalter, dass der mittelalterliche Hof insbesondere im 13. Jahrhundert der „Magie einen geradezu idealen Nährboden bot“.393 Seine Ausführungen gründen sich auf der mittelalterlichen höfischen Umgebung, die unter anderem dadurch geprägt war, dass die Macht ungleich auf zwei Ebenen verteilt war: Zum einen gab es die Leute mit formaler und offizieller Macht und zum anderen gab es die Höflinge (Diener, Mätressen, Dichter) ohne diese offizielle Macht. Dies rief starke Konkurrenz zwischen diesen Gruppen hervor, wodurch nach Kieckhefer das Interesse in dieser Umgebung groß gewesen sei, sich der Zauberei zu bedienen, um die Gunst des Herrschers zu gewinnen.394

Was wird aber von Kieckhefer als Magie bezeichnet? Er unterscheidet zwei Arten von Magie im Mittelalter: Die eine sei die natürliche Magie und die andere die Magie, die von dämonischen Kräften käme. Zur natürlichen Magie gehörten die Alchimie, die Astrologie und der gesamte Bereich der Wahrsagerei, der in Verbindung mit den damaligen wissenschaftlichen Kenntnissen angewendet wurde. Zur dämonischen Magie gehörte die Beschwörung von Dämonen. Die letztere widersprach deutlich den christlichen Vorschriften und wurde offensichtlich von Theologen wie Albertus Magnus395 kritisiert und verboten.

Trotzdem wurde sie Belegen Kieckhefers zufolge an den Höfen von einigen Klerikern praktiziert.396 Albertus Magnus präsentiert in seinem Werk Speculum astronomiae eine

391 Herbers, Wissenskontakt, 1999, 243-247.

392 Caesarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum. Hrsg. v. Joseph Strange, Bd. 1. Köhn/Bonn/Brüssel 1851, V. 4, S. 279-281. Vgl. Herbers, Wissenskontakt, 1999, 244; Kieckhefer, Magie im Mittelalter, 1992, 175-201.

393 Kieckhefer, Magie im Mittelalter, 1992, 113.

394 Ebd.

395 Zambelli, The Speculum Astronomiae, 1992. In diesem Werk wird Speculum Astronomiae von Albertus Magnus wiedergegeben, hier bezieht man sich auf das Kap. IV des Wekes des Albertus, 222.

396 Kieckhefer, Magie im Mittelalter, 1992, 175-201.

ähnliche Einteilung der Magie. Albertus zufolge gibt es die Magie, die sich der Nigromantie (Geisterbeschwörung) bedient, und die Magie, die auf die Kraft der Himmelskörper beruht.

Die Nigromantie sei von zwei Arten: Die erste sei scheußlich, weil sie Beschwörungen von bösen Geistern bzw. Dämonen verwendet. Die bösen Geister seien zwar nicht wirklich gezwungen, in solchem Ritual zu erscheinen, aber Gott erlaubt, dass sie die Magier täuschen.

Die zweite Art von Nigromantie sei weniger tadelswert, aber auch schlimm, weil sie fremde Charakteren und Namen verwendet, bei denen Feindlichkeiten gegen den katholischen Glauben lauern können.397

Keiner der mittelalterlichen Texten der Nigromantie lässt sich in dem Scriptorium Alfons’ finden, auch kein einziger Hinweis darauf, dass solche Texte an seinem Hof benutzt wurden. Dabei ist zu beachten, dass die natürliche Magie oder Astromagie von Alfons nicht nur bevorzugt, sondern von ihm angestrebt wurde. Dies zeigt sich an den zahlreichen Werken über astrale Magie,398 die er an seinem Hof übersetzen ließ: Picatrix (Gayat al-hakim);

Lapidario (Buch der Steine); Libros de Astromagia (Buch der Astromagie); Liber Razielis (Razielis’ Buch – Kabbala); Libro de los secretos de la naturaleza (Buch der Geheimnisse der Natur); Libro de las formas y de las imagénes (Buch der Formen und der Bilder).

Alle diese Werke beschäftigen sich sowohl mit den Studien der Gestirne als auch mit der Nutzung von deren Auswirkungen auf die Erde. Hier ist es schwer, die Grenzen zwischen der damaligen Wissenschaft und der natürlichen Magie zu ziehen. Aus dem folgenden Zitat geht das Verständnis Alfons’ für diese Grenzen hervor:

“Que cosa es adeuinança: e quantas maneras son della.

Adeuinãça tanto quiere dezir como quierer tomar el poder de Dios para saber las cosas que estan por venir. E son dos maneras de adeuinança. La primeira es la que se faze por arte de Astronomia, que es, vna de las siete artes liberales, esta segữd el fuero de las leyes non es defendida de vsar a los que son Maestros, e la entienden verdaderamẽte: por que los juyzios, e los asmamientos que se dã por esta arte, son catados por el curso natural, de las planetas, e delas otras estrellas: e fuerõ tomadas, de los libros de Ptolemeo, e delos otros sabidores: que se trabajarõ de esta sciẽcia. Mas los otros que nõ son ende sabidores nõ deuẽ obrar por ella, como quier que se deuẽ trabajar de aprender, e de estudar en los libros de los sabios. La Segunda maneira de adeuinança es de los agoreros, e de los sorteros, e de los fechizeros, que catan agueros de aues, o de estornudos, o de palabras a que llaman prouerbio, o echan fuertes: o catan

397 Zambelli, The Speculum Astronomiae, 1992, hier bezieht man sich auf das Kap. XI des Wekes des Albertus, 240; Zu mittelalterlichen Quellen, die von Nigromantie handeln, siehe Burnett, Magic und Divination in the Middle Ages, 2001, hier besonders das Kapitel Talismans: magic as science?

Necromancy among the Seven Liberal Arts, 1-15.

398 García Avilás, Alfonso X y la tradición, 1999, 83-103.

en agua, o en cristal, o en espejo, o en espada, o en otra cosa luziente, o fazen fechuras de metal, o de otra cosa qualquier, o adeuinãça en cabeça de ome muerto, o de bestia o en palma de niño: o de mujer virgen. E estos truhanes, e todos los otros semejantes dellos (por que son omes dañosos, e engañadores, e nascẽ desus fechos muy grandes males a la tierra) defendemos que ninguno dellos non more en nuestro señorio, nin vse y destas cosas: e otrosi, que ninguno non sera osado delos acoger en sus casas, nin encubrilos”399

Was Wahrsagung bedeutet und wie viele Arten es davon gibt.

Wahrsagung heißt, die Macht Gottes zu nehmen, um zukünftige Sachen zu kennen. Und es gibt zwei Arten von Wahrsagung: Die erste ist diejenige, die man durch die Astronomie ausübt, die eine der sieben Freien Künste ist. Nach dem Gesetz ist sie nicht denjenigen verboten zu nutzen, die Meister sind und sie wirklich verstehen. Denn die Gutachten und die Schätzungen, die sie durch jene Kunst machen, werden aus dem natürlichen Umlauf der Planeten und anderer Sterne abgelesen. Sie werden aus den Büchern Ptolemäus’ und anderer Gelehrter entnommen, die sich mit dieser Wissenschaft beschäftigten. Aber die anderen, die sie (die Astronomie) nicht verstehen, dürfen mit ihr nicht arbeiten. Sie dürfen sich aber darum bemühen, sie durch die Bücher der Weisen zu erlernen. Die zweite Art der Wahrsagung ist jene der Zeichendeuter (sorteiros) und der Hexen, die Vordeutungen aus Geflügel, dem Niesen, den Sprichworten (prouerbio), entnehmen. Oder sie sehen die Vordeutungen im Wasser oder in Kristallen oder im Spiegel oder auf dem Schwert oder auf anderen leuchtenden Dingen oder deuten die Zukunft aus dem Kopf eines toten Mannes oder eines Tieres oder der Hand eines Kindes oder einer Jungfrau.

Wir verbieten, dass solche Gauner oder ähnliche in unserem Königreich leben, oder dass sie jene Bräuche hier ausüben. Denn sie sind schädliche Menschen und Betrüger und bringen mit ihren Taten großen Schaden und großes Übel über das Land. Und niemand darf es wagen, sie in seinem Haus aufzunehmen.

Alfons unterscheidet zwei Arten der Wahrsagung, wobei es eine erlaubte Form gibt, die er zur Astronomie – einer der sieben Freien Künste – zählt. Jedoch bezeichnet Alfons in einer Textpassage im Setenario400 statt der Astronomie die Astrologie als fünfte Kunst. Im Setenario wird dabei die Astrologie in sieben Teile geteilt: „Astrología, que quier dezir saber que sse alcança por catamiento e por vista, et es la quinta arte destas ssiete e ffabla de los çielos, porque sson llamados en latin astra. E ésta es partida en ssiete maneiras: por vista, por entendimiento, por obras, por mudamiento, por cuenta, por medida, por acordança“401 (Astrologie bedeutet Wissen, das man durch Suchen und Sehen erreicht, sie ist die fünfte Kunst dieser sieben und spricht von den Himmeln, da sie auf Latein Astra heißt. Und diese

399 SP 7. 23. 1

400 Nach dem Setenario waren die Grammatik (inklusive der Logik und der Rhetorik), die Arithmetik, die Geometrie, die Musik, die Astrologie, die Physik (man verstand darunter auch als die Medizin) und die Metaphysik die sieben wichtigsten Wissenschften. Alfonso el Sabio, Setenário, Vanderford, 1945, 39.

401 Alfonso el Sabio, Setenário, Vanderford, 1945, 35.

(Astrologie) besteht aus sieben Teilen: aus Sehen, aus Verstand, aus Taten, aus Veränderung, aus Berechnungen, aus Messungen und aus Konkordanz). Es scheint, dass nach Ansicht Alfons’ Astronomie und Astrologie Synonyme für ein einziges Fach sind. Dabei bezeichnet Alfons weder die Astrologie noch die Alchimie oder die Wahrsagung nach den Gestirnen als Aberglauben, sondern als Wissen. Er unterscheidet diese „Künste“ deutlich von Hexerei und Zeichendeutung. Zudem behauptet Alfons, dass sich die Wahrsagung aus Gestirnen auf Wissenschaft gründet, die ihrerseits eine Gabe Gottes sei und die mit seiner Erlaubnis und seinem Willen angewendet werden dürfe (Prolog des Libro de las Cruzes). Die anderen verbotenen Bräuche hätten keine wissenschaftliche Begründung und gehörten daher nicht zum Willen Gottes.

Obwohl Alfons die Vokabel Magie in der partida 7.23.1 nicht benutzte und sogar die Wahrsagung dort nicht als Magie bezeichnet wurde, spielten die sogenannte harranianische talismanische Magie402 und die jüdische Mystik Kabbala in den meisten Werken der wissenschaftlichen Sammlung Alfons’ eine zentrale Rolle. Ein Beispiel dafür ist die Textsammlung, die den Lapidario403 (Buch der Steine) bildet. Sie wurde auch für die Praktikanten der Medizin (die damaligen Physiker) geschrieben und fasst die Mineralogie, die Astrologie, die talismanische Magie, die Kabbala und die Heilkunst zusammen.

Dieser Lapidario entspricht dem damaligen Verständnis der Heilkunst, die in Verbindung mit der Astrologie häufig in mittelalterlichen Medizintraktaten beschrieben wurde. Ein Beispiel dafür ist die Matéria Medica de Dioscorides.404 Dort wird dasselbe Prinzip wie im Lapidario dargestellt, wonach die Strahlungen der Gestirne, die durch Steine und Talismane in einer präzisen Zeit durch ein bestimmtes Ritual eingefangen werden, zur Heilung angewendet werden können.405 Picatrix, Lapidario, Libro de las formas y de las imágenes und Astromagia präsentieren unter den Einflüssen der harrianischen astralen Magie dasselbe Verständnis einer Verbindung aller Dinge im Universum. Die Logik innerhalb dieses magischen Gedankens basiert auf dem stoischen Prinzip (3. Jhd. v. Chr.) der universalen Sympathie, wonach alle Teile des Universums in Verbindung miteinander stehen und die

402 Die harrianische Magie trat auf der Halbinsel durch die Texte der Brüder der Reinheit auf und wurde so genannt, weil sie zwischen dem 9. und 10. Jahrhundert in Harran (nördliches Mesopotamien) erschien, obwohl sie auf älteren hellenistischen Texten als Quellen beruht, vgl. García Avilás, Alfonso X y la tradición, 1999, 88.

403 Alfonso el Sabio, Lapidario, Lapesa,1981.

404 Amasumo, La materia médica de Dioscorides, 1987.

405 García Avilás, Alfonso X y la tradición, 1999, 85.

Strahlung der Einflüsse eines Teils der Welt sich nach den anderen Teilen orientiert.406 Eine Variante dieses Prinzips wird durch den Neuplatonismus des Plotin (3. Jhd. n.Chr.) präsentiert, der sagt, dass die Gestirne ihre Einflüsse durch Strahlungen unwillkürlich weitergäben. Weiterhin wird eine solche Strahlung im Werk Al-Kindis (9. Jahrhundert) thematisiert,407 der einer der arabischen Kommentatoren von Aristoteles ist. Hier lässt sich eine Kreuzung von Gedankenströmen feststellen und weiterhin, dass die arabischen Interpretationen der Werke Aristoteles’ in der Tat auch die Einflüsse anderer philosophischer Ströme enthalten.408

Aus meiner Sicht beziehen sich die von Alfons gesammelten astronomisch-astrologischen Werke auf zwei verschiedene Handlungen gegenüber der Welt. Davon wirkt die eine aktiv auf die Welt ein und wird durch die astrale Magie vertreten, wohingegen die andere die Welt passiv beobachtet und die astrologische Wahrsagekunst ist. Mit der zuletzt genannten befasst sich der Libro de las Cruzes. Dieses Buch handelt nicht von Talismanen oder Beschwörungen, sondern von der astrologischen Wahrsagekunst. Im Gegensatz zu astralmagischen Werken, bei der der Magier durch bestimmte astrale Rituale seine Umgebung beeinflussen kann,409 betont der Libro de las Cruzes den Determinismus der Himmelskörper auf die irdischen Körper. Der Inhalt des Libro de las Cruzes stellt eine Welt dar, die vollkommen harmonisch und hierarchisch geordnet und deren Bewegung synchron und unveränderlich ist.